Читать книгу Die POPkörner (1). Ein Stern für Lou - Stefanie Taschinski - Страница 12

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6. Song


Die nächsten Tage herrschte im Kutscherhaus rege Betriebsamkeit. Alle Familienmitglieder waren so damit beschäftigt, sich einzurichten, dass es niemandem auffiel, dass die zwei Mädchen sich kein einziges Mal trafen. Lou hatte Mottes sonderbares Verhalten vom ersten Abend mit keinem Wort erwähnt. Etwas musste passiert sein, das ihre Cousine aus dem Gleichgewicht gebracht hatte, da war Lou sicher. Für einen Moment hatte sie daran gedacht, mit Grandmère darüber zu reden – denn sie schien die Einzige zu sein, mit der Motte sich verstand. Aber dann hatte Lou sich anders entschieden. Wenn Motte sie erst besser kannte, würde sie es ihr sicher von ganz allein erzählen.

Fünf Tage später stand Lou wie verabredet um halb acht am Gartentor und wartete auf Motte. Nervös spielte sie an ihrer Fahrradklingel herum. Ab heute würde sie auf eine Schule mit tausend Schülern gehen! Das musste echt der reinste Ameisenhaufen sein. Auf der Inselschule in Kanada waren sie mit Jody, der alten Labradorhündin, und den zwei Erdhörnchen, die unter der Veranda lebten, keine zwanzig gewesen! Lou dachte gerade darüber nach, was sie in der neuen Klasse erwarten würde, als die Haustür aufging und Motte herauskam. »Hey!«, rief Lou. Sie war so erleichtert, ihre Cousine zu sehen, dass sie ihr grimmiges Gesicht kaum bemerkte. Hauptsache, sie musste nicht allein zur Schule!

Motte stapfte stumm zu ihrem Rad, das an der Hauswand der Villa lehnte. Kein Zweifel: Dies war der ultimative Albtraum – ein Albtraum, aus dem einen nicht einmal das Weckerklingeln erlösen konnte. Zum millionsten Mal fragte Motte sich, mit welchem Recht ihre Eltern sie dazu verdonnerten, den Begleitservice für ihre Cousine zu spielen. War es nicht gruselig genug, dass Louise in ihre Klasse kam? Motte schob zum Tor und stieg aufs Rad. »Rechts«, sagte sie tonlos und zeigte die Allee hinunter. Sie konnten sie zwingen, mit Louise zu fahren – aber nicht dazu, mit ihr zu reden!

Die Lessing-Schule war ein altes, zweistöckiges Gebäude. Links vor dem Eingang befanden sich die Fahrradständer, rechts die Parkplätze der Lehrer. Von allen Seiten kamen Schüler auf die Schule zu. Lou wusste nicht, wo sie zuerst hinsehen sollte, und blieb stehen.

Motte ging weiter. Wenn ihre Cousine in der Einfahrt festwachsen wollte, bitte schön, sie würde nicht auf sie warten. Motte schob ihr Rad gerade in einen der Ständer, als David von der anderen Straßenseite auf seinem Skateboard herüberkam.

»Hey, Motte, was geht?« Geschickt sprang er von seinem Board, tippte es mit dem Fuß hoch und klemmte es unter den Arm. »Wie waren deine Ferien?«

»Frag nicht«, stöhnte Motte und nahm ihren Rucksack aus dem Fahrradkorb. »Und bei dir? Warst du weg?« Aus dem Augenwinkel sah sie, wie Louise sich suchend nach ihr umguckte.

»Wir waren Anzelten auf dem Campingplatz«, erzählte David. »Mit Osterfeuer und so.«

Motte zog den Schlüssel aus ihrem Fahrradschloss. »Cool! Erzähl!«, sagte sie, und ohne noch einen Gedanken an ihre Cousine zu verschwenden, eilte sie mit David die Treppe zum Eingang hoch.

