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Die Kuschelhöhle voller Ollopafien

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Hannah zappelt, sie erschrickt und reißt die Augen auf. Ein Traum! Nur ein Traum. Sie atmet tief durch und sieht sich in ihrem Zimmer um. Sie ist schon wieder in ihrer Kuschelhöhle eingeschlafen. Von der Decke herab hängen drei große bunte Stoffbahnen, die bis zum Boden reichen. Die Tücher umschließen eine alte Matratze und einen Holzstuhl, der vor einem kleinen Schreibtisch an der Wand steht. Hannah befreit sich von den vielen Kissen, die über und neben ihr liegen, setzt sich auf und blickt zur Wand. Dort hängen ihre ausgedruckten Ollopafien aus Lumeria. Onkel Raito, das schlaue Halblicht aus dem Gelbgrund Baby Boo, Blacky, White und ihr Papa Noah sind auf den Bildern zu sehen. Wie oft hatte Hannah sich gewünscht, ihren Vater nach Hause zu ollopafieren. Oder endlich Lumeria wieder besuchen zu können, um ihren Papa wiederzusehen. Aber Hannah hat ihrer Mutter ihr Ehrenwort geben müssen, die Insel mit den Lichtern und Halblichtern nicht mehr zu besuchen. Das Verbot gilt so lange, bis ihr Onkel Raito ihrer Mama Agnés alles über die geheimnisvolle Insel erklärt hat. Das war die Abmachung, die Hannah mit ihrer Mutter nach dem ersten Besuch in Lumeria getroffen hat. Ohne dieses Versprechen hätte Hannah die Kamera, ihre Ollopa2, nicht behalten dürfen.Zuerst konnte es Hannah nicht glauben. Aber ihre Mutter kannte Lumeria gar nicht. Sie war noch nie selbst dort gewesen. Hannahs Geschichten von den Hologrammen, den sprechenden Tieren, vom Regenbogenbaum und von den Lichtregionen wollte ihre Mutter Agnés zuerst nicht glauben. Als Hannah schließlich behauptet hat, dass sogar ihr Papa als Hologramm auf Lumeria lebt, wollte ihre Mama gar nichts mehr von dieser Farbeninsel hören. Seitdem wartet Hannah gespannt auf den Tag, an dem ihr Onkel endlich zu ihnen kommt und ihrer Mama alles erklärt und sie dann hoffentlich wieder mit nach Lumeria nimmt. Hannah ist immer noch ganz fasziniert, wenn sie sich an ihren Aufenthalt dort erinnert. Manchmal denkt sie, es war alles nur ein Traum, so unglaublich war die Reise dorthin gewesen. Wenn sie sich daran erinnert, ist es so, als ob sie in ein Märchenbuch eintauchen oder selbst in einem Kinofilm mitspielen würde. In einem zauberhaften Märchenfilm, mit Prinzessinnen und Actionfiguren. Der einzige Unterschied zu dieser Vorstellung ist, dass Hannah noch nie einen so bunten und verrückten Film gesehen hat, der ihrem echten Abenteuer in Lumeria annähernd gerecht werden könnte. Wenn ihre Sehnsucht nach Lumeria zu groß wird, verkriecht sich Hannah einfach in ihre Kuschelhöhle aus Decken und Kissen, in die Höhle mit der Wand voller Ollopafien. Entweder liegt sie dann mit Kopfhörern in den Ohren auf der Matratze, hört ihre Lieblingslieder in Endlosschleife und träumt von den bunten Farben des Regenbogenbaums und seinen verrückten Bewohnern, oder sie setzt sich an ihren kleinen Holztisch, schreibt die Geschichten zu ihren guten Taten in ihr Gutetatenbuch und grübelt über Lumeria. Seit Kurzem zeichnet Hannah selbst erfundene Halblichter, die sie gerne in Lumeria treffen würde. Die Idee dazu hatte eigentlich Leo. Onkel Raito hatte erklärt, dass es in Lumeria Halblichter und Lichter gibt. Beides sind Hologramme, also Figuren, die mit Licht in die Realität gemalt sind. Die Lichter hatte Onkel Raito und seine Unterhaltungsfirma, für die er gearbeitet hatte, extra erschaffen, um einen riesengroßen Freizeitpark zu eröffnen. Die sogenannten Lichter sind berühmte Filmstars und Fantasyfiguren, Comic-Helden oder Hauptdarsteller aus Videospielen, die jeder kennt. Zum Beispiel Tarzan, Pippi Langstrumpf oder Super Mario. Harry Potter, Asterix und Johnny Depp hatte Hannah ja unter anderem tatsächlich im Regenbogenbaum als Hologramme gesehen. Doch auf Lumeria gibt es seit einem Zwischenfall in einem Rechenzentrum auch Halblichter. Das sind unvollständige Hologramme, die jeweils nur ein Auge haben und denen meist noch weitere Körperteile fehlen. Onkel Raito vermutet, dass diese Halblichter unbekannte Helden sind. Seiner Theorie nach, sind es Personen oder Fantasiefiguren, die nicht berühmt sind. Das können Menschen sein, die fotografiert oder gefilmt worden sind, aber niemand oder wenige Menschen den Film oder die Bilder dazu jemals gesehen haben. Oder es sind Wesen, die sich jemand ausgedacht hat, die aber niemand oder nur wenige Menschen kennen. Das sind zumindest die Vermutungen von Onkel Raito. Leo hatte sich daraufhin überlegt, eigene Halblichter zu erfinden und zu zeichnen. Wenn Onkel Raitos Theorie stimmt, müssten Leos neuen Halblichter ja irgendwann auch in Lumeria erscheinen. Drei Halblichter hat er bis jetzt erfunden. Seine erste Figur nennt er Falmas. Es ist eine Mischung aus Fisch, Gorilla, Frosch und Schnecke und schaut mit dem Fischmaul, den großen Armen, Froschschenkeln und dem Schneckenhaus auf dem Rücken ziemlich schräg aus, findet Hannah. Seine zweite Kreation findet Hannah ebenfalls etwas seltsam. Es ist der Wetterwizzard namens Arrrashi. Er soll eine Mischung aus dem hammerschwingenden Wettergott Thor, einem afrikanischen Medizinmann und einer auf einem Besen fliegende Märchenhexe sein. Auf seine dritte Erfindung ist Leo besonders stolz. Es ist Ralf, das Rennbaggerbonbonpanzerboot, das natürlich nicht nur leckere Bonbons aus seinem großen Rohr spuckt, sondern auch reden kann. Wahrscheinlich hat Leo zu viele Transformers-Filme mit Robotern gesehen, als er auf diese komische Idee kam, denkt sich Hannah jedes Mal, wenn sie das Bild von diesem bunten Gefährt aus Metall sieht. Auch wenn ihr das seltsame Baggerboot nicht unbedingt gefällt, findet Hannah die Idee, selbst ein Halblicht zu erfinden, das man gerne in Lumeria treffen möchte, einfach fantastisch. Sie hat bereits zwei Fantasiewesen erfunden. Die Zeichnungen davon hängen an ihrer Lumeria-Wand mit den anderen Ollopafien. Ihre Halblichter hat sie Belu und Sanny getauft. Belu ist ein himmelblauer Taschenelefant. Er hat Stoßzähne aus nachwachsenden Zuckerstangen, die er mit seiner Zunge abschlecken kann, wenn er Süßes möchte. Außerdem hat er große gepunktete Sonnenschirme als Ohren und anstatt normalen Elefantenbeinen muskulöse Känguruspringpfoten. An seinen beiden Seiten hat er zwei riesige Taschen, die er mit seinem Rüssel zuknöpfen kann. Wenn ein Elefant Taschen an seinen Seiten hätte, könnte er dort auch Wasser und Futter lagern und müsste nicht ständig herumlaufen, um Nahrung zu suchen, hatte sich Hannah überlegt. Und zwei so große Knöpfe an einem Elefanten sähen bestimmt süß aus. Ihr zweite Kreation, Sanny, soll eine Art Schutzengelmädchen mit kunterbunten langen Haaren und vielen Sommersprossen sein. Damit Sanny immer eine Hand frei hat, hat Hannah ihr sieben Arme und Hände gezeichnet. Beine hat sie keine. Hannah dachte, Sanny fliegt sowieso immer, da würden Füße nur stören. Ihr kleiner runder Bauch geht nahtlos über in ein wunderschönes weißes Kleid mit langer Schleppe, die im Flug herumwirbelt.


