Читать книгу Plot & Struktur: Dramaturgie, Szenen, dichteres Erzählen - Stephan Waldscheidt - Страница 5

Die Drei-Akte-Struktur und warum Sie für Ihren Roman so sinnvoll ist – Ein kurzer Überblick

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Manche Autoren fürchten sich vor Struktur. Dabei wird das Chaos der Kreativität erst durch Struktur lesbar – und erst durch Struktur kann eine Geschichte ihr volles Potenzial entfalten. Das Gleiche gilt übrigens auch für das Potenzial des Autors.

Die Drei-Akte-Struktur ist eine von vielen möglichen Strukturen, die in Ihrem Roman Ordnung schafft. Wenn Ihnen die Sache mit den Akten zu viel Respekt einflößt oder gar Angst macht, nennen Sie die Akte einfach um: in Anfang, Mitte und Schluss. Wer würde bestreiten, dass eine Geschichte diese drei Elemente braucht?

Die Struktur hat kein Schreibratgeber erfunden, um Autoren zu ärgern. Sie hat sich im Lauf der Menschheitsgeschichte, die immer auch eine Geschichte von Geschichten war, als bewährte Strukturierung entwickelt. Sprich: Sie war schon lange vor den Schreibratgebern da. Und nach vielen tausend Jahren der Entwicklung sollte sie doch recht ausgereift sein.

Das ist sie.

Das heißt: Wann immer Sie von dieser Struktur abweichen, betreten Sie ein Risikogebiet. In den meisten Fällen gehen Autoren dieses Risiko ohne Grund ein. Die meisten Romane jedweden Genres funktionieren wunderbar bis optimal mit der Drei-Akte-Struktur.

Manche Autoren sehen die Struktur als ein Korsett. Das ist sie nicht. Betrachten Sie diese Ordnung vielmehr als das Knochengerüst Ihres Romans. Sie brauchen die Knochen, damit der Körper sich bewegen kann, ja, damit er überhaupt lebt und funktioniert. Doch in welches Fleisch Sie ihn hüllen, in welche Klamotten Sie ihn kleiden und wie Sie ihn schminken, das alles bleibt Ihnen überlassen – und damit alles, was die Leser von Ihrem Roman zu lesen bekommen. Struktur ist für den Leser unsichtbar. Und das ist gut so.

Eine Struktur sorgt für formelhafte Romane? Wie viele Menschen kennen Sie, die genau gleich aussehen, sich genau gleich kleiden, sich gleich schminken, gleich reden, gleich gestikulieren? Die das gleiche fühlen und denken? Obwohl wir alle das gleiche Skelett haben, so ist doch keiner von uns wie der andere. So ist das auch bei Romanen.

Tatsächlich sind Meilensteine im Roman für Sie als pragmatische Autorin oder effektiv arbeitender Autor vor allem eins: wunderbare Hilfsmittel. Sie sind wie rote Stangen, die in hohem Schnee stecken und die Straße markieren. Folgen Sie ihnen, können Sie zwar immer noch vom Weg abkommen und einen Abhang herunterrutschen, aber das Risiko ist deutlich geringer.

Falls Sie zu den Autoren gehören, die sich nicht Trivialitätsverdacht aussetzen möchten und deshalb auf alles verzichten, was nur entfernt nach »Formel« riecht, kann ich Sie beruhigen: Kein Leser und kein Kritiker und nur wenige Lektoren werden es überhaupt bemerken, wenn Sie sich grob an solchen Meilensteinen orientieren (so wenig, wie sie erkennen, ob Sie mit Word oder Papyrus schreiben). Aber sehr viele von ihnen werden es bemerken, wenn Sie es nicht tun.

Den Finger werden die Wenigsten genau auf die Wunde legen können, aber spüren, dass mit dem Roman etwas nicht stimmt, das werden viele.

Die drei Akte heißen nach ihrer Funktion im Plot auch:

1. Exposition: Stellt die Welt, den Protagonisten samt Bedürfnis, Motiv und Fehlern vor sowie weitere Charaktere und das zentrale Problem des Romans.

2. Eskalation: Der Protagonist muss auf dem Weg zu seinem zentralen Ziel zunehmend größere Hindernisse überwinden. Er wandelt sich vom Wanderer zum Krieger und erlebt eine bittere Niederlage, die infrage stellt, was für ein Mensch er ist.

