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Harlekin

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Ein jähes, lautes Krachen riss Joaquin in Sekundenbruchteilen aus dem Schlaf. Wie von der Tarantel gestochen sprang er vom Stuhl und verlor fast das Gleichgewicht. Im gleichen Moment kreischte Lord Leroy markerschütternd und flog wie wild geworden durch die Wohnküche.

„Alarm! Alarm! Alarm!“ krächzte er aus voller Kehle und fegte mit seinen Flügeln eine Kerze und eine Blumenvase vom Tisch, die polternd zu Boden fiel, aber nicht zerbrach. Durch die Wucht des Flügelschlags war die Kerze erloschen. In Panik stürzte sich Joaquin auf die anderen brennenden Kerzen und löschte sie hektisch, damit der Papagei nicht noch mehr Unheil anrichten konnte. Die Öllampe hatte längst ihren Geist aufgegeben, weil sich kein Öl mehr in ihr befand. Für einen Augenblick stand er im Dunkeln. Leroy flog kreischend zurück zum Käfig, landete wild mit den Flügeln flatternd auf ihm.

„Ist ja gut, mein lieber Freund, beruhige dich wieder“, versuchte Joaquin ruhig auf ihn einzuwirken, obwohl er selbst ein wenig durcheinander war.

Ein erneutes Krachen und das Zersplittern von brechendem Holz drang von draußen in die Wohnküche, dem ein lautes, ärgerliches Fluchen folgte.

„Mist! Was für ein verdammter Mist!“

Dann trat Stille ein. Joaquin tastete sich im Dunkeln zum Kamin, wo er eine zweite Öllampe vermutete. Er suchte mit seinen Händen den Kaminsims ab. Schnell hatte er die Lampe gefunden, zog die Zündhölzer aus seiner Hosentasche und zündete sie an. Gleich darauf war der Raum wieder mit Licht gefüllt. Der Lärm kam von der Vorderseite des Hauses. Mit einem unguten Gefühl in der Magengegend und nur mit der Öllampe bewaffnet, ging Joaquin zur Haustür. Im Vorbeigehen schaute er kurz zur Standuhr hinüber. Es war kurz vor 23 Uhr. Er trat, immer noch etwas benommen, so plötzlich aus dem Schlaf gerissen worden zu sein, vor die Tür. Ein erneutes Krachen und Knirschen, diesmal aber kürzer und nicht ganz so laut, drang zu ihm herüber. Es kam rechts von ihm irgendwo von den Bäumen her und er starrte in die Richtung, um etwas erkennen zu können.

„Hallo, wer ist da?“ rief Joaquin mit fester Stimme und hielt die Lampe höher.

„Ich bin da! - Harlekin ist da!“ war die unerwartete und etwas überraschende Antwort.

„Leider etwas anders, als ich es mir vorgenommen hatte!“ kam es von hoch oben aus den Bäumen und im selben Moment leuchtete das Licht einer Taschenlampe zu Joaquin herunter.

„Was machen Sie denn da oben in den Bäumen?“ rief Joaquin nach oben und versuchte, etwas zu erkennend, da der Strahl der Lampe seine Augen blendete.

„Das frage ich mich auch gerade!“ antwortete die fremde Männerstimme. „Habe wohl soeben eine perfekte Bruchlandung mit meinem Ballon hingelegt!“

Und wie aus dem Nichts kam mit einem doppelten Salto eine Gestalt aus den Bäumen gesprungen und landete im sicheren Stand direkt vor Joaquin. Dieser wich ein wenig erschrocken zurück. Im Schein der Lampe konnte er eine mittelgroße, männliche Gestalt erkennen, die aussah, als wäre sie aus einem Zirkus oder einem Märchenbuch entsprungen. Diese merkwürdige Erscheinung schien ungefähr in seinem Alter zu sein. Der Mann trug ein buntes Gewand, das einem Narrenkostüm ähnelte. Er hatte eine kräftige Statur und ein braun gebranntes, ausdrucksstarkes, markantes Gesicht aus dem zwei strahlend blaue Augen leuchteten. Der Kopf war kahl rasiert und zwei auffallend lange Ohrringe baumelten an beiden Ohren. In der rechten Hand hielt er eine Taschenlampe. Joaquin wusste nicht, warum, aber aus irgendeinem Grunde fand er den vor ihm stehenden Mann sofort sympathisch.

