Читать книгу Die POPkörner (1). Ein Stern für Lou - Stefanie Taschinski - Страница 10

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4. Song


Eine Stunde später saßen alle Blums und fast alle Jacobis gemeinsam um den pompös gedeckten Tisch im Esszimmer der Villa.

Alle bis auf Motte.

Lou blickte irritiert zu dem leeren Stuhl zwischen sich und Grandmère. »Weißt du, was mit Motte ist?«, fragte sie leise. Es konnte doch nicht sein, dass ihre Cousine immer noch paukte.

Grandmère beugte sich über den leeren Stuhl zu Lou. »Ich habe nicht die leiseste Ahnung«, flüsterte sie und reichte Lou die Salatschüssel.

Grandmère, Grandmère – das ist gelogen!, dachte Motte triumphierend. Denn wenn es jemanden in der Jacobi-Villa gab, der wusste, dass Motte den alten Speiseaufzug als Versteck benutzte, dann war sie es!

Motte hatte die Schiebetüren so weit geöffnet, dass sie ihre Cousine gut im Blick behalten konnte.

Gerade wandte ihre Mutter sich zu ihr. »Louise, habe ich es etwa noch nicht erwähnt? Karlotta hat eine kleine Magenverstimmung.«

Motte musste sich die Hand vor den Mund halten, um nicht laut loszuprusten.

»Nichts Besorgniserregendes«, fuhr ihre Mutter fort.

Von wegen Magenverstimmung! Ihre Mutter hatte sie in ihrem Versteck hinten am Meerschweinchenstall schlicht nicht gefunden!

»Die Arme«, sagte Lou mitfühlend. »Aber vielleicht kann ich nach dem Essen kurz zu ihr raufgehen? Und ein bisschen mit ihr quatschen?«

Motte stöhnte in ihrem Versteck tonlos auf. Was sollte denn die Nummer? Wie kam ihre Cousine überhaupt darauf, dass sie sich mit ihr unterhalten wollte? Doch da schüttelte ihre Mutter bereits den Kopf. »Ich fürchte, das ist gar keine gute Idee. Karlotta…«, sie sah Hilfe suchend zu ihrem Mann. »Es… es ist etwas… Ansteckendes«, brachte Frau Jacobi ihren Satz mühsam zu Ende.

Genau, eine total ansteckende Verschwinderitis, dachte Motte.

Lous Mutter legte ihre silberne Gabel zur Seite. »Soll ich mir Karlotta mal ansehen?«, bot sie an. »Ich habe sicher auch etwas für Magen-Darm dabei.«

Motte rutschte unwillkürlich tiefer in den Aufzug. Diese Medizintante sollte schön die Finger vor ihr lassen!

Mottes Mutter schüttelte hektisch den Kopf. »Nein! Nein! Nein, danke, Monika. Das ist nicht nötig. Wir haben alles da.« Dann nippte sie an ihrem Wein. »Und nun lasst uns bitte über etwas Angenehmeres sprechen.«

Lou stocherte enttäuscht in ihrem Salat herum. Da war sie über elftausend Kilometer von der kanadischen Westküste bis nach Hamburg geflogen und hatte sich die ganze Zeit auf ihre Cousine gefreut – und jetzt? Durfte sie Motte nicht einmal Hallo sagen!

Auf der anderen Seite des Tisches stieß Till seinen Bruder in die Seite. »Karlotta hat doch gar kein Bauchweh.«

»Pscht!«, machte Ole.

Aber Lou hatte es gehört.

»Was?«, fragte Lou.

»Nichts«, sagte Ole.

»Echt nix«, wiederholte Till.

Motte blieb fast das Herz stehen! Was quasselten ihre Brüder da?

»Aber du hast doch eben gesagt…«, setzte Lou an.

»Ohne meinen Anwalt sag ich gar nichts!«, erwiderte Till und sah sie finster an.

»Kein Wort!«, sagte Ole.

Während Motte die Tür des Aufzugs noch ein Stückchen weiter aufschob, um besser zu hören, griff Lou nach ihrer türkisfarbenen Tasche, die über ihrem Stuhl hing, und holte zwei kleine Päckchen heraus. Anton blickte als Erster auf.

»Sind das die Geschenke?«, fragte er.

»Hm«, nickte Lou und ließ die Päckchen, ohne sie weiter zu beachten, neben ihrem Teller liegen.

