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2.3 Henkersmahlzeiten wissenschaftlich betrachtet

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Eine weitere Quelle bezüglich der Ernährungsgewohnheiten in früheren Zeiten bietet sich schließlich dann, wenn menschliche Überreste derartige Aussagen ermöglichen. Die Untersuchung des Inhalts von Magen und Darm ist sicher der direkteste Zugang zum Thema, der sich denken lässt. Eine große Gruppe von Leichenfunden, bei denen gelegentlich noch Mageninhalte untersucht werden können, sind die Moorleichen Nordeuropas. Sie stammen aus dem germanischen, teilweise auch keltischen Raum in der Zeit von ungefähr 500 vor bis 500 nach Christus. Hier ließen sich zum Beispiel Reste von Weizen, Roggen und Hirse nachweisen.

Allerdings darf man die Aussagekraft solcher Befunde nicht überbewerten: Der Mageninhalt eines Toten stellt immer seine letzte Mahlzeit dar, ist also eine Momentaufnahme. Obendrein erhalten sich im sauren Milieu der Moore die verschiedenen Lebensmittel ganz unterschiedlich. Der Archäologe Michael Gebühr schreibt dazu: „Der Genuss eines Schweinesteaks oder Schinkens wäre im Magen oder Darm einer Moorleiche ebenso wenig nachweisbar wie etwa das Muskel- oder Bindegewebe der Leiche selbst.“ (in Wieczorek et al. 2007, S. 66).

Bei den Moorleichen kommt hinzu, dass etliche von ihnen wohl hingerichtete Verbrecher sind. Das wirft die Frage auf, ob man es nicht deshalb mit speziellen Henkersmahlzeiten zu tun hat, die erst recht nicht verallgemeinert werden können. Der germanische Brauch, bestimmte Übeltäter im Moor zu versenken, ist bei Tacitus beschrieben, und der eisenzeitliche „Lindow Man“ (Cheshire, England) trägt am Hals sogar noch die Sehne, mit der er stranguliert wurde. Bei der Interpretation der Funde ist man aber oft übers Ziel hinaus geschossen, nicht jede Moorleiche war ein Delinquent. Das „Mädchen von Windeby“, das nach seiner Entdeckung als hingerichtete Ehebrecherin galt, war nach neueren Untersuchungen ein Junge, der an einem Infekt starb. Allerdings haben sich bei anderen Moorleichen im Magen Unkräuter und sogar Spreu von Getreide gefunden; dies war wohl kaum regulärer Bestandteil der Ernährung, und so drängt sich hier die Interpretation einer vorsätzlich ungenießbaren Henkersmahlzeit tatsächlich auf.


Abb. 6 Das Prinzip der GC-MS-Kopplung, einer wichtigen analytischen Methode.

Auch bei Ötzi, der bestuntersuchten Leiche Europas, hat man den Magen- und Darminhalt durchleuchtet. Ötzi fasziniert durch die gute Erhaltung des Körpers und der begleitenden Funde, aber auch durch sein hohes Alter von 5300 Jahren. Er ermöglicht damit einen spektakulären Einblick in die Lebensverhältnisse der frühen Kupferzeit. Dabei kamen verschiedene Techniken zum Einsatz. Archäobotaniker haben die erkennbaren Pflanzenreste mikroskopisch identifiziert, zudem haben Genetiker über DNA-Spuren auch Lebensmittel aufspüren können, die ansonsten nicht mehr nachweisbar waren. In echter „CSI-Manier“ hat man die letzten kulinarischen Stationen in Ötzis Leben rekonstruiert: Vor seinem Weg durchs Gebirge stärkte er sich mit einer Mahlzeit aus Steinbock, Getreide und anderer pflanzlicher Kost. Dann begann Ötzi seinen Aufstieg auf 3200 Metern Höhe, und mehrere Stunden vor seinem Tod nahm er eine weitere Mahlzeit ein, die wiederum Getreide enthielt und daneben Rothirsch. Sein letztes Mahl, maximal eine Stunde vor dem Tod, bestand wiederum aus Steinbock.

