Читать книгу Schlossgartensterben - Stefanie Wider-Groth - Страница 13

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Die Heimfahrt der Eheleute Emmerich war, sah man von den auf der A 8 zwischen Salzburg und Stuttgart üblichen Stockungen ab, unspektakulär verlaufen. Nach fast sechsstündiger Fahrt fühlte Emmerich sich dennoch wie gerädert, als Gabi die alte A-Klasse in der zweiten Reihe vor der Haustür anhielt, ein missbilligendes Geräusch von sich gab und sagte:

„Hast du für heute noch eine Verabredung?“

„Ich?“ Emmerich öffnete den Sicherheitsgurt und streckte sich. „Wie kommst du darauf? Wir sind doch im Urlaub.“

„Dann schau mal, wer da vor der Haustür steht. Ich fresse einen Besen, wenn das nicht dein Kollege Frenzel ist.“

Emmerich wandte den Blick nach links und sah in der Tat einen jüngeren Mann mit einem dicken Umschlag in der Hand, der ihnen den Rücken zuwandte, am Haus nach oben sah und auf etwas zu warten schien. In der anderen Hand trug der Mann allerdings einen Blumenstrauß und am Körper einen schicken Anzug.

„Seit wann sieht Frenzel aus wie Casanova?“, tat Emmerich daher Gabis Bemerkung ab, stieg aus und öffnete den Kofferraum.

„Suchen Sie jemand Bestimmtes?“, rief dagegen Gabi. „Kann ich Ihnen helfen?“

Der Mann drehte sich um.

„Na, was für ein Glück, dass ihr gerade heimkommt. Eine blöde Einrichtung ist das, mit den Briefkästen im Treppenhaus.“

„Ich weiß nicht, ob man da von Glück sprechen kann“, entgegnete Gabi unfreundlich. „Dieser Umschlag sieht mir nicht gerade danach aus. Und mit den Briefkästen sind wir immer gut zurecht gekommen.“

„Wenn keiner aufmacht?“ Mirko Frenzel kam zum Auto. „Wie soll man da etwas einwerfen? Tag, Frau Emmerich, hallo Reiner.“

„Mirko, bist du’s doch. Wie kommst du denn daher?“

„Hab noch eine Verabredung und wollte dir vorher deine Kopien bringen. Aber wenn wir uns jetzt schon mal treffen, können wir das Wichtigste auch gleich besprechen.“

„Wie du meinst. Komm einfach mit nach oben.“ Emmerich wies auf die Haustür und hievte zwei Reisetaschen, die Kühlbox und einen Koffer aus dem Auto.

„Sie können gerne das Gepäck mitnehmen“, sagte Gabi mit falscher Freundlichkeit. „Und fühlen Sie sich ruhig wie zu Hause. Ich mache mich auf die Parkplatzsuche.“

Emmerich verdrehte die Augen, nahm Koffer und Kühlbox und deutete wortlos auf die Reisetaschen. Im vierten Stock öffnete er, ein wenig außer Atem, die Wohnungstür und freute sich, wieder daheim zu sein.

„Hereinspaziert“, sagte er, ließ das Gepäck im Flur stehen und nahm den Kater, der bereits schnurrend um seine Beine strich, auf den Arm. „Wir gehen auf die Veranda. Was zu trinken?“

„Nein, danke, nichts, ich bleibe nicht lange“, keuchte Frenzel hinter ihm. „Diese Treppen würden mich wahnsinnig machen. Habt ihr Steine in den Taschen?“

„Gabi hat eingekauft“, entgegnete Emmerich mit einem Augenzwinkern. „Du weißt ja, wie Frauen sind. Hier entlang.“

Er dirigierte den Kollegen durch die Küche, hinaus auf den verglasten Balkon und deutete auf einen Klappstuhl. „Nimm Platz und fang an.“

„Das Wesentliche steht hier drin.“ Mirko legte den Umschlag auf den zum Stuhl passenden Klapptisch. „Identität, Tatortfotos und so weiter. Ein Glas Wasser wäre vielleicht doch nicht schlecht. Aus dem Hahn.“

„Sag’s doch gleich.“ Emmerich ging zum Kühlschrank, nahm ein Hefeweizen heraus, schenkte es mit angemessener Sorgfalt in das dazugehörige Glas, ließ ein weiteres mit kaltem Wasser volllaufen und reichte es Frenzel.