3. Resolution: Nach dem Durchstehen eines Höhepunkts erreicht der Protagonist das zentrale Ziel. Oder er scheitert.

In diesem Meisterkurs setze ich voraus, dass Sie die einzelnen Plotelemente (Meilensteine) zumindest vom Namen her kennen. Da jedoch keine einheitliche Nomenklatur existiert, gebe ich Ihnen hier kurz einen Überblick über die – nach meiner Auffassung – wichtigsten Eckpunkte.

Diese Elemente sind die Basics. Die meisten davon sind wichtig bis essenziell, bei einigen ist sogar die (mehr oder weniger exakte) Lage im Plot bedeutsam. Ihr Roman kann durchaus mehr Akte, mehr Wendepunkte, einen komplexeren Erzählbogen enthalten.

Weniger Meilensteine aber sollten es nicht sein, weil dann der Plot schlechter funktioniert. Oder gar nicht. Ein Mensch, dem der Schienbeinknochen fehlt, dessen Elle ihm aus dem Rücken wächst und dessen Nasenbein ihm mitten im Großhirn steckt, wird keinen Marathon laufen können. Oder leben.

Was Sie hier neu finden, sind Punkte, die ich Katalysatoren nenne. Damit teile ich die wichtigsten Meilensteine auf – in eine Entscheidung des Protagonisten (den eigentlichen Plotpoint) und in ein Ereignis, das diese Entscheidung anstößt (den Katalysator). Auf diese Weise wird die Struktur anschaulicher und die Meilensteine sind einfacher zu verwenden. Dazu unten noch mehr.

Ich unterscheide zwischen Plotpoints und Wendepunkten – ein Wendepunkt ist genau das: eine Wendung im Plot, groß oder klein, wichtig oder weniger wichtig. Eine überraschende Wendung nenne ich Twist.

Die Plotpoints hingegen sind die zentralen Wendepunkte im zentralen Plot Ihres Romans. Sie betreffen den Protagonisten und sie betreffen keine Subplots, sondern die Kerngeschichte. Jeder Roman sollte sich auf diese Plotpoints stützen: den ersten PP am Ende des ersten Akts und den zweiten PP am Ende des zweiten Akts. Auch den Midpoint können Sie zu den Plotpoints zählen.

Der Midpoint heißt bei mir deshalb nicht Mittelpunkt, weil das Wort »Mittelpunkt« mehrdeutig ist. Schreibe ich Midpoint, meine ich immer den Dreh- und Angelpunkt in der Mitte des Romans.

1. Akt: Exposition

Aufhänger (Haken, Hook; auf den ersten Seiten des Romans, am besten auf der ersten Seite)

Hieran ziehen Sie den Leser in den Roman. Das geht besonders gut, wenn Sie eine dramatische Frage stellen.

Beispiel: Ein kleines Mädchen wird Augenzeuge eines Mordes und läuft weg. Die dramatischen Fragen sind hier unter anderem: Wer hat das Verbrechen warum begangen? Was wird das Mädchen mit dem Wissen anfangen?

Auslösendes Ereignis (inciting incident; bis spätestens zur Hälfte des ersten Akts)

Das Ereignis, das den Roman in Gang setzt. Dieser Punkt dient dem Roman als der Über- oder Ur-Katalysator, da er nicht nur einen Meilenstein bedingt, sondern den ganzen Roman. Man könnte das Auslösende Ereignis auch als Initialzündung des Romans bezeichnen.

Beispiel: Der Kommissar und seine Assistentin, die Protagonistin, werden zum Tatort des Mordes gerufen.

Verweigerung des Rufs (als Teil der Heldenreise; meist vor dem Katalysator des ersten Plotpoints)

Der Ruf ist der Ruf des Abenteuers, der Ruf von Konflikt und Veränderung und die Aufforderung, sich dem zentralen Problem des Romans zu stellen.

In diesem Punkt, der eher obligatorisch ist, zeigen Sie Ihre Protagonistin als das träge, auf den Status quo bedachte Wesen, das wir alle mehr oder weniger sind. Daher verleiht dieser Punkt Ihrem Roman mehr Realität. Die Protagonistin will nicht raus aus ihrem bisherigen Trott oder Leben. Sie denkt, sie kommt mit dieser Verweigerungshaltung durch.

