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Stichwort 2: Radiocarbondatierung und Massenspektrometrie
ОглавлениеDurch kosmische Strahlung wird in der Atmosphäre kontinuierlich aus gewöhnlichem Stickstoff (14N) das radioaktive Kohlenstoffisotop 14C gebildet. Bei der Fotosynthese der Pflanzen wird 14C anschließend, genau wie die stabilen Isotope 12C und 13C, in Biomasse eingebaut. Durch Messung des 14C-Gehaltes in biologischem Material kann man daher das Alter der Probe berechnen – je geringer der Anteil von
14C am gesamten Kohlenstoff, desto älter. Man spricht deshalb von 14C-, Radiokohlenstoff- oder Radiocarbondatierung.
Abb. 5 zeigt das Prinzip an einem Beispiel: Wenn der Gehalt einer Probe an 14C auf 35 Prozent des Standardwertes gesunken ist, ergibt sich aus der Zerfallskurve ein Alter von 8600 Jahren. Das Prinzip hört sich zwar einfach an, aber wie so oft steckt der Teufel im Detail: Zum einen muss man für eine korrekte Datierung genau die Vorgeschichte der Probe und die Fundumstände kennen – schon geringe Verunreinigungen mit jüngerem (also 14C-reicherem) Material verfälschen das Ergebnis. Zum anderen ist die Intensität der kosmischen Strahlung über die Jahrtausende nur ungefähr konstant – die Rate, mit der 14C neu gebildet wird, ist nicht immer gleich, und deshalb wird auch nicht immer die gleiche Ausgangsmenge 14C in Biomasse eingebaut. In der Praxis verwendet man daher eine sorgfältig erstellte Kalibrierungskurve, um aus dem scheinbaren 14C-Alter das tatsächliche Alter der Probe zu bestimmen. Dazu kann man zum Beispiel für Vergleiche die Dendrochronologie heranziehen, bei der das Alter von Holz durch Vergleichen der Jahresringe ermittelt wird.
Angeben kann man das schließlich ermittelte Alter der Probe auf zwei Arten: Entweder als echte Jahreszahl im herkömmlichen System vor/nach Christus, oder in Jahren „vor der Gegenwart“, englisch abgekürzt BP für before present. Dabei ist zu beachten, dass diese „Gegenwart“ eine Konvention darstellt und auf das Jahr 1950 festgelegt wurde.
Abb. 5 Das Messprinzip der Radiocarbondatierung (A) und die Kalibrierung der Messwerte (B); die Kurve in B ist ein Ausschnitt der Kalibrierungskurve IntCal04 nach Reimer et al. (2004).
Abb. 5B zeigt die Datierung mithilfe der Kalibrierungskurve. Je nachdem, wie die Kalibrierungskurve in dem fraglichen Zeitraum verläuft, kann das gemessene
14C-Alter mehr oder weniger genau in ein Kalenderdatum umgerechnet werden. Ein 14C-Alter von 8600 Jahren, wie in Abb. 5A ermittelt, könnte zum Beispiel recht exakt in ein reales Alter von 9540 Jahren BP umgerechnet werden. Aus einem
14C-Alter von 7970 Jahren jedoch ergäbe sich nach der Kalibrierung ein sehr ungenau bestimmter Bereich von ungefähr 8800 bis 9000 Jahren BP. Diese Unsicherheit resultiert aus dem fast horizontalen Verlauf der Kalibrierungskurve in diesem Abschnitt. (Ein annähernd horizontaler Verlauf der Kalibrierungskurve auch in der Zeit von ca. 750 – 400 v. Chr. bedeutet, dass die 14C-Datierung für manche wichtige Epochen, wie die Griechische Klassik oder die Frühzeit Roms, praktisch unbrauchbar ist.)
Da 14C radioaktiv strahlt, wurde früher bei der Radiocarbondatierung tatsächlich die Radioaktivität der Probe gemessen. Inzwischen nutzt man jedoch meist eine Variante, die mit wesentlich weniger Material auskommt (wenige Milligramm statt einiger Gramm) und außerdem schneller ist, sodass die Messzeit nur noch einige Stunden beträgt, statt Tage wie früher: Durch Massenspektrometrie (MS) kann man gewissermaßen direkt die 14C-Atome aus dem Probenmaterial abzählen. Bei der Massenspektrometrie wird Material verdampft und in Molekülfragmente oder Atome zerlegt; diese Bruchstücke werden dann je nach ihrer Masse registriert. In der analytischen Chemie ist MS ein Standardverfahren, das auch bei vielen archäologischen Funden angewandt wird; die Radiocarbondatierung ist nur eine Anwendung unter vielen. Für die moderne 14C-Bestimmung wird stets die hoch empfindliche Variante der Beschleuniger-Massenspektrometrie verwendet, abgekürzt AMS (für engl. Accelerator Mass Spectrometry).
Besondere Erwähnung verdient ein Olivenzweig, der auf der Ägäisinsel Thera gefunden wurde. Thera (auch Santorin genannt, der antike Name war Kalliste) wurde durch einen gewaltigen Vulkanausbruch in der Bronzezeit verwüstet, lange umstritten war aber das genaue Datum. Und das ist kein rein lokales Problem: Thera gehörte zur minoischen Zivilisation, es gab Kontakte zur mykenischen Zivilisation auf dem Festland ebenso wie nach Nahost und Ägypten. Für Ägypten selbst ist durch historische Aufzeichnungen und Königslisten die Chronologie relativ gut gesichert; für die Ägäis und Griechenland fehlt solches Material, aber über den Typenvergleich von Keramik versucht man, den Anschluss an die ägyptische Chronologie herzustellen. Auf diese Weise ist die bronzezeitliche Geschichte des ganzen Raumes zwischen Ägypten und Griechenland verknüpft.
Im Jahr 2002 fand nun der Student Tom Pfeiffer aus der Arbeitsgruppe von Walter Friedrich (Universität Aarhus) einen Olivenzweig, der durch den Ausbruch verschüttet wurde. Dieser Zweig bot die Möglichkeit, durch die Radicarbondatierung den Zeitpunkt des Ausbruchs zu berechnen. Dazu wurden aus den Wachstumsringen einzelne Proben genommen, die jeweils genau einem Jahr entsprechen. Der Vulkanausbruch konnte so auf die Jahre 1600 bis 1627 v. Chr. eingegrenzt werden. Dieses Ergebnis passt zu den Arbeiten von Sturt Manning (Cornell University), der schon lange eine Datierung des Ausbruchs in diesem Zeitraum favorisiert; er kam, unabhängig vom Friedrich-Team, auf eine Zeit von 1613 bis 1660 v. Chr. Ein Datum um 1625 v. Chr. steht allerdings in deutlichem Gegensatz zur herkömmlichen Meinung, die die Thera-Eruption um 1500 v. Chr. ansetzt. Und da nun einmal die Chronologie der ganzen Region verknüpft ist, lässt sich ein Schlüsselereignis nicht problemlos um 100 bis 150 Jahre verschieben. Weitere Studien, einschließlich Radiocarbonuntersuchungen an Proben aus Ägypten, konnten die Diskrepanzen zwischen den verschiedenen Ansätzen bisher nicht beseitigen, und so ist die genaue Chronologie des zweiten Jahrtausends v. Chr. eines der wichtigsten ungelösten Probleme in der Archäologie.