Читать книгу Pepe S. Fuchs - Schatzjäger - Steffen Schulze - Страница 12
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ОглавлениеDie Hauptgefreite Rossi stellte den Bundeswehr-Geländewagen auf einem kleinen, schattigen Parkplatz direkt vor der geschlossenen Schranke ab. Sie war nach dem Besuch ihrer Kameradin Johanna Bock im Bundeswehrkrankenhaus Berlin ohne Pause durchgefahren. Was in dem lauten und langsamen Fahrzeug keine wirkliche Freude gewesen war. Obwohl der Motor längst aus war, ließ das Dröhnen in ihren Ohren nur zögernd nach. Neben ihr auf dem Beifahrersitz lag das Buch, das dabei war, ihr Leben zu verändern. Nein, eigentlich hatte es das schon getan. Dabei war die Kladde nur der letzte Tropfen, der das Fass endgültig zum Überlaufen gebracht hatte. Sie hatte sich längst in Machenschaften verstrickt, über die sie früher allenfalls in Romanen gelesen hatte. Jetzt ging es nur noch darum, mit heiler Haut davonzukommen. Für Gewissensbisse war es zu spät.
Rossi schaute sich im Rückspiegel selbst in die Augen. Dass sie keine Schönheit war, wusste sie natürlich. Selbst der überaus korrekte Major Frankfurt, ihr Vorgesetzter in der Erfurter Henne-Kaserne hatte sie vor nicht allzu langer Zeit darauf hingewiesen, dass sie sich durchaus die Haare wachsen lassen durfte und nicht unbedingt ihren militärischen Kurzhaarschnitt beibehalten musste. Aber ihr gefiel es so. Duschen konnte sie in Rekordzeit, ohne langes Gefummel mit Shampoo und Conditioner. Bei ihrer körperlichen Fitness sah das etwas anders aus. Ein bis zwanzig Kilo weniger würden ihr ganz guttun.
Die Hauptgefreite atmete tief durch, setzte die olivgrüne Feldmütze auf, nahm das Buch an sich und stieg aus.
Vor dem Restaurant blieb Pepe unschlüssig stehen. Im Geiste ging er das Verhör, das die Kommissarin mit ihm geführt hatte, nochmals durch. Der große Kerl, Pawel, mit dem er auf dem Steg aneinandergeraten war, lebte nicht mehr. Er war durch einen Sturz aus großer Höhe zu Tode gekommen. Ob Isabella etwas damit zu tun hatte? Eher unwahrscheinlich. Die Gegend um Malchow war recht flach, ohne Berge oder Felsen. Auch hatte Pepe keine Türme und Masten in der Nähe gesehen, von denen man fallen und sich den Hals brechen konnte. Selbst wenn. Wie hätte Pawel zudem von dort an den Badestrand des Naturcampingplatzes kommen sollen? Huckepack auf Isas Rücken? Nie und nimmer. Und wenn Harry Zimmermann geholfen hatte? Vielleicht hatten sie den Leichnam im Campingbus transportiert. Aber warum sollten sie ihn vor ihrer eigenen Haustür abgeladen haben? So dämlich war doch keiner. Andererseits hatten sie sich ja in einer Klapsmühle kennengelernt. Wer konnte schon wissen, was in verdrehten Köpfen vorging?
Jetzt brauchte Pepe erst einmal etwas zu essen. »Ohne Mampf kein Kampf«, hatte einer seiner Ausbilder immer gesagt. Das Restaurant war aus bekannten Gründen leider geschlossen. Samulski würde sicher noch den Rest des Tages brauchen, um alle Zeugenaussagen aufzunehmen. Sollte er sich bei Isabella zu einem späten Frühstück einladen? Obwohl er den Stellplatz ihres Wohnwagens von hier nicht sehen konnte, schaute er den Weg entlang zum See hinunter und entdeckte den Grauhaarigen vom Hobby-Schlachtfeld. Er stand vor einer der Miethütten und winkte ihm zu. Automatisch hob Pepe ebenfalls seine Hand und grüßte zurück. Heute trug der Alte keine Uniform, sondern einen eleganten, zweireihigen Anzug. Sein Begleiter war ebenfalls in zivil gekleidet, mit Jackett und hellem, am Kragen offenem Hemd.