Als beide sich schweigend einen kurzen Moment gemustert hatten, hob Harlekin seine rechte Hand, setzte ein breites Lächeln auf und sagte mit tiefer Stimme: „Hey, ich weiß zwar nicht, wo ich hier gelandet bin, aber Sie können mir sicher weiterhelfen.“ Und das Grinsen wurde noch breiter und ließ eine Reihe strahlend weißer Zähne zum Vorschein treten.

„Was ist denn passiert?“ fragte Joaquin etwas verunsichert. „Ich habe ich nicht viel Zeit, da ich noch einen Gast erwarte!“

Harlekin schaute sein Gegenüber prüfend an. „Kennen Sie zufällig eine Madame Faunette? Ich war eigentlich auf dem Weg zu ihr und sie erwartet mich. Sie müsste hier in der Nähe irgendwo ein Grundstück haben.“

Joaquin erwiderte den Blick des Mannes. Sollte das der angekündigte Gast sein?

„Also, wenn Sie Madame Sophie Faunette meinen, haben Sie das Grundstück gefunden, denn Sie befinden sich gerade darauf“, sagte Joaquin und bemerkte, dass der Mann vor ihm überrascht schien.

„Oh, dann hat mich mein Orientierungssinn wohl doch nicht im Stich gelassen“, entgegnete Harlekin schmunzelnd, aber scheinbar erleichtert. „Dann gehe ich mal davon aus, dass es sich um ihr Haus handelt, vor dem wir gerade stehen, oder?“ und er deutete mit einem Finger auf das Gebäude.

„Wenn dem so ist, bin ich tatsächlich an meinem Reiseziel angekommen.“

Harlekin brach in ein schallendes, herzhaftes Gelächter aus. Joaquin konnte sich ebenfalls ein Grinsen nicht verkneifen.

„Dann sind Sie vermutlich der Gast, auf den ich warte.“ Er streckte ihm die Hand entgegen.

„Meine Freunde nennen mich Harlekin.“ Der Mann ergriff Joaquins Hand und schüttelte sie so kräftig, dass dieser glaubte, der Arm würde ihm ausgerissen.

„Meine Freunde nennen mich Joaquin“, erwiderte Joaquin mit etwas Schmerz verzehrtem Gesicht.

„Dann wäre das ja zwischen uns geklärt, Joaquin!“ Harlekin grinste breit und schaute sich ein wenig um. „Einsame Gegend hier. Habe nicht damit gerechnet, einen so dicht bewachsenen Wald vorzufinden und im Dunkeln sieht man ja sowieso nicht viel. Obwohl ich eine Karte und einen guten Kompass besitze, hatte ich Probleme, meinen Ballon sicher zu Boden zu bringen und jetzt hängt er in den Bäumen. Konnte gerade noch rechtzeitig die Heißluft abstellen. Der Korb muss auf einer Baumkrone aufgesetzt sein, denn plötzlich kippte der ganze Ballon zur Seite und krachte durch die Zweige. Kann von Glück sagen, dass ich mich nicht verletzt habe. Bis auf ein paar Schrammen und Beulen an den Armen und Beinen habe ich nicht viel abbekommen. Muss wohl bis morgen warten, bis ich den Ballon aus den Fängen der Zweige befreien kann.“

„Du bist tatsächlich mit einem Ballon angereist?“ fragte Joaquin ungläubig und starrte an den Bäumen hoch. Er konnte aber wegen der Dunkelheit nichts erkennen.

„Ja, warum denn nicht? Ist ein tolles Transportgerät und man sieht viel von der Landschaft. Nur die Hitze hat mir da oben in der Luft richtig zu schaffen gemacht. Bin schon seit dem frühen Nachmittag mit dem Ballon unterwegs. Habe ihn gemietet, als ich heute Morgen in Spanien angekommen bin. Ist zwar nicht ganz billig, aber der Spaß ist es auf jeden Fall wert.“

Joaquin ahnte, dass er einen komischen Kauz vor sich stehen hatte. Irgendwie eigen und ungewöhnlich, aber gleichzeitig sympathisch.

