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Der Leuchtbaum an der Höhlendecke

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Während über dem Gelbgrund langsam die Sonne untergeht, der Himmel sich zuerst rot und dann schwarz färbt, erstrahlt in Raitos Wohnung ein warmes Licht. Die vier sitzen in einem großen Zimmer, das direkt in den Stein des Berges geschlagen ist. An den rauen Wänden stehen kreuz und quer Texte in unterschiedlichen Sprachen und in verschiedenen Formen und Größen. Die einzelnen Buchstaben leuchten und wechseln ihre Farbe und Leuchtstärke. Hannah kennt die meisten Buchstaben davon nicht. Ihr kommt es so vor als würde sie wieder in der ersten Schulklasse sein und das Lesen lernen müssen. Damals hat sie auch nicht alle Buchstaben gekannt. Nur einen Satz an der Wand kann sie lesen. Er lautet: „Licht ist wie Musik. Es bringt das Herz zum Tanzen.“ An den Wänden unterhalb der bunten Schriftzeichen stehen gemütliche Sofas. In der Mitte des Raumes wächst ein knorriger lilafarbener Baum von der Decke herab. Viele armdicke Äste ragen in alle Richtungen. Die Wurzeln sind in der Decke verankert. Es sieht aber so aus, als ob die Äste gleichzeitig auch Wurzeln sind und einfach in der Luft hängen. Hannah muss beim Anblick des seltsamen Gewächses an einen Tintenfisch denken, der einen Kopfstand macht und zuvor in einen Christbaum gefallen ist. Denn das Eigenartigste an dem Baum sind seine leuchtenden Früchte. Sie erinnern Hannah irgendwie an Weihnachtskugeln, die an einer geschmückten Tanne hängen. „Cool! Ist das der Regenbogenbaum? Den habe ich mir aber bunter vorgestellt!“, ruft Collin. Während sich Hannah, Raito und Leo auf die Sofas setzen, zückt Collin sein Smartphone und möchte ein Bild von dem Leuchtbaum knipsen. „Schande! Mein Handy geht noch immer nicht! Nicht mal die Kamera. Wie soll ich denn jetzt Erinnerungsbilder machen?“ Er steckt sein Smartphone enttäuscht wieder in seine Hosentasche und setzt sich auch auf eines der großen braunen Sofas. „Ja, mein Handy hätte ich jetzt auch gerne dabei!“, seufzt Leo und verschränkt seine Arme vor der Brust. „Dann wüsste ich, wie viel Uhr es ist und könnte meinen Eltern eine Nachricht schreiben, dass ich heute etwas länger aufbleibe“, flüstert Leo weiter. „Dein Taschentelefon würde dir hier auch nichts helfen, Leo!“, antwortet Raito. „Das ist nämlich wiederum ein anderes Problem dieser Insel. Leider funktionieren auf Lumeria keine Telefone oder Smartphones. Das ist ein Grund, warum ich deine Mutter noch nicht besucht habe, Hannah. Ich arbeite an einem ganz besonderen Telefon, mit dem man zwischen Lumeria und der normalen Welt telefonieren kann. Wenn wir erst den Freizeitpark eröffnet haben, hier aber keine Handys funktionieren, wird das auch den Touristen und anderen Besuchern nicht gefallen. Aber bevor ich Zeit habe, dieses besondere Smartphone zu bauen, müssen wir hier wieder Ordnung schaffen. Habt ihr die Hektik am Rosarotstrand und die verirrten Tiere dort gesehen?“ Raito holt tief Luft und lässt sich in die Rückenlehne des weichen Sofas plumpsen. Die drei Gäste schauen sich gegenseitig ratlos an. „Onkel Raito, das ist gerade alles etwas viel für uns, befürchte ich.