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Mordmotiv 4: Verfrühte Bus-Aussteiger
ОглавлениеÖffentliche Verkehrsmittel sind ein sicherer Wert bei der Suche nach Mordmotiven. Dieser Fall hier gehört aber zu den weniger bekannten.
Folgendes Szenario: Der Bus ist dicht besetzt, Sie steigen ein und bleiben während der Fahrt notgedrungen direkt vor der Bustür stehen. Einige Meter von ihnen entfernt steht ein anderer Fahrgast, der durch seinen gehetzten Blick Richtung Haltestellen-Display auffällt. Hat der Mann einen Herzinfarkt? Atemnot? Ist der auf der Flucht? Der Bus befindet sich in voller Fahrt. Die nächste Haltestelle ist noch einige Minuten entfernt. Doch bereits jetzt quält sich der andere Passagier mit stark gerötetem Gesicht durch die dicht gedrängte Meute in Richtung Tür – und damit auch in Ihre Richtung. Und während der Busfahrer noch keinerlei Anstalten macht, anzuhalten (weil es schlicht keine Haltestelle gibt hier), baut sich der Herr oder die Dame vor Ihnen auf und sagt: «Ich muss gleich aussteigen, können Sie bitte Platz machen?»
Aber natürlich! Gar kein Problem! Hat ja massig Platz! Auf welche Seite soll das Ausweichmanöver denn erfolgen? Vielleicht dem Hells Angel rechts, dem man vor zehn Minuten seine Harley geklaut hat und der entsprechend gut gelaunt ist, auf die Füsse stehen? Oder den Kinderwagen mit den Zwillingen auf der linken Seite mal schnell auf die Seite kippen, damit zwischen den Rädern eine Lücke entsteht, in die man sich stellen könnte? Mama schaut gerade nicht hin, das könnte klappen.
Wenn der Bus hält, liebe baldige Bus-Aussteiger, eröffnet sich die elegante Möglichkeit, Platz zu schaffen, indem man aussteigt, Leute raus lässt und wieder einsteigt. Jeder normal intelligente Fahrgast wird das für Euch tun, keine Sorge. Bevor der Bus hält, solltet Ihr im Übrigen ohnehin nicht aussteigen – dieses Vorgehen wird von führenden Fachärzten empfohlen. Also reicht es absolut, die Haltestelle abzuwarten, bevor man sich mit einem entsprechenden Ausweichwunsch an den wendet, der die Tür blockiert. Eine Tür, die sich nicht öffnet, weil der Bus fährt, kann man auch gar nicht blockieren. Solange sich der Bus in Fahrt befindet, ist das Stehplätzchen vor der Tür einfach genau das: Ein Platz zum Stehen.
Instinktiv leistet man aber erfahrungsgemäss in Stresssituationen wie einem vollbesetzten Bus auch absurden Wünschen Folge. Deshalb fallen uns alle diese guten Argumente im richtigen Moment natürlich nicht ein, und man versucht tatsächlich, fünf Minuten vor der nächsten Haltestelle Durchlass zu gewähren – indem man grobfahrlässigerweise die sichere Haltestange loslässt, sich zur Seite kippen lässt und besagtem Hells Angel in die Arme fällt. Das müsste alles nicht sein. Wenn es weniger übernervöse, verfrühte Busaussteiger gäbe.
Vorgeschlagene Mordmethode: Die Notöffnung betätigen und den Frühaussteiger raus schubsen. Immerhin wollte er ja unbedingt raus, nicht?