Читать книгу Leben, mit meiner "Freundin" der Depression - Stephan Falkenstein - Страница 5

Meine Eltern und ich

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Mein Name ist Stephan, ich wurde 1970 im südlichen Niedersachsen geboren und lebe seit 2006 in einer mehr oder weniger festen Beziehung mit meiner Freundin, der Depression. Erst vor eineinhalb Jahren wurde mir bewusst, dass ich Sie, meine Freundin die Depression, schon viel länger kenne, als mit klar war.

Das ich sie kennenlernen sollte hat mein Leben allerdings schon sehr viel früher beschlossen. Da wurden schon von Kindheit an, in sämtlichen Abschnitten meines Lebens, alle Weichen gestellt und Wegabzweigungen so gekennzeichnet, dass ich meiner Freundin, ihr wisst schon wie sie heißt, die Depression, früher oder später über den Weg laufen musste und ein intensiveres Kennenlernen nicht zu vermeiden war.

Aufgewachsen bin ich in den ersten knapp neun Jahren mit meinem zwei Jahre jüngeren Bruder in der "Neuen Heimat", ein Block aus Hochhäusern im Süden der Stadt, den wir immer schon Klein Manhattan nannten. Wir wohnten in der 5.Etage und wenn wir keine Treppen laufen wollten, mussten wir den kleinen Fahrstuhl nehmen, der nur zwischen zwei Etagen hielt und wir uns aussuchen konnten, ob wir eine Treppe rauf oder eine runter laufen wollten. Komischerweise sind wir immer nur die Treppe runter zu unserer Wohnung gegangen.

Mein Vater war damals bei der Bundeswehr verpflichtet. Nachdem er die vier Jahre rum hatte, war er LKW-Fahrer. Es gab Zeiten, da war ich stolz auf meinen Vater. Mit gut sechs Jahren hatte er mich das erste Mal mit seinem Lkw mitgenommen und ich habe mich gefühlt wie ein kleiner König.

Meine Mutter war die ersten Jahre Zuhause mit unserer Erziehung und dem Haushalt beschäftigt, bevor sie wieder arbeiten ging. Erst Halbtags, und als wir etwas älter waren und sie sich fortgebildet hatte, nahm sie eine volle Stelle an.

Meine Eltern waren gläubige Katholiken. Ab der Grundschule musste ich bis zur Erst-Kommunion, die ich mit 10 Jahren hatte, jeden Sonntag in die Kirche, sowie an allen katholischen Feiertagen, ob ich wollte oder nicht. Und ich wollte nicht. Es war immer ein fremdes Gefühl für mich, wenn von der Kanzel aus über einen Gott und dessen Sohn gepredigt wurde. Dennoch wurde mir die Angst anerzogen, dass Gott sehen würde, wenn ich böses täte und mich bestrafen würde.

Noch viel fremder fühlte es sich an, wenn ich zur Beichte musste. Ich sollte in einem Beichtstuhl meine Sünden erzählen. Und nach vier Gebeten in Reue sind sie mir dann vergeben? Das hatte sich so falsch angefühlt. Aber ich musste ja. Von den Eltern zur Kirche gezwungen und von der Kirche zu Handlungen, wie das Beichten und Beten, obwohl es es sich immer falsch und fremd angefühlt hatte, wenn ich an Gott denken und ihn anbeten sollte. Meine Sünden wurden Zuhause von meinem Vater bestraft und nach einem Arsch voll vergeben. Selbst wenn die Kirche meine Sünden vergeben hätte, hieß das nicht, dass ich Zuhause keine Strafe zu erwarten hatte. Dort, Zuhause wurde bestimmt, was meine Sünden waren und wie die Strafe dafür aussah.

Selbst die beiden Jahre nach der Kommunion bis zur Firmung musste ich noch mindestens jeden zweiten Sonntag, gegen meinen Willen, zur Kirche.

Ich weiß nicht mehr genau wie alt ich damals in der Zeit war, an die ich mich erinnern kann. Wie anfangs erwähnt, wurden die Weichen des Lebens schon in früher Kindheit gestellt, damit ich ohne große Hindernisse auf meine "Freundin" zurollen konnte.

Zuhause herrschte oftmals ein scharfer Ton, der von meinem Vater kam. Wenn wir, oder ich nicht spurten, drohte Mutter schon mit dem Satz,

"Warte mal ab, bis Papa nach Hause kommt".