“ Hannah sitzt erschöpft auf dem Sofa. In ihrem völlig zerknitterten Pyjama und mit ihrem schwarzen Sternaugenpflaster sieht sie noch müder aus als sie ist. Als das Licht des lilafarbenen Leuchtbaumes allmählich heller wird, werden ihre Augen immer schwerer. Auch Leo kommt langsam zur Ruhe und merkt, wie müde er eigentlich ist. Eigentlich würde er momentan wohl noch tief und fest in seinem Bett schlafen und dann aufwachen und seinen Geburtstag feiern. „Raito, wenn es jetzt draußen schon dunkel wird, ist dann auch mein Geburtstag heute gleich vorbei?“ Raito schüttelt seinen Kopf und antwortet: „Das kommt darauf an, wo du ihn gerade feierst. In Lumeria werden Geburtstage immer drei Tage lang feiert. Du hast also noch zwei Tage Zeit. Aber zuvor muss mich bei euch entschuldigen. Ihr seid bestimmt sehr müde und wollt schlafen. Die vielen Halblichter und Lichter, die momentan auf Wanderschaft sind, machen mich verrückt. Ich weiß nicht mehr, was ich machen soll. Pinguine wandern in der Wüste umher. Elefanten klettern auf Berggipfel. Löwen und Schweine wollen im Meer schwimmen und surfen. Comicfiguren und Hollywoodstars versammeln sich am Rosarotstrand, um endlich ihr passendes Licht oder Halblicht zu finden. Jeder hofft, sich zu verlieben und ein Herzlicht zu werden. Es kommt mir so vor, als wollen alle Bewohner auf Lumeria so glücklich werden, wie dein Papa und deine Mama, Hannah. Also, ich meine wie die Hologramme von ihnen. Seitdem die zwei sich bei eurem vergangenem Besuch gefunden und in überglückliche Herzlichter verwandelt haben, will jeder hier ein Herzlicht werden. Irgendwie ist es zwar schön, dass sich mittlerweile Halblichter und Lichter besser verstehen, aber es hat zu einem Chaos geführt. Ihr habt ja gesehen, was am Rosarotstrand los war. Und ihr habt auch gesehen, dass sich Lichter und Halblichter plötzlich in komplett unpassenden Lichtregionen befinden. Was bitte will ein Pinguin in der Wüste. Da gehört er nicht hin!“ Raito wird immer lauter. Hannah merkt, dass die Situation ihren Onkel tatsächlich überfordert. „Jeder Farbbereich hat seine bestimmten und vor allem passenden Wesen. Meine Mitarbeiter und ich hatten uns das damals so ausgedacht. Blau steht für Abenteuer. Gelb für Wissen, Rot für die Liebe. Da kann doch nicht jeder einfach hin, wo er will“, schimpft Raito weiter. „Diese Halblichter bringen meinen ganzen Plan durcheinander. Das können wir unseren zukünftigen Besuchern niemals erklären. Man muss doch wissen, in welchen Lichtregionen man welche Hologramme finden kann, oder? Stellt euch nur mal vor, ihr würdet in den Zoo gehen und findet die Löwen im Schmetterlingshaus, die Affen im Seehundebecken und die Elefanten im Streichelzoo.“ Raito holt Luft, aber Hannah nutzt die kurze Pause ihre Onkels: „Ein Pinguin kann sich auch in der Wüste verlieben“, sagt Hannah schon im Halbschlaf. Sie hat sich mittlerweile auf das Sofa gelegt und die Augen geschlossen. Sie fühlt sich so sicher und glücklich. Das beruhigende Licht, die bunten Buchstaben an der Wand, das wohltuende Gefühl, endlich wieder in Lumeria zu sein. Das alles fühlt sich wahnsinnig schön an. Außerdem hat sie gerade von ihrem Onkel erfahren, dass ihr Papa und ihre Mama immer noch hier und sogar glücklich zusammen sind. Das ist schöner als jede Gutenachtgeschichte. Das fühlt sich an wie ein Traum, der schon vor dem Einschlafen begonnen hat. Während sie noch die letzten Worte ihres Onkels hört, stellt sie sich küssende Pinguine im Wüstensand vor und schläft lächelnd und überglücklich ein. Neben ihr ertönt ein leises Schnarchen. Leo ist schon zufrieden eingeschlafen, als er erfahren hat, dass er noch zwei weitere Tage Geburtstag feiern darf. Nur Collin ist nicht müde. „Herr Raito, ich verstehe das alles nicht so gut. Das ist mein erster Besuch in ihrem Land. Aber ich muss ihnen sagen, dass mich die Herztöne dieser Lichter und Halblichter gerade etwas beunruhigt haben.