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I. Vor der Reise „Je länger man vor der Tür zögert, desto fremder wird man.“ (Franz Kafka in „Heimkehr“, 1920)

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Es war an einem Mittwochnachmittag im Jahr 1872, als ein gewisser Phileas Fogg behauptete, er könne in 80 Tagen um die Welt reisen. Sein halbes Vermögen war ihm dieses Abenteuer wert. Warum? Er, der Protagonist aus Jules Vernes Roman, hatte in einem Artikel gelesen, dass so eine Reise in derart kurzer Zeit möglich ist.

Das waren Zeiten. Menschen lasen und glaubten, was Journalisten schrieben. Eine Reise um die Erde faszinierte die gesamte Welt. Und als verrückt galt die Vorstellung, Lokomotiven könnten irgendwann Kutschen ersetzen.

Um die Welt mit Willy Fog heißt die Trickfilmserie, in der ich in den 90er-Jahren erstmals eine Deutung der Romanfigur Jules Vernes kennenlernte. Der als Löwe gezeichnete Mister Fog beeindruckte mich. Er war stets höflich und konsequent. Und während er in fast jeder Folge ein anderes Land bereiste, zweifelte er nie an seiner rechtzeitigen Rückkehr in seine Heimat.

Heimat, das war für Mister Fog London, der Ort, in dem er vor und nach seiner Weltumrundung lebte. Und vermutlich würde sich Fog heutzutage, fast 150 Jahre nach seinem Abenteuer, wundern. Da suchen Menschen wie ich etwas, das für ihn selbstverständlich war: Heimat.

Doch wer oder was ist das eigentlich, Heimat? Und was bleibt davon, wenn das Land, in dem man geboren wurde, gar nicht mehr existiert? Ich kam 1982 in Wismar auf die Welt. Zu spät, um bewusst mitzuerleben, was vor der Revolution in der DDR geschah. Und zu früh, um das geeinte Deutschland als Heimatland benennen zu können.

Nun, knapp 30 Jahre nach Gründung Mecklenburg-Vorpommerns und knapp 20 Jahre nach meinem Fortgehen aus diesem MV, breche ich auf, um etwas mir fremd Gewordenes neu zu entdecken. Mein „Heimat“-Bundesland ist zwar immer noch die am dünnsten besiedelte Region Deutschlands. Nirgends gibt es mehr Platz pro Kopf als da, wo ich zur Schule gegangen bin. Doch ich vermute, dass sich seit der Jahrtausendwende eine Menge verändert hat.

Als ich damals ging, wollte ich nur weg, weit weit weg von dieser mir wenig bedeutenden Gegend mit dem komplizierten Doppelnamen. Wie viele meiner Generation verabschiedete ich mich nach der Schulzeit und kam nur noch sehr selten aus Lübeck oder Hamburg, München oder Berlin, Vaasa oder Odessa zurück. Und wenn doch, dann für kurze Besuche.

Aber warum bin ich damals überhaupt abgehauen? War es eine Flucht vor Familie und Provinz? Oder ein Aufbruch? War ich jemals wirklich glücklich dort, wohin ich nun wieder will: in Schwerin, Rostock, Wismar, Groß Eichsen oder Gadebusch? Und wie werden alte Bekannte, Verwandte, Mecklenburger und Pommern reagieren, wenn einer plötzlich einfach wieder da ist?

Ich weiß es nicht und packe deshalb T-Shirts, Socken, Hosen, Musik und Bücher über Mecklenburg-Vorpommern in meinen Koffer. Als Reporter habe ich Südafrika, Georgien, Russland, England, Vietnam und die Ukraine bereist. Jede Recherche war ein Abenteuer. Doch die Neugier, die sich nun mit Unsicherheit in meinem Bauch mischt, ist neu.

Zuhause – schönes Wort, klare Bedeutung – trinke ich einen letzten Kaffee, klappe meinen Laptop zu und steige in meinen VW-Bus. Wir fahren raus aus Berlin, auf die Autobahn nach Norden. Vor uns liegen 80 Tage Mecklenburg-Vorpommern.

#heimatsuche

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