Als Hannah sich vorstellt, wie ihre gemalten Halblichter zum Leben erwachen, wird sie traurig. Sie vermisst die Halblichter, die sie in Lumeria bereits kennengelernt hat. Sie vermisst den weißen Husky Blacky und die so flauschig weiche schwarze Katze White. Und vor allem vermisst sie ihren Papa. Wie geht es ihm wohl? Sie weiß zwar, dass ihr Papa nur als ein Hologramm, als ein Wesen aus Licht, in Lumeria existiert. Im echten Leben ist Noah leider tot. Ihr Vater war Feuerwehrmann und ist bei einem Einsatz gestorben. Ihr Onkel hatte Hannah davor gewarnt, zu glauben, Noah sei ihr echter Vater. In Lumeria leben keine echten Menschen, auch wenn sie fast so aussehen. In Lumeria leben Lichter und Halblichter, Abbilder, die aber so täuschend echt wirken, dass Hannah das oft vergisst. Als Hannah damals verstanden hat, dass ihr Vater nur ein Hologramm ist, hat sie sich sehr traurig gefühlt. Sie war ihrem Papa so nah und doch so fern, denn ihr Halblicht-Vater hatte Hannah nicht erkannt. Trotzdem fand sie dieses Treffen unbeschreiblich schön. Hannah war ihrem Papa irgendwie nahe, auch wenn dieser Papa nur aus Licht war und seine eigene Tochter nicht mehr kannte.


Hannah Halblicht

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