“ Raito blickt Collin tief in die Augen. „Was hast du gerade gesagt?“ „Der Herzschlag, Herr Raito. Der war bei diesen Wesen sehr schnell. Ist das normal?“ Raito kratz sich am Kopf. „Junge, was erzählst du da? Willst du mich veräppeln? Das sind Hologramme. Diese Wesen aus Licht besitzen keinen Herzschlag. Außerdem kann ich mir nicht vorstellen, dass jemand, selbst wenn er ein Hörimplantat trägt, ein so gutes Gehöhr besitzt, dass er den Herzschlag ohne Stethoskop hören kann. Das schafft ja nicht mal der beste Arzt!“ „Eigentlich bin ich ja schwerhörig, Herr Raito, aber ich glaube, mein Implantat funktioniert hier noch besser als zu Hause.“ „Na wie dem auch sei, wir müssen die Halblichter unter Kontrolle bekommen. Es werden immer mehr und mehr und keines von ihnen hält sich noch an die Lichtregionen und an unsere Regeln. Alle sind auf Wanderschaft, auf der Suche nach einem passenden Partner.“ Collin nickt und hört aufmerksam zu. „Aber wenn ich deine Freunde hier so betrachte, dann ist es wohl besser, wenn ihr jetzt erst einmal alle etwas schlaft, bevor wir mit unserer eigentlichen Suche beginnen können.“ Raito nimmt seine Ollopa2 und macht zuerst von Hannah eine Ollopafie mit dem roten Auslöser. BLITZ! „Was machen Sie denn da?“, fragt Collin. Das braune Sofa hat sich in ein richtiges Bett verwandelt. Hannah liegt plötzlich mitten in einem Hügel voller flauschiger Kissen. Im Schlaf zieht sie sich die Decke, die ihr Onkel gerade ollopafiert hat, noch etwas näher an sich heran. „Ich mache es meinen Gästen gemütlich“, sagt Raito und ollopafiert auch das Sofa, auf dem Leo liegt in ein großes Bett. BLITZ! Hannah und Leo sind so müde, dass sie nichts davon mitbekommen. Collin macht große Augen, als Raito die Kamera auch auf ihn richtet. „Keine Angst, es tut nicht weh!“ BLITZ!

Jetzt liegt auch Collin in einem federweichen Bett und kann gar nicht richtig über die vielen Kuschelkissen blicken. Statt seiner blauen Jeans hat Collin jetzt einen schwarzen Pyjama an. „Ich wusste deine Lieblingsfarbe nicht, aber Hauptsache er ist bequem“, sagt Raito, als er sieht, wie Collin seine neuen Kleider betrachtet. „Deine Jeans liegt hier unter dem Kraftsaftfruchtbaum“, spricht er weiter und zeigt auf den Tisch unter dem knorrigen Baum mit den leuchtenden Kugeln, die jetzt langsam dunkler werden und dann gar nicht mehr glühen. Jetzt ist es vollkommen dunkel. „Tankt Kraft, meine Lieben. Morgen wartet ein großes Abenteuer auf euch! Gute Nacht ihr drei!“, flüstert Raito, verlässt den Raum und schließt die Tür leise hinter sich zu. „Gute Nacht“, antwortet Collin, als Raito schon längst das Zimmer verlassen hat. Er hört nur noch das leise Atmen von Hannah und Leo. Er beginnt, zu überlegen, wo er hier eigentlich ist und welches Abenteuer morgen wohl auf ihn warten könnte. Ein paar Augenblicke später ist er eingeschlafen.



Hannah Halblicht

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