»Was macht denn der Kerl von gestern Nachmittag da, Herr Daras?«
»Keine Ahnung, Herr Professor.«
»Er hat mich gegrüßt.«
»Wahrscheinlich hat er gedacht, Sie winken ihm zu.«
»Dabei habe ich unsere Informantin hinter ihm gemeint.«
»Ein Irrtum, Herr Professor. Ein Irrtum.«
»Er soll aus dem Weg gehen. Wir können keine Zuschauer gebrauchen.«
»Dann sollten Sie vielleicht aufhören, ihn so intensiv anzusehen.«
Das Buch wie ein Pfarrer seine Bibel haltend schritt Rossi auf den Eingang des Campingplatzes zu. Sie war etwas zu früh dran. Hoffentlich war die Kontaktperson schon da. Je schneller sie wieder von hier verschwinden konnte, desto besser. Major Frankfurt, ihr Vorgesetzter bei den Erfurter Feldjägern, der Militärpolizei der Bundeswehr, hatte sie merkwürdig angesehen, als sie ihn gebeten hatte, die Obergefreite Bock in Berlin besuchen zu dürfen. Letztendlich hatte er ihr aber grünes Licht und den heutigen Tag frei gegeben. Wenn sie bis zum späten Nachmittag zurück in der Kaserne sein wollte, durfte sie hier nicht allzu viel Zeit vertrödeln.
Da! Ihr winkte jemand zu. Rossi hatte sich die Beschreibung ihres Kontaktmannes gut eingeprägt. Ein großer, schlaksiger Herr mit weißen Haaren, der Professor genannt wurde. Das musste er sein.
Da der Grauhaarige angeregt mit seinem Begleiter redete und letztendlich an Pepe vorbeischaute, nahm der seine Hand herunter, drehte sich um und konnte nicht glauben, wen er sah.
»Rossi!«, entfuhr es ihm.
»Herr Oberfeldwebel«, antwortete die Hauptgefreite ebenso verdattert.
»Was machen Sie denn hier?«, fragten beide im Chor.
»Urlaub«, reagierte Pepe rasch.
»Was ist mit Ihrer Nase passiert?«, wollte Rossi als Nächstes wissen.
»Die ist gebrochen.«
»Wie?«
»Durch eine Fraktur der beiden Nasenbeine, vermute ich.«
»Wir dachten, Sie sind tot«, entgegnete Rossi nach einer kurzen Pause und musterte Pepe von oben bis unten, als ob sie sichergehen wollte, dass sie keinen Geist vor sich hatte.
»Es war knapp«, erwiderte Pepe.
»Und warum haben Sie sich nicht gemeldet? Der Alte dreht fast durch, wegen des ganzen Papierkrams. Obwohl das meiste ja wie immer an mir hängen bleibt.«
Dass Major Frankfurt sauer war, konnte sich Pepe lebhaft vorstellen.
»Es hat sich bisher nicht ergeben«, druckste Pepe herum.
»Es hat sich nicht ergeben? Sie gelten als eigenmächtig abwesend, Herr Oberfeldwebel! Das ist keine Kleinigkeit, wie ich Ihnen ja wohl nicht zu sagen brauche. Oder muss ich Sie an Paragraf 15 Absatz 1 des Wehrstrafgesetzes erinnern?«
»Das gibt es doch nicht. Was soll denn das? Sie spricht mit dem kleinen Mann. Herr Daras, unternehmen Sie etwas!«
»Was denn, Herr Professor?«
»Gehen Sie hin und zerren Sie die Frau da weg! Wir können das jetzt ganz und gar nicht gebrauchen! Nicht, dass sie ihm das Buch noch überlässt!«
»Meinen Sie wirklich, dass wir Aufmerksamkeit erregen sollten, wo es hier nur so vor Polizisten wimmelt?«
Der Professor hielt inne. Die Soldatin und der Mann unterhielten sich weiterhin angeregt.
