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»Sie hätten ja auch duschen gehen können. Das hätten Sie wirklich, duschen gehen können.«

Der Mann schüttelte den Kopf als verstünde er die Welt nicht mehr. Merkwürdigerweise kam er Pepe bekannt vor. Ob es an der Ähnlichkeit zur Fischstäbchen-Werbefigur Käpt‘n Iglu lag? Der weiße Vollbart verdeckt das gesamte Gesicht. Und da sie nun außer Reichweite der Licht spendenden Steglaterne waren, konnte Pepe weitere Einzelheiten nicht richtig erkennen.

»Die Nase sieht schlimm aus. Wirklich schlimm sieht die Nase aus. Das muss sich Isa anschauen.«

Wieso wiederholte er denn alles, was er sagte?

»Das ist nicht nötig«, winkte Pepe ab. »Ich gehe lieber zu meinem eigenen Wohnwagen.«

»Bestimmt nicht. Ganz bestimmt nicht.«

Vom Bootssteg waren es nur knapp einhundert Meter bis zum Zeltplatz. Als sie aus dem Wald auf den freien Platz traten, wurden sie bereits erwartet.

»Mann, war das ein Kampf! Wie der mit dem Messer auf dich los ist! Wie im Fernsehen. Ich dachte echt, es wäre aus mit dir, als du in das Boot geknallt bist. Exitus, Ende und vorbei. Gut, dass Onkel H da war und dem Kerl eins mit dem Paddel übergezogen hat. Mama wartet auf euch. Sie hat den Sanikasten ausgepackt.«

Mark hüpfte aufgeregt vor ihnen auf und ab und hörte gar nicht mehr auf zu plappern.

»Ist schon gut«, unterbrach ihn Pepe. »Ich komme zurecht.«

»Ach was«, widersprach der Kleine und griff sich Pepes Hand. »Das sind wir dir schuldig, meint sie. Du hast uns gerettet. Manchmal ist Mama nämlich nicht sie selbst, weißt du? Ab und an übernimmt ihre böse Tante das Kommando, sagt sie immer. Ich weiß nicht genau, was das bedeutet. Aber sie ist dann oft sehr gemein, auch zu mir. Und zu Onkel H. Irgendwann geht das vorbei und hinterher kann sie sich nicht mehr daran erinnern.«

Obwohl sich Pepe wehren wollte, ließ er sich von Mark zu einem einsam stehenden Wohnwagengespann hinüberziehen. Als Zugfahrzeug diente ein olivgrüner Bulli T2, der in vielen Bundeswehreinheiten noch immer treu seinen Dienst verrichtete. Hintendran hing ein Campingwagen, der rein äußerlich in keinem besseren Zustand als Pepes aktuelle Behausung war. Allerdings war der Außenbereich sehr heimelig eingerichtet. Vor dem Gespann stand ein kleines Zelt, daneben ein Campingtisch, wie Pepe ihn von den Zelturlauben mit seinen Eltern kannte. Um ihn herum drei gemütliche Stühle. Das Ganze war mit einem großen Sonnensegel überspannt, unter der eine gasbetriebene Laterne brannte. Neben dem Eingang zum Wohnwagen war eine kleine, praktisch eingerichtete Küchenzeile aufgebaut. Es gab sogar einen Blumenkasten mit verschiedenen Kräutern darin. Das Ensemble komplettierte ein winziges Igluzelt.

»Cool, was? Hier wohnen wir. Onkel H in dem Bus, Mama und ich im Anhänger. Aber ich darf oft im Zelt schlafen. Da ist sie ja. Und guck, sie hat den Verbandskasten in der Hand.

Schau, Mama, das ist der Paco. Total nass ist der. Mann, war das eine Klopperei. Wie im Fernsehen!«

Um seine Worte zu unterstreichen, sprang und schlug Mark durch die Luft wie ein zweiter Bruce Lee. Isabella sah nun wieder wie am Nachmittag aus. Der Zopf und die Grübchen waren zurück, der Furcht einflößende Gesichtsausdruck verschwunden.

