Читать книгу Soziale Benachteiligung und Resonanzerleben - Stephan Ellinger - Страница 14
Leon
ОглавлениеLeon wurde mit einem seltenen Herzfehler geboren und leidet selbst nach zwei Operationen im Säuglingsalter auch heute noch an einer Herzschwäche. Er wächst in einer sozio-physio-emotionalen Gefährdungslage auf. Seine Eltern kümmern sich rührend um ihn und tun alles, um ihn – wie sie sagen – zu beschützen. Während seine jüngere Schwester mit dem Dreirad die Garagenauffahrt runterdüst, ermahnt ihn seine Mutter schon, wenn er beim Fahrradfahren nicht durchgängig die Hand an der Vorderbremse hat. Leon wäre gerne öfter unterwegs, aber durch die Angst der Eltern ist sein Lebensradius sehr klein geworden. Jedes Mal, wenn er sich mit Interesse und Engagement einem neuen Rätsel wie z. B. der Güllegrube im Aussiedlerhof, einem Geheimnis wie z. B. dem verlassenen Haus am Ortseingang oder einer Verrücktheit wie dem gemeinsamen Regentanz mit allen Kindern aus der Straße zuwenden will, wird er von seiner Mutter zurückgehalten. Er fühlt sich schwach, kommt sich minderwertig vor, schaut oft nur noch zu, wenn die Kinder aus der Nachbarschaft zusammen spielen, und hat schon lange keinen Mut mehr, sich für seine Interessen einzusetzen. Die erlebten Einschränkungen beeinträchtigen ihn bei der Entwicklung einer gesunden Weltbeziehung. Von Jahr zu Jahr ist ihm sein gesundheitlicher Makel bewusster geworden und sind mehr und mehr Minderwertigkeitskomplexe entstanden. Er gerät zunehmend in die Rolle sozialer und emotionaler Deprivation. Aus dem kleinen Neubaugebiet werden insgesamt sieben Kinder mit ihm eingeschult. Sie kennen sich seit drei Jahren, weil sie gemeinsam in der Bärengruppe des Kindergartens waren. Leon gehört dazu, war immer dabei und wird auch immer gefragt. Er könnte glücklich sein. Aber merkwürdigerweise empfindet er kein Glück. Er ist skeptisch und zurückhaltend, wenn er daran denkt, was die Schule für ihn bringen wird.