„Bist du ein Verwandter von Madame Sophie Faunette?“

„Wie kommst du denn darauf?“ „Ich kenne diese Frau überhaupt nicht und habe sie auch niemals zuvor gesehen! Habe vor einigen Monaten einen Brief mit einer Einladung von ihr erhalten und war, ehrlich gesagt, ziemlich überrascht. Aber das ist eine lange Geschichte. Wie wäre es, wenn wir ins Haus gehen und du mich ihr vorstellen würdest. Sie wartet bestimmt schon auf mich.“

Joaquin war etwas irritiert. „Sie ist nicht im Haus, sondern auf einer Geschäftsreise in Frankreich und wird erst morgen wiederkommen.“

Harlekin blickte verdutzt. „Jetzt bin ich aber überrascht“, sagte er tonlos und es klang irgendwie enttäuscht.

„Komm, lass uns ins Haus gehen! Es ist kühl hier draußen und drinnen ist es wärmer“, schlug Joaquin vor.

„Gute Idee! Ich hole nur schnell die notwendigsten Sachen aus dem Ballon.“ Blitzschnell drehte Harlekin sich um und war mit einem Sprung in den Bäumen verschwunden.

„Du kannst schon vorgehen. Ich komme gleich nach!“ rief er Joaquin von oben herab zu. Während Joaquin zurück zur Wohnküche schlenderte, dachte er darüber nach, wie dieser Mann es geschafft hatte, so schnell den Baum hinauf zu kommen.

Zurück in der Wohnküche setzte Joaquin einen Kessel mit frischem Wasser auf den Herd, um einen Tee zu kochen. Kurze Zeit später betrat Harlekin die Küche. Kaum hatte er den ersten Schritt über die Schwelle getan, rief eine laute, krächzende Stimme mehrmals hintereinander: „Willkommen im Club! Willkommen im Club! Willkommen im Club, Harlekin!“

Die beiden Männer rissen gleichzeitig den Kopf herum und starrten mit offenen Mündern den Papagei an, der sichtlich erholt auf seinem Käfig thronte, sich aufplusterte und den Neuankömmling mit großen Augen ansah. Harlekin fand als erster seine Sprache wieder.

„Hallöchen! Das nenne ich aber eine Begrüßung! Ein sprechender Vogel und dazu noch ein so hübscher!“ flachste er fröhlich und ging ohne Berührungsängste auf Lord Leroy zu. Am Käfig angekommen hob er seine freie Hand und streichelte zärtlich über das Gefieder. Der Papagei stieß wohlige Laute aus. Harlekin ballte seine Hand zur Faust und Lord Leroy sprang sofort darauf. Dann hob Harlekin die Faust und führte sie langsam zu seinem Gesicht.

„Würdest du mir bitte mal erklären, woher du meinen Namen kennst?“ fragte Harlekin mit liebenswürdig sanfter

Stimme „Aus dem Zoo! Aus dem Zoo!“ plapperte der Papagei drauf los und ließ ein schrilles Pfeifen ertönen.

„So, so, aus dem Zoo“, wiederholte Harlekin. „Sind wir beide uns denn dort schon mal begegnet?“

„Begegnet! Begegnet! Begegnet! Nett, nett, nett…“, krächzte Lord Leroy und schien plötzlich großes Interesse an Harlekins Ohrringen zu haben.

„Klimper, klapper! Klimper, klapper!“ surrte der Papagei und sprang begeistert auf Harlekins Schulter, um mit dem Schnabel die Ohrringe greifen zu können.

„Mein Ohr lässt du aber dran, sonst stutze ich dir die Flügel!“ lachte Harlekin amüsiert.

„Würdest du mir dennoch, bitte, deinen Namen verraten?“ wiederholte er dann leise.

„Plimper, Plapper! Plimper, Plapper!“ kam es surrend aus dem Schnabel des Papageien.