»Ist ja gut, Mark. Jetzt bring den Paco mal her«, empfing sie die Dreiergruppe. Auch ihre Ausdrucksweise hatte sich verändert. Sie fluchte nicht mehr wie ein angetrunkener Bierkutscher.

»Das ist absolut nicht nötig«, blockte Pepe ab und wollte sich gleich umdrehen.

»Doch ist es. Doch ist es wirklich«, fiel ihm jetzt Onkel H in den Rücken und schob ihn auf Isa zu. »Sie wird sich gut um Sie kümmern, das wird sie wirklich. Ich geh ins Bett. Gute Nacht, wirklich, Gute Nacht!«

Damit kletterte Käpt‘n Iglu in seinen Bus und zog die Tür hinter sich zu.

»Du bist ja ganz nass! Du musst sofort aus den Klamotten raus. Oh, und die Nase und das Ohr! Warte, ich helfe dir!«

Isa stellte aufgeregt den Erste-Hilfe-Kasten auf den Tisch und zog Pepe näher an die Laterne.

»Die Nase ist gebrochen!«, stellte sie ernst fest und betastete die Verletzung vorsichtig.

Pepe zuckte zusammen und verbiss sich einen Schmerzensschrei. Warum mussten Frauen immer mit ihren Fingern gucken?

»Wir sollten einen Krankenwagen rufen.«

»Nein!«, entgegnete Pepe schroff.

»Oder wenigstens die Polizei.«

»Erst recht nicht«, wehrte Pepe ab, hielt dann aber inne.

Eigentlich hatte Isa recht. Sie war schließlich angegriffen worden. Und wenn sie die Behörden einschalten wollte, durfte er sie nicht davon abhalten.

»Möchtest du Anzeige erstatten?«, fragte er deswegen sanfter.

»Nein!«, erwiderte Isa genauso hastig wie Pepe eben.

»Wir wollen keine Bullen«, belehrte ihn Mark, als wäre es das Selbstverständlichste der Welt.

»Gut«, antwortete Pepe.

»Gut«, bestätigte Isa. »Setz dich!«

Ihr Tonfall duldete keinen Widerspruch. Also gehorchte Pepe.

»Mark, gib mir mal die Watte und das Jod.«

Anscheinend hatten die beiden des Öfteren auf dem Medizinsektor zusammengearbeitet. Routiniert öffnete der Kleine den Verbandskasten und suchte das Gewünschte heraus.

»Ich denke, die Nase können wir mit zwei Hälften eines Zungenspatels und einem groben Heftpflaster stabilisieren. Das Ohr sieht im Grunde schlimmer aus, als es ist. Muss wohl nicht genäht werden.«

»Bist du Ärztin?«

»Nein. Ich habe allerdings viel Zeit in Krankenhäusern verbracht. Aber nun genug gequatscht. Raus aus den Klamotten!«

»Das geht schon«, entgegnete Pepe schnell, obwohl er tatsächlich fror. Ein Bad in voller Montur zu nehmen, stellte sich jetzt als blöde Idee heraus.

Doch Isa machte sich längst an seinem Gürtel zu schaffen.

»Mark, hol dem Paco mal ein großes Handtuch. Das mit der Sonnenblume drauf«, wies sie ihren Sohn an, packte Hosen- und Boxer-Shortbund gemeinsam und legte Pepe mit einem kräftigen Ruck untenrum frei.

»Ja, Mama!« Mark flitzte davon.

»Schaffst du die Schuhe allein?«

»Was?«

Pepe konnte sich im Moment nicht wirklich konzentrieren, da ihm Isa wie bei einem kleinen Jungen das zerschnittene T-Shirt über den Kopf zog. Sie hielt es gegen das Licht der Laterne und betrachtete den langen Schlitz.

»War wohl sehr scharf das Messer, was?«, fragte sie.