Lou blickte sich um. Wo war Motte? Vor einer Sekunde war sie doch noch direkt neben ihr gewesen! Nun konnte Lou sie in dem Gedränge nirgends mehr entdecken. Lou schluckte. Es gab ihr schon einen kleinen Stich, dass Motte sie so stehen gelassen hatte. Sie schob ihre Umhängetasche nach hinten. Aber vielleicht war es ja gar nicht ihre Absicht gewesen. Möglicherweise hatte Motte sie einfach nur aus den Augen verloren und gedacht, dass Lou schon ins Gebäude gegangen war. Ja, so musste es sein. Der Gedanke beruhigte Lou ein wenig, und nachdem sie noch einmal tief durchgeatmet hatte, gab sie sich einen Ruck und betrat die Schule.

Genau mit dem Läuten öffnete Frau Korte die Tür zum Klassenzimmer.

Sie war eine kleine, sportliche Frau mit kurzen blonden Haaren und Lachfältchen um die Augen. »Erst mal stellen wir dich vor. Und dann suchen wir einen Platz für dich«, sagte sie zu Lou.

Lou nickte. Frau Korte blieb mit ihr vor dem Smartboard stehen.

»Guten Morgen, ich hoffe, ihr hattet alle schöne Ferien!«, begrüßte sie die Klasse und wartete, dass es ruhiger wurde. Lou winkte Motte zu, die ziemlich weit hinten an einem Tisch vor dem Fenster saß. Der Platz neben ihr war besetzt.

»Wir haben ab heute eine neue Schülerin«, sagte Frau Korte und drehte sich zu Lou. »Louise Blum. Sie kommt aus Kanada.«

»Hallo«, sagte Lou leise. Alle starrten sie neugierig an. Lou suchte Mottes Blick, aber die hatte den Kopf zur Seite gedreht.

»Wie ihr sicher längst gehört habt, sind Louise und Karlotta Cousinen…«, setzte Frau Korte an.

Überraschte Blicke wanderten zwischen Lou und Motte hin und her.

»Echt jetzt?«, fragte der Junge mit der gelben Mütze, der neben Motte saß.

Die zwei Mädchen sahen sich aber auch kein bisschen ähnlich. Vorne lächelte Lou die Klasse schüchtern an. Sie war groß, hatte hellbraune Haare und trug an diesem Morgen eine Blümchentunika, verwaschene Jeans und weiche Wildlederstiefel. Motte indessen blinzelte finster durch einen Spalt in ihrem pechschwarzen Haarvorhang. Sie gehörte zu den kleinsten in der Klasse und war wie jeden Tag ganz in Schwarz gekleidet.

»Ihr zwei wollt bestimmt nebeneinandersitzen, nicht wahr?«, wandte Frau Korte sich an Lou.

»Ja!«, sagte Lou. »Wenn das geht.«

Motte hätte vor Wut beinahe in den Tisch gebissen. »Aber Frau Korte…«, setzte sie an.

»Sofort, Karlotta«, lächelte die Lehrerin und wandte sich zu dem Jungen mit der kanariengelben Strickmütze. »Benjamin, würde es dir etwas ausmachen, dich auf den freien Platz neben David zu setzen?«

Na klar machte ihm das etwas aus! Motte versuchte noch, Brille – so war sein Spitzname – ein Zeichen zu geben.

Bitte, bitte, bitte, murmelte Lou im Stillen. Lass den Jungen mit der gelben Mütze aufstehen!

»In Ordnung«, nickte Brille, schob seine gelbe Mütze ein Stück nach hinten und begann, seine Sachen zu packen.

»Aber Frau Korte«, quetschte Motte hervor, »dann sind wir ja ein reiner Mädchentisch.«

Jetzt, wo Motte es sagte, fiel Lou auf, dass fast alle Jungen und Mädchen gemischt saßen. Frau Korte lächelte Motte an.

»In diesem Fall mache ich gerne eine Ausnahme, Karlotta«, sagte sie und legte Lou die Hand auf die Schulter.

