Читать книгу Triceratops - Stephan Roiss - Страница 37
ОглавлениеMUTTER RUHTE AUF dem Sofa. Vater hatte die Fernbedienung in der Hand. Rings um die Obstschale stapelten sich alte Zeitungen. Auf dem Parkett lag ein loses Blatt mit einem Kreuzworträtsel. Vater hatte Drudensterne in die Kästchen der obersten Reihe gekritzelt.
Wir saßen auf einem zerschlissenen Fauteuil zwischen unseren Eltern und verfolgten, wie Vater alle fünf Sekunden auf einen neuen Sender umschaltete. Irgendwann begannen Mutters Lippen zu zittern, sie griff sich an die Stirn, schluchzte laut auf. Es schnürte uns die Kehle zu. Wir sind nicht alleine mit Mutter, sagten wir uns, Vater ist da. Er wird sich um sie kümmern. Vater starrte auf den Fernseher, drückte auf irgendeine Ziffer der Fernbedienung, das Bild wurde kurz schwarz.
»Wird schon wieder«, sagte er.
Der Arzt hatte es bereits mehrfach mit Nachdruck empfohlen und Mutter wochenlang mit der Entscheidung gehadert. Nie wieder hatte sie in die geschlossene Abteilung gewollt. Mit geröteten Augen stieg sie zu Vater ins Auto. Wir sperrten die Haustür ab, ließen uns im Keller ein Bad ein, lagen bei Kerzenschein im warmen Wasser. Ab und an holten wir Luft, tauchten mit dem Kopf unter, sprachen blubbernd ein Wort aus. Fell. Welle. Delfin. Die Haut an den Fingerkuppen wurde schrumpelig. Wir hörten, wie die Haustür geöffnet wurde. Mutters Stimme. Schritte auf der Stiege. Mutter öffnete die Tür zum Badezimmer und schaltete das Licht an.
»Ihr braucht mich doch!«
Unsere Schwester war mit ihrer Klasse in Rom.
Tief in der Nacht gingen wir in den Keller hinunter und legten uns mit einem Schlafsack in die leere Badewanne. Unser eigenes Kratzen weckte uns. Wir hielten unsere Unterarme in das Licht der Leuchtstoffröhre. Striemen, rot und feucht, von den Ellenbeugen bis zu den Handgelenken. Wir stiegen aus der Wanne, stellten uns vor das Waschbecken und ließen kaltes Wasser über die Arme laufen. Das betäubte den Juckreiz für einige Minuten. Danach legten wir uns wieder in die Wanne, deckten uns mit dem Schlafsack zu und versuchten einzuschlafen. Bis wir den Juckreiz erneut spürten, aufstanden, den Wasserhahn aufdrehten.
Mutter saß mit verschränkten Armen am Frühstückstisch und beobachtete uns. Die Marmeladesemmel, die sie uns gemacht hatte, rutschte uns aus der Hand, der Teller schepperte.
Mutter sagte: »Ich gebe dir zehn Schilling für jeden Fingernagel, den ich dir abschneiden kann.«