Читать книгу Die POPkörner (1). Ein Stern für Lou - Stefanie Taschinski - Страница 13

Оглавление

7. Song


Als Lou die Haustür des Kutscherhauses aufschloss, wehte ihr ein köstlicher Duft entgegen. Pa hatte gekocht. Seit Antons Geburt vor sieben Jahren hatte ihr Vater seinen Job in der Redaktion an den Nagel gehängt und war zu Hause geblieben. Er ging mit Anton zur Krankengymnastik und Sprachtherapie, fuhr Lou zum Schwimmen und zauberte jeden Tag das leckerste Essen, das sie sich vorstellen konnte.

Mit einem besonderen Kind wie Anton, hatte ihr Vater einmal erklärt, ist es besser, wenn einer der Eltern zu Hause bleibt. Und da Frau Blum eine ebenso unvergleichliche Ärztin wie grauenhafte Köchin war, fiel Lous Eltern die Entscheidung, wer diesen Part übernehmen sollte, nicht schwer.

Erschöpft von ihrem ersten Schultag ließ Lou ihre Tasche auf den Fußboden fallen und betrat die Küche. Herr Blum stellte gerade ein Messer zurück in den Messerblock.

»Und, Lou, wie war dein erster Tag?«

Lou rutschte in die Bank, die am Tisch stand. Leicht abwesend betrachtete sie den gedeckten Tisch. Es gab Tomatensalat mit frischem Basilikum und Crema di Balsamico, Nudelauflauf mit extra viel Käse und zum Nachtisch Schokopudding mit Vanillesoße – echtes Seelenfutter.

»Hm, ja – ganz gut, Pa«, nuschelte Lou und angelte sich mit den Fingern eine Tomate aus dem Schälchen.

Herr Blum musterte seine Tochter, wie sie schlapp in der Bank hing und ihren Kopf in beide Hände stützte. Er setzte sich ihr gegenüber. »Und was bedeutet ganz gut in der Lou-Sprache?«

Lou rappelte sich etwas auf. »Ach, es ist okay. Ich… ich bin nur müde«, sagte sie und füllte erst ihm und dann sich von dem Auflauf auf. »Und in meiner Klasse sind wir auch gar nicht so viele. Nur dreiundzwanzig oder so.«

»Und du hast ja auch Motte«, sagte Herr Blum. »Sitzt ihr nebeneinander?«

Lou kaute auf einer Nudel. Tja, das war eine interessante Frage. Rein körperlich gab es keinen Zweifel, dass sie an einem Tisch saßen. Andererseits verlief da dieser unsichtbare Elektrozaun, der krachende Stromstöße austeilte, sobald Lou auch nur in Mottes Richtung schaute. Sie schluckte. »Hm, schon. Wir sitzen zusammen«, nickte Lou. »Frau Korte hat den Jungen neben Motte an einen anderen Tisch gesetzt. War richtig nett von ihr. Und diesem Brille hat es auch nichts ausgemacht. Nur Motte ist so…« Lou ging ein halbes Lexikon durch den Kopf: abweisend, unfreundlich, verschlossen – aber keines dieser Wörter wollte sie benutzen, um ihren Vater nicht zu beunruhigen. »… so seltsam. Sie zeigt mir zwar alles und lässt mich in ihre Bücher schauen, aber irgendwie komm ich nicht richtig an sie ran.«

Das war vermutlich die Beschönigung des Jahres.

Herr Blum hörte seiner Tochter aufmerksam zu. »Für Karlotta ist es auch eine Umstellung, dass wir da sind. Vielleicht braucht sie nur ein bisschen mehr Zeit.«

»Kann sein«, sagte Lou. Die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt. Für den Rest des Essens bemühte sie sich, das Thema Motte zu vermeiden. Denn sie wollte weder erzählen, wie ihre Cousine sie vor der Schule bei den Fahrrädern stehen gelassen hatte, noch von den giftigen Blicken, als sie an Mottes Tisch gekommen war. Stattdessen berichtete sie von der Sache mit dem Geburtstag. »Weißt du, was total irre ist?«

»Nein.«

»In der Klasse haben noch zwei Mädchen am 6. März Geburtstag. Billie und Rosa.«

»Wie du und Motte?« Herr Blum schüttelte den Kopf. »Das ist wirklich verrückt.«

»Ziemlich«, nickte Lou und verzichtete darauf, ihm genauer von den Reaktionen der anderen zu erzählen.

Herr Blum nahm die Schale mit den Tomaten. »Vielleicht feiert ihr nächstes Jahr alle euren Geburtstag zusammen.«

Lou pikste langsam in eine dicke Nudel. »Hm, ja, vielleicht.«

Vielleicht würde sie im nächsten Jahr auch Weltmeisterin im Streckentauchen, dachte sie. Das war ähnlich wahrscheinlich.

Nach dem Essen verkrümelte Lou sich in ihr Zimmer. Herr Blum machte sich auf den Weg, um Anton von seiner Schule abzuholen.

Lou legte sich mit ihren neuen Schulbüchern aufs Bett und begann, darin zu blättern. Das Englischbuch sah sehr zerfleddert aus. Lou beschloss, es in einen neuen Umschlag einzubinden. Unter normalen Umständen hätte sie keine Sekunde gezögert, Motte nach einem Papier zu fragen – oder nach einem Geschäft, wo man schöne Papiere kaufen konnte. Aber es waren eben keine normalen Umstände. Lou seufzte. Die Situation in der Pause kam ihr wieder in den Sinn.