»Was machen sie denn jetzt, Herr Daras?«
»Sie gehen.«
»Das sehe ich selbst. Aber wohin denn?«
»Ich weiß es nicht, Herr Professor.«
»Wofür bezahle ich Sie überhaupt? Oh nein, sie steigen in das Auto der Frau. Wir müssen ihnen folgen. Fahren Sie den Wagen vor, Herr Daras!«
Pepe entging nicht, dass Rossi ständig zu dem Grauhaarigen hinüberschielte. Außerdem hatte sie ihm bislang nicht verraten, was sie nach Malchow verschlagen hatte. Zufall konnte das nicht sein. Erst bestellte ihn Oberbootsmann Schulze vom militärischen Geheimdienst in die mecklenburgische Provinz, dann traf er auf Hobby-Soldaten in SS-Uniformen und zu guter Letzt schlug die Geschäftszimmerdame aus der Erfurter Kaserne hier auf.
»Hauptgefreite Rossi, wir essen zusammen zu Mittag. Jetzt! Aufsitzen und abrücken!«
»Jawohl, Herr Oberfeldwebel!«, antwortete Rossi zackig und ließ möglichst unauffällig ein in Leder gebundenes Buch in der Beintasche ihrer Uniformhose verschwinden.
»Sie haben keine Schuhe an.«
»Stimmt. Sagen Sie es nicht weiter«, entgegnete Pepe und lief zu dem Militärfahrzeug hinüber.
Rossi warf einen letzten Blick zurück zu ihrer Kontaktperson, bevor sie ihm folgte.
Obwohl der Wagen schattig parkte, war es im Inneren heiß und stickig. Natürlich hatte der Geländewagen keine Klimaanlage. Pepe kurbelte die Scheibe herunter.
»Da Ihnen der Alte ein Fahrzeug gegeben hat, sind Sie wohl in offizieller Mission hier«, mutmaßte er und musterte die Hauptgefreite von der Seite.
Die erwiderte seinen Blick nicht, sondern wendete konzentriert und fuhr den schmalen, holprigen Weg vor zur Bundesstraße.
»Wir fahren nach Malchow rein«, bestimmte Pepe, als Rossi nicht auf seine Vermutung reagierte. »Im Insulaner soll es gutes Essen geben.«
»Jawohl, Herr Oberfeldwebel!«
»Jetzt hören Sie doch mal mit diesem Quatsch auf und erzählen mir, was los ist!«, ereiferte sich Pepe.
Rossi hielt sich krampfhaft am Lenkrad fest und starrte stur geradeaus. War das ein Zeichen, ein Wink des Schicksals? Wollte ihr eine höhere Macht mitteilen, dass sie hier und jetzt die Möglichkeit hatte, das Richtige zu tun? Sie konnte Oberfeldwebel Fuchs noch nie ausstehen. Nicht erst, seitdem er sie als lebendes Hindernis bei der Motorradausbildung benutzt hatte. Als Slalomhütchen sozusagen. Wobei sie zugeben musste, dass sie eher ein Hut, als ein Hütchen war. Aber auf eines konnte man sich bei Pepe S. Fuchs hundertprozentig verlassen: Wenn man in Schwierigkeiten war, half er einem aus der Patsche. Ohne Rücksicht auf Verluste. Nur durfte die Notlage nicht gegen seinen Gerechtigkeitssinn oder seine Vaterlandsliebe verstoßen. Und für beides konnte Rossi in ihrer Lage im Moment die Hand nicht ins Feuer legen.
»Was hat das mit dem Buch auf sich?«, unterbrach Pepe ihre Gedankengänge.
