Читать книгу Schlossgartensterben - Stefanie Wider-Groth - Страница 17
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Оглавление„Was Sie nicht sagen“, staunte Emmerich und sah den kleinen Mann ein wenig spöttisch an. „Sicher können Sie den Täter auch beschreiben?“
„Natürlich kann ich das“, nickte Edwin Edamer, an Frenzel gewandt, würdevoll. „Wer ist dieser Herr?“
„Mein Kollege Emmerich“, sagte Frenzel freundlich. „Ich schlage vor, wir gehen jetzt einfach in den Park und Sie erzählen uns dort, was Sie beobachtet haben.“
„Nicht, wenn ich nicht ernst genommen werde.“ Edamer richtete sich auf, soweit es seine gebückte Körperhaltung zuließ. „Ich sehe nämlich noch recht gut. Nur zum Lesen brauch ich eine Brille.“
„Wir nehmen Sie sehr ernst.“ Frenzel hielt dem kleinen Mann die Tür auf und bedachte Emmerich mit einem vorwurfsvollen Blick. „Kommst du mit?“
Zu dritt durchquerten sie, Edamer in der Mitte, die Passage unter dem Bahnhofsvorplatz, bis sie den Aufgang zum Schlossgarten erreicht hatten, wo der Rentner zielstrebig einen Papierkorb ansteuerte, eine PET-Flasche herauszog und umständlich seinen Trolley aufzurrte.
„Was soll das jetzt?“, wollte Emmerich verwundert wissen.
„Wie ich schon sagte, ich bin Flaschensammler.“ Edamers Hand fuhr ein zweites Mal in den Papierkorb und kam mit einem gläsernen Behältnis zurück. „Meine Rente ist sehr klein, so kann ich mir was dazuverdienen. Ob auf der da aber Pfand ist, weiß ich gar nicht so genau. Was meinen Sie?“
Bitter, dachte Emmerich, man wird sehen, was uns noch blüht, auf unsere alten Tage. Laut sagte er:
„Ich habe keine Ahnung, jetzt lassen Sie das mal. Wir können nicht überall stehen bleiben und nach Flaschen Ausschau halten. Mein Kollege gibt Ihnen fünf Euro.“
„Ich?“ Frenzel, der der Inspektion des Papierkorbs geduldig beigewohnt hatte, sah Emmerich erbost an. „Wieso ich?“
„Weil ich kein Geld dabeihab. Du bekommst es wieder.“
„Zehn“, sagte Edamer und zwinkerte.
„Was?“
„Ich will zehn Euro.“
„Von mir aus“, stimmte Emmerich großzügig zu. „Und jetzt will ich hören, was Sie uns zu sagen haben.“
„Wir müssen noch ein Stückchen weiter.“ Der kleine Mann verstaute die Flaschen in seinem Trolley und deutete geradeaus. „Hinter der Unterführung. Wo sie den neuen Baum gepflanzt haben.“
Emmerich und Frenzel folgten Edamer und seinem Trolley, bis der Rentner schnaufend stehen blieb.
„Hier war es. Direkt vor dem Widerstandsbaum hab ich gestanden.“
„Was für ein Baum?“ Emmerich unterzog das junge Grün, auf das der Rentner zeigte, einer näheren Betrachtung. Ein Schild war davor angebracht. Widerstandsbaum gegen Stuttgart 21, stand darauf zu lesen. Lieber ein gepflanzter Baum als eine hohle Versprechung. „Wozu soll das gut sein?“
„Die Bürger wehren sich“, erklärte Edamer verschmitzt. „Gegen die Bevormundung durch die Politik. Die Mehrheit will den neuen Bahnhof nicht.“
„Mit der halben Portion?“ Emmerich sah das dünne Stämmchen, das seine Äste tapfer durch ein Holzgerüst reckte, zweifelnd an. „Hier stehen richtige Bäume. Solche, die ein paar hundert Jahre auf dem Buckel haben. Warum haben sie nicht so einen gewählt?“
„Die sind doch alle todgeweiht, wenn erst die Bagger kommen.“ Edwin Edamer sah unglücklich drein. „Sogar den kleinen hier haben sie vergiftet. Der da ist schon der zweite.“
„Sie? Wer sind sie?“
„Die, die den Bahnhof tiefer legen wollen.“
„Allerhand.“ Emmerich sah den kleinen Mann ungläubig an. „Ein Niveau haben wir inzwischen hierzulande …“
„Von der anderen Seite hat es angeblich Morddrohungen gegeben“, warf Frenzel bedächtig ein. „Gegen die offiziellen Befürworter des Projekts. Diese Geschichte spaltet noch die ganze Stadt.“
„Schlimm ist das“, nickte Edamer eifrig. „Wenn man nur etwas dagegen tun könnte.“
„Das ist jetzt nicht unsere Aufgabe“, versuchte Emmerich die Diskussion über das Thema, das die Stuttgarter Bevölkerung derzeit wie kein anderes beschäftigte, abzukürzen.