Als die Pausenglocke verstummt war, saß Lou ganz allein im Klassenzimmer. Motte war fort. Frau Korte war fort und alle anderen auch. Motte wartet bestimmt draußen auf dich, hatte Lou versucht, sich Mut zuzusprechen. Sie war durch den langen Flur gegangen. Überall in den Gängen standen Gruppen von Schülern, die sich unterhielten und lachten. Lou ging allein weiter, die große Steintreppe hinunter und durch die Eingangshalle, von der mehrere Türen auf den Pausenhof führten. An den Tischtennisplatten spielten einige Mädchen aus der Klasse Runde. Billie und Rosa waren auch dabei. Lou blieb stehen und wartete darauf, dass die anderen sie fragten, ob sie mitmachen wollte. Aber die anderen beachteten sie nicht. So ging Lou schließlich weiter und setzte sich auf eine der Bänke, die etwas abseits standen. Von ihrem Platz aus hatte sie einen prima Blick über den ganzen Hof. Von hier aus würde sie sofort sehen, wenn Motte herauskam. Und dann würde sie Motte fragen, was los war. Sie würden die Sache klären und einen neuen Anfang machen!

Während Lou noch darüber nachgrübelte, wie sie das Gespräch am besten beginnen sollte, spielten einige Jungs aus ihrer Klasse Basketball. Der Junge mit der gelben Mütze war Brille. David, sein kleiner, schmächtiger Kumpel, fuhr mit dem Skateboard herum und der Junge, den Billie Josch gerufen hatte, warf gerade einen Ball auf den Korb. Für Lou waren Ballspiele die Hölle. Sie war mit einer angeborenen Fang- und Wurfschwäche zur Welt gekommen. Aber die Jungs waren gar nicht so schlecht. Joschs Ball ging zielsicher durch den Korb. Der Treffer war den anderen allerdings entgangen, denn gerade als Josch seinen Ball warf, drückte Brille David hastig etwas in die Hand. Dann schob er die Mütze nach hinten und tat so, als sei überhaupt nichts los. Neugierig verfolgte Lou von ihrem Platz aus, wie David nun mit seinem Board quer über den Hof bis zu den Tischtennisplatten skatete. Er hielt direkt auf Rosa zu, bremste kurz ab und steckte ihr im Vorbeifahren das Briefchen zu. Das gab’s doch nicht. War Brille etwa in Rosa…? Lou nahm sich vor, gleich nach der Pause mit Motte zu reden. Das war doch ein Superthema für den Anfang. Doch auf dem Weg zurück zur Klasse nahmen die Dinge eine unerwartete Wendung. Kurz bevor sie das Klassenzimmer erreichten, sah Lou, wie Rosa den Brief an Billie weitergab.

»Das ist der dritte in einer Woche!«, stöhnte Billie total genervt. »Wann kapiert Brille endlich, dass er bei mir keine Chance hat?« Sie steckte den Brief achtlos in ihre Jackentasche.

»Willst du ihn nicht lesen?«, hörte Lou Rosa fragen. Aber Billies Antwort bekam sie nicht mehr mit, denn in diesem Augenblick entdeckte sie Motte, die mit einem Buch in einer der Fensternischen hockte. Lou blieb vor ihr stehen. »Hier steckst du! Ich hab draußen auf dich gewartet«, sprudelte es aus ihr heraus. Mist, das hatte sie doch gar nicht sagen wollen!

Wortlos klappte Motte ihr Buch zu und stand auf. Mit einem feindseligen Blick drängelte sie sich an Lou vorbei.

»Was ist denn los? Warum redest du nicht mit mir?«, fragte Lou.

Aber Motte antwortete nicht.

Lou gähnte, während ihr die Bilder des Vormittags durch den Kopf geisterten. Ohne dass sie es richtig gemerkt hatte, war sie auf das Kissen gesackt. Die Augen fielen ihr zu und sie versank in einem kurzen Traum:


Lou ist wieder in Kanada. Über dem dunklen Meer leuchtet ein gelber Vollmond. Lou kommt aus ihrem Blockhaus. Jemand hat sie gerufen. Auf der Wiese vor dem Haus stehen Hunderte von Fahrrädern. Wo kommen die her?

Da hört Lou wieder die Stimme. »Lou«, ruft es. »Louhu!«

Die Stimme scheint vom Wasser zu kommen und Lou bahnt sich mühsam den Weg zwischen Rädern hindurch bis zum Steg. Weit draußen auf dem Meer fährt ein einsames Rad über die Wellen. Es ist Motte! »Komm! Komm zurück ans Ufer«, will Lou ihr zurufen, aber als sie den Mund öffnet, bleibt sie stumm. Noch einmal taucht Motte auf einem Wellenkamm auf. Sie hält etwas in der Hand und winkt. Aber schon ist sie im nächsten Wellental verschwunden. Lou wartet. Gleich, gleich muss sie wieder auftauchen. Da gleitet plötzlich ein großer Adler über das Wasser auf Lou zu. Als er direkt über ihr ist, lässt er etwas fallen. Es ist ein Brief von Motte. Sofort reißt Lou ihn auf und will das Papier herausziehen. Da lodert eine helle Flamme auf und der Brief verbrennt, bevor Lou ihn lesen kann.

Und genau dieses Gefühl, Motte nicht zu erreichen, verfolgte Lou noch die ganze Woche.

Die POPkörner (1). Ein Stern für Lou

Подняться наверх