»War es«, bestätigte Pepe.

»Die Haut ist nur leicht geritzt worden«, stellte Isa fest und fuhr mit ihrem Zeigefinger zart die rote Schramme ab, die sich quer über Pepes Oberkörper zog.

Der schluckte und trat sich seine Schuhe von den Füßen.

»Na also, geht doch«, freute sich Isa und befreite Pepe von Hose und Unterhose, die bereits um seine Knöchel hingen.

»Hier, Mama!«

Mark reichte Isa das Handtuch und sie fing gleich an, Pepe trocken zu reiben. Erst den Oberkörper, anschließend den Rücken.

»Die Rückseite sieht auch nicht besonders gut aus«, stellte sie fest, was sie allerdings nicht davon abhielt, kräftig darüber zu reiben. Als sie tiefer ging, griff Pepe nach ihren Händen.

»Danke, den Rest schaff ich allein.«

»Gut, dann beeil dich und setz dich hin, damit ich nach der Nase und dem Ohr sehen kann.«

Pepe tat wie ihm befohlen, wischte sich halbherzig trocken, wickelte sich das Handtuch um die Hüfte und nahm wieder Platz. Tatsächlich fühlte er sich schon etwas besser.

»So, nun den Kopf zurück«, ordnete Isa als Nächstes an und begann, Pepes Verletzungen zu säubern.

Mark schaute mit großen Augen zu, lief von einer auf die andere Seite, stellte sich auf Zehenspitzen, um ja nichts zu verpassen.

»Leider habe ich keine Schmerztabletten mehr«, sagte Isa, als Pepe zusammenzuckte, da das Jod im offenen Schnitt an seinem Ohr brannte.

»Macht nichts«, antwortete er durch zusammengebissene Zähne. »Die schlagen bei mir eh nicht so gut an.«

»Ich habe deine vielen Narben gesehen. Was bist du, Stuntman, oder was?«

»So etwas Ähnliches«, wich Pepe aus.

»Ich habe im Anmeldebuch nachgesehen«, korrigierte Mark. »Er ist Soldat.«

»Was?«, stutzte Pepe.

Er hielt Isas Hand fest und richtete sich in seinem Stuhl auf, um den Kleinen besser sehen zu können. Nach dem Beruf war in dem Formular überhaupt nicht gefragt worden.

»Kannst du denn schon lesen?«

»Klar, ich bin fast acht.«

»Und warum bist du dann nicht in der Schule?«

»Weil es Nacht ist, da haben die zu.«

»Nein, ich meine generell. Nicht jetzt. Warum gehst du nicht zur Schule?«

»Geh ich doch. In Malchow. In die Goetheschule.«

»Und ihr wohnt hier auf dem Zeltplatz? Die ganze Zeit? Macht keinen Urlaub?«

»Klar.«

Isa drückte Pepe wieder zurück und zerbrach einen Zungenspatel, um eine provisorische Schiene an die gebrochene Nase zu legen.

»Warum denkst du, dass ich Soldat bin?«, fragte Pepe und es klang ein wenig nach Kermit, dem Frosch, da Isa ihm die Nasenflügel zudrückte.

»Weil du die Stauffenbergstraße 18 in Berlin als deine Adresse angegeben hast.«

»Und?«

»Dort ist das Verteidigungsministerium und kein Wohnhaus weit und breit.«

Verdammter kleiner Schlaumeier. Der könnte glatt mit der neunmalklugen Angelika Holm, Beates Nichte, verwandt sein. Schnell verdrängte Pepe den Gedanken an die Eisenacher Kommissarin. Dem Problem würde er sich später widmen – widmen müssen. Ihr letztes Aufeinandertreffen hatte ein beachtliches Gefühlschaos in ihm hinterlassen. Jetzt war es wohl besser, selbst in die Offensive zu gehen.

»Was ist denn mit Onkel H?«, fragte er, um dem Gespräch eine andere Richtung zu geben.

