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Der harte Aufprall in Lumeria

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“Okay, okay, ihr macht erst euer Ding und zeigt mir diesen Zauberbaum danach“, sagt Collin und lässt den Kraftsaftfruchtkern los. Leo hat so fest daran gezogen, dass er die Kugel aus Hannahs Fingern reißt und rückwärts umfällt. „Was war das?“, fragt Hannah? „Wo ist der Kern“, ruft Leo, der in seiner Hand nur noch schwarzes Pulver hält. „Ich glaube, der Kern ist explodiert“, sagt Leo und versucht wieder aufzustehen. „Wo sind wir“, fragen alle drei gleichzeitig. Leo steht wieder und hält sich den Ellbogen vor Schmerz. Er blickt in den Himmel und sieht die kreisenden Flügel eines Windrades. Es ist hell und nicht mehr Nacht. Sie befinden sich im Freien. Hannah dreht sich im Kreis, um vielleicht einen bekannten Anhaltspunkt zu entdecken. Aber sie sieht nur den rot-violetten Himmel um sich herum. „Kann es sein, dass du uns in irgendein Computerspiel ollopafiert hast?“, fragt Collin. Er zeigt auf den Boden, auf dem sie stehen. „Kommt mir vor wie ein riesiges Spielbrett“, meint er zu den beiden. „Nur das Windrad ist etwas laut.“ Er hält sich seinen Kopf an der Stelle, wo sein Implantat ist. Leo findet das Windrad fantastisch. Etwa eine Fußballfeldlänge entfernt ragt es vor ihnen in den Himmel. In der Mitte des Windrades scheint eine riesige Wasserkugel zu schweben, um die herum sich drei große Flügel im Kreis drehen. Die drei Kinder stehen auf einer riesigen Glasplatte, die in verschiedene Quadrate aufgeteilt zu sein scheint. Hannah beginnt zu laufen. Sie weiß nicht, was hier los ist. „Hannah, ich finde das jetzt nicht mehr witzig“, beginnt Leo zu rufen, als er sieht, wie Hannah sich von Leo und Collin entfernt. „Dieser Leuchtkern war ja ganz schön und dieses Windrad ist auch ganz interessant, aber ollopafier uns jetzt bitte wieder in mein Zimmer. Ich habe in ein paar Minuten Geburtstag. Hat jemand eine Uhr?“ Hannah läuft einfach weiter, um herauszufinden, wo die Glasplatten enden und was dahinter zu finden ist. „Wartet bitte auf mich, ich komm gleich zurück“, ruft sie zurück. Leo blickt zuerst Hannah hinterher, die immer weiter läuft. Dann betrachtet er seine Hand, in der sich gerade noch der Leuchtkern befand. Die Hand sieht so aus, als ob Leo gerade in der verbrannten Kohle eines abgekühlten Lagerfeuers gespielt hat. Überall befinden sich schwarze Flecken. Als Collin Leos verzweifelten Gesichtsausdruck bemerkt, geht er auf ihn zu. „Vielleicht hat sich Hannah zu deinem Geburtstag ja genau um Mitternacht eine besondere Überraschung ausgedacht“, versucht er Leo aufzumuntern. „Nächtliche Ruhestörung, verrückte Radfahrpferde, explodierende Leuchtkugeln, na dann bin ich aber mal megamäßig gespannt, was jetzt noch kommt. Einen Sturz auf bunte Glasplatten, die neben einem Windrad stehen, finde ich jetzt nicht besonders toll“, antwortet er.