„Danke“, sagte der und stellte den Blumenstrauß hinein. „Neu ist, dass Tröges Rucksack aufgetaucht ist. In einem Abfallbehälter, der an der Ostendstraße neben einer Telefonzelle steht.“

„Ostendstraße? Das liegt nicht unbedingt in Tatortnähe.“

„Ganz im Gegenteil. Und das Ding wäre dort vermutlich auch nie gefunden worden, wenn nicht mehrfach ein Handy darin geklingelt hätte. Ein Passant, der telefonieren wollte, hat’s zufällig gehört. Er war so schlau, den Rucksack aus dem Papierkorb zu nehmen und bei den Kollegen in Stuttgart-Ost auf dem Revier abzugeben.“

„Die Frage lautet also: Wie kam der Rucksack dorthin?“, überlegte Emmerich, sich auf den zweiten Klappstuhl gegenüber setzend.

„Zwei Möglichkeiten“, entgegnete Mirko, ohne nachzudenken. „Entweder, Tröge selbst hat ihn dort entsorgt, oder es war der Täter.“

„Ich neige zur zweiten Lösung. Wer wirft ein eingeschaltetes Handy weg?“

„Ganz meine Meinung“, stimmte Frenzel zu. „Und was würde das bedeuten?“

„Du wirst es mir bestimmt gleich sagen.“

„Täter und Opfer stammen aus demselben Stadtteil.“

„Liegt nahe.“ Emmerich nippte am Hefeweizen und wischte sich den Schaum vom Mund. „Muss aber nicht sein. Wissen wir schon, wer da angerufen hat?“

„Leider nicht. Inzwischen ist das Handy aus, vermutlich war der Akku leer. Die KTU wird es sicher bald herausfinden.“

„Was war sonst noch drin? Im Rucksack?“

„Die Spurensicherung hat ihn. Morgen wissen wir mehr.“

„Das heißt, du bist morgen im Büro?“

„Ich bin verantwortlich, solange du Urlaub hast.“

„Und ich kann kommen, wenn es nötig ist. Ich habe morgen nichts Bestimmtes vor, jedenfalls nicht, soweit …“

„Du hast Bandprobe, mein Guter“, fiel ihm Gabi ins Wort und trat auf die Veranda. „Morgen ist Sonntag, schon vergessen?“

„Aber doch erst abends, Spatz.“

„Du musst wissen, was du tust. Soll das Gepäck da stehen bleiben, wo es ist?“

„Ich räume es gleich weg.“

„Schöne Blumen haben Sie da, Herr Frenzel“, sagte Gabi und warf einen demonstrativen Blick auf ihre Armbanduhr.

„Schöne Blumen?“ Mirko wechselte einen Blick mit Emmerich und grinste schief. „Natürlich. Die sind nur für … ääh … also, für …“

„Schon gut“, winkte Emmerich ab und stand auf. „Du gehst zu deiner Verabredung und ich kümmere mich um unser Gepäck. Ruf einfach an, wenn du mich brauchst.“

***

Die Toasts Hawaii rochen ein wenig angebrannt, als Anna-Maria sie aus dem Ofen nahm, es fiel ihr schwer, sich auf ihr Tun zu konzentrieren. Mechanisch kratzte sie die dunklen Stellen ab, bevor sie die mit Käse überbackenen Scheiben auf die Teller gab. Nicht, dass Anna-Maria Toast Hawaii besonders mochte, es gab nur einfach wenige Gerichte, die sie zubereiten konnte und die ihrer Schwiegermutter schmeckten. Zweimal im Monat, samstags oder sonntags, kam sie zu Besuch, immer einen ganzen langen Nachmittag, der sich früher einmal durch das Spielen mit den Kindern erträglich gestaltet hatte. Inzwischen jedoch verabschiedeten sich Adrian und Jasmin meist sofort nach dem Kaffeetrinken, während Horst und seine Mutter alte Erinnerungen austauschten, mit denen Anna-Maria nichts anzufangen wusste. Genau genommen schätzte sie diese Besuche ebenso wenig wie die Toasts Hawaii, da Margarete Semmler sich, von alten Erinnerungen abgesehen, ausschweifend und meist ausgesprochen unfreundlich über gemeinsame Bekannte oder Unbekannte zu äußern pflegte. Es wäre Horsts Aufgabe gewesen, dem hässlichen Geklatsche Einhalt zu gebieten, doch Horst tat nichts dergleichen. Seine Mutter, das hatte Anna-Maria schon kurz nach der Eheschließung verstehen müssen, war ein sakrosanktes Wesen, dessen Tun und Lassen nicht hinterfragt wurde und über jeden Zweifel erhaben war.