Ole und Till flüsterten miteinander, dann sahen sie ihre Cousine mitleidig an. »Wir lassen uns nicht bestechen!«, klärte Ole sie auf.

Lou schüttelte den Kopf. »Wer redet hier von Bestechung?« Sie nahm das grün verpackte Päckchen und schüttelte es sachte neben ihrem Ohr. »Das sind Geschenke.«

Bäh! So eine Schleimerin! Motte beobachtete ihre Brüder unruhig. Darauf fielen sie doch hoffentlich nicht rein. Till und Ole tauschten wieder einen Blick. »Mädchengeschenke«, winkte Till lässig ab.

Ich bin stolz auf euch Jungs!, dachte Motte.

Aber sie hatte die Rechnung ohne ihren kleinen Cousin gemacht. Ungläubig starrte Anton die Zwillinge durch seine Brillengläser an. »Ihr, ihr wollt Lusis Geschenke nicht haben?«

Die Zwillinge schüttelten einmütig den Kopf. Anton sah zu seiner Schwester und streckte beide Hände nach den Päckchen aus. »Dann nehm ich die Orcazähne!«, strahlte er glücklich.

»Orcazähne?«, wiederholten Till und Ole wie aus einem Munde.

Lou lächelte bedauernd. »ORCAZÄHNE. Aber ich will euch natürlich nicht mit meinen Mädchengeschenken langweilen.«

Sie schob die Geschenke zu Anton, hielt sie aber noch fest.

Till hob die Hand. »Wer sagt denn so was?«

»Stopp!«, stammelte Ole. »Unter diesen Umständen…«, er sah zu seinem Bruder, der nickte, »… sagen wir ALLES!«

Motte schob hastig die Türen zu und drückte den Knopf. Höchste Zeit, dass sie hier wegkam! Mit einem leisen Quietschen setzte sich der Aufzug in Bewegung. Doch bis auf Grandmère, die flüchtig von ihrem Teller aufsah, schien es niemand zu bemerken.

»Und was hat Motte?«, fragte Lou, während sie Till und Ole die Pakete hinschob.

»Sie versteckt sich«, flüsterte Till.

»Das macht sie oft«, ergänzte Ole.

»Sie kennt die besten Verstecke«, sagte Till.

»Aber sie verrät sie nicht«, beschwerte sich Ole.

Lou sah zwischen den beiden hin und her. »Wieso versteckt Motte sich?«

Ole zuckte die Schultern. »Findet sie cool.«

»Und warum…«, Lou senkte ihre Stimme, »… erzählt eure Mutter, dass Motte Dünnpfiff hat?«

»Weil sie nicht will, dass ihr wisst, dass Motte sich gerne versteckt«, lautete Tills prompte Antwort.

Lou krauste die Stirn. Das wurde ja immer rätselhafter.

Die Zwillinge rissen das Geschenkpapier auf.

»Sieh mal!«, rief Ole.

»Hammer!«, sagte Till.

Er hielt ein schwarzes Lederband hoch, an dem ein großer polierter Zahn hing. »Megacool!«

Die Zwillinge legten ihre neuen Ketten um.

»Und die sind echt von einem Killerwal?«, fragte Ole atemlos.

»Es sind Orcas«, erklärte Lou. Nur weil die schwarz-weißen Wale Lachs und Robben fraßen, waren sie noch lange keine Killer.

»Hast du auch mal lebendige Wale gesehen?«, wollte Till wissen.

»Na klar, jeden Tag«, nickte Lou lässig. »An manchen Tagen habe ich sogar mehr Wale als Menschen gesehen.«

»Wahnsinn«, sagte Ole.

Mehr Wale als Menschen? Was erzählte ihre Cousine denn da für einen Schwachsinn? Motte stand im Schatten der Tür zum Speisezimmer. Sie wartete auf den richtigen Moment, um unauffällig zu ihrem Platz zu huschen.

»Orcas schwimmen ihr ganzes Leben als Familie«, fuhr Lou fort. »Jede Familie hat ihre eigenen Laute, an denen die Tiere sich wiedererkennen.«

Die Zwillinge und auch Grandmère hörten gespannt zu. Lou kam richtig in Fahrt. »Ein paar von ihnen sind fast zahm – und ich konnte sie von meinem Kajak aus streicheln.«

Ole und Till staunten mit offenem Mund. »Du warst in deinem Kajak und der Killerwal direkt neben dir?«, fragte Till.