Allerdings gibt es auch dann, wenn nur noch Knochen vorhanden sind, eine Reihe von Möglichkeiten, um über die Ernährung des Toten etwas in Erfahrung zu bringen. Die Körpergröße korreliert mit dem Ernährungszustand, die Muster der Zahnabnutzung sind jeweils für bestimmte Nahrungsmittel charakteristisch, und Deformationen durch Mangelernährung können Pathologen schon seit Längerem deuten. Die chemische Analytik der Spurenelemente liefert weitere Einsichten: In die Knochen eingelagertes Kupfer und Zink deuten auf Fleischkonsum hin, ein erhöhter Strontiumanteil hingegen auf überwiegend vegetarische Ernährung. Auch die Isotopenanalyse wird mittlerweile intensiv genutzt. Weiter oben wurde dargestellt, wie verschiedene Lebensmittel jeweils eine bestimmte Isotopensignatur aufweisen. Dasselbe gilt auch für den Körper eines Menschen, der sich bevorzugt auf die eine oder andere Art ernährt. Aussagen gewinnt man vor allem über die schweren Isotope von Kohlenstoff und Stickstoff, 13C bzw. 15N; ihr Gehalt wird an eiweißhaltigem Material bestimmt, etwa dem Keratin der Haare. Und selbst wenn nur noch die nackten Knochen übrig sind, kann daraus oft noch das Eiweiß Kollagen extrahiert und analysiert werden.

Ein kanadisch-bulgarisches Team hat zum Beispiel mit dieser Methode Skelette des fünften bis zweiten Jahrhunderts v. Chr. aus der griechischen Kolonie Apollonia am Schwarzen Meer untersucht. Es gab praktisch keine Unterschiede zwischen verschiedenen Individuen – weder beim Vergleich Männer versus Frauen, noch beim Vergleich arm versus reich. Dieselbe Arbeitsgruppe um die Anthropologin Anne Keenleyside fand auch keinen diesbezüglichen Unterschied zwischen Männern und Frauen für die kaiserzeitliche Population der Hafenstadt Leptiminus im heutigen Tunesien. Auf der anderen Seite konnte man mit solchen Isotopendaten für Bestattungen auf der Isola Sacra, der Nekropole der römischen Hafenstadt Ostia, tatsächlich Unterschiede nachweisen: Bei Männern fanden sich Indizien für einen höheren Konsum an tierischem Protein aus Meerestieren, während bei Frauen ein relativ höherer Anteil an pflanzlicher Nahrung vorlag. Genau umgekehrt waren die Verhältnisse in römischer Zeit in Dorset: Eine andere Arbeitsgruppe entdeckte hier eher bei Frauen einen hohen Anteil von Fisch in der Nahrung. Bei romano-britischen Populationen spielte Nahrung aus dem Meer generell eine geringe Rolle, wie aus verschiedenen Arbeiten hervorgeht.

Wiederum eine andere Studie hat sich mit Knochenproben aus der Calixtuskatakombe an der Via Appia beschäftigt. Für die hier bestatteten Christen (drittes bis fünftes Jahrhundert) ergaben die Werte für 13C und 15N deutliche Hinweise auf einen hohen Anteil an Fisch – vermutlich direkt aus dem nahen Tiber – in der Ernährung. Dies passt gut zu der Vorstellung, dass diese frühchristliche Gemeinde sich überwiegend aus ärmeren Mitgliedern zusammensetzte; Fisch galt als ausgesprochene Armeleutespeise. Das Fazit aus all dem ist, dass man die Isotopenwerte für jede einzelne Population im Detail ansehen muss; Verallgemeinerungen über die Römer oder die Griechen, über Frauen oder Männer sind sinnlos.

Auch Ötzi musste einige Haare für die Isotopenanalyse lassen. Wissenschaftler aus Österreich und den USA waren 1999 zu dem Schluss gekommen, dass der Eismann sich fast rein vegetarisch ernährt hat – seine Werte sollen denen von modernen Veganern ähneln, die gar keine tierischen Produkte zu sich nehmen und sich in der Isotopensignatur von Vegetariern unterscheiden, welche lediglich auf Fleisch verzichten. Ötzis stark abgenutzte Zähne sprechen auch für einen hohen Getreideanteil in der Nahrung.

Andere Fachleute haben diese extreme Sicht jedoch bestritten und gehen von einer vielseitigen Ernährung aus. Die Isotopendaten stehen insbesondere in Widerspruch zu der oben aufgeführten direkten Untersuchung des Darminhaltes. Allerdings handelt es sich dabei um eine Momentaufnahme, während die Isotopenverhältnisse den kumulierten Effekt der lebenslangen Ernährung widerspiegeln. Gelegentlicher Fleischkonsum wäre also vereinbar mit eher vegetarischer Ernährung im Alltag.