Beide blicken zu Hannah, die mittlerweile wieder auf sie zukommt. „Hast du was entdeckt?“, ruft Collin. „Ich glaube schon. Ich bin mir aber nicht sicher“, ruft sie zurück. „Collin, hast du wenigstens eine Uhr dabei? Ich hab doch jetzt bestimmt schon längst Geburtstag.“ Collin hat als einziger der dreien nicht seinen Pyjama an. Er war am Abend in Leos Zimmer so müde gewesen, dass er auf der Couch eingeschlafen ist, ohne sich umzuziehen. „Warte mal, ich hab ja noch mein Handy einstecken“, antwortet er und zieht aus seiner blauen Jeans ein Smartphone hervor. „23:55 Uhr steht auf meinem Handy“, sagt Collin. „Das kann doch nicht sein“, widerspricht Leo. „Fünf vor zwölf hab ich das letzte Mal auf meine Zimmeruhr geblickt. Da waren wir noch zu Hause.“ Collin zuckt nur mit den Schulter. Er streicht und tippt mit den Fingern auf dem Handydisplay herum. „Leo, ich hab hier keinen Empfang. Meine Apps funktionieren nicht, die Uhr ist stehengeblieben und ich habe auch keine Internetverbindung. Keine Ahnung, wie viel Uhr es ist. Mein Handy spinnt total.“ Leo dreht sich zu Hannah herum, die gerade wieder zu den beiden kommt. „Hannah! Was hast du gemacht? Wo sind wir?“, fragt Leo mit wütender Stimme. „Hätte ich gewusst, dass du uns irgendwohin ollopafierst, hätte ich mein Handy auch mitgenommen. Bring uns sofort wieder zurück. Ich hab keinen Bock mehr!“ Hannah blickt mit ihrem Auge, das nicht mit dem Pflaster zugeklebt ist, etwas bedrückt drein. Sie holt tief Luft. „Leo, ich glaube, wir sind in Lumeria! Ich weiß nicht, ob ich mich freuen soll, oder etwas Angst haben muss. Wir befinden uns anscheinend auf einem riesigen Gebäude, aber da hinten glitzert etwas bunt und ich kann mir vorstellen, dass das der Regenbogenbaum ist.“ „Was? Warum? Wie kommen wir hierher? Deine Mama wird uns umbringen, wenn sie das herausbekommt? Warum hast du das gemacht?“ Collins Mund steht offen und verformt sich langsam zu einem breiten Grinsen. „Genial! Siehst du, Leo! Ich wusste doch, dass sie eine Hammergeburtstagsüberraschung für dich hat. Danke, Hannah, dass du mich auch mitgenommen hast. Was hast du jetzt vor? Zeigst du mir die sprechenden Tiere und den Piraten und diesen Zauberbaum und den Traumstrand?“ Hannah schaut Collin verwundert an. Sie schüttelt den Kopf. „Ich glaube, ihr versteht mich nicht richtig! Ich habe euch nicht hierher gebracht. Ich habe meiner Mutter versprochen, auf Onkel Raito zu warten. Ich war das nicht!“ Sie hebt ihre Ollopa2 an, legt den Finger auf den gelben Auslöser und zielt damit auf das Windrad. BLITZ!Collin, Leo und Hannah blicken auf den Bildschirm der Ollopa2 und lesen:Bezeichnung: WindwellenradHöhe: 200 MeterMateriell: Stahl, Beton und WunderwasserZweck: Stromversorgung des RechenzentrumsStandort: Lumeria„Wusste ich’s doch“, sagt Hannah. „Wir sind in Lumeria!“ „Äh, ich glaube, wir haben ein Problem!“, stottert Collin plötzlich. „Habt ihr schon mal durch die Glasplatten geblickt? Da steht ein Typ mit so einer Kamera wie du sie hast.“ BLITZ!