»Setz dich.«

Lou stellte ihre Tasche ab. »Hallo«, sagte sie zu Motte und den zwei Mädchen am Nachbartisch: »Ich bin Lou.«

»Hallo«, sagte die kleinere von beiden. Sie hatte feine blonde Haare, einen blassen Mund und ihre Haut schien beinahe durchsichtig zu sein. »Ich heiße Rosa.«

Ihre Sitznachbarin hatte glänzende rote Locken und blickte für eine Millisekunde von dem Netbook auf, das sie auf ihrem Schoß versteckte. »Hey, ich bin Billie!«, sagte sie und scannte die Neue ab: eine dürre Bohnenstange mit Haarschnitt von Mama und total öden Klamotten! Kurz gesagt keine, die Billie das Wasser reichen konnte. Billie blickte wieder auf den Bildschirm. Da schrieb sie doch lieber ihre Kolumne fertig. Alles andere war reine Zeitverschwendung.

Vorne holte Frau Korte das Deutscharbeitsheft raus. »Wir beginnen mit einer Wiederholung der Rechtschreibeinheit, die wir vor den Ferien hatten«, sagte sie.

Ein Stöhnen ging durch die Klasse. Motte zerrte ihr Heft aus dem Rucksack.

»Darf ich mit reinsehen?«, fragte Lou vorsichtig. »Ich bekomme meine Bücher erst nach der letzten Stunde.«

Mit einer genervten Bewegung schob Motte ihr Heft in die Mitte des Tisches. »Aber nur dieses eine Mal!«

Lou nickte. Was hatte sie Motte nur getan?

»Und wenn wir fertig sind«, fuhr Frau Korte fort, »kann uns Louise von British Columbia erzählen.«

Leider waren die Übungen sehr schwer, und bis die Klasse sie beendet hatte, war die Stunde schon fast zu Ende. Frau Korte warf einen Blick auf ihre Uhr. »Tut mir leid, Louise. Dann müssen wir deinen Bericht auf die nächste Stunde verschieben.«

»Oh, schon in Ordnung.« Lou atmete erleichtert auf. Die Vorstellung, gleich in der ersten Stunde so im Mittelpunkt zu stehen, hatte ihr ohnehin nicht behagt.

»Aber sag mir doch bitte noch deinen Geburtstag, damit ich ihn in die Klassenliste eintragen kann«, bat die Lehrerin.

»Ich habe am 6. März«, antwortete Lou. »Motte und ich…«

In Mottes Kopf ratterte es. Hatte sie sich gerade verhört?

»Du machst wohl Scherze!«, unterbrach sie das rothaarige Mädchen laut.

Lou schüttelte den Kopf. »Nein. Motte und ich haben wirklich am selben Tag Geburtstag – nur dass ich ein Jahr älter bin.«

Motte starrte sie fassungslos an. Das konnte ja wohl nicht wahr sein! Sie und Louise waren am selben Tag geboren!? Warum wusste sie das nicht?

Billie schnaubte unfreundlich. »Das glaub ich nicht!«

»Gründet doch einen Klub!«, brüllte ein braunhaariger Junge am Nachbartisch.

»Haha, sehr witzig, Josch!«, fauchte Billie ihn an.

Lou blinzelte fragend zu Motte.

»Was ist denn los?«, fragte sie. »Was hat sie?«

Unterdessen hatte Frau Korte Lous Daten in die Liste eingetragen. »Dann haben wir von jetzt an also vier Geburtstagskinder am 6. März«, stellte sie kopfschüttelnd fest.

Vier? Wieso vier? Lou verstand nur noch Bahnhof. Doch da läutete die Pausenglocke. Ohne ihre Cousine noch eines Blickes zu würdigen, sprang Motte auf und stürmte aus der Klasse.

Nur Rosa blieb kurz stehen. »Billie und ich haben auch am 6. März Geburtstag«, murmelte sie. Dann rannte sie Billie schnell hinterher.


Die POPkörner (1). Ein Stern für Lou

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