Читать книгу Warrior & Peace - Stella A. Tack - Страница 8
ОглавлениеZwei
Shames Schlüpfer waren mir im Augenblick egal …
Weder träumte ich noch fühlte ich irgendetwas, das außerhalb des komatösen Schlafes als Lebenszeichen anerkannt werden konnte. Wie lange ich im Bett lag und tot spielte, war unklar, dennoch schlug ich irgendwann die Augen auf. Die Magie des Doktors hatte mich weiterhin im Griff. Ich konnte sie als fahlen Geschmack auf meiner Zunge und in den Tiefen meiner Knochen spüren, die ob der Anstrengung zu ächzen begannen. Der Schlaf zerrte an mir, drückte mich nach unten. Trotzdem hielt ich die Lider mit aller Willensstärke auf und erkannte das Gesicht jener Person, die mich aufgeweckt hatte.
O saß mit ernster Miene neben mir auf der Matratze und starrte mich an. Sie war so kurz geraten, dass ihre Füße in den Cowboystiefeln dabei über den Boden baumelten. Ihre Federboa war verrutscht und ihr glänzender Schädel wirkte abgemagert. Die milchigen Augen blickten mich traurig an. Eine gefühlte Ewigkeit sahen wir uns einfach nur an. Schließlich streckte sie einen blassen Finger in meine Richtung und fing etwas auf. Eine Träne. Wann hatte ich begonnen zu weinen? Handelte es sich überhaupt um eine Träne? Die Göttin musterte sie. Der Tropfen hing wie eine Perle auf ihrer Fingerkuppe. »Es tut mir so leid, Warrior!«, flüsterte sie. Sie leckte sie ab. Ihre transparent wirkenden Lider zitterten, senkten sich hinab, während sie scharf die Luft einsog. »Ich …« Pfeifend ließ sie die angehaltene Luft wieder entweichen. Ihre Augen zuckten panisch. »Es tut mir so leid, ich habe es zu spät kommen sehen. Sonst hätte ich dich gewarnt. Ich schwöre es, natürlich hätte ich das alles verhindert, wenn ich es rechtzeitig gewusst hätte. Aber es fühlte sich an, als würde mir jemand die Sicht versperren. Jemand, der diesen Strang der Realität absichtlich vor mir zurückhalten will.« Ihre Unterlippe bebte. »Und jetzt ist es zu spät. Ich schwöre, Warrior, als ich hörte, was passiert ist, habe ich mich stundenlang in meinem Zimmer eingesperrt und nach einer Möglichkeit, einer Realität gesucht, in der Madox nicht … in der etwas anderes geschehen wäre. Aber ich befürchte, dein Bruder ist … Warrior, es tut mir so leid. Er ist tot.«
Ich schluchzte stumm. Mein Herz fühlte sich an, als wäre es in Scherben zerschlagen worden, und einer der Splitter bohrte sich in meine Lunge, einer in den Bauch, einer in das Hirn. Langsam und genüsslich. Ich weinte und O nahm meine Hand, umklammerte sie. Die Qual in meinem Inneren war so unerträglich, so erfüllt von Grauen, dass ich die Welt erneut ausschloss. Ich hörte auf zu kämpfen. Die Magie drückte mich nieder und ich fiel hinab, schlief ein weiteres Mal ein. Schwebte in Dunkelheit, bis mich ein anderer Reiz aufweckte.
Seufzend wandte ich den Kopf und linste unter meinen schweren Wimpern durch. O war verschwunden. An ihrer Stelle saß Brave auf meinem Bett und streichelte mir sanft über das Haar. Seine Lippen bewegten sich. Ich verstand kein Wort, das Rauschen in meinen Ohren war zu laut, aber es klang beruhigend. Friedlich. Schwach lächelte ich und er erwiderte es, ehe ich abermals einschlief.
So verhielt es sich immer und immer wieder. Die Magie des Doktors ließ mich nicht los. Genauso wenig wie der Schmerz, der in mir wütete. Götter betraten und verließen das Zimmer. Ich fühlte, dass Bloodclaw an meiner Seite wachte. Sein Körper spendete mir jene Wärme, die durch das Loch in meiner Seele abhandenkam. Manchmal glaubte ich, Peace neben mir zu wissen. Genau wie Bloodclaw saß er da und wachte über mich. Manchmal sang er mir etwas vor. Das machte mich glücklich, zumindest für kurze Zeit, bevor ich mich selbst in der erlösenden Dunkelheit ertränkte.
Hack redete verkrampft auf mich ein. Einmal schaffte ich es sogar, die Augen zu öffnen und ihn genervt anzusehen. Er grinste. Bei den Göttern! Er musste wirklich dringend den Frisör wechseln. Die Matte auf seinem Kopf wurde immer wilder.
Bizarre und Charming kamen ebenfalls zu Besuch. Erzählten mir, was im Tartaros passierte. Angefangen von Shames rotem Tanga, der immer zum Vorschein kam, wenn Peace an ihr vorbeiging und sie sich zufällig bückte, bis hin zu ihren Versuchen, ihn zu küssen, die kläglich scheiterten. Ich nahm an, damit wollten die beiden mich eifersüchtig machen und endlich eine Reaktion aus mir herauskitzeln. Doch Shames Schlüpfer waren mir im Augenblick genauso egal wie Bizarres Geplapper über ein paar besondere T-Shirts, die er mir besorgt hatte. Vieles erfuhr ich, aber nur wenig blieb hängen. Manchmal kam Raised vorbei, der irgendetwas über Unruhen unter den Göttern erzählte. Einige schienen unzufrieden mit Peace’ Führungsstil zu sein. Im Kerker der Hölle brodelte es. Ich dämmerte wieder weg und fühlte kurze Zeit später die kalten Hände des Docs über mich streichen.