„Ich würde ja nichts sagen“, erklärte sie gerade mit gerümpfter Nase, als Anna-Maria mit den Tellern das in hellen Tönen gehaltene Wohnzimmer betrat. „Aber das Mädchen zieht sich an wie eine aus dem Rotlichtviertel. Zu meiner Zeit ging man so nicht aus dem Haus.“

„Du sprichst jetzt hoffentlich nicht von Jasmin“, sagte Anna-Maria säuerlich und servierte die Toasts.

„Es geht um die Tochter ihrer Nachbarin“, warf Horst mit warnend hochgezogenen Brauen ein. „Da hast du völlig recht, Mama.“

„Jasmin könnte auch mal ein paar neue Schuhe vertragen.“ Margarete Semmler suchte ihre Brille aus der Tasche und besah den Teller. „Was hast du denn da Schönes gekocht, mein Kind?“

„Toast Hawaii“, knurrte Horst missbilligend. „Du könntest dir für Mama wirklich mehr Mühe geben. Bei uns gab es früher immer gemischten Braten, wenn meine Großeltern zu Besuch kamen.“

„Nein, lass nur Horsti, lass nur“, wehrte Margarete ab. „Ich weiß doch, dass die jungen Frauen heute keine Zeit mehr haben und auch nicht mehr richtig kochen können. Ich stelle keine Ansprüche, das wisst ihr doch. Mir macht es gar nichts aus, wenn die Toasts zu lang im Ofen waren. Soll ich mit Jasmin vielleicht einmal einkaufen gehen?“

„Jasmin hat genügend Schuhe“, entgegnete Anna-Maria beherrscht. „Sie trägt Chucks, die sind gerade angesagt und müssen nicht neu aussehen.“

„Bist du sicher? Bei Horsti in der Klasse wollten damals auch alle so besonders alte Jeanshosen tragen, aber Horsti war immer gut gekleidet. Darauf muss man als Mutter achten. Und sieh nur, was aus ihm geworden ist.“ Margarete Semmler betrachtete ihren Sprössling, der unangenehm berührt zur Decke sah, mit liebevollem Stolz. „Eine Mutter muss alles für ihre Kinder tun.“

„Das macht die Anni schon“, ergriff der Gelobte unerwartet die Partei seiner Gattin. „Du weißt, dass ich ihr viel verdanke. Jetzt iss, sonst wird es kalt.“

„Natürlich weiß ich das.“ Margarete Semmler griff zum Besteck. „Umso schlimmer wäre es, das Ganze jetzt auf’s Spiel zu setzen, gell?“

Anna-Maria, die es sich längst zur Regel gemacht hatte, derartige Unterhaltungen ohne sichtbare Gefühlsregung über sich ergehen zu lassen, kam nicht umhin, ihre Schwiegermutter überrascht anzusehen. Es hatte ein seltsamer Unterton in dieser Bemerkung gelegen, den sie nicht zu deuten wusste, fast, als wolle Margarete ihrem geliebten Horsti drohen. Worüber hatten die beiden gesprochen, während sie in der Küche gewesen war? Sie wandte ihren Blick zu ihm, doch Horst war stumm mit seinen Toasts beschäftigt und konzentrierte sich auf’s Kauen. Er weiß von nichts und sie schon gar nicht, beruhigte sie sich selbst. Wenn nur Tom endlich ans Telefon gehen würde.