»Was soll denn mit Onkel H sein?«, stellte Mark die Gegenfrage.

»Ist er, ich meine, gehört er, besser gesagt, deine Mutter und er ...«

»Ob er ihr Stecher ist? Nein. Wir sind gute Freunde. Sie haben sich in einer Einrichtung kennengelernt und sind zusammen von dort abgereist.«

»Einer Einrichtung?«

»Mark, ab ins Bett!«, fuhr Isabella dazwischen.

Grob drückte sie ein Pflaster auf Pepes Ohr, sodass der einen Schmerzensschrei nur knapp unterdrücken konnte.

»Mann, Mama!«, schmollte Mark und lehnte sich mit seinem Oberkörper auf den wackligen Campingtisch.

»Nichts Mann, Mama. Ab ins Bett. Aber vorher bringst du uns noch bitte Harrys Medizin und zwei Gläser.«

Erst sah es so aus, als wollte Mark weiter protestieren, am Ende gehorchte er doch. Er lief zum Wohnwagen hinüber und kam mit einer großen Glasflasche ohne Etikett und zwei Zahnputzbechern zurück. Dann trottete er mit hängenden Schultern zu dem Igluzelt und krabbelte hinein.

»Er ist ein guter Junge«, merkte Isa an und goss die Becher randvoll.

Sie drückte Pepe einen in die Hand, zog einen Campingstuhl neben Pepe, setzte sich ebenfalls und prostete ihm zu. Pepe stieß mit ihr an und nahm einen ordentlichen Schluck. Das Zeug brannte wie Feuer und lief wie Batteriesäure seine Kehle hinunter. Er konnte sogar spüren, wie die Flüssigkeit im Magen ankam und sich großflächig verteilte.

»Was ist das?«, fragte er nach Luft japsend.

»Keine Ahnung.« Isa leerte ihren Becher in einem Zug, als wäre es Leitungswasser. »Aber wo die Flasche herkommt, gibt es noch mehr.«

»Und, bist du einer?«, hakte Isa nach und goss nach.

»Was für einer?«

»Na ein Soldat.«

»Ja.«

»Und du machst hier Ferien?«

»So ungefähr.«

»Läufst du vor etwas weg?«, fragte Isa als Nächstes und Pepe wurde das Gefühl nicht los, dass sie anfügen wollte: »So wie ich?«

Er antwortete nicht, schloss die Augen und sank tiefer in den Campingstuhl. Harrys Medizin hatte es echt in sich. Ihm wurde bereits schummrig, er war kurz davor, einzudösen.

»Lass uns zum See gehen!«, rief Isa plötzlich und sprang auf.

»Was?« Pepe schrak hoch.

»Zum See!«, wiederholte sie, griff sich Pepes Hand und zerrte ihn hoch.

In der Mitte des Zeltplatzes gab es eine vom Uferbewuchs befreite Badestelle mit mehreren Sitzbänken. Isabella zog Pepe wie ein unartiges Kind hinter sich her, die Medizinflasche in der anderen Hand haltend. Pepe hatte Mühe, das Handtuch festzuhalten. Sie rannten an mehreren Wohnwagen vorbei und Pepe hoffte nur, dass sie nicht über eine der vielen Spannschnüre stürzen würden.

»Ist doch schön hier, oder nicht?«, fragte Isa, als sie eng nebeneinander auf einer der Bänke saßen. »Und schau nur, die vielen Sterne!«

Pepe legte den Kopf in den Nacken und musste ihr recht geben. Einen so klaren Himmel mit einem unendlich scheinenden Sternenteppich hatte er seit Afghanistan nicht mehr gesehen.

»Oh, schau mal! Eine Sternschnuppe!«

»Das ist ein Flugzeug.«

»Gar nicht. Ist viel zu tief«, entgegnete Isa enttäuscht und nahm einen tiefen Schluck aus der Flasche.