Joaquin, der das Schauspiel schweigend beobachtet hatte, griff nun ein: „Er heißt Lord Leroy und ist das

Haustier unserer Gastgeberin, Madame Faunette!“ Er stellte den fertigen Tee und zwei Tassen auf den Tisch. „Nimmst du Zucker in den Tee?“

„Nein, danke, ich trinke ihn ohne.“

Harlekin setzte sich samt Vogel zu Joaquin an den Tisch. Er schaute sich in der Wohnküche um.

„Nettes Häuschen, sogar mit Kamin!“ stellte er beeindruckt fest. „Hier lässt es sich bestimmt gut leben.“

„Warte, bist du das Bad gesehen hast!“ Joaquin und nahm einen kräftigen Schluck Tee zu sich.

„Wenn du auf Donnerbalken und Wasser aus dem Brunnen stehst, lässt es sich hier sicher gut leben.“ Er

konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. „Elektrizität gibt es hier auch nicht, dafür aber reichlich Kerzen und

Öllampen. Die Zimmer sind aber in Ordnung und die Betten sind bequem und es gibt einen fantastischen

Garten.“

„Also für den Anfang ist das doch gar nicht so übel, oder?“

Joaquin konnte nicht einschätzen, ob das ironisch gemeint war.

„Wohnst du schon lange hier?“ fragte Harlekin und streckte seine Füße aus.

„Seit dem frühen Abend. Bin auch erst heute angereist.“

„Das heißt, du kommst gar nicht von hier?“ Harlekin schien ehrlich überrascht und hätte sich beinahe an

seinem Tee verschluckt.

„Nein, ich komme nicht von hier. Ich bin ebenso Gast wie du, nur dass ich ein paar Stunden früher an -

gekommen bin. Ich stamme eigentlich aus Deutschland. Ich habe heute einen richtig anstrengenden

Fußmarsch hinter mich gebracht und war total platt, als ich hier angekommen bin. Die Hitze hat mich echt

geschafft. Ich habe, erst als ich vor der Tür stand, erfahren, dass im Laufe der heutigen Nacht noch drei

weitere Gäste anreisen werden. Einer davon bist du und zwei weitere werden noch folgen.

Da du der angekündigte Mann bist, werden die anderen Ankömmlinge die zwei Frauen sein. Die erste wird

um 2 Uhr und die zweite und letzte um 5 Uhr morgens hier eintreffen und das bedeutet, dass wir noch eine

lange Nacht vor uns haben.“

„Warum kommen die Frauen nacheinander mitten in der Nacht und das in Abständen von jeweils drei

Stunden? Und warum ist hier niemand, der uns empfängt? Ehrlich gesagt finde ich das ein bisschen seltsam.“

Harlekin kratzte sich mit einer Hand seinen kahl geschorenen Kopf. Eine kleine Pause entstand zwischen

ihnen.

„Ich habe mir auch schon den Kopf darüber zerbrochen und bisher keine schlüssige Erklärung gefunden“,

brach Joaquin das Schweigen zwischen ihnen.

“Auch du bist drei Stunden nach mir hier aufgetaucht.“

„Wieso bist du heute hierher angereist?“ fragte Harlekin plötzlich und musterte Joaquin aufmerksam.

„Ich habe mehrere Briefe und eine Einladung von Madame Faunette erhalten mit der Bitte, hierher zu kommen.

Reisetickets und Spesengeld waren in den Briefumschlägen gleich beigelegt. Sie war scheinbar eine gute

Freundin meiner vor kurzem verstorbenen Mutter. Im Brief stand etwas über eine Erbschaft, die meine Mutter

mir hinterlassen hat. Mehr weiß ich auch nicht. Persönlich bin ich Sophie Faunette noch nie zuvor begegnet.“

Joaquin räusperte sich. Er wollte auf dieses Thema nicht weiter eingehen.

„Und warum bist du hier?“ fragte er und war froh, auf diese Weise ausweichen zu können.

„Aus einem ähnlichen Grund wie du“, antwortete Harlekin.

