Читать книгу Schlossgartensterben - Stefanie Wider-Groth - Страница 11

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Der Wald um den Stuttgarter Frauenkopf herum gehörte nicht unbedingt zu den bei der Bevölkerung populären Strecken, auf denen sich an schönen Tagen Freizeitsportler, Hundebesitzer und Spaziergänger gegenseitig auf die Füße traten. Anna-Maria, für gewöhnlich auf solch einsamen Wegen zur Furchtsamkeit neigend, benutzte einen abwärtsführenden Trampelpfad, der vom vielen Regen matschig geworden war, aber gewährleistete, dass zufällige Begegnungen mit Dritten so gut wie ausgeschlossen waren. Schnaufend erreichte sie eine Lichtung an einem kleinen See, machte einige Dehn- und Streckübungen, begann zu warten und geriet ins Grübeln. Denn mit Verstand betrachtet, war es ein Wahnsinn, überhaupt hierher zu kommen. Anna-Marias derzeitiges Problem bestand darin, dass sie ihren Verstand seit einigen Wochen mit voller Absicht ausschaltete. Sie hatte ihren vierzigsten Geburtstag samt der begleitenden Lektüre dazu passender Ratgeber seit einem halben Jahr hinter sich und geglaubt, gegen die Gefahren dieses Alters gefeit zu sein. Bis er in ihr Leben getreten war. Selina hatte ihn angeschleppt, zu einem dieser Stammtische, die Anna-Maria nur gelegentlich und mit halbem Herzen besuchte, denn sie gehörte nicht zu denen, die sich aktiv gegen den Umbau des Stuttgarter Bahnhofes engagierten, ihr lag lediglich daran, den Kontakt zu ihrer Freundin aufrechtzuerhalten. Ein Bursche, sieben Jahre jünger als sie selbst, mit Glatze und Piratentuch keineswegs der Typ, dem sie normalerweise Aufmerksamkeit schenken würde. Wäre da nicht dieser Blick gewesen. Von Anfang an beunruhigend und schon beim nächsten Stammtisch so unwiderstehlich, dass sie sich wider besseres Wissen mit dem Kerl zum Laufen verabredet hatte. Unweit der kleinen Lichtung war dann passiert, was Anna-Maria für vollkommen unmöglich gehalten hatte, seither trafen sie sich regelmäßig, und sie war geradezu süchtig geworden nach diesen Treffen. Noch war sie sich sicher, dass Horst zur Gänze ahnungslos sein musste, doch wer konnte schon wissen, wie lange das so bliebe? Selina dagegen hatte schon nach kurzer Zeit Verdacht geschöpft:

„Du gönnst dir ja sonst nichts“, hatte sie ihre verliebte, verwirrte und vom schlechten Gewissen geplagte Freundin getröstet. „Dein Alter hat nie Zeit, deine Kinder sind so gut wie erwachsen, und ein bisschen Spaß darf frau im Leben haben. Du passt schließlich auf, dass er dir nichts anhängt?“

Anna-Maria hatte dies bejaht, obwohl es eine Lüge war. Ihre Affäre mit ihm war etwas, das sich ihrer Kontrolle zunehmend entzog, ähnlich dem Heißhunger, der sie manchmal nachts überfiel und der sich nur durch den sofortigen Konsum mehrerer Tafeln Schokolade befriedigen ließ. Ihre Verabredungen mit Tom hatten den Heißhunger merkwürdigerweise verschwinden lassen, doch war ihr klar, dass Tom auf lange Sicht in keinem Fall gesünder für sie war als Schokolade. Heute wartete sie zudem vergeblich, das rote Handy schwieg, ihre Versuche, ihn zu erreichen, blieben erfolglos. Nach einer halben Stunde gab sie auf, trabte zurück zum Parkplatz und rief Gerhard an:

„Ich bin’s, Anna. Wie war eure Patrouille gestern?“

„Schon okay“, entgegnete Gerhard gleichgültig. „Der Typ ist zwar ein bisschen komisch …“

„Wie meinst du das?“

„Nun ja, seine Art … die Glatze … wie soll ich sagen … er ist eben komisch. Normalerweise würd’ ich meinen, so einer passt gar nicht zu uns, aber …“

„Aber was?“

„Ich weiß nicht. Du sagtest ja, er sei ein Freund von dir, dann wird er schon in Ordnung sein.“

„Er ist ein Freund von Sally.“

„Mir egal.“ Gerhard hüstelte ein wenig. „Warum rufst du an?“

„Nur so. Ich dachte … hat er vielleicht gesagt, ob er heute etwas vorhat?“

„Was geht mich das an? So gut kennen wir uns nun auch wieder nicht.“

„Ich weiß. Tut mir leid, wenn ich dich gestört habe.“

„Hast du nicht. Bis Montag auf der Demo?“

„Ja … nein … mal sehen. Mach‘s gut, tschüss.“

Anna-Maria unterbrach das Gespräch, wählte ein letztes Mal Toms Nummer und erfuhr, dass der Teilnehmer derzeit nicht erreichbar war. Kopfschüttelnd schaltete sie das rote Handy aus und machte sich auf den Heimweg.

