Читать книгу Leben, mit meiner "Freundin" der Depression - Stephan Falkenstein - Страница 10

Ich werde "Ich"

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An meinem neuen Ausbildungsplatz wurde ich vom ersten Tag an gut aufgenommen. Ich wurde akzeptiert, mit einbezogen wenn es nach Feierabend ums ausgehen ging und hatte mich recht schnell eingelebt. Was nicht zuletzt daran lag, dass meine Mutter Connection zu den richtigen Leuten hatte und die wiederum die richtigen Leute geimpft bzw. von meiner bösen Erfahrung erzählt hatten. Aber was soll's. Ich war nach der Prügelei in der eigenen Wohnung (wieder ein Trauma?) noch ruhiger als vorher geworden und sobald ich einen Koch in seiner weißen Uniform sah, stieg mir innerlich die Panik auf. Bis ich alle Köche kennen gelernt und Vertrauen aufgebaut hatte, vergingen Wochen.

Ich hatte mich also recht schnell eingelebt. Da ich von uns Auszubildenden eins von den beiden größeren Personalzimmern hatte, trafen wir uns oft bei mir. Ein Fernseher, eine kleine alte Theke und ein großer Kühlschrank, stetig gefüllt mit Getränken und aus jeder gemütlichen Runde wurde eine kleine Party.

Mit der Zeit wurde ich immer selbstsicherer und selbstbewusster. Aus dem ruhigen, verängstigten "ich" wurde ein Partyclown, der Kollegen und Freunde zum Lachen bringen und unterhalten konnte. Ich fühlte mich zum ersten Mal frei.

Ich verdiente mir meine ersten Sporen bei der Arbeit und hatte Spaß dabei. Brav befolgte ich von Anfang an die Anweisungen meines Ausbilders und meiner Vorgesetzten. Immer diszipliniert und zu ihrer Zufriedenheit. Ich erfüllte die Wünsche der Gäste, brachte Ihnen was bestellt wurde und es war jedes Mal eine Show, wenn ich filetierte, tranchierte oder flambierte. Von Ausbilder und Vorgesetzten kamen Lob und Anerkennung, von den Gästen gab es obendrein noch anständig Trinkgeld.

Stopp!

Habt ihr es auch bemerkt? Mir ist es irgendwann während der Arbeit selbst aufgefallen. Jede Arbeitsanweisung, die Wünsche der Gäste, alles habe ich akribisch, hoch diszipliniert und konzentriert erledigt. Immer so, dass es keinen Grund dafür gab, mich zu tadeln. Immer so, dass ich besondere Aufmerksamkeit, Lob und Anerkennung bekam. Ich habe mich einfach so verhalten, wie als Kind und Jugendlicher Zuhause, als ich noch bei meinen Eltern gewohnt hatte. Nur, dass ich mir immer selbst gesagt hatte, dass ich hier keine Schläge bekomme, aber Ärger, verbale Bestrafung, angeschrien zu werden, das wollte ich natürlich auch nicht mehr.

Da habe ich mein mir antrainiertes Verhalten aus meiner Kindheit einfach ganz unbewusst mitgenommen. Und das, weil ich Angst vor Strafe hatte, wenn ich etwas nicht richtig gemacht hätte. Und die Angst vor Konfrontation. Schon im Elterlichen Haushalt bin ich jeder Konfrontation möglichst aus dem Weg gegangen. Die konnte ich nicht gewinnen. So hatte ich auch nie gelernt, dass Konfrontationen nicht immer zu einer Niederlage führen mussten. Denn hätte ich das gelernt, sähe ich diese als Chance, meinen Standpunkt zu vertreten und somit vielleicht sogar meinen Gegenüber von meiner Meinung zu überzeugen oder zu begeistern. Aus Angst davor hatte ich mich nur nie gestellt.

