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Vorwort

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Eines Tages kam im Wiener Café Central ein Philosoph auf mich zu – im Café Central wimmelte es um die Jahrhundertwende von Philosophen – und brachte mir eine Arbeit, von der ich mir nur einen Satz gemerkt habe: »Das Leben ist eine Gelegenheit, sich die Welt anzuschauen.« Ich weiß nicht, ob der Wiener Central-Philosoph noch lebt, er hatte eine vornehme Verachtung für Öffentlichkeit und Druckerschwärze und war zu sehr Philosoph, als daß ihm an irgendeiner Art Ruhm etwas gelegen wäre, aber seinen tiefsinnigen Satz habe ich als Leitmotiv annektiert, in allen möglichen Situationen ist er mir Stütze und Beruhigungsmittel, Zuflucht und Ausrede gewesen.

Im großen ganzen ist mein Leben ein reizender Serpentinenweg nach oben gewesen, etwas strapaziös im Anstieg, aber immer wieder erfrischend und entzückend durch eine plötzliche unerwartete schöne Aussicht. Ich bin das Wiener Kind Wiener Eltern, und das bedeutet ein Schicksal. Ist man Wiener, so hört man nie ganz auf, es zu sein; wenigstens das Wien, das war, bedeutete ein Schicksal.

Ich bin in meinem Leben nie zielbewußt gewesen, kaum wegbewußt. Wie hätte ich Wiener und gleichzeitig zielbewußt sein sollen? Im Grunde bin ich wie im Traum vorwärts getorkelt, vorwärts, zuweilen auch seitwärts, zuweilen auch rückwärts. Immer wieder kam es zu einer Art Lebenskrise. Immer wieder mußte das Dasein ganz von vorn angefangen werden. Aber ich kann nicht sagen, daß ich gerade in diesen Erschütterungskrisen den Grund ganz verloren habe. Ich saß auf dem Grunde, aber ich hatte Besinnung genug, das Wiener Leitmotiv vor mich hinzusummen: Das Leben ist eine Gelegenheit, sich die Welt anzuschauen. Ich habe sicher an den Fehlern dieser Philosophie zu tragen gehabt; zuweilen, wenn ich zugreifen oder handeln sollte, habe ich nur geschaut; vieles habe ich nicht festhalten können, weil ich ein Zuseher war; aber im großen ganzen bin ich »zum Schauen bestellt« auf meiner Serpentine sehr glücklich gewesen. Und wenn ich den Weg von der Wiener Wollzeile 23 – ich bin ganz in der Nähe der Stephanskirche geboren und danke ihr meinen Namen – nach St.-Maxime-sur-Mer, wo ich dies Vorwort schreibe, noch einmal zu gehen hätte, ich glaube, ich stiefelte unwillkürlich dieselbe Serpentine mit all ihren törichten Umwegen wieder empor.

Komisch, das Leitmotiv hat mich davor geschützt, das Geld jemals zu überschätzen. Ich wurde ziemlich alt, ehe mir die Wichtigkeit des Geldes einging, und selbst als ich theoretisch begriffen hatte, daß Geld, wie Dostojewski sagt, geprägte Willensfreiheit ist, war ich noch immer weit entfernt vom Willen zum Gelde oder gar von dem Entschluß, Geld zu machen. »Das Leben ist eine Gelegenheit, sich die Welt anzuschauen.«

Komisch, wenn ich die Augen schließe, fühle ich mich heute, 1930, genau so als junger Mensch, wie ich mich 1900 gefühlt habe; oder nein: 1895 als zwanzigjähriger Mensch habe ich mich viel älter gefühlt als dreißig Jahre später. Ich glaube, die Jahre der Seele setzen nicht hintereinander ein. Ich war mit zweiundzwanzig Jahren innerlich sechzig, dann wurde ich langsam jünger. Mit ungefahr fünfunddreißig Jahren, nach dem Geburtsschein gerechnet, war ich innerlich zweiundzwanzig Jahre alt, und jetzt, nachdem ich durch allerlei Tode, Krankheiten und Leiden durchgegangen bin, würde ich mich auf ungefähr dreiunddreißig abschätzen – versteht sich, nur an sonnigen Tagen. An grauen Tagen bin ich etwa hundertneunzehn Jahre alt. Aber wenn es einen Unterschied in der Lebenskunst von Jung und Alt gibt, so ist es der, daß einem in der Jugend die Sonne nachläuft und daß man, älter geworden, selber der Sonne ein bißchen nachlaufen muß.