»Dann eben ein Hubschrauber.«

»Du bist echt ein Romantiker. Hier, trink was!«, polterte sie und rammte Pepe die Flasche in die Seite.

Der seufzte und ließ die Medizin in seine Kehle rinnen. Beim zweiten Mal schmeckte das Zeug nicht mehr ganz so garstig.

»Und jetzt gehen wir schwimmen!«

»Was?«

Pepe dachte, sich verhört zu haben. Doch Isa fing bereits an, sich auszuziehen. Erst die Flip-Flops. Danach zog sie sich ihre Bluse über den Kopf und ließ den BH-Verschluss aufschnappen. Als Frau musste man ganz schön gelenkig sein. Dass Isabella das war, bewies sie, als sie ihre Shorts mit durchgestreckten Beinen nach unten schob und Pepe dabei fast ihren Hintern ins Gesicht rammte. Natürlich war der String zum Schwimmen zu viel Stoff und so flog er auf den Sachenhaufen.

»Kommst du?«, fragte sie, als sie fertig war und stemmte ihre Hände in die Hüften, wobei ihre Brüste auffordernd auf und ab hüpften.

»Ich weiß nicht.« Pepe war unentschlossen.

»Pft!« Isa zuckte die Schultern und rannte los.

Pepe schaute sich um. In den umstehenden Wohnmobilen und Campingwagen brannte kein Licht. Trotzdem konnte hinter jedem Fenster ein Gaffer stehen und mit offenem Mund Isas Körper bestaunen. Und sehenswert war der wirklich. Wider besseres Wissen nahm Pepe einen weiteren Schluck aus der Flasche, ließ sein Handtuch fallen und lief Isa hinterher.

Das Wasser war kalt und ganz und gar nicht Pepes Element. Als Fertigkeitsnachweis im Bereich der Grundfitness sollte jeder Soldat einmal im Jahr zweihundert Meter in sieben Minuten schwimmen. Pepe war jedes Mal froh, wenn es vorbei war. Zum Glück reichte ihm im Moment das Wasser des Sees nur bis zum Knöchel. Seine Zehen gruben sich tief in den schleimigen Schlick, der den Uferbereich bedeckte.

»Ist das herrlich!«, rief ihm Isa zu.

Sie war bereits so weit hinausgeschwommen, dass Pepe sie im Dunkeln kaum erkennen konnte.

»Ja, super«, grummelte er und wagte sich bis auf Knietiefe vor.

An seinen letzten Wasserkontakt dachte er nur ungern zurück. Damals wäre er im Jadebusen beinahe draufgegangen.

»Noch zwei Schritte, damit der kleine Paco wenigstens nass wird«, lachte Isa und tauchte unter.

»So klein ist der gar nicht«, dachte Pepe, sah an sich herunter und dann wieder hoch.

Wo blieb sie nur? Konnte sie tatsächlich so lange die Luft anhalten? Die Badebucht war keine fünfzig Meter breit und wurde rechts und links von weit in den See reichenden Schilffeldern begrenzt. War sie dort hineingeschwommen und versteckte sich darin? Wenn es bloß nicht so dunkel gewesen wäre. Das mondlose Sternenlicht reichte allenfalls, um Konturen zu erkennen. Was? War da etwas um seine Beine geschwommen? Pepe machte langsam einen Schritt seitwärts und zuckte unwillkürlich zusammen, als etwas seine Wade streifte. Ein Fisch?

»Isabella!«, rief er und schnellte erschrocken herum, als es hinter ihm im Schilf raschelte.

Doch statt einer nackten Frau kam ein Schwan aus dem Dickicht und schaute Pepe mindestens ebenso vorwurfsvoll an wie die Ameise aus seinem Wohnwagen. Lautlos schwebte das Tier mit hochgeregtem Hals an ihm vorbei. Überhaupt war es gespenstisch still. Nur das leise Plätschern der Wellen, die sich am Ufer brachen, war zu hören.

»Isa!«, rief Pepe erneut, dieses Mal leiser, fast flüsternd.

