Читать книгу Soziale Benachteiligung und Resonanzerleben - Stephan Ellinger - Страница 12
Ben
ОглавлениеEtwas mehr als zehn Kilometer südlich lebt Ben mit seinen Eltern, seinem Bruder und der Oma mütterlicherseits. Die Zellerau ist ein Würzburger Stadtteil, der den Ruf hat, Heimat von sozialen Randmilieus zu sein. In der Diktion unserer Risikogruppen lebt Bens Familie in einer sozio-kulturellen Gefährdungslage. Vater Manfred hat nach der Schule bei der Waschanlage angefangen und ist seitdem dort beschäftigt. Er verdient aus seiner Sicht nicht schlecht und schiebt in Stoßzeiten auch Überstunden am Hochdruckreiniger. Mutter Eva arbeitet auf 450-Euro-Basis im Tattoo-Studio und hilft am Wochenende in einer Diskothek im Gewerbegebiet aus. Tattoos und Graffiti sind ihre Hobbys. In der Nachbarschaft gilt sie als Künstlerin, weil sie Sachen gut aussehen lässt. Sie hat die Außenwände ihres Wohnblocks gesprayt und die Mülltonnen genial lackiert. Seit einigen Monaten probt sie in einer neu zusammengestellten Band im Keller von Haus Nummer 17. Dort hat der städtische »Sozialfuzzi« mit den Jugendlichen der Gegend Rhythmusinstrumente selbstgebaut und daraus eine sogenannte Beatstomper-Band gemacht. Musik tut auch Ben gut. Er ist oft dabei, wenn seine Mutter gemeinsam mit seinem Bruder Linus Teil der 12-köpfigen Truppe ist. Linus geht seit drei Jahren zur Schule, aber darüber wird in der Familie schon lange nicht mehr geredet. Oma hat neulich mal gesagt, dass sie froh ist, wenn die Jungs aus der Schule raus sind und die selbstherrlichen Lehrer nicht mehr ertragen müssen. Solche Äußerungen klingen in Bens Ohren merkwürdig, denn er will gerne erst einmal überhaupt in die Schule kommen. Seine Mutter hat damals erwidert, Linus soll seine Noten nicht persönlich nehmen. Hauptschulabschluss wäre genial und alles drüber nur Spießerscheiß. Ben hat von seinem Freund Yusuf aus dem Nachbarhaus neulich ein Buch geschenkt bekommen. Er kann natürlich noch nicht lesen und weiß deshalb nicht, wovon das Buch handelt. Seine Mutter meinte, er sei jetzt der Buchaufseher der Familie. Das Buch steht auf seinem Schrank und er hofft, dass bald noch mehr dazu kommen.
Yusuf hat vier Geschwister und ist schon sieben Jahre alt. Seine beiden Brüder arbeiten in Schweinfurt und seine Eltern sind Rentner. Ben ist gerne bei Familie Celik. Sie sind entspannt, nehmen sich Zeit und interessieren sich dafür, was er denkt und wie es ihm geht. Sie wollen ihren Sohn Yusuf in der Schule unterstützen, haben aber selber als Jugendliche in der Heimat keinen Abschluss erworben. Yusufs Mutter war nur zwei Jahre in der Schule und hat außerdem keine Vorstellung davon, wie das deutsche Schulsystem funktioniert. Letztes Jahr haben sie sogar die Eingangsuntersuchung verpasst, deshalb kommt Yusuf jetzt erst mit Ben in die Schule. Ganz anders als bei Ben zuhause reden Yusufs Eltern positiv von der Schule, fragen nach Linus und ob er gute Noten hat. Ben und Yusuf freuen sich auf die Schule, sie stellen sich vor, dass sie später den älteren Menschen in ihrer Wohngegend vorlesen könnten und wollen dann auch einen Einkaufsdienst organisieren, weil sie ja auch Preise vergleichen können und sich später ein Moped kaufen wollen.
Ben hat viele Ideen und freut sich darauf, in der Schule bald mehr Freunde zu haben und Lesen und Schreiben zu lernen.