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2.2 Ein Trank für Götter

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Die meisten Lebensmittel werden vor dem Verzehr einer mehr oder weniger aufwändigen Behandlung unterzogen. Schon der Homo erectus hat möglicherweise vor 1,9 Millionen Jahren Nahrung erhitzt, das Vermahlen von Getreidekörnern zu Mehl ist zumindest für unsere eigene Art vor rund 30.000 Jahren belegt. Die bloße Anwesenheit von Pflanzen oder Tieren bietet also kein vollständiges Bild, von Interesse sind auch Fragen der Zubereitung.

Überreste von menschlichen Siedlungen, etwa aus Abfallgruben oder Feuerstellen, bieten potentiell immer auch die Chance, etwas über solche Praktiken in Erfahrung zu bringen. Daneben können auch Gräber eine ergiebige Quelle sein, was die Ernährung in früheren Zeiten angeht. Hier ist an erster Stelle Ägypten zu nennen, bei dem zwei Faktoren zusammen kommen: Die ägyptischen Bestattungsbräuche brachten es mit sich, dass dem Toten eine reiche Ausstattung mitgegeben wurde, darunter auch Lebensmittel. Das macht Ägypten noch nicht zum Sonderfall, Ähnliches lässt sich an vielen Stellen beobachten, so zum Beispiel auch bei keltischen Fürstengräbern. Hinzu kommt aber bei Ägypten das trockene Klima, wodurch zum Teil auch leicht vergängliches Pflanzenmaterial die Jahrtausende überdauert hat.

Doch selbst dann, wenn keine erkennbaren Pflanzenreste oder Knochen gefunden werden, kann die Spurenanalytik Aufschluss geben. Als ergiebig haben sich hier insbesondere Gefäße aus unglasierter Keramik erwiesen. Der poröse Ton wirkt wie ein Schwamm und kann dadurch Spuren von Fetten und anderen Lebensmitteln konservieren. Die Standardmethodik für solche Untersuchungen wird mit der Abkürzung GC-MS zusammengefasst: GC steht für die Gaschromatografie, mit der komplexe Stoffgemische zunächst in einzelne Komponenten aufgetrennt werden können; MS bedeutet Massenspektrometrie, die eingesetzt wird, um anschließend die einzelnen Komponenten zu identifizieren (Stichwort 3).

Aus solchen Untersuchungen ergeben sich verschiedene Arten von Erkenntnisgewinn: Zum Beispiel kann man den Verwendungszweck von Gefäßen bestimmen, bei denen dieser bisher unklar war. Ebenso wichtig ist die Möglichkeit, überhaupt etwas über die Essgewohnheiten herauszufinden, wenn es keine schriftliche Überlieferung gibt.

Die Standardkombination GC-MS hat allerdings auch Grenzen: So kann man beispielsweise eine Fettsäure wie Palmitinsäure eindeutig identifizieren, aber man sieht ihr nicht an, aus welchem Nahrungsmittel sie stammt. Hier kann durch die Isotopenanalyse die Aussagekraft noch einmal gesteigert werden (siehe Stichwort 1). Bei Fetten ist dabei der relative Anteil des schweren Kohlenstoffisotops 13C von Bedeutung, daneben auch der des schweren Wasserstoffisotops 2H (Deuterium). Das Fett von Wiederkäuern wie Rindern oder Schafen hat zum Beispiel einen deutlich geringeren 13C-Anteil als Schweinefett, und obendrein hat das Milchfett der Wiederkäuer wiederum einen geringeren 13C-Gehalt als der Talg. Mit dieser Technik konnten verschiedene Arbeitsgruppen in den vergangenen Jahren nachweisen, dass Milch in Europa und Anatolien schon im siebten Jahrtausend v. Chr. genutzt wurde – die frühesten Belege für Milchwirtschaft, die man bisher hatte, setzen erst rund zwei Jahrtausende später ein.

