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Wissen ist nicht Glauben

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Reinkarnation ist mehr als eine Glaubenssache, es gibt Beweise, doch natürlich können sie angezweifelt werden. Wer die buddhistische Philosophie ablehnt, wird auch Gründe gegen seine Wiedergeburt finden. Interessant wäre es herauszufinden, warum das so ist. Nur darauf zu beharren, dass man schließlich nicht mit Stäbchen isst, sondern mit Messer und Gabel würde für mich trotz meiner Sozialisation in einem deutschen Elternhaus mit einer frommen Großmutter nicht gelten. Wenn ich fragen darf: Haben Sie sich schon einmal gefragt, warum Sie nicht an Wiedergeburt glauben können oder wollen?

An dieser Stelle möchte ich den Dalai Lama zu Wort kommen lassen. Seine Heiligkeit kennt sich in dem Thema aus, ist mehrfach wiedergeboren: »Soweit ich weiß, hat es noch kein moderner Psychologe, Physiker oder Neurowissenschaftler vermocht, die Erzeugung von Bewusstsein aus Materie oder ohne Ursache zu beobachten oder vorauszusagen. Es gibt Menschen, die sich an ihr unmittelbar vorausgegangenes Leben oder sogar an mehrere frühere Leben erinnern können und auch in der Lage sind, Orte und Verwandte aus diesen Leben wiederzuerkennen. Es gibt viele Menschen im Osten wie im Westen, die sich Ereignisse und Erfahrungen aus ihren früheren Leben ins Gedächtnis rufen können. Dies zu leugnen wäre keine aufrichtige und unvoreingenommene Art zu forschen, denn es liefe diesen offensichtlichen Beweisen zuwider. Das tibetische System der Erkennung von Reinkarnationen ist eine authentische Untersuchungsform, die auf der Erinnerung von Menschen an ihre früheren Leben basiert.«2

Mich persönlich hat die Geschichte von Barbro Karlén fasziniert, die schon als Kind behauptete, sie heiße nicht Barbro, sondern Anne, mit Nachnamen Frank und, 1954 in Göteborg geboren, über ein Wissen verfügte, das auch Zweifler verblüffte. So fand sie im Kindesalter unter anderem in Amsterdam, einer Stadt, die sie niemals zuvor besucht hatte – und Google Maps gab es auch noch nicht –, ohne Schwierigkeiten »ihr« Versteck, in dem sie sich wie zu Hause fühlte und Dinge wusste, die niemals veröffentlicht worden waren, von Zeitzeugen jedoch bestätigt wurden.

Viele Menschen lehnen die Lehre der Wiedergeburt ab, weil sie glauben, alle wollten nur berühmte Persönlichkeiten gewesen sein. Doch in solchen Fällen ist es natürlich einfacher, etwas nachzuprüfen. Da aber über eine Person von öffentlichem Interesse mehr Fakten bekannt sind – die, so die Kritiker, sich jemand angelesen haben könnte –, auch schwieriger.

Was mich betrifft, brauche ich keine Beweise mehr. Ich fühle eine tiefe innere Gewissheit, dass ich wiedergeboren wurde und werde. Die Vorstellung, dass ich einen kleinen Einfluss auf mein Ableben habe und meinen Geist vorbereiten kann auf dieses wichtige Erlebnis, hat mich beflügelt, mich immer tiefer mit diesem Thema zu beschäftigen. Zudem hat mich die Verheißung, dadurch einem Patientendasein im hochaufgerüsteten Techniktempel Klinik oder einer Aufbewahrungsanstalt für Senioren zu entfliehen, wo ich, unter Umständen halb tot am Leben gehalten würde, zur Betrachtung der Alternativen des Abschieds motiviert. Für einen Buddhisten sehen sie folgendermaßen aus: Wenn ich sterbe, verlasse ich diese alte Maschine, um eine neue zu erwerben, um weiter Erfahrungen zu sammeln. Ich praktiziere Phowa, den Bewusstseinsübergang in andere geistige Ebenen, um einerseits meiner Umgebung nicht zur Last zu fallen, wenn die Maschine mit Totalschaden ausfällt. Andererseits, um meinen Geist zu schulen, sich in die geistigen Ebenen zu bewegen. Niemand muss mich retten, für niemanden bin ich ein Opfer, niemand kann mich nach dem Tod anklagen, ich wäre eine Belastung gewesen.