Peace’ tiefe Stimme füllte meine Ohren. »Wird es besser?«
»Nein!«
»Wann wird es besser? Ich … Wir brauchen sie.«
»Das kann ich nicht sagen. Ihre Magie hat sich praktisch auf Reserveenergie verringert. Ihre Seele ist wie ein gebrochener Knochen, der nicht heilen will. Würde ich sie aufwecken, könnten psychische Nebenwirkungen entstehen. Sie ist labil. Sie kann im Augenblick gar nichts machen. Dein Krieg muss warten.«
Peace schwieg. Er verschwand und kam nicht wieder. Daraufhin zog ich mich tiefer in mich selbst zurück. Dachte an mein Leben vor dem Tartaros. Bevor ich zu einer Göttin geworden war. Bevor ich Peace kennengelernt hatte.
Ich ließ jedes noch so banale Erlebnis an mir vorbeiziehen. Die meisten davon kamen aus solch tiefen Winkeln meines Verstandes hervor, dass ich mich nicht einmal erinnern konnte, sie selbst erlebt zu haben. Doch egal, in welches Szenario ich hineinschaute, in beinahe jedem spielte mein Bruder eine zentrale Rolle.
Madox, wie er mich in die Arme nahm oder mir einen feuchten Fuzzi verpasste. Wie er neben mir schlief, eine Flügelspitze im Mund. Wie er vergaß, sein Hemd anzuziehen, oder sich sein erstes Tattoo stechen ließ und dabei heulte wie ein Baby. Ich glaube, ich heulte bei dieser Erinnerung ebenfalls.
Er fehlte mir so sehr. Ich hatte mir vorher schon Sorgen gemacht, als er nicht bei mir gewesen war. Immerhin hatte ich gewusst, dass er, trotz des schweren Sturzes aus dem Olymp, noch lebte. Dass es ihm gutging. Zwar ohne mich und mit einigen gebrochenen Knochen, aber zumindest in Sicherheit bei Hades, wo er mit unseren Brüdern streiten und illegale Basiliskenkämpfe veranstalten konnte. Solange ich mir dieser Sache sicher gewesen war, hatte ich beruhigt schlafen können. Doch jetzt … jetzt war ich allein. Ohne ihn.
»Warrior!« Das eindringliche Flüstern riss mich aus dem Schlaf. Hatte ich geschnarcht? Es klang beinahe danach. Wie peinlich! Ich öffnete die Augen.
O stand über mir. »Warrior!«, flüsterte sie und tätschelte mir grob die Wange, bis sie bemerkte, dass ich bei Bewusstsein war und ihr eingesunkenes Gesicht fixierte. Ihre dürren Finger vibrierten an meiner Haut. Irgendetwas stimmte mit ihren Augen nicht. Sie waren viel zu weit aufgerissen, blutrot von den feinen geplatzten Äderchen. Sie wirkte vollkommen ausgelaugt.
»Warrior, ich habe etwas gesehen«, zischte sie mir ins Ohr. »Es gäbe eine Möglichkeit für dich, Madox wiederzusehen. Ihn an deiner Seite zu haben!«, raunte sie.
Durch meine schlaffen Glieder ging der erste lebendige Ruck. Meine Augen öffneten sich weiter. Ich wollte etwas sagen, doch es kam nur heiße Luft heraus. Als wäre meine Kehle immer noch zerschnitten.
»Scht. Nicht sprechen. Es …« O zögerte. »Ich habe nach einer Lösung gesucht und etwas gefunden. Beziehungsweise hat es mich gefunden!« Das Fleisch unter ihren trockenen, spröden Lippen glänzte entzündet, als sie sich darüber leckte. »Ich habe etwas gefunden, aber der Preis dafür ist enorm. Es müssten schreckliche Dinge passieren, damit das geschehen kann. Nichts wäre mehr wie zuvor. Überleg es dir gut. Wenn du dich entschließt, ihn in Frieden ruhen zu lassen, wird dein Schmerz vergehen. Nicht jetzt, nicht in näherer Zeit, aber irgendwann. Du würdest an Peace’ Seite herrschen. Ihr würdet den Olymp stürzen. Ich habe es gesehen. Aber wenn du Madox zurückwillst, ist der Preis die Zerstörung von … vielen Dingen. Es werden Personen in dein Leben treten, denen du sonst niemals begegnet wärst. Menschen, die dich verändern werden. Die Realitäten verschieben sich. Der Zeitpunkt muss exakt abgestimmt werden. Ich muss schnell sein, aber ich könnte alles dafür in die Wege leiten. Ein neues Leben, das dich zu ihm führt. Willst du das?«
Sie verstummte. Die Stille drückte so laut wie ihre Worte auf mein Trommelfell. Ich konnte nicht denken! Alles drehte sich, ihre Stimme hallte als Echo in mir. Das Einzige, das ich wirklich verstand, war das Wichtigste: Ich könnte Madox zurückhaben. Vielleicht müsste er nicht sterben. Der Preis dafür? Unerheblich.
Ich sammelte jede Kraft, die ich aufbringen konnte, und nickte. Einmal. Aber kräftig und bestimmt.
Os Schultern bebten. Ihre Lippen verloren an Farbe. »Das dachte ich mir!«, hauchte sie. »Es tut mir leid. Jetzt noch mehr als zuvor. Du wirst Fürchterliches durchmachen. Aber du bist stark, also wirst du es schaffen. Du musst.«
Ich nickte erneut. Meine Energie verbrauchte sich. Ohne mein Zutun fielen mir die Augen zu und ich schlief ein. Eingehüllt in die Magie des Doktors, während mir Os Stimme von einem Schicksal erzählte, dass ich gerade mit einem einzigen Kopfnicken verändert hatte. Für uns alle.