Dabei ging er tiefer in den See hinein und schrak zusammen, als der kleine Paco in das kalte Nass eintauchte. Nicht nur deswegen bekam er eine Gänsehaut. Was sollte er nur Mark und Onkel Harry sagen? Sorry, Kleiner, aber wir waren nackig schwimmen und ich habe deine Mama verloren? Sie ist ertrunken.

Bestimmt. Niemand konnte so lange unter Wasser bleiben. Pepe duckte sich tief über die Seeoberfläche, starrte mit zusammengekniffenen Augen in die Dunkelheit – und wurde plötzlich umgeworfen. Er verlor den Halt und fiel klatschend auf den Rücken. Panisch mit Armen und Beinen strampelnd japste er nach Luft. Wasser drang in seine gebrochene Nase und brannte in der Ohrwunde. Jemand drückte ihn nach unten, mit seinem gesamten Körpergewicht. Ein nackter Jemand. Ein nackter Jemand mit einem weichen Körper und geschickten Händen. Prustend versuchte sich Pepe zu befreien und wieder auf die Füße zu kommen. Endlich bekam er seinen Kopf aus dem Wasser.

»So klein ist der gar nicht«, hörte er Isa lachen, bevor sie erneut abtauchte und einen weiteren Angriff auf Pepes Körpermitte startete.

Dieses Mal war er besser vorbereitet. Er fand Isas linke Hand, drehte sie mit seiner rechten auf ihren Rücken und umklammerte ihr Kinn mit links, wobei sein Unterarm auf ihren vollen Brüsten zu liegen kam.

»Wow, wo lernt man denn so was?«

»Im Rettungsschwimmkurs.«

Dass er dabei beinahe ertrunken wäre, verriet Pepe lieber nicht.

»Ja, rette mich!«, hauchte Isa und rieb ihren Po an Pepes Leiste.

»Später vielleicht. Wir sollten langsam raus aus dem Wasser«, entgegnete Pepe und ließ Isa los.

»Och, warum denn? Bist du sicher?«, sagte die und wand ihren nackten Oberkörper wie eine indische Tempeltänzerin.

Pepe schaute ihr wie hypnotisiert zu und bekam einen trockenen Mund. Er schluckte und leckte sich mit der Zunge über die Lippen.

»Na was jetzt? Willste nur gucken, oder auch anfassen?«

Wenn er nicht augenblicklich die Kurve kriegte, war es zu spät. Auf keinen Fall durfte er auf den kleinen Paco hören. Der hatte mittlerweile ein gieriges Eigenleben entwickelt.

»Es ist reichlich spät. Und kalt. Wir sollten zurückgehen«, brachte Pepe endlich heiser hervor und wich von Isa zurück, als drohte die zu explodieren. Und nicht er.

»Du Spielverderber. Weißt du, wie lange ich schon keinen kleinen Paco mehr hatte? Jedenfalls keinen ohne Batterie?«

»Nein.«

»Siehste, ich auch nicht.«

»Ein andermal.«

»Versprochen?«

»Versprochen«, antwortete Pepe.

Damit war Isa anscheinend zufrieden. Sie seufzte, nahm Pepe zum wiederholten Mal an die Hand und zog ihn zum Ufer. Dort ließ sie ihn stehen, sammelte ihre Sachen auf und verschwand ohne ein weiteres Wort. Pepe sah zu, wie sie sich in der Dunkelheit aufzulösen schien. Was für eine Frau!

Er griff sich das Handtuch und warf es sich um wie eine römische Toga. Die Flasche mit Harrys Medizin fest umklammert machte er sich schließlich, einen letzten, unsicheren Blick in Richtung Isas Wohnwagen werfend, auf den Weg zu seiner Unterkunft. Sollte er vorher noch mal am Bootssteg vorbeischauen? Was, wenn die Polen ernsthaft verletzt waren und Hilfe brauchten?

Pepe S. Fuchs - Schatzjäger

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