Читать книгу Ohnmacht - Stefan Zeh - Страница 11

-4-

Оглавление

Damals … Nathalie, Christoph und Lydia verließen das Klassenzimmer. Nathalies Mutter war einverstanden, dass sie nach der Schule noch mit zu Lydia ging, da sie, wie sie behauptete, sowieso jede Menge um die Ohren hatte. Ihre Mutter hatte selten viel zu tun, eigentlich nie, und wenn, dann waren es Kleinigkeiten, mit denen sie in kürzester Zeit völlig überfordert war. Aber Nathalie sollte es recht sein. Sie war gern bei ihrer Freundin. Überall war es besser als daheim. Sie verließen das alte, dunkle Gemäuer der Schule und machte sich auf den Weg zur Bushaltestelle namens Schwimmbad, die sich auf der gegenüberliegenden Seite befand. Die drei besuchten die fünfte Klasse des Mörike Gymnasiums in Esslingen, das in der Neckarstraße lag, direkt neben dem gleichnamigen Fluss und angrenzend an den Merkelpark. Sie fuhren mit dem Bus durch die Esslinger Innenstadt und stiegen wenig später, im Nachbarort Mettingen, am Bahnhof aus. „Habt ihr gesehen, wie Regine sich angestellt hat?“, mokierte sich Christoph, während sie durch die Stadt schlenderten. „Die Gleichung war so einfach und sie hat alles durcheinandergeworfen.“ „Ja, das war witzig“, stimmte Lydia zu, während sie genüsslich auf einem Schokoriegel kaute. „Aber Herr Fies kann auch null erklären.“ „Deswegen heißt er so“, schaltete sich Nathalie ein. „Der Kerl ist fies. Wie er einen immer anstarrt. Total unheimlich.“ Sie schauderte. „Ja, wie diese Makis aus dem Urwald“, lachte Christoph. „Was ist ein Maki?“ Lydia blickte ihn völlig irritiert an. „Das sind so kleine Tierchen, die leben am Baum und haben riesengroße Augen.“ Demonstrativ zog Christoph seine Augen auseinander. „Und genauso guckt Herr Fies auch immer.“ „Gruselig.“ Lydia schüttelte den Kopf. „Und stinken tut er obendrein. Wie ein Stinktier.“ Alle drei prusteten los. Kurz darauf erreichten sie das hübsche Einfamilienhaus von Lydias Eltern. Sie wohnten etwas oberhalb von Mettingen, am Fuße der Weinberghänge, mit schönem Ausblick auf den Ort. Ein kleiner, liebevoll eingerichteter Garten verlief rund um das Haus. Nathalie war neidisch auf das tolle Haus mit buntem Garten und dem riesigen Trampolin. Ihre Eltern wohnten zwar in Esslingen-Zell in keiner schlechten Gegend, aber Lydias Heim machte sowohl äußerlich als auch innerlich einen gemütlichen Eindruck. Im Gegensatz zu ihrem Elternhaus. „Hallo ihr“, begrüßte Lydias Mutter sie freundlich. Sie kam aus der Küche und blieb überrascht im Flur stehen. „Ach hallo, Christoph. Mir dir habe ich jetzt gar nicht gerechnet. Bleibst du zum Essen?“ „Hallo. Nee nee, ich helf nur bei den Hausaufgaben und geh dann gleich wieder.“ „Ach, gut.“ Sie wirkte erleichtert. „Ist ja erst halb fünf.“ Sie schaute auf ihre Armbanduhr. „Wir warten mit dem Abendessen, bis dein Vater kommt.“ „Ok. Wir gehen auf mein Zimmer“, erklärte Lydia und marschierte los. Nathalie und Christoph folgten ihr. „Aber auch wirklich die Hausaufgaben machen! Ihr schreibt Donnerstag einen Vokabeltest“, mahnte Lydias Mutter. „Klar!