Beispiel: Die Assistentin des Kommissars ist von der Brutalität des Mordes entsetzt. Sie denkt daran, sich in eine andere Soko versetzen zu lassen, erfindet schon am Tatort Ausflüchte und Argumente. (Professionelle Ermittler können sich dem Ruf meist nicht entziehen, eben weil es ihr Job ist, ihn anzunehmen.)

Katalysator des ersten Plotpoints (vor dem ersten Plotpoint und zugleich dessen Auslöser)

Ein dramatisches Ereignis, das den Protagonisten zu einer Entscheidung drängt. So dramatisch, dass eine Verweigerung, sich der Aufgabe zu stellen, nicht länger möglich ist.

Beispiel: Der Kommissar wird bei einem Autounfall mit Fahrerflucht lebensgefährlich verletzt. Der Kripochef bietet der Assistentin die Ermittlungen in dem Mordfall an. Mit einer Ablehnung würde sie ihr Team im Stich lassen und ihrer Karriere einen herben Rückschlag versetzen, was für sie beides nicht infrage kommt.

An diesem Punkt erkennen Sie sehr schön, wie sinnvoll und logisch, ja, notwendig eine solche Struktur ist.

Der Katalysator des ersten Plotpoints folgt notwendig auf den Ruf: Es muss etwas passieren, damit die Heldin ihre Verweigerungshaltung aufgibt. Zugleich bedingt der Katalysator des ersten Plotpoints den ersten Plotpoint, in dem sich die Heldin auf das zentrale Ziel des Romans festlegt, weil er sie zu einer Entscheidung zwingt.

Von der anderen Seite betrachtet, bedingt der Plotpoint den Katalysator: Damit die Heldin ihre Entscheidung trifft, muss zuvor etwas passieren – und da es meist eine große Entscheidung ist, muss etwas Großes passieren, um diese Entscheidung anzustoßen. Die Heldin braucht schlicht einen guten Grund. Geben Sie ihr diesen Grund nicht, wirkt die Entscheidung aus der Luft gegriffen, sie wirkt unglaubhaft und nicht authentisch.

Die Struktur hilft Ihnen dabei, solche krassen Fehler zu vermeiden. Keine Sorge, Ihnen bleibt genug Raum für jede Menge anderer Fehler ...

Wie Sie bei all diesen Meilensteinen sehen: Sie erfüllen eine sehr entscheidende Aufgabe, mehr noch: Diese Aufgabe ist in den meisten Fällen unverzichtbar.

Erster Plotpoint (PP1, Punkt ohne Wiederkehr, Plotpoint des ersten Akts; nach etwa 20 bis 25 % des Romans)

Eine Entscheidung, wo die Protagonistin sich dem zentralen Ziel des Romans verpflichtet (In der Heldenreise: Annahme des Rufs). Hinter diese Entscheidung gibt es meist kein Zurück mehr, auch diese Absolutheit erhöht ihre Tragweite.

Beispiel: Die Assistentin stellt sich ihrer neuen Aufgabe. Sie wird die Ermittlungen des Mordfalls führen und die Soko leiten.

2. Akt: Eskalation

Erster Pinchpoint (etwa in der Mitte zwischen erstem Plotpoint und Midpoint)

Der Antagonist, Gegenspieler, Schurke beweist (dem Leser und meist auch der Protagonistin) seine Gefährlichkeit. Er tut das insbesondere hinsichtlich seiner Fähigkeit, die Protagonistin am Erreichen ihres Ziels zu hindern.

Beispiel: Die Polizisten stürmen eine Wohnung, in der sie den Schurken vermuten. Doch statt ihm finden sie nur – eine Bombenfalle. Bei der Explosion sterben drei Polizisten.

Sie wollen Ihren Lesern ein spannendes Erlebnis verschaffen. Da ist es nur logisch, dass Sie ihm zeigen, wie gefährlich und stark der Gegenspieler (oder, allgemeiner: die seinem zentralen Ziel entgegenwirkende Kraft ist). Ein harmloser Gegenspieler sorgt nicht für Spannung. Ebenso wenig wie ein Gegenspieler, den Sie nie erwähnen. Voilà, schon haben Sie sich selbst die Notwendigkeit eines Pinchpoints begründet.