Da aber aufgrund der Fülle publizierter Arbeiten alle Darstellungen in diesem Buch nur exemplarisch sein können, wollen wir uns im Folgenden auf ein Teilgebiet konzentrieren, das auch bei Nichtfachleuten auf Interesse stoßen dürfte: die Archäologie der alkoholischen Getränke. Insbesondere der amerikanische Archäochemiker Patrick McGovern hat sich intensiv mit der Frühgeschichte des Weins befasst. An einem Weinkrug aus Ägypten um 3150 v. Chr. konnte er mit Kollegen nachweisen, dass damals schon für die Fermentation die Bäckerhefe Saccharomyces cerevisiae verwendet wurde. Diese eine Art wird auch heute weltweit für die Wein-, Bier-, Sake- und Brotherstellung verwendet. Daneben gibt es viele andere Arten von Hefepilzen, von denen jedoch keine für diese Zwecke „gezähmt“ wurde.

Die nordischen Völker der Kelten und Germanen lernten Wein erst relativ spät als Import aus dem Süden kennen, bei ihnen stand lange Zeit der Met hoch im Kurs. Durch die archäobotanische Identifikation von Pollen in keltischen Gefäßen konnte Met zum Beispiel im Fürstengrab von Hochdorf und auf der Heuneburg nachgewiesen werden. Auch die Phrygier waren bis ins erste Jahrhundert für ihren Met bekannt, wie Plinius in Buch 14 der Naturgeschichte berichtet, und hier gibt es einen interessanten parallelen Befund aus der Archäologie.

Im Jahr 1950 begannen Archäologen der University of Pennsylvania mit der Ausgrabung der alten phrygischen Hauptstadt Gordion, rund 100 Kilometer südlich von Ankara beim modernen Dorf Yassihöyük gelegen. In der Grabungsperiode 1957 stieß man in einem großen Grabhügel auf eine intakte Grabkammer, in der sich neben der Leiche eines etwa 60 Jahre alten Mannes auch umfangreiche Beigaben fanden. Der Tote wurde – in recht spekulativer Manier – mit dem sagenhaft reichen König Midas identifiziert, der um 700 v. Chr. lebte und uns hauptsächlich aus der griechisch-römischen Mythologie bekannt ist. Allerdings berichten auch die Assyrer von einem König Mita, der wohl mit ihm gleichgesetzt werden kann. Der reale Midas wurde mit einer umfangreichen Kollektion an Kesseln und Trinkbechern beigesetzt, wobei die Legende in einem Punkt zu korrigieren ist: Von Gold im Überfluss keine Spur, die Gefäße sind aus Bronze. Aber nicht der reine Materialwert zählt für die moderne Archäologie, sondern die kulturgeschichtliche Aussagekraft, und hier erwiesen sich die Gefäße als wahrer Schatz. Im neunzehnten Jahrhundert hätte man die Bronzegefäße vom Schmutz befreit und auf Hochglanz poliert; heute liefert solcher Schmutz wertvolle Informationen.

Es fanden sich nämlich Reste des Totenmahls, die sich analysieren ließen. Demnach wurde bei diesem Anlass gegrilltes und gut gewürztes Fleisch von Ziege oder Schaf gereicht, zusammen mit Hülsenfrüchten. Die Untersuchungen des McGovern-Teams lieferten auch faszinierende Erkenntnisse zu den Trinksitten: In den Bronzekesseln ließen sich Spuren eines Mischgetränks aus Wein, Met und Bier nachweisen, das man bisher nur aus schriftlichen Quellen wie der Ilias und der Odyssee kannte. Jede Komponente kann dabei an einem spezifischen Fingerabdruck erkannt werden: Wein wird durch Weinsäure und ihre Salze (Weinstein) nachgewiesen, Bier durch Oxalsäure und deren Salze (Bierstein), Met schließlich über Pollen als Indiz für Honig.

Mit solch einem Getränk, kykeon genannt, stärkte sich zum Beispiel im homerischen Hymnos die Göttin Demeter, als sie ihre Tochter Persephone suchte, die von Hades entführt worden war. Kykeon wurde inzwischen auch in noch älteren mykenischen und minoischen Gefäßen nachgewiesen. Die amerikanische Brauerei Dogfish Head hat nach diesen Erkenntnissen das Getränk nachgebraut, sodass heutzutage gewöhnliche Sterbliche dieselbe wunderbar stärkende Wirkung erleben können, wie seinerzeit Demeter: Midas Touch Golden Elixier, so der Handelsname, soll Noten von Honig, Safran, Papaya, Melone und Biskuit haben. Der Kenner trinkt es übrigens aus einem Weißweinglas.

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