***

In Berchtesgaden waren Emmerichs unterdessen beim Packen. Das hieß, eigentlich packte Gabi, denn Emmerich selbst, der sich weniger zu den Faltern denn zu den Stopfern rechnete, was das Befüllen von Reisegepäck anging, betrachtete die Angelegenheit längst als erledigt, saß mit einem Hefeweizen auf dem Balkon und dachte über den ihm bevorstehenden Montag nach. Kein besonders guter Montag würde das werden, Gespräche mit Hinterbliebenen waren etwas, woran er sich auch nach Jahren im Beruf nicht gewöhnen konnte. Er hatte gelernt, die Trauer der anderen nicht an sich heranzulassen, sie auf keinen Fall ins private Leben mitzunehmen, doch nicht immer gelang ihm dies wirklich. Besonders dann nicht, wenn es sich bei diesen anderen um Eltern handelte. Als Vater einer nunmehr neunzehnjährigen Tochter stellte er unwillkürlich Vergleiche an, Vorstellungen, dass Jule etwas zustoßen könne, krochen in ihm empor und mussten unterdrückt werden. Emmerich seufzte und nahm einen Schluck vom Hefeweizen.

„Schmeckt’s?“, fragte Gabi, den Kopf durch die Balkontür steckend, sarkastisch. „Du könntest den Kühlschrank ausräumen.“

„Ist da noch was Wichtiges drin?“

„Zwei Eier, Schinken, Butter, ein paar Joghurts … ich kann’s auch wegwerfen, wenn es dir lieber ist.“

„Nicht nötig.“ Emmerich, dessen schwäbischer Seele Verschwendung ein Gräuel war, erhob sich schwerfällig. „Wo ist die Kühlbox?“

„In der Küche. Willst du noch duschen?“

„Warum?“

„Weil ich die Handtücher einpacken möchte.“

„Nur zu.“

Duschen schien ihm unwichtig zu sein angesichts des bevorstehenden Montags. Gabi wuselte geschäftig davon, Emmerich wandte seine Aufmerksamkeit dem Kühlschrank zu, als er leise das bekannte „Hossa“ vernahm.

„Dein blödes Präsidium will bestimmt nichts von mir“, sagte Gabi beleidigt und hielt ihm ihr Handy hin. Emmerich schloss die Kühlschranktür und nahm das Telefon.

„Ja, Mirko, was gibt es?“

„Eine Frage zu unserer Vorgehensweise. Ich hab hier Stress mit einem wichtigen Mann von der Stadt.“

„Welcher Art?“

„Heute soll wohl eine Parkbegehung sein. Mit anderen sehr wichtigen Leuten. In Sachen Bahnhofsneubau.“

„Was geht uns das an?“

„Stuttgart 21 geht uns alle an. Aber jetzt im Ernst, die wollen genau dorthin, wo unser Tatort liegt. Und der ist noch abgesperrt.“

„Das bleibt auch so, bis wir ihn freigeben.“

„Der Mann droht mir. Mit Verbindungen zur Staatsanwaltschaft und zum Innenministerium. Die Sache dulde keinen Aufschub.“

„Lass ihn drohen“, entgegnete Emmerich ungerührt. Ärger dieser Art erleichterte niemandem die Arbeit, ließ sich aber gelegentlich nicht vermeiden. Mirko musste lernen, damit umzugehen.

„Aber …“, sagte der und legte gleich wieder eine Pause ein.

„Was aber?“

„Er tobt am Telefon. Will persönlich vorbeikommen und den leitenden Beamten sprechen.“

„Dann verweise ihn an die Staatsanwaltschaft. Oder an seine Verbindungen ins Ministerium.“

„Du meinst, ich muss gar nicht persönlich mit ihm …?“

„Bestimmt nicht. Wir haben Wichtigeres zu tun.“

„Uff“, äußerte Mirko und klang erleichtert. „Da bin ich jetzt aber beruhigt.“

Emmerich dachte kurz nach und wagte einen pädagogischen Ansatz.