***

„Jule hat Gulasch gemacht“, sagte Gabi, nachdem Emmerich Mirko zur Tür geleitet hatte. „Ist das nicht nett von ihr?“

„Und wo ist sie?“

„Bei Nicki. Übers Wochenende.“

„Wer ist Nicki?“

„Eine Freundin. Soweit ich weiß.“

„Klingt mir mehr nach einem Kerl.“

„Und wenn es so wäre? Sie ist alt genug um zu wissen, bei wem sie übernachtet.“

„Ja“, seufzte Emmerich ergeben und versuchte, sich die Enttäuschung darüber, dass sein einziges Kind bei ihrer Heimkunft durch Abwesenheit glänzte, nicht anmerken zu lassen. Er würde sich an diesen Zustand gewöhnen müssen, auch wenn es schwerfiel. „Dann hab ich wenigstens Zeit für Mirkos Umschlag.“

Gabi schüttelte den Kopf und lächelte. Mit Nachsicht.

„Du und deine Arbeit.“

„Was denn? Der Urlaub ist zu Ende, oder?“

„Und die Taschen? Packen sich von selber aus? Das Gulasch? Wärmt sich selber auf?“

„Spatz, es …“

„Schon gut, Hasi, lies nur. Ich bin ja froh, dass dir die Arbeit Freude macht.“

„Danke, Spatz. Du bist die beste Ehefrau von allen.“

„Nein. Das war die von Ephraim Kishon.“ Gabi versetzte ihm einen freundschaftlichen Knuff und verschwand auf die Veranda. Um eine zu rauchen, wie Emmerich vermutete. Wenig später hörte er sie telefonieren. Er selbst begab sich samt Umschlag ins Wohnzimmer, setzte sich aufs Sofa und ließ den Inhalt des Umschlags auf den Couchtisch gleiten. „Fakten in Kürze“ stand in Mirkos krakeliger Handschrift, deren Entzifferung ihm schon immer Rätsel aufgegeben hatte, auf einem losen Beiblatt. „Männliche Leiche, identifiziert als Tröge, Thomas, geboren 14. März 1977 in …“ Emmerich schnalzte missbilligend mit der Zunge. Tröges Geburtsort mochte nach diesen Angaben weiß Gott wo liegen, das Wort konnte von „Bratkeil“ bis „Rostteil“ so ziemlich alles heißen. „Aufgefunden letzten Freitag gegen 5.15 Uhr durch den Zeugen Heiko Sauer (Aussage liegt bei)“, las er unter Aufbietung seiner ganzen Konzentration weiter. „Fundort identisch mit Tatort. Schwulenstrich liegt in der Nähe. Termin mit Ehepaar Tröge, Montag um 11.00 Uhr. Fotos etc. anbei. Schönes Wochenende, Mirko.“ Emmerich kam zu dem Schluss, dass Frenzel neuerdings zum Zynismus neigen musste, und griff nach den Bildern. Der Tote lag auf dem Rücken, neben oder auch hinter dem Sockel eines steinernen Monumentes, dessen Vorderansicht ebenfalls beigefügt worden war und zwei Ritter oder Ähnliches darstellte, einer im Schoß des anderen ruhend. Ja so warn’s, brummte Emmerich leise, als Reminiszenz an den soeben beendeten bayerischen Urlaub, ja so warn’s, die oiden Rittersleut. Eine, aus Pietätsgründen natürlich in diesem Moment völlig unangebrachte Melodie, doch immerhin war noch niemand gezwungen, innerhalb der eigenen vier Wände Rücksicht auf die Pietät zu nehmen. Bekleidet war die Leiche mit hellen Jeans, einem weißen T-Shirt, einer hellen Jeansjacke und einem Tuch, das in Piratenmanier um das offenbar darunter haarlose Haupt gewickelt war. Wie Frenzel bereits erwähnt hatte, stand der Hosenladen der hellen Jeans offen, das Geschlechtsteil des Toten hing in irgendwie anrührender Art heraus. Es waren mehrere Fotos aus unterschiedlichen Perspektiven, er legte sie vor sich auf dem Couchtisch aus, als er hinter sich ein Räuspern vernahm.

„Ein gut gebauter Typ und trotzdem kein schöner Anblick“, sagte Gabi, die ihm über die Schultern sah. „Aber was ist das denn?“

„Nun ja.“ Emmerich hüstelte. „Der Schwulenstrich ist nicht weit weg vom Tatort. Vielleicht hat es ihn in flagranti erwischt.“

„Hrmpf“, gluckste Gabi. „Sachen gibt’s …“

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