Lou nickte. »Seine Rückenflosse war so hoch, dass sie von hier bis zur Zimmerdecke gereicht hätte!«

»So große Orcas gibt es gar nicht!«, sagte mit einem Mal eine kühle Stimme hinter Lou.

»Motte?!«, rief Lou und sprang aufgeregt von ihrem Stuhl. Endlich, endlich sah sie Motte wieder! Am liebsten hätte sie ihre Cousine sofort umarmt und fest gedrückt. Aber etwas in Mottes blassem Gesicht ließ Lou im letzten Moment innehalten. »Da bist du ja!«, sagte Lou stattdessen nur und strahlte sie an.

»Sieht so aus«, erwiderte Motte, schob die Hände tief in die Hosentaschen und setzte sich auf ihren Platz.

Für ein paar Sekunden blieb Lou noch stehen. Warum sah Motte sie nicht an? Langsam setzte auch Lou sich wieder an den Tisch. Hatte Tante Vanessa doch recht? War Motte krank? Ihr blasses Gesicht und die aufgesprungenen Lippen sahen jedenfalls nicht gerade gesund aus.

Motte fühlte, wie ihre Cousine sie unentwegt von der Seite anstarrte, und rückte ein Stück zu Grandmère hinüber.

»Lou hat dich etwas gefragt, Cherie«, sagte Grandmère und legte Motte ein Stück Brot auf den Teller. Motte biss hinein.

»Tatsächlich?«, knurrte sie wütend.

Grandmère hob die Augenbrauen, doch da bemerkte Frau Jacobi ihre Tochter. »Karlotta-Sophie! Wo kommst du denn her? Ich meine… wo bleiben deine Manieren? Sag deinem Onkel und deiner Tante Guten Tag!«

Motte kaute weiter.

»Schön, dich zu sehen, Karlotta«, sagte Frau Blum herzlich. »Geht es dir besser?«

»Hallo, Karlotta«, lächelte Herr Blum.

Motte schwieg weiter hinter ihrem dunklen Haarvorhang.

»Karlotta!« Nun klang die Stimme ihrer Mutter richtig schrill. »Antworte!«

Da stand Motte so abrupt auf, dass der Stuhl wackelte. Sie blinzelte zwischen ihren Haaren hindurch. »Guten Abend, sehr verehrte Tante! Guten Abend, sehr verehrter Onkel«, sagte sie, machte einen Knicks und ließ sich wieder auf ihren Stuhl plumpsen. »Darf ich jetzt weiteressen?«

Lou sah zu ihrer Tante. Auf ihrem Hals und ihrem Gesicht leuchteten rote Flecken. »Oh nein! Du…«

Onkel Oliver legte seine Hand auf den Arm seiner Frau und lächelte bemüht in die Runde. »Keinen Streit, bitte. Nicht heute Abend.«

Tante Vanessa holte tief Luft. »Du hast recht.« Sie warf ihrer Tochter einen letzten wütenden Blick zu. »Das klären wir später.«

Lou fühlte, wie ihr ein kalter Schauer über den Rücken lief. In der Haut ihrer Cousine wollte sie jetzt nicht stecken. Motte indessen verbarg das Gesicht hinter ihren Haaren, sodass Lou nur ahnen konnte, was in ihr vorging. Ein bisschen Ablenkung konnte bestimmt nicht schaden. Vorsichtig rückte Lou ein Stück näher. »Weißt du, eben mit der Orcaflosse hab ich wohl ein bisschen übertrieben«, versuchte sie, den Faden wieder aufzunehmen. »Aber…«, Lou griff nach ihrer Umhängetasche und zog ein paar Fotos heraus, »… Orcas habe ich wirklich gesehen!«

Till und Ole rissen ihr die Bilder aus der Hand.

»Ist in Kanada ja wohl auch nichts Besonderes«, murmelte Motte und warf einen kurzen Blick auf das Bild: Das Foto war vom Wasser aus aufgenommen worden. Vorne sah man Lou in ihrem kleinen Kajak und gar nicht weit dahinter stachen drei große Orcaflossen aus den Wellen.

Motte funkelte Lou an. »Zu schade, dass sie dich nicht zum Frühstück gefressen haben.«

Für einen Augenblick blieb Lou die Luft weg, dann fing sie an zu grinsen. Das konnte doch wohl nur ein Witz sein.


Die POPkörner (1). Ein Stern für Lou

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