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STREUNENDE KATZE

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Wie aus dem Boden gewachsen stand die Katze plötzlich neben mir, als ich im Frühjahr 1991 hinter dem Haus Wäsche aufhängte. Ich vermutete, dass sie zu den Streunern gehörte, die mir seit geraumer Zeit immer häufiger in den Gärten der Siedlung auffielen. Von ihren Besitzern, denen die neue D-Mark so viel bedeutete, dass sie dafür kein Futter, sondern lieber Dinge kaufen wollten, die es für die Ost-Währung nicht gegeben hatte, Tag für Tag aus der Wohnung gescheucht, waren die halb verwilderten Tiere gezwungen, sich selbst Nahrung zu suchen. Dabei verloren nicht nur Mäuse, sondern auch zahlreiche Singvögel ihr Leben. Trotzdem reichte die Beute nicht, so dass noch mitleidige Nachbarn zum Unterhalt beitragen mussten.

Wartete die Katze, die unablässig zu mir hochsah, ebenfalls darauf, dass ich ihr etwas vorsetzte? Sie war fast völlig schwarz, nur auf der Stirn leuchteten einige weiße Sprenkel. Erinnerte sie mich deshalb an unsere Macska Schneewittchen, an die ich nach der Vertreibung aus meinem ungarischen Heimatdorf Vaskút oft sehnsüchtig in Görlitz gedacht hatte? Oder gab es noch einen Grund, weil mir gleichzeitig auch unser Hund Betyár, der nur ein knappes Jahr bei uns gewesen war, in Erinnerung gerufen wurde?

Als die Katze anfing, um meine Beine zu schmeicheln, entschloss ich mich, ihr etwas anzubieten. Von der Milch, die ich in ein Schälchen goss, schlabberte sie bloß ein bisschen, aber den Wurstzipfel, den ich ihr hinwarf, verzehrte sie mit großem Appetit.

Noch hungriger war Betyár bei seinem Auftauchen gewesen. Wir hatten das klägliche Jaulen, das von der Straße bis in unsre Küche drang, am Abendbrottisch vernommen. Großmutter erhob sich zuerst und ging zum Hoftor. Als sie zurückkam, brachte sie einen Hund mit, der misstrauisch an der Tür stehen blieb und mit dem Schwanz wedelte. Doch als Großmutter ihm die Essenreste in einen Napf füllte, begann Betyár, wie ich ihn später wegen seiner oft drolligen Art nannte, alles gierig zu verschlingen.

Er hatte ein glattes, braunweiß geschecktes Fell, reichte mir fast bis zur Brust und gehörte zu jener Art von Mischlingen, deren Vorfahren sich nicht mehr eindeutig bestimmen lassen. Wir nahmen an, dass ihn eine der Schwabenfamilien, die am Vortag aus dem Dorf vertrieben worden waren, zurücklassen musste. Wahrscheinlich war er verstört durch den Ort geirrt, hatte in einem Unterschlupf die erste Nacht verbracht und suchte nun, bevor die zweite begann, menschliche Nähe. So ein verwaistes Tier brauchte nicht nur Nahrung, sondern auch Zuwendung, die wir ihm, darüber waren wir uns sofort einig, gern geben wollten. Ein bisschen hegten wir bloß Sorge, dass er, wie es seiner Natur entsprach, unsre Macska Schneewittchen erbarmungslos bekriegen würde. Doch zu unsrem Erstaunen vertrug er sich mit ihr, als ahnte er, dass es in so schlimmen Zeiten nicht günstig wäre, durch Angriffslust unangenehm aufzufallen. Da er nicht nur die Katze in Ruhe ließ, sondern auch sonst ein gutmütiges Verhalten zeigte, wurde er rasch mein Freund und Spielgefährte, der mit mir im Garten tollte, sich das weiche Fell zausen ließ und jeden Gegenstand, den ich wegwarf, willig apportierte.

Wenn ich auf meinen Dorfgängen, zu denen ich Betyár meist mitnahm, feindselige Blicke der ungarischen Jungen spürte, die an den Straßenecken herumlungerten, gab mir seine Anwesenheit Rückhalt, und ich glaube ganz fest, dass er mir im Notfall beigestanden hätte, ohne mich freilich gegen eine Übermacht schützen zu können. Als dann im nächsten Sommer jener Nachmittag kam, der unser Leben grundlegend verändern sollte, ließ ich, während meine Eltern und Großmutter, von einem Gendarmen bewacht, die Bündel zusammenschnürten, den Hund auf die Straße, weil ich hoffte, dass er so vielleicht am ehesten ein neues Zuhause fände. Vom Lastwagen, der uns mit unsren Habseligkeiten zum Bahnhof fuhr, sah ich Betyár reglos neben dem Torpfosten kauern. Obwohl er rasch kleiner wurde, konnte ich ihn noch eine Weile erkennen, dann verwischten ihn meine Tränen.

Das alles fiel mir ein, während ich weiter Wäsche aufhängte und die schwarze Katze mit den weißen Sprenkeln ihre Wurst verzehrte. Als sie, schließlich gesättigt, erneut zu mir hochsah, wusste ich, sie würde am nächsten Tag wiederkommen, und ich begriff, dass ich mich darauf freute.


Im Bannkreis er Erinnerung

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