Geht man in der Zeit noch weiter zurück, dann stößt man auf eine grundsätzliche Frage: Was hat eigentlich das Aufkommen der Landwirtschaft in der Jungsteinzeit für die Ernährung des Menschen bedeutet? Es gibt einige Hinweise auf ein gutes Nahrungsangebot: Britische Archäologen haben Skelette von 22 Individuen aus einem jungsteinzeitlichen Kammergrab in Hazleton North (bei Gloucester) analysiert; es stammt aus der Zeit um 3700 v. Chr. Nach der Isotopenanalyse hatten diese Menschen einen hohen Anteil von Fleisch und anderen tierischen Produkten in der Nahrung, schätzungsweise 75 Prozent tierisches Protein insgesamt. Dazu passt, dass viele Knochen von Kälbern, Schweinen, Schafen und Ziegen gefunden wurden, daneben auch von Hirschen und ein einzelner Auerochsenknochen. Und für Siedlungen der frühneolithischen Linienbandkeramiker (um 5000 v. Chr.) in Deutschland konnte mit der Isotopenmethode gezeigt werden, dass eine vielseitige Mischkost aus pflanzlichen und tierischen Lebensmitteln üblich war.

Doch es gibt auch für verschiedene Populationen Belege, die eine Mangelernährung anzeigen. Vor allem die Versorgung mit tierischem Protein hat Probleme bereitet:

In Nevali Çori, einem frühen Zentrum des Neolithikums, sind Knochen zutage gekommen, die von Gisela Gruppe mit ihren Mitarbeitern (Biozentrum Universität München) auf den Gehalt an 13C und 15N untersucht wurden. Ergebnis: Die Menschen dort haben vermutlich Schwierigkeiten mit der Fleischversorgung gehabt, denn ihre Nahrung war im Wesentlichen pflanzlich. Und dieses Bild findet sich auch anderswo: Auch für neolithische Fundplätze am Zürichsee ergab sich, dass die Nahrung zum größten Teil aus Getreide bestand; man konsumierte wenig Fleisch, auch wenig tierisches Protein in Form von Milch. Die Menschen hier konnten ihren Nahrungsbedarf in etwa decken, aber nur mit hohem Arbeitsaufwand und immer von Mangel bedroht.

Für viele der untersuchten frühen Bauern gilt, dass sie keineswegs in einem Schlaraffenland lebten: Mangel- und Fehlernährung durch einseitige Kost, dadurch bedingter Eisenmangel, Zunahme von Schäden an den Zähnen und von Infektionserkrankungen – dieses Bild ist häufig mit dem Übergang zur Landwirtschaft verbunden. Wie in Kapitel 7 ausführlicher beschrieben werden wird, geht die sesshafte Lebensweise vor allem mit einer auffälligen Zunahme von Infektionen einher.

Warum hat sich die Landwirtschaft dann überhaupt durchgesetzt? Es wurden verschiedene Erklärungen vorgeschlagen, die auf soziale oder religiöse Gründe intendieren, oder auch auf den Einfluss von Umweltveränderungen. Jedenfalls bleibt eine grundsätzliche Einsicht: Es war in der Regel nicht das Leben des Individuums, dass sich durch Einführung der Landwirtschaft schlagartig verbessert hat, und diese Lebensweise wurde auch nicht unbedingt durch eine ökologische Krise erzwungen. Ein wichtiger Vorteil bot sich jedoch vermutlich auf der Ebene der Gruppe, weil ein stärkeres Bevölkerungswachstum ermöglicht wurde, wodurch sich ein klarer demografischer Vorsprung gegenüber jenen Gemeinschaften ergab, die länger an der Lebensweise als Jäger und Sammler festhielten.

Dieses Bevölkerungswachstum in der Jungsteinzeit zeigt sich etwa bei der statistischen Auswertung von Gräbern: Bevölkerungswachstum bedeutete nämlich nicht nur, dass einfach mehr Menschen lebten. Zusätzlich kam es auch zu einer veränderten Struktur der Alterspyramide mit einer deutlichen Zunahme des Anteils von Kindern und Jugendlichen (genau wie noch heute in Ländern mit hoher Geburtenrate) innerhalb der ersten Jahrhunderte nach Einführung der Landwirtschaft. Trotzdem ist die Menschheit seitdem über Jahrtausende nur langsam gewachsen, weil sich schnell ein dämpfender, entgegengesetzter Trend etablierte: Die erheblich höhere Kindersterblichkeit, die bis in die Neuzeit für sesshafte Gesellschaften typisch war (und es in Entwicklungsländern immer noch ist).

Und mit der Frage nach der Ausbreitung der ersten Bauern, und allgemeiner der menschlichen Populationsgeschichte insgesamt, sind wir mitten in den Themen des nächsten Kapitels.

Antike im Labor

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