Dann wusste ich immer schon, dass es wieder was mit dem Ledergürtel gab. Auch wenn ich mich nicht daran erinnern kann, dass mein Vater vielleicht mal mit mir gespielt hatte, kann ich mich nur zu gut daran erinnern, wenn er betrunken vom Skatabend nach Hause kam. Mein Bruder und ich lagen in unseren Betten und bekamen das ganze Szenario zwischen unseren Eltern mit. Wie mein Vater laut wurde, meine Mutter weinte und wie er sie geschlagen hat. Wie oft haben wir gedacht, wenn wir mal groß sind, dann bekommt Papa alles zurück. Und doch waren wir jedes Mal froh, wenn er nicht noch in unser Zimmer kam. Unser Vater kam oft in unser Zimmer. Jedes Mal wenn er meinte, dass wir eine Strafe verdient hätten. Und jedes Mal gab es was mit dem Gürtel oder einem Rohrstock, bei dem man bei jedem Schlag den Wind zischen hören konnte.

Erst als Erwachsener wurde mir klar, was wir für eine Erziehung hinter uns hatten. Haben wir brav alles gemacht, was uns aufgetragen wurde, gab es Lob und uns wurde gesagt, zumindest von unserer Mutter, dass sie uns lieb hat. Wurde nichts von uns erwartet und wir haben leise gespielt, uns nicht gezankt und galten damit als brav oder artig, geschah gar nichts, aber auch nicht, das uns das Gefühl von Zuwendung oder Liebe vermittelt wurde. Sobald unser Vater meinte, dass wir unartig waren oder uns nicht benommen hätten oder etwas getan, was man in seinen Augen nicht machte, gab es Prügel. Das zog sich bis in die Pubertät. Wobei ich mich heute frage, ob das Prügeln nur weniger geworden war, weil ich aus lauter Angst vor meinem Vater immer gehört und getan habe, was er von mir erwartet hatte, und wenn ich mit Freunden unterwegs war, nie aus mir raus kam, weil ich immer damit rechnen musste, dass mich jemand sieht, der meine Eltern kannte und denen gleich Bericht erstattete. Und meine Eltern, besonders meine Mutter, kannten sehr viele Leute im Ort. Meine Mutter war später im Kreisverband eines Wohltätigkeits-Verbands tätig und hatte somit Kontakte zur gefühlt halben Stadt.

Zwei Situation sind mir bis heute in meinen Kopf gebrannt.

Das eine Mal, ich war vielleicht 10 oder 11, bin ich, ohne mir was dabei zu denken oder böses vorgehabt zu haben, meiner Mutter gefolgt, als sie in den Keller ging. Irgendwann ging das Treppenhauslicht aus und es war stockdunkel. Als meine Mutter zurück kam, habe ich sie mit meinem "Buh" so doll erschreckt, dass sie angefangen hat zu weinen und fix und fertig war. Die Schläge, die ich von meinem Vater mit einem Stock, der drei oder vier Zentimeter Durchmesser hatte, auf den Rücken bekommen habe, sind bis heute nicht vergessen.

Was mich allerdings nicht nur physisch sondern auch psychisch mitgenommen hatte, waren die Schläge, die ich absolut nicht verdient hatte und ich ungerecht fand. Wenn man überhaupt von Schläge verdienen reden kann. Kein Kind oder Jugendlicher kann es verdient haben, von seinen Eltern geschlagen zu werden. Wie denn auch sei.

Jedenfalls waren wir alle von unserem Garten, der gerade mal eine Straße weit von der Wohnung entfernt lag, auf dem Weg nach Hause. Meine Mutter schien nicht davon begeistert gewesen zu sein, dass mein Vater mal wieder betrunken war. Zumindest gingen meine Mutter, mein Bruder und ich so zügig nach Hause, dass mein Vater immer mehr hinterher hinkte. Auch als wir unserer Mutter sagten, dass Vati nicht nachkommt, war das für sie kein Grund langsamer zu gehen.

Zuhause angekommen, schloss sie die Haustür auf und wir gingen rein. Da mein Vater auch noch rein musste, wollte ich die selbstschließende Tür offen lassen und sie an der Wand am Harken festmachen. Als das meine Mutter sah, sagte sie mir, dass ich die Tür zumachen soll. Selbst auf mein Reden, dass Vati noch kommt, den ich in diesem Moment auch schon auf der Straße gesehen hatte, fuhr sie mich an, dass ich die Tür schließen soll. Gut erzogen wie ich war und trotz der Zwickmühle in der ich mich befand, weil ich es unfair fand, die Tür zu schließen, obwohl ich meinen Vater schon näher kommen sah, ließ ich die Tür wieder los und kam der Aufforderung meiner Mutter nach, die Tür zu schließen und mit nach oben in die Wohnung zu kommen.

Ich konnte damals nicht soweit denken, dass ich etwas unrechtes getan hätte. Wir wurden so erzogen, dass wir zu hören hatten und wussten, dass es bei Unterlassung meistens Schläge gab. Ich hatte nur ein schlechtes Gewissen, weil ich es nicht für richtig hielt, die Tür einfach zufallen zu lassen. Das Ergebnis, auf meine Mutter zu hören, bekam ich keine zwei Minuten später zu spüren.