Am schönsten und intensivsten ist die Phowa-Meditation in einer Gruppe. Ich habe zehnmal je acht Tage daran teilgenommen, auch mit 3000 Buddhisten und dem 17. Karmapa. Nichts an all den Meditationen über die letzten vierzig Jahre hat mich so beeindruckt wie dieses aus dem Körper zu gleiten und in weite Ebenen zu strömen. Der geistige Raum ist bezaubernd, glitzernd, funkelnd, leuchtend, im Körper wird es so weit, als hätte man gar keinen Körper. Diese Erfahrung konnte ich auch in meine Arbeit einfließen lassen, und sie hat mir beim Tod meines Vaters geholfen. Ja, wir können auch anderen Menschen in ihrer letzten Lebensphase beistehen. Wir brauchen keine Angst vor dem Tod zu haben, und wir können uns ihm ein Stück weit annähern, indem wir andere auf ihrer Reise begleiten.

Ich hatte eine sehr intensive Beziehung zu meinem Vater. Er war Dirigent und Komponist, ein charismatischer Leader, eine süße Seele, wenngleich belastet durch die Wirren des Zweiten Weltkrieges. Als Kind saß ich unzählige Stunden neben ihm am Klavier, ob zu Hause oder in Konzertsälen. Diese Erlebnisse haben mich geprägt. Als seine zweite Frau mich anrief und mir mitteilte, dass es jetzt wohl zu Ende gehe, beschloss ich, meinen Vater mit Phowa zu unterstützen. Er war Christ, hatte allerdings seine Mühe mit der Kirche als Institution und war eigentlich ein Freigeist. Wir hatten häufig über praktisches Christentum und den Unterschied zur Institution gesprochen.

Und nun saß ich wieder neben meinem Vater, meinem lieben Vater. Sein Körper war stark angeschwollen, auch seine Hände, die Finger. Kein Klavierton erfüllte den Raum, sondern das Pumpen und Surren der Maschinen. Ich schloss meine Augen, um seiner Seele nah zu sein.

Ich sagte innerlich: »Hey Alter«, so meldete er sich früher immer am Telefon: Hier ist dein Alter.

Ich hörte sein Ja.

»Vati, ich liebe dich sehr. Möchtest du, dass ich dir helfe, diesen Körper zu verlassen?«

Abermals hörte ich sein Ja, und es wurde weit, leicht und hell in mir. Das Licht unserer Seelen resonierte, wie ich es seit meiner Kindheit kannte. So nahm ich ihn nun mit auf die Reise durch unsere gemeinsame Geschichte und spürte, er war da. Bewusstsein, eine Ebene höher, wie im Schlaf und doch ganz wach. Erinnerungen … sein Besuch im Krankenhaus, ich war fünf Jahre alt, und er brachte mir eine Briefmarke von John F. Kennedy, unsere vielen Reisen und Konzerttourneen …

Der Raum wurde größer, weiter und heller, mit unendlicher Liebe gefüllt. Nach einiger Zeit in diesen traumhaften farbigen Bildern fragte ich ihn ohne Worte: Soll ich dir helfen, jetzt aus dem Körper zu gehen in die weiten Ebenen von Buddhas reinem Land? Wenn du willst, kannst du auch in den Himmel Jesu strömen. Sein Ja erfüllte den Raum.

Später trank ich auf dem Krankenhausflur einen scheußlichen Kaffee aus einem Plastikbecher mit meinem Bruder und der Frau meines Vaters. Wir waren uns einig, die Ärzte, die uns auf einen langen Prozess und »Todeskampf« vorbereitet hatten, zu bitten, die lebenserhaltenden Geräte in zwei Tagen abzustellen. Wir waren kaum zwei Stunden zu Hause, da rief das Krankenhaus an. Wider Erwarten war mein Vater gestorben. Er hatte losgelassen. Mich durchflutete ein großer heller, warmer, weiter, goldener Strom von Glück. Und Dankbarkeit.

Es ist noch kein Meister in den Himmel gefallen

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