»Was meinen Sie?«
»Hauptgefreite Rossi, verscheißern Sie mich nicht! Sie sind nach Malchow gekommen, um das Buch, das jetzt in Ihrer Tasche steckt, dem grauhaarigen Schlaks zu übergeben, der in seiner Freizeit Krieg spielen lässt. Liege ich damit richtig?«
Verdammt!
»Das darf ich nicht sagen. Ist eine Geheimoperation«, antwortete Rossi zögernd.
»Hauptgefreite, nur weil ich keine Schuhe trage, bin ich noch lange nicht auf der Wurstsuppe hergeschwommen! Raus mit der Sprache!«
Die hielt ihn echt für blöd. Geheimoperation! Nie im Leben! Rossi hatte das Geschäftszimmer der Feldjäger-Einheit in Erfurt unter sich. Sie erledigte den Schreibkram, war die Sekretärin des Chefs. Nie und nimmer würde Major Frankfurt sie mit einer geheimen Dienstsache beauftragen. Das bedeutete, die Hauptgefreite war auf eigene Rechnung unterwegs! Nur warum dann in einem Bundeswehr-Geländewagen? Also gab es doch eine dienstliche Komponente!
»Wissen Sie, die Beate Jäger aus Eisenach, die hat jeden Tag bei mir angerufen und gefragt, ob Sie sich gemeldet haben. Bis vor einer Woche jedenfalls. Und plötzlich nicht mehr. Die hat sich echt Sorgen um Sie gemacht. Und wir auch!«
»Jetzt lenken Sie nicht ab! Her mit dem Buch!«, befahl Pepe und griff nach Rossis Bein.
»Nein!«, schrie die und schlug überraschend schnell und kräftig auf Pepes Finger.
Erschrocken zog der seine Hand zurück.
»Lassen Sie uns beim Essen darüber reden«, wehrte Rossi mit leiser, aber fester Stimme ab.
Mittlerweile hatten sie Malchow erreicht und fuhren über die Drehbrücke auf den Inselteil der Stadt. Gerade rechtzeitig. Der Brückenwärter ließ direkt hinter ihnen die Schranke herunter.
»Was soll denn das?«, fluchte Kusch. »Herr Daras, bitte sorgen Sie dafür, dass der Mann uns durchlässt.«
»Ich glaube nicht, dass er auf mich hören wird, Herr Professor. Sehen Sie, die Brücke beginnt sich schon zu drehen.«
»Wie, zu drehen?«
»Die Brücke wird geschwenkt, damit Boote auf die andere Seite können.«
»Dann fahren Sie eben außen rum, Herr Daras. Muss ich Ihnen denn alles sagen? Wir brauchen das Buch!«
»Außen rum? Das sind mindestens zehn Kilometer. Wir müssten über die Autobahn.«
»Na und? Fahren Sie!«
»Sehr wohl, Herr Professor.«
Mit den Worten legte Daras den Rückwärtsgang ein und wendete den Kübelwagen unter wütendem Gehupe der geduldig hinter ihnen wartenden Fahrer.
Kusch zog derweil sein Handy aus der Tasche und wählte Gorzkas Nummer. Beim ersten Klingeln nahm der ab.
»Kusch hier«, begann der Professor das Gespräch. »Wir brauchen Unterstützung. Schicken Sie Pawel und seine Leute nach Malchow!«
»Pawel ist indisponiert.«
»Was hat er denn?«
»Ist aus dem Hubschrauber gefallen.«
»Oh. Und der Rest?«
»Ich schicke Ali und Dimitri.«
»Gut. Sie sollen sich beeilen.«
»Wohin sollen sie kommen?«
»Herr Daras, wo wollen wir uns mit Ali und Dimitri treffen?«
»Auf dem Damm an der südöstlichen Seite der Stadtinsel gibt es einen Parkplatz. Wir warten dort auf sie.«
Der Professor gab die Information weiter und legte auf.
»Wenn die beiden weitergefahren sind, haben wir sie verloren«, gab Daras zu bedenken.