„Weißt du“, sagte er diplomatisch. „Du musst dir ein dickeres Fell zulegen. Im Umgang mit solchen Leuten. Die polizeiliche Ermittlungsarbeit hat immer Vorrang, da kann toben, wer will …“

„Aber nicht jetzt“, unterbrach Gabi ihn in schnippischem Ton. „Wird das heute noch was mit dem Kühlschrank?“

***

Am frühen Abend betrat Anna-Maria Semmler mit gemischten Gefühlen das Schlampazius. Die Kneipe im Stuttgarter Osten war eine Institution, existent, seit Anna-Maria denken konnte, und eine der wenigen, die die Moden des Zeitgeistes scheinbar unbeschadet zu überstehen, in der Lage war. Ausgestattet mit gebrauchtem Mobiliar und Erinnerungsstücken aus Jahrzehnten hinter der Theke hatte sich das Schlampazius eigentlich kaum verändert, dennoch fühlte Anna-Maria sich darin nicht recht wohl, sie war noble Italiener oder trendige Bars gewohnt. Dagegen konnte sie sicher sein, dass Horst sich nie hierher verirren würde, während Selina an der Theke saß, als befinde sie sich in ihrem Wohnzimmer. Etwas zögerlich nahm Anna-Maria den Barhocker daneben und orderte ein Wasser.

„Ich kann nicht lange bleiben“, erklärte sie bedrückt. „Horst erwartet mich zu Hause.“

„Ach, nein.“ Selina grinste und nahm einen kräftigen Schluck von ihrem Radler. „Muss das Essen auf dem Tisch stehen? Pünktlich, vor der Tagesschau?“

„Du weißt doch, wie er ist“, entgegnete Anna-Maria lakonisch. „Am Wochenende will er es gemütlich.“

„Ich könnte nie so leben.“ Selina schüttelte den Kopf und schauderte.

„Da sind wir halt verschieden.“ Anna-Maria betrachtete ihre Freundin nachdenklich. Im Gegensatz zu ihr war Selina groß und stämmig, mit kurz geschnittenen Haaren, die sie mit Gel in Form brachte, und liebte Holzfällerhemden und Safariwesten. Ein Mannweib, wie Horst zu sagen pflegte, der Selina in der Tat keine Sympathien entgegenbrachte und Begegnungen mit ihr aus dem Weg ging. „Deshalb hätte ich ja auch nie gedacht, dass ausgerechnet mir so etwas passiert.“

„Du solltest die Affäre nicht zu ernst nehmen.“

„Das sagt sich leicht.“

Selina nahm ihre Hand und tätschelte sie fürsorglich.

„Weißt du, Schätzchen, Typen wie Tom sind nicht zum Verlieben da. Sie sind Blumen am Wegesrand, man pflückt sie, stellt sie in die Vase und freut sich eine Weile daran. Wenn sie verwelkt sind, trennt man sich von ihnen.“

„Er will mit mir in den Urlaub fahren …“

„Den du bezahlen sollst, da wette ich darauf.“

„Gestern hat er mir gesagt, er wäre noch nie einer Frau wie mir begegnet. Heute geht er nicht einmal ans Telefon.“

„Du bist nicht die Erste, der er das gesagt hat.“

„Woher willst du das wissen?“

„Dreimal darfst du raten.“ Selina ließ ihre Hand los und lachte laut. „Natürlich hat er mir das Gleiche vorgemacht. Ich weiß nur, wie ich damit umgehen muss.“

Anna-Maria starrte ihre beste Freundin ungläubig an.

„Du hast auch etwas mit Tom?“

„Hatte, meine Liebe, hatte“, verbesserte Selina sie gut gelaunt. „Wir waren zwei- oder dreimal im Bett. Nett, aber auf die Dauer nicht das Wahre.“

„Warum hast du ihn dann überhaupt mitgebracht? Zu deinem … unserem Stammtisch?“

„Das ist doch ganz was anderes, die Baumwächter haben jede Unterstützung nötig. Und er war ganz wild darauf. Hätte ich gewusst, dass er da weitermacht mit seiner Anmacherei, dann hätte ich es wohl gelassen. Aber letzten Endes zählt der Kampf, nicht wahr? Prost.“

„Noch was zu trinken?“, wollte der Barmann des Schlampazius wissen, und Selina bestellte sich ein zweites Radler. Anna-Maria registrierte es wie durch einen Schleier hindurch.

„Wen … wen hat er denn noch so alles … angemacht?“, fragte sie zaghaft und mit brüchiger Stimme.

„Mein Gott, woher soll ich das wissen? Moni und Loretta sicherlich, Jutta und Conny vielleicht …“

„Du meinst, er ist heute mit einer anderen zusammen? Dass er deshalb nicht ans Telefon …“

„Mach dir darüber bloß keinen Kopf. Wirklich, Schatz, manchmal bist du schon etwas naiv und weltfremd, da oben, in deinem goldenen Kokon in der Gerokstraße.“

Schlossgartensterben

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