Auch seine Position nach etwa einem Viertel des zweiten Akts ergibt Sinn. Die Protagonistin hat ihr zentrales Ziel bereits eine Weile verfolgt, ermittelt, Informationen gesammelt. Da ist es an der Zeit, den Leser an den Bösewicht zu erinnern, ihm zu zeigen, welche Bedrohung er bedeutet. Und: Ein solcher Pinchpoint macht deutlich, wie hoch die Einsätze für die Protagonistin sind. Hier in unserem Beispiel wird klar: Sie setzt nicht bloß ihre Karriere aufs Spiel, wenn sie den Fall nicht löst und den Mörder nicht fasst – sie kann, wie drei ihrer Kollegen, sogar ihr Leben verlieren.

Katalysator des Midpoints (kurz vor dem Midpoint)

Ein dramatisches Ereignis, das die Ereignisse bis dahin auf den Kopf stellt. Auslöser für den Midpoint. Dieser Katalysator des Midpoints ist häufig positiv, etwa eine wichtige Entdeckung des Protagonisten.

Beispiel: Die Protagonistin stößt bei ihren Ermittlungen auf einen Namen – jetzt kennt sie die Identität des Mörders!

Midpoint (ziemlich genau in der Mitte des Romans)

Die Ereignisse ändern die Richtung. Die Protagonistin wird proaktiv. Der Jäger wird zum Gejagten. Der Protagonist wird vom Wanderer zum Krieger. Nach dem Midpoint startet häufig ein neuer Subplot.

Beispiel: Die Protagonistin brieft ihre Soko und gibt die neue Richtung vor: Findet Frank Schurkowski! Sie nimmt einen neuen Spezialisten mit in die Soko, der sich mit dem Aufspüren und Ausschalten von Verbrechern auskennt (neuer Subplot).

Um den Midpoint herum finden sich häufig zwei weitere besondere Meilensteine.

Mirror (Blick in den Spiegel; nach etwa 50 % des Romans und kurz vor dem Midpoint)

Bevor sich die Protagonistin in eine für sie neue Richtung bewegt, führt sie eine Bestandsaufnahme durch: Was bin ich für ein Mensch? Wie weit bin ich gekommen? Was bedeuten die Entwicklungen für mich ganz persönlich?

Das, was sie im Spiegel sieht (einem metaphorischen oder einem realen), beeinflusst ihre Entscheidung und die Art, wie sie weiter vorgeht.

Beispiel: Die Protagonistin geht vor ihrem Meeting mit der Soko noch schnell auf die Toilette. Während sie ihr Make-up überprüft, fragt sie sich, ob sie tatsächlich das Richtige tut. Ob sie die Richtige ist für den harten Job, der auf sie zukommt. Ob das hier das ist, was sie immer tun wollte und ob ihr Vater stolz auf sie wäre.

Dieser Punkt kann auch als Katalysator die Entscheidung im Midpoint anstoßen.

Sex at sixty (nach etwa 50 % des Romans und kurz vor dem Midpoint)

Der Begriff stammt aus der Filmsprache. Mit »sixty« ist die sechzigste Minute eines Zwei-Stunden-Spielfilms gemeint oder die Seite 60 eines typischen Drehbuchs von 120 Seiten. Der Sex ist meist metaphorisch gemeint, kann aber durchaus auch stattfinden.

In der dazugehörigen Szene zeigen Sie als Autor zwei Ihrer Hauptfiguren in einem emotionalen, intimen Moment. Das kann die Bestätigung zweier Kollegen sein: »Ja, du bist cool, und wir kriegen den Drecksack von Schurkowski dran«, ein erstes Date zweier Liebender. Es kann subtil sein wie ein verstohlen verliebter Blick oder so exzessiv wie dramatischer Sex ohne Schranken.

Der Moment spiegelt das Happy End wider oder deutet es voraus.

Dieser Punkt kann auch als Katalysator die Entscheidung im Midpoint anstoßen.

Zweiter Pinchpoint (etwa in der Mitte zwischen Midpoint und zweitem Plotpoint)

Eine zweite große Erinnerung für den Leser: Der Schurke ist nicht nur immer noch lebendig und aktiv, er ist so gefährlich wie eh und je – oder, nein: Er ist sogar noch gefährlicher.