»Ach was. Die kehren auf der Insel ein«, widersprach der Professor. »Warum sollten sie sonst hergekommen sein? Schließlich sind sie an der Autobahn, dem schnellsten Weg von hier weg, vorbeigefahren.«
Rossi stellte den Geländewagen unweit der Brücke im Halteverbot ab. Ein Bundeswehrfahrzeug mit Blaulicht auf dem Dach würde schon niemand abschleppen. Sie liefen nebeneinander die Hauptstraße entlang in Richtung Brücke. Für Außenstehende mussten sie ein merkwürdiges Pärchen abgeben. Auf der einen Seite Rossi, die etwas füllige Soldatin mit militärischem Kurzhaarschnitt, auf der anderen Pepe, kaum größer als die Hauptgefreite, barfuß mit getapter Nase und verbundenem Ohr.
Sie hatten Glück. Auf der Terrasse des Insulaners war noch ein Tisch mit Blick auf den Kanal frei, durch den sich ein unablässiger Strom gemieteter Hausboote schob. Eine leichte Brise brachte etwas Abkühlung an einem sonst sehr heißen Tag. Das aufgeheizte Pflaster war eine Qual für Pepes Fußsohlen. Jetzt, im Schatten eines großen Sonnenschirmes, war es jedoch auszuhalten. Rossi hatte ihm gegenüber Platz genommen und versteckte sich hinter der Speisekarte. Das erinnerte ihn daran, wie hungrig er tatsächlich war.
»Was essen Sie?«, fragte er und griff ebenfalls zur Menükarte.
»Salat«, antwortete die Hauptgefreite kurz angebunden.
»Ich denke, ich fange mit der Soljanka an. Und als Hauptgang Kotelett vom Thüringer Duroc. Das klingt interessant. Das Fleisch des Duroc Schweins hat einen hohen Eisenanteil, ist fein marmoriert und bleibt durch den geringen Bratverlust schön zart und saftig – ein aromatischer und edler Genuss«, las Pepe laut vor.
»Gute Wahl. Und zu trinken?«
Pepe und Rossi zuckten synchron zusammen. Sie hatten den Kellner nicht kommen hören.
»Für mich ein großes Pils«, bestellte Pepe mit übertriebener Fröhlichkeit.
»Ich nehme ein Wasser«, sagte Rossi knapp.
»Kommt sofort.«
»So, und jetzt raus mit der Sprache!«, verlangte Pepe, als der Ober außer Hörweite war. Dabei nahm er Rossi die Speisekarte weg.
Die begann nun an einem breiten Lederarmband herumzufingern und vermied jeglichen Augenkontakt.
»Hauptgefreite, was führt Sie hierher nach Malchow?«
»Ich war in Berlin«, brachte Rossi stockend heraus.
»Und?«
»Bei Johanna Bock.«
Das hatte Pepe jetzt nicht erwartet. Johanna Bock. Die Suche nach der jungen Obergefreiten hatte ihm vor nicht allzu langer Zeit einiges abverlangt. Außerdem hatten sie sich auch im biblischen Sinne kennengelernt. Seit sie wieder aufgetaucht war, hatten sie allerdings kein Wort miteinander wechseln können. Der Militärische Abschirmdienst hatte den Fall übernommen und Johanna abgeschirmt, ihr jeden Kontakt zur Außenwelt untersagt. Pepe hatte nicht einmal erfahren, wo sie sie hingebracht hatten.
»Sie ist überfallen worden. Im Krankenhaus«, fuhr Rossi fort. »Zum Glück ist sie schon so weit bei Kräften, dass sie die Angreifer in die Flucht schlagen konnte. Sie vermutet, dass es die Eindringlinge auf das Buch abgesehen hatten.«
Um ihre Aussage zu unterstreichen, klopfte sich die Hauptgefreite auf ihre Beintasche.
»Sie hat versucht, Sie zu erreichen.«
»Mich?«, vergewisserte sich Pepe verblüfft.
