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Mordmotiv 6: Automechaniker
ОглавлениеHier präsentiert sich ein echter Interessenskonflikt. Einerseits brauchen wir auf dieser Welt natürlich Automechaniker, vor allem, seit das, was sich unter einer Motorhaube abspielt, nichts mehr mit Mechanik zu tun hat, sondern nur noch aus Elektronik besteht und komplexer aufgebaut ist als das Gefährt bei der ersten Mondmission. Andererseits hat ein gewisser Teil der im Berufsleben stehenden Automechaniker unzweifelhaft den Tod verdient. Es gibt keinen anderen Berufsstand, dessen Vertreter derart unverfroren und gewohnheitsmässig lügen, ohne auch nur mit der Wimper zu zucken. Haben Sie es je erlebt, dass der Reparaturbedarf an Ihrem Auto weniger gross war als ursprünglich angenommen? In aller Regel ist es genau umgekehrt: Sie steuern die Werkstatt an aufgrund eines Seitenfensters, das nicht mehr richtig schliesst. Bei Abholung des Fahrzeugs erfahren Sie, dass Ihr Wagen angeblich im Grunde seit Jahren nicht mehr fahrtüchtig war und es einem Wunder gleichkommt, dass Sie täglich Dutzende von Kilometern ohne Probleme abspulen. Denn der Vergaser ist im Eimer, der Zylinder grenzwertig, die Bremsen ihres Namens nicht mehr würdig – und genau genommen fehlt beim genaueren Hinsehen der ganze Motor. Das abgewürgte Seitenfenster, das Sie ursprünglich zur Fahrt in die Werkstatt genötigt hat, führt also letztlich dazu, dass Sie eine billigere Wohnung suchen und Ihren Kindern das Studium verbieten müssen. Gut gemacht!
Aber zugegeben: Diese Schilderung der Ereignisse ist nicht fair. In Wahrheit führen Automechaniker alle diese Arbeiten nicht einfach spontan aus und präsentieren uns danach die Rechnung. Nein, es ist alles überaus transparent organisiert. Gefühlte drei Minuten nach Ablieferung des Wagens erreicht Sie ein Anruf auf Ihrem Handy mit der Information, dass der Wagen eine grundlegende Generalüberholung benötigt, wobei eine Flut von Fachbegriffen folgt – und das aus dem Mund eines Mechanikers, der zuvor kaum Ihren Namen korrekt aussprechen konnte. Nun haben Sie selbstredend die Möglichkeit, die Expertise des Mannes am anderen Ende der Leitung anzuzweifeln. Nur: Wie will man das tun, wenn man selbst einen Kompressor nicht vom Behälter der Scheibenwischerflüssigkeit unterscheiden kann? Und was bringt es, wenn man die Diagnose anzweifelt? Soll man den Wagen wieder holen und zu einer anderen Autogarage bringen? Dort wird man selbstverständlich auch angelogen. Und der Mechaniker dort findet vielleicht zusätzlich noch heraus, dass hinten links ein Reifen fehlt.
In Wahrheit sind wir alle den Automechanikern hilflos ausgeliefert. Und wir sind gezwungen, ihre Behauptungen zu schlucken. Es sei denn, wir sind bereit, mit einem Seitenfenster zu leben, das auf halber Höhe stecken geblieben ist, und das so lange, bis wir einen wahrhaft ehrlichen Automechaniker gefunden haben. Viel Glück bei dieser Suche. Wenn sie erfolgreich verläuft, sollten Sie danach ein Buch schreiben.
Vorgeschlagene Mordmethode: Den Mechaniker mit dem Kopf nach aussen durch das defekte Seitenfenster schieben und festzurren. Mehrmals durch eine Waschanlage fahren.