Im zweiten Pinchpoint bietet sich auch ein Vergleich mit dem ersten Pinchpoint an. Der Gegenspieler unserer Heldin, Frank Schurkowski, erweist sich als gefährlicher als angenommen. Womöglich hat ihn unsere Heldin unterschätzt. Ein fataler Fehler, wie Sie hier zeigen.

Wie nebenbei trägt der zweite Pinchpoint zur Aufgabe des zweitens Akts bei: Die Ereignisse eskalieren, die Gefahr wächst, die Einsätze steigen. Im zweiten Pinchpoint zeigen und beweisen Sie dem Leser genau das.

Katalysator der Krise (zwischen zweitem Pinchpoint und zweitem Plotpoint)

Hier spielt sich häufig das bislang dramatischste Ereignis des Romans ab. Das kann eine Schlacht sein oder ein scheinbar entscheidender Kampf. Die Heldin wirft all ihre Kraft und Klugheit in diesen Konflikt – und verliert.

Wenn es Ihnen im Roman um die Veränderung Ihrer Heldin geht, so hat sie diesen Kampf verloren, weil sie ihn als ihr altes Selbst gefochten hat. Sie hat sich der notwendigen Wandlung verweigert und bekommt die Quittung dafür.

Im Katalysator der Krise, der meist eine Katastrophe ist, verliert die Heldin etwas Entscheidendes. Das kann in ihrem Inneren ein lang gehütetes Selbstverständnis sein. Das kann in der äußeren Welt der Tod eines Verbündeten oder der Bruch mit einem geliebten Menschen sein.

In Romanen mit einem eher positiven Ende ist dieser Katalysator eine Niederlage, die größte bisher. Endet der Roman schlecht für die Heldin, sind die Vorzeichen womöglich umgekehrt: Sie gewinnt hier, was falsche Hoffnungen in ihr weckt, nur um in der finalen Schlacht im Höhepunkt doch und endgültig zu verlieren.

Krise / dunkelste Stunde (All is lost; Fegefeuer; direkt nach dem Katalysator)

Auf die Niederlage des Katalysators folgt die Krise. Die Heldin erlebt ihre dunkelste Stunde. Das ist der emotionale Tiefpunkt des Romans. Doch erst, wenn die Heldin diese Talsohle durchschreitet, ist sie bereit für den dritten Akt.

Wichtig ist, dass die Krise nicht bloß ein trauriger Moment ist. Hier ist tatsächlich alles verloren: die Heldin hat ihren Traum aufgegeben, ihr Geliebter zieht bei einer anderen Frau ein, sie kehrt mit eingezogenem Schwanz nach Hause zu den Eltern zurück. Eine Rettung ist tatsächlich unmöglich – für die Frau, die unsere Heldin da noch ist!

Beispiel: Im Film »Zoomania« (USA 2016) kehrt Heldin und Häsin Judy Hopps nach Hause zurück. Sie hat eine persönliche Niederlage einstecken müssen und hat daraus die Konsequenzen gezogen: Die Arbeit als Polizistin, von der sie ihr Leben lang geträumt hat, ist wohl doch nichts für sie. Sie wird Gemüsebäuerin wie alle ihre Artgenossen.

Katalysator des zweiten Plotpoints (direkt nach der Krise)

Die Heldin erhält eine neue Information, die alles verändert, ihre Überzeugungen über den Haufen wirft oder ihr die Chance zur Veränderung eröffnet.

Im Charakterbogen der Heldin ist das der Moment, wo sie ihren fatal flaw oder tragic flaw, den entscheidenden Webfehler ihrer Persönlichkeit, endlich durchschaut.

So mag sich das Missverständnis aufklären, das sie und ihren Geliebten voneinander getrennt hat. Oder der Ermittler erhält eine neue Information, die ihn den schon verloren geglaubten Fall neu aufrollen lässt.

Beispiel: Im Film »Zoomania« (USA 2016) erkennt Heldin Judy Hopps an dieser Stelle, dass mit »Könige der Nacht« nicht etwa die Wölfe gemeint sind, wie sie lange Zeit annahm, sondern Blumen – und die sind dafür verantwortlich, dass sich die Raubtiere von Zootopia zurück in Bestien verwandeln.