„Auch ich habe vor einigen Wochen eine Einladung bekommen. Nur wurde in meinem Brief keine Erbschaft

erwähnt. Ich wurde von Madame Faunette nur gebeten, für einen längeren Zeitraum nach Spanien zu

kommen, weil sie mit mir über eine wichtige Angelegenheit sprechen müsse. Es würden alle anfallenden

Kosten übernommen und in Spanien während meines Aufenthalts für mich gesorgt werden. Den Grund,

worüber sie mit mir sprechen wollte, hat sie im Brief nicht erwähnt. Da ich zurzeit in Holland nichts Besseres

zu tun hatte, nahm ich die Einladung an. Ein wenig spanische Sonne tut mir sicherlich gut. Hey, du bunter

Vogel, was hältst du denn davon, meine Schulter wieder freizugeben? Deine Krallen sind messer-

scharf und ich bekomme langsam Schieflage!“ Er gab dem Papagei einen leichten, sanften Klaps, worauf

dieser seine Flügel ausbreitete, abhob und zurück auf seinen Käfig flog. Harlekin stand auf.

„Vielen Dank für den Tee, der tat richtig gut. Wo kann ich denn mein bescheidenes Hab und Gut unterbringen?“

er deutete auf seinen Rucksack, welcher an einen Stuhl gelehnt auf dem Boden stand.

„Auf dem Küchentresen liegt ein Zimmerschlüssel für dich bereit.“ Joaquin deutete auf die Küchenzeile, stand

ebenfalls auf und führte Harlekin zum Tresen. „Jeder Schlüssel ist mit einem Buchstaben gekennzeichnet

und ich vermute, deiner ist der mit dem blauen „H.“

Harlekin nahm schmunzelnd den Schlüssel an sich.

„Die Zimmer befinden sich auf dem Flur. Die Tür mit dem blauen „H“ müsste demnach deines sein.“

Harlekin hievte seinen Rucksack auf den Rücken. „Bin gleich wieder da!“ rief er Joaquin zu und verließ die

Küche. Joaquin räumte die Tassen vom Tisch und stellte sie in einen großen Waschbottich, der auf dem

Küchentresen stand. Er dachte über Harlekin nach. Irgendwie mochte er diesen komischen Kauz. Ein lustiger

Kerl, unkonventionell und locker, der scheinbar auch noch gut mit Tieren umgehen konnte. Auf den Kopf

schien er auch nicht gefallen zu sein. Joaquin rätselte darüber nach, welchen Beruf Harlekin in seiner Heimat

Holland ausüben mochte.

„Werde ihn mal bei Gelegenheit fragen“, nahm er sich vor.

„Joaquin, Harlekin ham ´n Spleen! Joaquin, Harlekin ham ´n Spleen!“ flötete Lord Leroy plötzlich aus heiterem

Himmel drauf los und brach in ein ohrenbetäubendes, schrilles Gelächter aus.

Joaquin wunderte sich bei Lord Leroy über fast gar nichts mehr.

„Halt deinen Schnabel!“ rief er dem Papagei lachend zu. „Scheinst langsam übermütig zu werden!“ Er warf

einen feuchten Schwamm in Richtung des Papageis. Der verfehlte sein Ziel nur knapp und landete auf dem

Boden.

„Böser Junge! Böser Junge!“ säuselte Lord Leroy vom Käfig herab.

In diesem Moment betrat Harlekin wieder die Küche. „Echt nettes Zimmer. Fast alles in Blau gehalten und

Donnerbalken bin ich von früher aus dem Zirkus gewohnt!“ Er lächelte mit gekräuselter Stirn zu Joaquin

herüber.

„Du warst bei einem Zirkus?“ fragte Joaquin interessiert und musterte Harlekin von oben bis unten.

„Du willst mich doch auf den Arm nehmen, oder?“

„Warum sollte ich?“ entgegnete Harlekin. Er setzte sich zu Joaquin an den Tisch und schlug die Beine über-

einander.

„Ja, ich war beim Zirkus und das ziemlich lange!“

„Und was hast du dort gemacht?“ fragte Joaquin und die Neugierde in seiner Stimme war kaum zu überhören.