„Hannah! Schön, dich zu sehen! Warum seid ihr denn auf dem Dach?“ Raito nimmt seine Nichte überglücklich in den Arm und drückt sie fest. „Hey, Leo!“ Raito umarmt auch Leo und dreht sich zu Collin. „Und wer bist du?“ Collin reicht Raito die Hand. „Ich bin ein Freund von Leo. Äh und von Hannah.“ „Sehr schön! Freut mich sehr, dich kennenzulernen. Hannah, ihr seid zum richtigen Zeitpunkt gekommen. Es wird gerade etwas viel für mich. Und ich bin auch nicht mehr der Jüngste. Ich kann eure Unterstützung gebrauchen. Vielleicht bekommen wir das mit dem Freizeitpark doch noch hin. Ich hab ein paar Details übersehen.“ Hannah blickt ihren Onkel skeptisch an. Collin ebenso. Raito hat sich nicht verändert. Er hat immer noch silbergraue Haare, die gleiche Frisur und den gleichen grauen Bart. Um seinen Hals hängt eine Ollopa2. Er hat die Freunde also vom Dach hierher ollopafiert. Leo blickt sich im Raum um. Über ihnen sieht er die bunten Glasplatten, auf denen sie gerade noch standen. Um sie herum befinden sich viele bunte Kisten, aus denen jeweils viele einzelne Kabel hängen, die wiederum in die Nebenwände, die ebenfalls aus buntem Glas sind, verschwinden. Wenn Leo es richtig erkennen kann, sieht es in den Nachbarräumen ähnlich aus. Viele bunte Kästen, mit vielen bunten Kabeln, die wiederum in die Nebenzimmer führen. Leo schätzt jeden Räum etwa viermal so groß wie sein eigenes Kinderzimmer ein. Von diesem bunten Kabelgewirr wird Leo ganz schwindelig. So viele Kabel hat er noch nie auf einmal gesehen. Ein Blick in Richtung Boden, verrät ihm, dass sich unter ihnen noch zwei weitere Etagen befinden, in denen ebenfalls viele bunte Kisten mit vielen bunten Kabeln stehen. „Hast du uns herollopafiert?“, fragt Hannah ihren Onkel. „Sind das alles Computer?“, fragt Leo. „Ja!“, antwortet Collin. „Ich höre sie surren und arbeiten.“ „Was, du hörst sie rechnen?“, fragt Raito. „Kann nicht sein, sie sind die leisesten Computer, die es wohl derzeit auf der Welt gibt. Meine Firma und ich haben sie jahrelang entwickelt.“ „Onkel, er hat ein besonderes Gehör“, sagt Hannah. „Ich trage seit meinem vierten Lebensjahr ein Hörimplantat. Da kann es manchmal vorkommen, dass ich manche Frequenzen anders wahrnehme als Menschen mit normalen Ohren“, erklärt Collin. „Ah. Okay. Ich verstehe. Elektroden, die deinen Hörnerv stimulieren. Eine Magnetspule, die unter deiner Kopfhaut sitzt. Tolle Technik!“, antwortet Raito. Collin nickt etwas überrascht. Ihm Fehlen die Worte. Mit so viel Fachwissen wurde ihm noch nie auf seine Implantat-Erklärung geantwortet. „Hannah, wie seid ihr denn aufs Dach des Rechenzentrums gekommen? Hast du diesmal deiner Mutter Bescheid gegeben, dass du mich besuchst?“ Leo und Collin blicken Hannah an und warten gespannt auf ihre Antwort. „Onkel Raito. Ich habe die vergangenen Monate jeden einzelnen Tag auf eine Nachricht von dir gewartet. Doch du hast dich nicht gemeldet. Ich habe Mama versprochen, dich erst wieder zu besuchen, wenn du ihr das alles mit Lumeria erklärt hast. Sie glaubt meine Geschichten nicht. Sie glaubt nicht an Lumeria. Sie glaubt nicht, dass Papa hier ist. Warum hast du ihr nie etwas erzählt? Ohne deine Erklärung wird sie uns nie mehr zu dir lassen.“ „Aber ihr seid doch da!“, entgegnet Raito ruhig. „Aber das wollten wir nicht!“, erwidert Hannah. „Hm. Aber es muss eine Erklärung dafür geben. Ich habe euch zwar vom Dach ollopafiert, aber nicht nach Lumeria“, spricht Raito weiter. „Ich werde Agnés bald besuchen und ihr alles erklären. Ich war in den vergangenen Jahren zu sehr mit den Halblichtern beschäftigt. Selbst deinem Vater hatte ich nichts von Lumeria verraten. Das war ein Geheimprojekt. Ich habe mich außerdem sofort an meinen Arbeitstisch gesetzt, nachdem ihr mich nach eurem vergangenen Besuch verlassen hattet. Ich wollte etwas erfinden, mit dem ihr auch von Lumeria aus mit euren Liebsten daheim in Kontakt bleiben könnt. Ich habe auch schon eine konkrete Idee, die euch bestimmt gefallen wird. Aber dann kam wieder mal alles anders als ich es geplant hatte. Dein Papa und deine Mama, also ich meine die Hologramme davon, sind wirklich erstaunlich. Sie hatten sich ja geküsst, als ihr hier wart, und dann waren sie Herzlichter. So wie Blacky und White Herzlichter sind. Ein Partner ist ein Halblicht, der andere Partner ist ein Licht. Könnt ihr euch erinnern?“, unterbricht Raito seine lange Erklärung. „Nachdem die beiden sich ein Haus mit Feuerwehrstange, an der man über mehrere Etagen im Regenbogenbaum hinabrutschend kann, gebaut hatten, haben sehr viele Lichter und Halblichter verstanden, wie schön es sein kann, wenn man mutig ist und einfach mit dem Licht oder Halblicht zusammenlebt, das man liebt. Egal, was andere dazu sagen. Ich hätte nicht gedacht, dass ich das noch erleben darf. Aber seitdem die beiden im Regenbogenbaum ihr Haus und ihre Rutsche von ganz oben bis nach ganz unten für alle Lichter und Halblichter geöffnet haben, kamen viel mehr Halblichter über die Leitern in den Regenbogenbaum und Lichter kamen wiederum über die Rutsche nach unten. Davor gab es Bereiche nur für Halblichter und andere nur für Lichter. Jetzt kann jeder einfach dorthin rutschen, wo er gerade sein möchte. Ist das nicht toll? Und das Beste: Im Haus von Agnés und Noah haben sich immer mehr Halblichter und Lichter verliebt.“ „Das ist doch schön! Wo ist das Problem?“, unterbricht Hannah den Redefluss ihres Onkels. „Agnés ist deine Mama und Noah dein Papa, oder? Und beide wohnen hier?“, fragt Collin. Irgendwie wird ihm das gerade alles zu viel: Halblichter, Lichter…!“ „Ihr müsst das selbst sehen, sonst glaubt ihr das nicht“, fährt Raito fort. „Ich hatte jedenfalls keine Zeit, deine Mutter zu besuchen. Tut mir leid. Aber bevor wir uns die ganze Lage in Lumeria betrachten werd, muss ich euch noch etwas anderes erklären. Damit könnten wir vielleicht zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen. Wir bekommen die Halblichter unter Kontrolle und können vielleicht doch noch den Freizeitpark eröffnen. Wir müssen nur in den Herzraum des Rechenzentrums. Da steht das, was ich euch zuerst zeigen muss. Und dann erklär ich euch, wie ihr mir helfen könnt. Folgt mir!“


Hannah Halblicht

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