Zweiter Plotpoint (PP2, Plotpoint des zweiten Akts; nach etwa 75 bis 80 % des Romans)

Manchmal wird dieser Plotpoint auch dritter Plotpoint genannt, sofern der Midpoint als zweiter Plotpoint bezeichnet wird. Wichtig ist nicht der Name, sondern seine Stellung: Er steht am Ende des zweiten Akts und katapultiert den Roman in den dritten und letzten Akt.

Hier im zweiten Plotpoint trifft die Heldin die Entscheidung, die die Handlung in den finalen Akt schubst. Sie macht sich daran, die kaputte Beziehung zu ihrem Geliebten zu heilen. Sie rollt den Mordfall neu auf und konzentriert sich auf neue Beweise.

Nur weil sie ihren entscheidenden Fehler endlich erkannt hat, kann sie jetzt die richtige Entscheidung treffen.

Beispiel: Im Film »Zoomania« (USA 2016) zieht Heldin Judy die Konsequenz aus ihrer Entdeckung, was tatsächlich mit »Könige der Nacht« gemeint ist. Sie kehrt nach Zootopia zurück, um mit diesem neuen Wissen das Verbrechen nun doch noch aufzuklären.

3. Akt: Resolution

Moment der Wahrheit

Ein Bruder des Mirror-Moments, eine letzte, oft sehr persönliche und intime Bestandsaufnahme, bevor die Hölle des Höhepunkts losbricht.

An dieser Stelle bekennt die Heldin ihren entscheidenden Fehler, etwa ihrem Geliebten gegenüber, und räumt das Missverständnis aus. Sie öffnet sich ganz, legt ihre Seele, ihr Innerstes, ihre tiefsten Gefühle blank.

In einer Liebesgeschichte offenbart der Held der Heldin hier seine wahren Gefühle.

Beispiel: Im Film »Zoomania« (USA 2016) gibt die Heldin ihrem Freund Nick Wilde gegenüber zu, dass sie ihn vorverurteilt hat, nur weil er ein Fuchs ist, und damit einen großen Fehler beging. Es ist eine Entschuldigung und zugleich ein Geständnis ihrer Gefühle.

Auf der Gegenseite des Antagonisten ist das häufig der Moment, wo der Schurke seine teuflischen Pläne erklärt und dem Leser viele Dinge klar werden.

Beispiel: Ziemlich viele der alten James-Bond-Filme.

Twist (Third Act Twist; ein wichtiger Punkt für Drehbuchautoren)

In diesem Wendepunkt folgt die in vielen Fällen krasseste Enthüllung des Romans. Sie stellt den kompletten zweiten Akt auf den Kopf. Im Idealfall löst sie im Leser dieses Gefühl aus, das wir alle kennen: erstens ein »Wow!«, zweitens ein »Natürlich! Wie konnte ich das nur übersehen!«

Häufig erweist sich hier, dass der vermeintliche Oberschurke gar nicht der Oberschurke ist, sondern womöglich nur ein Helfershelfer.

Beispiel: Im Film »Zoomania« (USA 2016) entpuppt sich die stellvertretende Bürgermeisterin (ein scheinbar kleines, kuscheliges und fügsames Schaf) als die eigentliche Strippenzieherin des zentralen Verbrechens.

Oder es wird eine Information enthüllt, die den Leser die Handlung mit neuen Augen sehen lässt.

Beispiel: In dem Science-Fiction-Klassiker »Jahr 2022 … die überleben wollen« (USA 1973) entpuppt sich in diesem Twist das von den hungernden Massen so begehrte, vermeintlich synthetisch hergestellte Soylent Grün als ... Menschenfleisch.

Höhepunkt (Klimax; im Drehbuch auch »obligatorische Szene«, nahe am Ende des dritten Akts)

Hier findet die alles entscheidende Auseinandersetzung zwischen Protagonistin und Gegenspieler statt. Es werden keine Stellvertreterkriege mehr ausgefochten. Heldin und Oberschurke treffen direkt aufeinander.

Häufig kracht es in dieser Szene am lautesten. Alle Fäden laufen zusammen, von beiden Seiten wird das Letzte an Reserven mobilisiert.