“ Lydia rollte mit den Augen, aber so, dass es ihre Mutter nicht sehen konnte. Sie schmiss sich aufs Bett und gähnte herzhaft. „Also, was wollen wir machen? Spielen oder Film gucken?“ Die Zeit verging schnell. Nachdem sie noch eine Weile über die Schule und blöde Lehrer gelästert hatten, zeigte Lydia ihren Freunden den Ponyhof und die neuen Figuren, die sie von ihren Eltern geschenkt bekommen hatte. Christoph fand den Mädchenkram ätzend und schlug daher einen Film vor. Im Gegensatz zu den meisten anderen Kindern hatte Lydia einen eigenen, kleinen Fernseher auf dem Zimmer. Zu ihrem Bedauern passte die Mutter auf. Als sie zehn Minuten später alle drei vor dem TV hockten, mussten sie ihn wieder ausmachen und sich ihren unliebsamen Hausaufgaben zuwenden. Lydia fragte Nathalie ein paar Karteikarten mit Vokabeln ab, diese verlor aber innerhalb kürzester Zeit die Lust und warf ein Kissen nach ihr. „Hey, pass mal auf, wo du hinwirfst“, rief Lydia empört. „Du hättest fast mein Lieblingspony erwischt.“ Sie nahm das Kissen und warf es in Richtung Schreibtisch, an dem Christoph es sich bequem gemacht hatte. „Lass es liegen!“ „Nö.“ Christoph streckte ihr die Zunge raus und warf das Kissen zurück zu den Mädchen aufs Bett. „Aua“, beschwerte sich Nathalie, die es abbekam. „Da, nimm das!“ Sie schleuderte das Kissen quer durchs Zimmer. Christoph fing es gekonnt auf und warf sich, mit dem Kissen in der Hand, auf Nathalie. „Hey, geh runter von mir!“ Christoph rollte sich zur Seite und kniff ihr in die Hüften. Nathalie kreischte. „Hör auf!“, prustete sie und versuchte, ihn abzuwehren. Sie konnte sich vor Lachen kaum halten. Sie trat mit Händen und Füßen nach ihm, aber Christoph schien das nur noch mehr zu amüsieren. Er versuchte es am Hals, was jedoch nicht funktionierte, woraufhin er den Bauch probierte. Plötzlich durchfuhr ein starker Schmerz Nathalies Körper. „Nimm deine Hände von mir!“ Sie wurde mit einem Mal sehr zornig. „Was ist los?“ Christoph ließ von ihr ab und schaute sie irritiert an. Ehe Nathalie antworten konnte, mischte sich Lydia ein. „Was hast du da?“ Lydia zeigte auf ihren Bauch. Nathalies Shirt war ein Stück nach oben gerutscht und offenbarte blaue Flecken. „Nichts.“ Eilig zog sie ihr Shirt wieder hinunter. „Hast du Seiltanzen in deinem Zimmer geübt?“ Christoph lachte lauthals über seinen eigenen Witz. Nathalie warf ihm einen bitterbösen Blick zu. „Haha“, machte sie, hörbar ironisch. „Jetzt zeig doch mal!“ Lydia versuchte erneut einen Blick auf Nathalies Oberkörper zu erhaschen, aber Nathalie stieß sie weg. „Lass jetzt, da ist nichts!“ „Ist ja gut.“ Lydia hob abwehrend beide Hände, sichtlich irritiert über Nathalies harsche Reaktion. „Kommt, lasst uns irgendwas spielen.“ Sie warf Nathalie einen abwertenden Blick zu und begann in ihrem Schrank nach einem geeigneten Spiel zu suchen. Nathalie tat es leid. Sie hatte ihre Freundin nicht so anfahren wollen. Ebenso wenig wie Christoph. Dennoch durfte niemand den Grund für die Verletzungen erfahren. Das hatte ihr Vater ihr eingeschärft.

Ohnmacht

Подняться наверх