„Ich habe dort gearbeitet - als Artist und das ziemlich erfolgreich. Aber ehrlich gesagt, Joaquin, lass uns ein

anderes Mal darüber reden. Ich habe nämlich ziemlich großen Hunger und bin ganz schön müde. Gibt es hier

irgendwo eine Speisekammer? Habe richtig Appetit auf was Deftiges!“

Joaquin lenkte ein: “Gut, essen wir was! Es sollen hier irgendwo im Haus reichlich Lebensmittel gebunkert

sein. Eine Speisekammer habe ich zwar noch nicht entdeckt, aber es soll hier einen Keller geben.“

Joaquin bückte sich und hob den Schwamm vom Boden auf. Dabei fiel sein Blick auf eine Falltür, die sich im

Holzboden unterhalb des Käfigs befand und die er bisher nicht wahrgenommen hatte.

„Ich glaube, ich habe gerade etwas gefunden, Harlekin. Hilf mir mal, den Käfig zur Seite zu stellen!“

Kurz darauf hatten die beiden Männer den Käfig zur Seite geschoben.

„Sieht aus, als ob der Papagei irgendetwas bewachen würde“, scherzte Harlekin.

Joaquin griff nach dem Metallgriff an der Falltür und zog diesen, mit einem kräftigen Ruck, nach oben.

Bewaffnet mit einer Öllampe stiegen die beiden Männer die Treppe hinunter. Unten angekommen, standen sie in einem riesigen Kellergewölbe, der von oben bis unten mit Lebensmittel gefüllt war.

Von der Decke hingen Würste und Schinken herab. Säcke gefüllt mit Kartoffeln standen an den Wänden. In Regalen lagerten verschiendenste Käsesorten, gebratenes Huhn, Pasteten und andere Leckereien. Kistenweise Säfte stapelten sich übereinander und an einer Wand lagerten, fein säuberlich übereinander gestapelt, auserlesene Weine.

„Na, das nenne ich aber mal eine prall gefüllte Speisekammer“, rief Harlekin entzückt. „Unsere Gastgeberin versteht sich auf Gaumenfreuden!“

„Was wollen wir denn als Mitternachtsmahl zu uns nehmen, Harlekin? Huhn? Schinken, Käse?“ fragte Joaquin und klemmte sich den Teller mit dem gebratenen Huhn unter den Arm.

„Am liebsten alles zusammen!“ bekam Joaquin zur Antwort und beladen mit einem Laib Brot, Käse, Wurst, Butter, Schinken und Huhn stiegen sie die Treppe zur Wohnküche hoch.

„Oh Mann, habe ich einen Hunger! Mir hängt der Magen schon zwischen den Kniekehlen! Lass uns schnell den Tisch decken und dann ran an den Speck! Kulinarisch werde ich es hier auf jeden Fall aushalten können.“ Harlekin zwinkerte Joaquin fröhlich zu, während er Teller und Besteck auf den Tisch stellte. Joaquin schnitt derweil das Brot auf.

„Ich habe noch eine Flasche Rotwein in meinem Rucksack. Was hältst du von einem guten Schlückchen?“

Harlekin grinste und verließ die Küche, um die Flasche zu holen. Kurze Zeit später saßen die beiden Männer am Tisch und ließen es sich schmecken. Es war schon weit nach Mitternacht, als sie ihren Mitternachtsschmaus beendet hatten. Gesättigt und zufrieden saßen sie noch bei einem Glas Rotwein.

„Ich bin schon auf unseren nächsten Gast gespannt und richtig neugierig bin ich auf unsere Gastgeberin. Aber bis 5 Uhr in der Früh bleibe ich nicht wach, mir fallen nämlich langsam die Augen zu.“

Joaquin gähnte und hielt sich die Hand vor den Mund. „Ich habe einen Wecker im Rucksack. Wir können ihn so stellen, dass er kurz vor 5 Uhr klingelt. Aber bis 2 Uhr halten wir noch durch, okay?“

Harlekin stand auf und zog aus seinem Narrenkostüm drei Bälle hervor, warf sie in die Luft und jonglierte mit ihnen mit einer Leichtigkeit, als hätte er nie etwas anderes im Leben gemacht. Dabei ließ er einen vierten Ball auf seinem kahl rasierten Kopf tanzen, ohne dass dieser herunter fiel. Wie aus dem Nichts rutschten drei weitere Bälle aus seinen Hosenbeinen direkt auf seine Füße und er jonglierte damit synchron zu denjenigen in seinen Händen. Joaquin schaute fasziniert der spontanen Darbietung zu.