Unwillkürlich muß in die Schilderung meines Lebens etwas Hochmut einfließen. Ich bin der Sohn verarmter Wiener Bürger. Ich habe mit siebzehn Jahren angefangen, mein Brot zu verdienen, und ich habe nie in meinem Leben einen Pfennig geerbt. Und dennoch habe ich niemals, niemals – die Stimme darf sich hier schon ein bißchen zum Tremolo erheben – irgendeine Zwangsarbeit getan. Jede Arbeit, die ich auf mich genommen, habe ich mit Freude getan, ja, ich darf sagen, daß ich eigentlich meine Arbeit – und es gab Tage, wenn auch nicht allzu viele, mit sechzehn- und siebzehnstündiger Arbeitszeit – immer nur als Spiel empfunden habe. Ich möchte da sogar zwei verschollene Jugendjahre mitrechnen, in denen ich versuchte, Versicherungsmathematiker zu werden. Auch das hat mir eine Zeitlang Spaß gemacht, und wenn nicht die Schrecken des Bürozwanges mich zum Ausreißen gezwungen hätten, und wenn die Arbeit nicht allmählich monoton geworden wäre, und wenn nicht ein unbezwingliches Bedürfnis nach einem dramatisch lebendigeren Dasein mich aus der Beamtenbahn gerissen hätte … zu viele wenn, solche Sätze soll man nicht beenden. Ich war nie Zwangsarbeiter, ich habe in meinem halbwegs bewußten Leben geschwankt zwischen Schriftstellerei und Theaterarbeit, auf sechs, sieben Jahre publizistische Tätigkeit folgten gewöhnlich drei, vier Jahre Theaterspielerei. Man muß die Kissen umdrehen, wenn man gut schlafen will. Der Journalismus erträgt sich leichter und freier, wenn man in die Theateratmosphäre entfliehen kann, und die Theaterluft wäre ja überhaupt ohne den Gedanken nicht auszuhalten, daß man sich jeden Augenblick in die weniger wahnsinnige Atmosphäre der stillen Schriftstellerstube hinüberretten kann. Ich kann nur jedermann raten, sich mindestens zwei Berufe anzuschaffen, ein Beruf ist zu wenig. Man ist nur dann Herr über seine Arbeit, wenn man eine zweite Berufung hat. Die Monogamie eines einzigen Berufes macht abhängig und unfroh.

Das Wichtigste freilich ist unerlernbar, man muß es von Natur aus mitbringen: ich meine das souveräne Gefühl, daß man selber der Erbauer seines Lebens ist. Die meisten Menschen werden gelebt. Es ist nicht wahr, daß jedermann seinen Marschallstab im Tornister trägt, im Gegenteil, manche haben nur einen Korporalstock im Tornister, und die meisten tragen nur ihren schweren Tornister – ohne Stab und ohne Stock. Ich habe, Gott weiß woher, ein unverschämtes, mir lange selber unbewußtes Souveränitätsgefühl mitbekommen. Ich habe nie danach getrachtet, irgendeinen Menschen zu beherrschen, aber die dienende Hilfe des homme mediocre ist mir immer als eine Selbstverständlichkeit vorgekommen.

Soll ich noch etwas von meiner geheimen Philosophie verraten, so ist es beinahe ein mystischer Glaube, daß wenige, ganz tief gelagerte Wünsche des Menschen nach einer Zeit des Ausreifens im Dunkel und Unbewußten plötzlich in Erfüllung aufsprießen. Ich spreche jetzt nicht von den vulgären praktischen Wünschen – wieviele Menschen haben denn überhaupt die seltene Kraft eines inbrünstigen, aus der Tiefe wachsenden Wunsches? –, aber der Keim eines tiefgewollten, lange im Erdreich des Unbewußten geschützt herumgetragenen Wunsches, dieser Keim blüht eines Tages fast plötzlich auf und – du stehst vor deiner Erfüllung.

Ich hatte das Glück in meinem Leben, herrlichen Partnern zu begegnen. Ich denke da um Gottes willen nicht etwa an sehr viele berühmte Menschen, die ich zwischen Kairo und Drontheim traf. Nein, ich hatte das Glück, immer wieder Mitglied eines wunderbar reich besetzten Ensembles zu werden. Dabei bin ich, wie wahrscheinlich alle produktiven Menschen, den schnöden Vergnügungen konventioneller Geselligkeit fast immer ausgewichen. Ich hatte das Glück, immer wieder, wenn ich diesen nicht nur musikalisch gemeinten Vergleich wagen darf, süßeste Kammermusik zu genießen. Außer den Stunden des Alleinseins, in denen ich doch immer wieder durch tausend Kontakte sozial verbunden war, sind die Stunden zu zweien die vollsten meines Lebens gewesen. Zu zweien im Fenster liegend, kann man dem Gekribbel der Welt sehr fröhlich zuschauen. Jede Gesellschaft von mehr als zwei Personen ist gewöhnlich mindestens um einen zuviel. Wenn das Leben eine Gelegenheit sein soll, sich die Welt anzuschauen, so darf man sich diese Gelegenheit nicht durch allzuviel Nachbarschaft und Gesellschaft stören lassen.

Noch ein Geständnis: bin ich wie im Traum durchs Leben gegangen, unromantisch gesagt: das »Maultier sucht im Nebel seinen Weg« –, so wäre ich von diesem Grat einige dutzendmal abgestürzt, wenn ich nicht rechtzeitig im Nebel Frauenstimmen gehört hätte. Ich verdanke Frauen nicht nur ein steigendes, immer wieder trunken machendes Lebensgefühl, ich verdanke ihnen überhaupt und immer wieder, daß ich bin.

Das Buch heißt: Ich war begeistert, wobei die Betonung nicht auf dem Hilfszeitwort liegt. Die Begeisterung kommt aus dem Geiste, mein Leben war begeistert, wie eine grün blühende Wiese bewässert sein muß. Und da ich begeistert war, so bin ich es noch und werde es, ein klein bißchen komisch, immer wieder sein. Die Begeisterung von gestern mag geisterhaft sein, der Rausch von heut und morgen ist doch nicht aus den Augen zu reiben … Vertrauliches Geständnis, ich bin auch von meiner Begeisterung ein wenig begeistert.

Ich war begeistert

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