Wütend und aufgebracht kam mein Vater ins Zimmer gerannt, auf mich zu, und bevor ich überhaupt irgendwas denken konnte, fing er an, mir mit seiner ausgestreckten Hand links und rechts mit voller Wucht ins Gesicht zu schlagen. Und mit jeder Silbe die er sprach kam der nächste Schlag, bis er ausgesprochen hatte.

"Machst-du-mir-noch-ein-mal-die-Tür-vor-der-Na-se-zu-dann-kannst-du-rich-tig-was-er-le-ben!".

Er hörte auch nicht auf, als ich sagte, dass ich auf Toilette muss. Ich war so geschockt und die Ohrfeigen haben geschmerzt wie nie zuvor, dass ich plötzlich auf Toilette musste. Aber mein Vater war so in Rage, dass er weiter machte und ich mich eingepinkelt hatte. Froh darüber, dass er endlich fertig war und ich dieses hinter mir hatte, ging es sogleich weiter,

"Jetzt-kannst-du-auf-Toi-let-te-ge-hen", legte er noch nach.

Auch meine Worte, dass Mutti gesagt hatte, dass ich die Tür zumachen sollte, brachten nichts. Ganz im Gegenteil. Das machte ihn nur noch wütender und er ließ es an mir aus.

Ich habe mich so geschämt. Nicht nur, dass ich richtig welche drauf bekommen habe, sondern weil ich mich dabei eingepinkelt habe. Mein Gesicht hat so doll gebrannt, dass meine Blase schlapp gemacht hatte. Das schlimmste allerdings war, das ich welche bekommen habe, obwohl ich doch nur auf meine Mutter gehört hatte. So, wie es uns jahrelang schon eingebläut wurde. Mein Sinn für Gerechtigkeit zwischen meinen Eltern und mir war seit diesem Tage dahin. Und nicht nur das. Ich hatte von diesem Tag an immer Angst, dass sowas noch mal passieren könnte und habe immer gehofft, dass mir nichts gesagt wird, was mich in eine solche Situation, in so eine Zwickmühle bringen würde. Ich hatte noch mehr Angst vor meinem Vater, als vorher schon.

Diese Situation wurde nie aufgelöst. Ich hatte gehofft, dass sie meinem Vater die Wahrheit sagen würde, dass sie das verlangt hat, weil sie Streit hatten, weil mein Vater betrunken war. Aber das hatte sie sich nicht getraut.

Weder mir, noch meinem Bruder wurde oft gesagt, dass wir lieb gehabt werden. Aus Respekt vor meinem Vater wurde mit den Jahren Angst. Angst etwas falsch zu machen, Angst etwas zu vergessen, ja, sogar Angst ihm zu begegnen. Ich bin ihm als Kind und später auch als Jugendlicher soweit wie möglich aus dem Weg gegangen. Ich setzte alles daran, die Schule fertig zu machen und mir einen Ausbildungsplatz zu suchen, für den ich Zuhause ausziehen müsste.

Die Erziehungsmethode meiner Eltern bzw. meines Vaters bestand also aus Leistungsdruck. Mach was wir sagen, dann bekommst du Liebe oder besser gesagt, keine Prügel. So lernte ich immer das zu machen was meine Eltern sagten, ohne darüber nachzudenken, ohne zu lernen mir eine eigene Meinung zu bilden. Ich machte alles damit meine Eltern immer zufrieden mit mir waren. Das zieht sich bis in die heutige Zeit durch. Ja, sogar beruflich war es, mit meinem heutigen Wissen, lange Zeit präsent. Ich machte, was mir andere sagten. Wobei das nicht immer ein Nachteil war. Dazu aber später mehr.

Für Dinge, für die ich als Kind eine um die Ohren bekommen habe, hagelt es heute verbale "Schläge". Selbst das konnte mein Vater schon gut als ich noch Zuhause gewohnt habe.

"Du hast auch nur Kacke im Hirn", oder dass ich hirnlos sei, sind nur zwei der Sätze, die ich damals schon regelmäßig zu hören bekam. An sich nicht so sehr schlimm, aber mit dem Ton, der energischen Stimme und der Wut, mit der Regelmäßigkeit, mit denen mir diese Sätze immer wieder an den Kopf geworfen wurden, haben sie ihre Spuren hinterlassen. Und zwar, wie ich heute noch meinem Vater gegenüber trete, ihn behandle oder ich mich ihm gegenüber verhalte.

Mein Vater sieht nur das, was ich nicht geschafft habe und hat mir bis vor zwei Jahren alles vorgehalten, was in seinen Augen alles bei mir daneben ging oder wenn ich seiner Ansicht nach erfolglos war.

Leben, mit meiner

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