„Aber Sie müssen doch auch eine Meinung dazu haben“, insistierte Edamer widerborstig. „Man kann sich das alles doch nicht einfach so gefallen lassen.“
„Als Beamter halte ich mich raus“, sagte Emmerich kurz angebunden. „Was haben Sie denn nun gesehen?“
Edamer deutete nach rechts.
„Da drüben hab ich angefangen, mit meiner Suche. Dort treffen sich junge Leute in komischen Kleidern, die lassen häufig Flaschen liegen. Emos heißen sie, hab ich gehört, obwohl mir keiner sagen kann, warum. Vielleicht können Sie …?
„Nein“, fiel Emmerich dem kleinen Mann, weitere Abschweifungen fürchtend, brüsk ins Wort. „Weiter.“
„Am Donnerstag hab ich dort nichts gefunden, also bin ich rüber auf die Wiese und hab hier gesucht. Bis ich den Schuss gehört hab. Oder … nein … es waren zwei. Zwei Schüsse.“
„Könnte stimmen“, bestätigte Frenzel leise. „Der Tote hat zwei Kugeln abbekommen. Das kann er aus keiner Zeitung haben, es stand noch nicht drin.“
„Weiter.“
„Ich habe mich erschrocken und geschaut, woher die Schüsse kamen. Er stand da vorne. Mit ausgestrecktem Arm.“ Edamer wies zum Denkmal. „Ein rundlicher Mann in einem Kapuzenmantel. Nicht besonders groß. In der einen Hand hielt er eine Tasche, in der anderen noch den Revolver. Ich hab mich geduckt, damit er mich nicht sieht.“
„Gut gemacht. Was dann?“
„Der Mann hat den Revolver weggeworfen und ist fortgegangen. Über den Steg da. Ich musste erst einmal verschnaufen.“
„Verständlich.“ Frenzel sah nachdenklich zu der geschwungenen Hängebrücke, die den mittleren mit dem oberen Schlossgarten verband. „Ein rundlicher Mann in einem Kapuzenmantel also. Mehr konnten Sie wohl nicht erkennen?“
„Wie denn?“ Edamer, dem die Erinnerung an sein denkwürdiges Abenteuer sichtbar zu schaffen machte, fuhr sich durchs nur noch spärlich vorhandene Haar „Es war ja dunkel. Ich bin aber trotzdem noch nicht fertig.“
„Nicht?“
„Nein. Wie ich da so stehe und überlege, was ich machen soll, kommt ein zweiter Mann daher. Etwas größer. Der hat den Revolver im Gras gesucht und mitgenommen. Anschließend hat er hinter dem Denkmal einen Beutel geholt und sich umgeschaut. Ich hab’s mit der Angst bekommen und mich aus dem Staub gemacht. Dass da ein Toter lag, das hab ich nicht gesehen.“
„Wie lange sind Sie da gestanden, um zu überlegen?“
„Das können schon so fünfzehn oder zwanzig Minuten gewesen sein. Ich bin schließlich nicht mehr der Allerjüngste.“
„Und danach? Wo sind Sie hin?“
Edamer zeigte zur gegenüberliegenden Seite des Parks.