„Bravo! Bravo!“ rief Joaquin und klatschte begeistert in die Hände.

„Bravo! Bravo“ plapperte Lord Leroy krächzend nach und starrte mit verdutztem Gesichtsausdruck auf Harlekin, so dass dieser in ein schallendes Gelächter ausbrach, seine Bälle durcheinander gerieten und zu Boden fielen.

„Mit diesem Vogel könnte man im Zirkus auftreten, so komisch und begabt ist der!“ lachte Harlekin und verstaute die Bälle wieder unter seinem Narrenkostüm.

„Wie lange braucht man dafür, bis man gelernt hat, so mit den Bällen zu jonglieren?“ fragte Joaquin und war ein wenig enttäuscht, dass die Vorstellung schon vorbei war.

„Kommt darauf an, wie begabt man ist und wie viele Stunden man bereit ist, täglich zu üben. Mit viel Fleiß schafft man es vielleicht in einem Jahr!“ Harlekin schaute Joaquin verschmitzt an und grinste.

„Das waren ein paar meiner leichteren Übungen“, sagte er lässig. „Mein Spezialgebiet ist eigentlich das Seiltanzen und das Klettern. Damit bin ich bekannt und berühmt geworden!“

Joaquin glaubte einen gewissen Stolz in der Stimme mitschwingen zu hören.

„Ich war in einem der größten und besten Zirkusarenen Europas, bis ich vor einem Jahr einen schweren Unfall hatte, der mich fast mein Leben gekostet hat.“

Harlekin schwieg und blickte verlegen auf den Boden.

„Was ist denn passiert?“ wollte Joaquin wissen.

„Ich bin bei einer Vorstellung vom Seil gefallen und habe mir mehrere Rippen gebrochen. Ich lag über zwei Monate im Krankenhaus und hatte weitere sechs Monate Auftritts- und Trainingsverbot. Habe dadurch mein Engagement verloren und trainiere seit vier Monaten täglich, um wieder an meinen vorherigen Leistungsstand zu kommen. Bin fast wieder auf dem Niveau von damals und hoffe, bald wieder ein Engagement zu erhalten. Es gab viel Wirbel in der Presse, da ein Anschlag auf mich nicht ausgeschlossen wurde. An meinem Seil ist wohl manipuliert worden, aber man kennt bis heute nicht den oder die Täter.“ Harlekin schien dieses Thema unangenehm zu sein, denn er verstummte erneut. Joaquin spürte, dass es besser war, das Thema zu wechseln.

„Der nächste Gast müsste bald kommen“, sagte er zu Harlekin und ging kurz auf den Flur, um nach der Uhrzeit zu sehen. Es war 12 Minuten vor 2 Uhr. Als er zur Küche zurückkehrt war, stand Harlekin draußen im Garten und schaute in den Sternenhimmel. Joaquin glaubte, ihn momentan ein bisschen allein lassen zu müssen und setzte nochmal Wasser für einen Tee auf den Herd. Lord Leroy war eingeschlafen und hatte seinen Kopf zwischen sein Gefieder gesteckt. Joaquin sehnte sich nach seinem Bett, denn der Tag war lang und anstrengend gewesen. Er überlegte, ob er die Lebensmittel auf dem Tisch stehen lassen sollte, vielleicht hatten die ankommenden Frauen ja auch noch Hunger. Kurze Zeit später kam Harlekin in die Küche zurück.

„Sie müsste gleich hier sein, Joaquin.“

Er setzte sich auf das rote Sofa. In diesem Moment klopfte es laut an der Haustür und eine zarte Frauenstimme rief: „Hallo, ist jemand zu Hause?“

Harlekin sprang vom Sofa auf und folgte Joaquin zur Haustür.







Die Legende von der Siebener Parabel

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