Die Zusammenhänge zwischen Kindheit, Erziehung und erwachsen werden, auf eigenen Beinen stehen müssen, werden langsam klarer und greifbarer. Ich mache, was du erwartest und schon habe ich meine Ruhe. Ich bekomme vielleicht kein Lob, keine Anerkennung, aber ich werde nicht bestraft. Und damit stehe ich gut dar. Zumindest hatte ich das zu der Zeit immer geglaubt.

Nach drei Jahren Ausbildung schloss ich die Prüfung zum Restaurantfachmann ab. Ich glaube, dass meine Eltern da stolz auf mich sein konnten. Zumindest hatten sie sich für mich gefreut und kamen zur Entlassungsfeier. Der Hoteldirektor lud alle Eltern der bestehenden Prüflinge zu einem festlichen Abendessen in den Clubraum des Hotels ein. Wir frischen Gesellen fanden es recht lustig wie unsere Eltern versuchten, sich mit den vielen Bestecken und Gläsern anzufreunden, die eingedeckt waren. Die meisten von ihnen hatten an diesem Abend wohl das erste Mal ein mehrgängiges Menü in einem Hotel serviert bekommen. Meine Eltern waren sichtlich von diesem Tag und sicher auch vom Menüablauf begeistert.

Ich arbeitete ein weiteres Jahr als Geselle im gleichen Hotel. Danach war ich in Süddeutschland in verschiedenen First Class Hotels tätig, in denen ich an meiner Karriere feilte.

"Ihr merkt, dass ich immer noch alles zur Zufriedenheit anderer machte und jede Sprosse auf der Karriereleiter nicht nur Ergebnis meiner fachlichen Kompetenz, sondern immer auch Zuwendung, Anerkennung, Aufmerksamkeit und Lob für mich waren. Man könnte sogar sagen, ich bettelte regelrecht nach Liebe und Anerkennung."

Hotellerie und Gastronomie sind in solch guten Häusern strenge Hierarchie, auf der anderen Seite aber auch der Laufsteg für Menschen, wie ich einer bin. Durch meinen Hang nach Anerkennung und Erfolg, natürlich immer noch alles völlig unbewusst, schaffte ich es schnell aufwärts. Vom Chef de rang im vier Sterne Hotel, über interne Fortbildung zum Barkeeper, die Leitung des hauseigenen Gourmetrestaurant, bis hin zum Restaurantleiter. Es folgten Hotel-Eröffnungen und Übernahmen anderer Hotels, bei denen ich mitwirkte und als Restaurantleiter auch für die betriebliche Wirtschaftlichkeit der Restaurants Verantwortung trug. Für mich die Bühne des Lebens. Ich repräsentierte nicht nur das gute Hotel, die gute Küche oder den guten Service, nein, ich präsentierte mich, stand im Mittelpunkt des Geschehens und genoss es. So zogen auf dieser Erfolgswelle einige Jahre dahin. Ich war stolz auf mich, auf meinen Beruf und das, was ich geschafft hatte.

Angst vor körperlicher oder seelischer Bestrafung waren lange schon vergessen. Mein Elternhaus war ja auch einige Hundert Kilometer entfernt. Nachdem ich ausgezogen war, hatte sich das Verhältnis, vor allem zwischen meinen Vater und mir gebessert. Jetzt war es eher ein freundschaftliches Verhältnis.

Ich hatte mich in den letzten Jahren von einem stillen, zurückhaltenden Jungen, der Angst hatte etwas falsch zu machen und vor der Strafe für seine Fehler, zu einem selbstbewussten, erfolgsorientierten und stolzen, jungen Mann entwickelt. Ich war mir keiner Ängste bewusst, selbst vor Konfrontationen scheute ich nicht mehr zurück. Ich stellte mich derer und jede gewonnene war wie ein kleiner Triumph für mich.

Von meiner zukünftigen Freundin, der Depression, war weit und breit keine Spur. Noch konnte ich nicht erahnen, was noch alles passieren und sich das Blatt wenden sollte.

Leben, mit meiner

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