Das »direkte Aufeinandertreffen« wird in Filmen häufig dadurch gezeigt, dass alle Waffen leergeschossen sind, die Schwerter in den Abgrund gefallen – jetzt bleiben nur noch die nackten Fäuste. Direkter geht es nicht. Hier sehen Sie zugleich die Gefahr, im Klischee zu landen. Die wenigsten Leser wird das stören. Doch wenn es Sie stört, denken Sie darüber nach, wie ein möglichst unmittelbares Aufeinanderprallen der Gegner noch aussehen könnte.

Alle noch nicht aufgelösten Subplots haben an dieser Stelle / in dieser Szene ebenfalls ihren Höhepunkt.

Beispiel: Während die Heldin gegen den Oberschurken kämpft, kämpft ein Verbündeter der Heldin gegen den Adjutanten des Oberschurken, mit dem er noch ein Hühnchen zu rupfen hat.

Die Protagonistin kann diesen Kampf nur deshalb gewinnen, weil sie sich verändert hat – sie ist nicht mehr dieselbe Person wie die, die im Katalysator der Krise verloren hat.

Häufig nutzt sie hier Hilfsmittel oder Ideen, die im ersten oder zweiten Akt angelegt und vorbereitet wurden.

Beispiel: In »Zoomania« (USA 2016) benutzt die Heldin Judy Hopps das in einem Kugelschreiber verborgene Aufnahmegerät, um das Geständnis ihrer Gegenspielerin aufzuzeichnen. Das Gerät wurde zuvor mehrfach in Aktion gezeigt.

Emotionaler Höhepunkt (während des Höhepunkts oder direkt danach)

Neben dem zentralen Plot (sagen wir, einer Geiselbefreiung) finden im Höhepunkt des Romans auch die Emotionen ihren intensivsten Moment. Das kann einen Liebessubplot abschließen (eine der Geiseln ist der Geliebte der Heldin).

Beispiel: Die Protagonistin hat im Höhepunkt ihren Geliebten befreit. Jetzt sitzen sie auf der Stoßstange des Rettungswagens, der inmitten von Trümmern steht, und küssen sich – der frischen Wunden wegen aber seeehr vorsichtig.

Dénouement (nach dem Höhepunkt, ganz am Ende des Romans)

Hier fällt die Spannung ab. Insofern ein wichtiger Punkt, als dass dort die Stimmung gelegt wird, mit der der Leser den Roman am Ende zuklappt.

Beispiel: Es wird gezeigt, wie die Heldin trotz ihrer im Höhepunkt erlittenen Verletzung im Alltag zurechtkommt und sie ihren neuen Hund erzieht, nachdem der alte im Höhepunkt des Romans sein Leben für sie ließ. Die Stimmung hier: melancholisch, aber hoffnungsvoll.

Beispiel: In »Der Herr der Ringe« kann Frodo nach dem Höhepunkt keinen Frieden finden, zu tief sind die Wunden, die er als Ringträger erlitten hat. Gemeinsam mit Bilbo und Gandalf schifft er sich an den Grauen Anfurten ein, um Mittelerde zu verlassen.

Gerade in langen Romanen oder Romanreihen, die die Leser in eine eigene Welt mitgenommen haben, kann ein Dénouement sinnvoll sein, um dem Leser den Abschied schonender erleben zu lassen und ihn sanft in seinen Alltag zurückzuführen.

In vielen Fällen ist das Dénouement jedoch überflüssig, ja, es schadet sogar, weil es den Leser noch im Roman hält, obwohl die Geschichte zu Ende erzählt ist. Noch zu verknüpfende lose Fäden werden meist besser vor dem Höhepunkt zusammengeführt. Überhaupt müssen nicht alle Fäden verknüpft werden. Ein offenes Ende in dem einen oder anderen Subplot ist für den Leser oftmals die bessere Variante.

Falls der Roman jedoch als Teil einer Serie oder Reihe fungiert, kann hier schon der Grundstein für den nächsten Teil gelegt werden.

Beispiel: In der letzten Szene des Films »Iron Man« (USA 2008) nach dem Abspann taucht Nick Fury auf und bietet Tony Stark alias Iron Man eine Mitgliedschaft bei den Avengers an.

Plot & Struktur: Dramaturgie, Szenen, dichteres Erzählen

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