„Dort ist der Biergarten, da sind auch gegen später meist noch Menschen.“
„Interessant.“ Emmerich wechselte einen Blick mit Frenzel. „Sonst noch was, an das Sie sich erinnern können?“
„Nicht, dass ich wüsste.“ Edamer dachte nach und schüttelte den Kopf. „Außer vielleicht …?“
„Ja?“
„Das ist sicher gar nicht wichtig. Ich hab den Wurzenbach gesehen.“
„Wen?“
„Gerhard Wurzenbach. Er stand da vorne, als ich aus der Passage kam. Mit einem jungen Mann, der so ein Tuch um den Kopf gewickelt hatte.“
„Wirklich? Wer ist Gerhard Wurzenbach?“
„Den kennen Sie nicht?“ Edamer sah drein, als hätte Emmerich behauptet, die Bundeskanzlerin sei ihm unbekannt. „Gehört zu denen, die gegen Stuttgart 21 kämpfen. Er ist fast jede Woche in irgendeiner Zeitung. Den muss man kennen.“
„Ich weiß, wer das ist“, kam Frenzel seinem Vorgesetzten zu Hilfe. „Was hat Wurzenbach gemacht?“
„Weiß ich nicht.“ Edamer zog die Schultern hoch. „Ich hab meine Flaschen gesucht und nicht weiter auf ihn geachtet. Der hat bestimmt nichts mit dem Mord zu tun, das ist ein Guter.“
„Schön, Herr Edamer“, setzte Frenzel zu einer Dankesbezeugung an, wurde vom Rufen einer Kuckucksuhr unterbrochen und zog sein Handy aus der Tasche. „Momentchen bitte … ja, Frau Emmerich … ja, er ist bei mir. Wollen Sie ihn sprechen?“
„Nein“, wehrte Emmerich mit schlechtem Gewissen ab. „Sag ihr, ich bin auf dem Heimweg.“
„Er ist auf dem Heimweg“, wiederholte Mirko brav. „Er … doch, wirklich, ganz bestimmt. In einer Viertelstunde ist er da.“
„Danke“, sagte Emmerich, der eine Diskussion in Anwesenheit des Zeugen Edamers hatte vermeiden wollen, erleichtert, als Frenzel das Handy wieder eingesteckt hatte, und zog den Kollegen zur Seite. „Machst du das mit dem Protokoll?“
„Logisch.“
„Und die Pressekonferenz?“
„Werde ich schon schaukeln.“
„Dann bis morgen.“
„Bis morgen. Hast du wirklich keine Meinung zu dem Bahnhofsthema?“
„Ich weiß nicht.“ Emmerich sah zu Edamer, dessen Blick suchend auf ein Stück Rasen konzentriert war. „Diese Stadt will doch immer eine Weltstadt sein?“
„So sagen es die Häuptlinge“, grinste Frenzel.
„Kennst du eine Weltstadt ohne Kopfbahnhof?“
***
Anna-Maria hielt es zu Hause nicht mehr aus, zog trotz des regnerischen Wetters ihren Laufdress an und fuhr hinauf zum Frauenkopf. Sie hatte den Lokalteil der Zeitung gesucht und gelesen, doch es stand nichts Aussagekräftiges darin. Nur, dass ein toter Mann im Park gefunden worden war. Erschossen. Sie kannte Toms Adresse, war zwei- oder dreimal bei ihm gewesen in der Wunnensteinstraße, doch unter den gegebenen Umständen nutzte es nichts, jetzt dorthin zu fahren. Wenn Tom tatsächlich tot war, drohte ihr Leben zu zerbrechen. Zum einen natürlich, weil er ihr unendlich fehlen würde, zum anderen, und das erschien ihr weitaus bedrohlicher, weil es genug Beweise ihrer Liebe in Form von Briefen und recht freizügigen Fotos in seiner Wohnung gab. Hinzu kamen ihre Nachrichten und ihre Nummer auf seinem Handy, Selina wusste von der Angelegenheit, und auch Gerhard, so vermutete sie zumindest, dachte sich seinen Teil. Anna-Maria wählte die betonierte Straße, die durch den Wald nach Sillenbuch führte, am Sonntag allerdings für den Verkehr gesperrt war, und rannte. Rannte, bis sie völlig außer Atem war und wieder einigermaßen klar denken konnte. Die Polizei würde in jedem Fall bei den Ermittlungen auf ihren Namen stoßen, doch nicht nur auf ihren, wie sie inzwischen von Selina wusste und deshalb immer noch von Eifersucht geplagt war. Wie oft hatte Tom ihr versichert, dass sie das Beste sei, das ihm im Leben je passiert war? Wie oft hatte sie ihm gesagt, dass es ihr umgekehrt mit ihm genauso ginge? Sie wusste es nicht mehr, mäßigte ihr Tempo und wischte sich die Tränen, die unkontrolliert aus ihren Augen kullerten, aus dem Gesicht. Eine unbändige Wut bemächtigte sich ihrer, Anna-Maria bog ab in einen Waldweg, trat mehrfach kräftig gegen einen Baum und schrie:
„Scheiße. Ich hasse ihn. Oh, wie ich ihn hasse.“
„Ja, ja“, sagte neben ihr eine behäbig dreinzockelnde zweite Joggerin, die unversehens zwischen den Bäumen auftauchte, verständnisvoll. „Das kennen wir doch alle. Manchmal muss es einfach raus. Wollen Sie darüber reden?“
„Nein.“ Anna-Maria zuckte zusammen und hielt inne. „Lassen Sie mich in Ruhe. Was geht Sie das an?“
„Gar nichts“, lächelte die Joggerin liebenswürdig und winkte. „Einen schönen Tag dann noch.“ Sie zockelte weiter ihres Weges, während Anna-Maria sich den schmerzenden Fuß rieb und sich innerlich zur Ordnung rief. Was, wenn die Kinder etwas von den Ermittlungen und damit von ihrer Beziehung zu Tom mitbekamen? Oder Horst? Horst, der ohne Schwimmtasche beim Schwimmen war? Und der, Anna-Maria erinnerte sich, in der Nacht zum Freitag erst nach Mitternacht zu Hause eingetroffen und sofort zu Bett gegangen war? Horst, der offensichtlich irgendetwas vor ihr verbarg. Etwas, das mit dem geheimnisvollen Glöckner zusammenhängen musste, denn seine Geschäftspartner riefen für gewöhnlich nie auf der privaten Nummer an. Panik erfasste sie, Anna-Maria rannte weiter, abwärts, bis sie die Lichtung mit dem kleinen See erreichte. Horst kannte diese Lichtung, gelegentlich, wenn auch selten, joggten sie zu zweit. War es möglich, dass er Tom und sie hier beobachtet hatte? Wenn ich nur wüsste, was ich tun soll, dachte sie verzweifelt. Einfach abwarten? Zur Polizei gehen? Oder besser nicht?
***
„Drei Stunden“, sagte Gabi anklagend, nachdem Emmerich die Wohnungstür hinter sich geschlossen hatte. „Ich packe die Koffer aus, wasche die Wäsche, richte das Frühstück und du gehst spazieren. Drei Stunden lang. Und noch dazu mit Mirko Frenzel.“
„Das war nicht so beabsichtigt. Wirklich, Spatz … es gab da einen kleinen Zwischenfall …“
„Still. Ich will keine Erklärung hören. Dir steht heute noch eine Prüfung bevor. Ich will, dass du sie geduldig meisterst.“
„Eine Prüfung? Mir?“
„Loretta kommt vorbei und bleibt zum Abendessen.“
„Nein, Spatz.“ Emmerich atmete tief ein, hielt die Luft an und entledigte sich seiner Regenjacke. „Du weißt doch, dass ich Loretta überhaupt nicht … im Übrigen habe ich Bandprobe, du hast es selbst gesagt.“
„Aber sie weiß etwas über deine Leiche. Der Typ war eine ihrer großen Lieben.“
„Wie viele von der Sorte hatte Loretta in den letzten Jahren?“
„Ich weiß nicht.“ Gabi zog die Schultern hoch. „Mindestens fünf. Würde ich sagen.“
„Da hast du’s. Alles nur Geschwätz und Wichtigtuerei. Woher weiß sie überhaupt, wer der Tote war? Sein Name wurde nicht veröffentlicht.“
„Sie weiß es eben. Sagt sie. Weiblicher Instinkt. Sie ist fertig mit den Nerven.“
„Loretta ist immer fertig mit den Nerven.“
„Ich dachte, dass es dich interessiert, was sie zu sagen hat.“
„Nein“, entgegnete Emmerich barsch, registrierte Gabis beleidigten Blick und zog sie an sich. „Ich liebe dich, aber das heißt nicht, dass ich jede deiner Freundinnen klaglos ertrage. Nicht, wenn sie so sind wie Loretta.“
Gabi stieß einen abgrundtiefen Seufzer aus und erwiderte seine Umarmung.
„Sie ist ein armes Würstchen. Nur dieses eine Mal.“
„Nein, Spatz.“ Emmerich blieb hart. „Ich bin zum Abendessen sowieso nicht da. Muss noch mein Schlagzeug stimmen, vor der Probe. Wenn sie wirklich etwas weiß, kannst du’s mir ja erzählen.“