»Ja, Sie. Aber Sie waren, oder besser sind, ja eigenmächtig abwesend. Ich habe Johannas Anruf in Erfurt entgegengenommen. Major Frankfurt hat mir schließlich gestattet, das Buch abzuholen. Wir sind nämlich gerade etwas knapp an Personal, nachdem Morgenweck gefallen ist und Sie sich ebenfalls in Luft aufgelöst hatten.«
»Warum gerade ich?«, fragte Pepe.
»Anscheinend kennt sie niemand anderen, dem sie so vertraut. Sie vermutet, einen Maulwurf in den Reihen der Bundeswehr.«
»Einen Maulwurf? Für wen?«
Unwillkürlich musste Pepe an Oberbootsmann Schulze denken. Was hatte der noch bei ihrem letzten Treffen in Wilhelmshaven gesagt? »Beweisen Sie, dass ich unschuldig bin. Finden Sie den wahren Maulwurf.«
»Wir wissen nicht für wen«, antwortete Rossi und drehte ihr Armband einmal um sich selbst.
»Was steht in dem Buch?«, wollte Pepe als Nächstes wissen.
»Ich habe keine Ahnung«, log Rossi.
»Und wie passt der Grauhaarige vom Zeltplatz hier rein?«
»Er ist ein Experte, ein Professor, der helfen soll, den Inhalt des Buches zu analysieren.«
Pepe verschränkte die Arme vor der Brust und schaute Rossi intensiv an. Die Hauptgefreite wich seinem Blick aus. Außerdem konnte sie die Finger nicht von ihrem Handgelenk lassen. Sie verheimlichte ihm irgendetwas, so viel stand fest.
»Ich möchte das Buch sehen!«, insistierte er.
»Nein!«, wehrte Rossi bestimmt ab.
In dem Augenblick kam der Kellner und brachte das Essen.
»Wo bleiben die denn, Herr Daras?«, fragte Kusch zum wiederholten Mal und sah auf seine Armbanduhr.
»Ich habe keine Ahnung, Herr Professor.«
»Typisch!«
»Sie könnten Herrn Gorzka nochmals anrufen.«
»Das könnte ich tatsächlich.« Kusch nickte, blieb aber regungslos in dem offenen Wagen sitzen.
Von ihrem Parkplatz auf dem Damm hatten sie einen wundervollen Blick über den Malchower See, der sich nahtlos an den benachbarten Fleesensee anschloss. Von dort gab es einen Kanal, von dem man den Kölpinsee erreichen konnte, wenn man das wollte. Dann war es auch bis zur Müritz nicht mehr weit. Kein Wunder, dass die vermaledeite Drehbrücke so ein Nadelöhr war. Dabei waren sie so dicht dran. Wenn ihr Informant recht hatte, barg das Buch den entscheidenden Hinweis, den letzten Fingerzeig, der ihn zum Ziel führen würde. Damit könnte er seine lebenslange Suche abschließen, vielleicht gerade noch rechtzeitig. Ein hupendes Motorboot riss den Professor aus seinen Gedanken.
»Ali und Dimitri sind da«, sagte Daras.
»Gut. Sie sollen vor zur Brücke fahren, wir nehmen die Hauptstraße. Los!«
Daras fuhr in Schrittgeschwindigkeit. Die Malchower Insel wurde von zwei Einbahnstraßen zerschnitten. Da ihre Zielpersonen nicht im Don Camillo, direkt am Damm zu finden waren, konnten sie nur in einem der Restaurants in der Nähe der Drehbrücke eingekehrt sein. Oder Daras hatte mit seiner Befürchtung recht und sie waren längst über die B192 und alle Berge entschwunden.
Die beiden Einbahnstraßen trafen kurz vor der Brücke wieder aufeinander und nur wenige Meter später entdeckte Daras den Bundeswehr-Geländewagen.
»Dort, Herr Professor!«
»Halten Sie an, Herr Daras. Halten Sie an!«, befahl Kusch voller Elan.
Dieses Mal schien das Glück auf ihrer Seite zu sein.