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Schriftrollen

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Der Weg der Handschrift aus dem 10. Jahrhundert von der Türkei über Israel und Frankreich bis in die USA lässt sich mithilfe von Dokumenten und Augenzeugenberichten nachvollziehen. Schwieriger wird es jedoch, wenn man wissen will, auf welchen Wegen die uralten griechischen Schriften überhaupt in die Schreibwerkstätten von Konstantinopel gekommen sind. Diese Tatsache ist nicht weniger erstaunlich als der Weg des Buches von Jerusalem nach Baltimore. Hyperides lebte im 4. vorchristlichen Jahrhundert in Athen. Archimedes forschte 100 Jahre nach Hyperides in Syrakus auf der Insel Sizilien. Weder Archimedes noch Hyperides schrieben ihre Texte auf jenes Pergament, das wir heute im Museum betrachten können. Pergament war in der griechischen und römischen Antike zwar nicht unbekannt, wurde aber nur sehr selten verwendet.

Überwiegend schrieben Griechen und Römer auf einer ägyptischen Erfindung. Ihre Bücher bestanden aus aneinandergeklebten Blättern aus Papyrus, die um einen hölzernen Stab, den umbilicus gewickelt wurden. Archimedes und Hyperides schrieben also auf Schriftrollen oder rotuli. Auf einem rotulus zeichnete man den Text in Spalten quer zur Rolle auf. Die Rollen maßen zwischen 13 und 30 cm in der Höhe. Die einzelnen Spalten oder Kolumnen waren somit ungefähr so lang und auch so breit wie Texte unserer heutigen Bücher auch. Eine Papyrusrolle konnte jedoch in der Länge 9 Meter oder mehr messen. Beschrieben wurde sie nur auf einer Seite. So konnte man den rotulus aufrollen und gleichzeitig den auf der Innenseite befindlichen Text schützen. Zum Schreiben verwendete man die festen Halme der Wasserbinse oder ein angespitztes Schilfrohr, den calamus, die man wie moderne Federn in Tinte tauchte.

Der große Erfolg der Papyrusrollen in der Kultur der antiken Mittelmeervölker lag in der einfachen Beschaffung des Ausgangsmaterials und in den geringen Herstellungskosten begründet. Über die Produktionsabläufe sind wir informiert, weil Plinius der Ältere im 13. Buch seiner Historia naturalis den Vorgang der Buchrollenherstellung detailliert beschrieben hat. Die Papyrusstaude (Cyperus papyrus) ist eine rasch wachsende Sumpfpflanze, die in den Tropen Afrikas, in Syrien und Palästina wild wächst und bis zu fünf Meter hoch werden kann. In Ägypten selbst ist sie heute nicht mehr zu finden. In der Antike jedoch wurden die Stauden dort im großen Stil angebaut und in den gesamten Mittelmeerraum verschifft. Berühmt waren etwa die Papyri der phönizischen Stadt Biblos, nach der die Griechen den Begriff biblion prägten, mit dem sie die papyri, also Bücher aus Papyrus bezeichneten. Um aus den einzelnen Pflanzen das unserem heutigen Papier ganz ähnliche Schreibmaterial herzustellen, wurden die Fasern aus den Stängeln neben- und übereinander gepresst. Der in der Pflanze enthaltende Klebstoff verband die Fasern fest miteinander und bot eine hellfarbige raue Schreibfläche. Das auf dieses Weise hergestellte Blatt hieß kollema. Mehrere kollemata gleicher Größe klebte man zu den Rollen zusammen, die in unterschiedlichen Qualitäten angeboten wurden.

Schriftrollen aus Papyrus sind recht spröde und brechen leicht auseinander. In der trockenen und warmen Luft Südeuropas und Nordafrikas waren sie kurzfristig ganz gut haltbar, doch für die Reise durch die Jahrhunderte waren sie nicht geschaffen. So sind die Buchrollen aus den großen Bibliotheken Roms und Griechenlands verloren. Kriege, Feuer und der Gang der Zeit haben unzählige antike Schriftrollen zerstört, nur Reste haben sich bis heute erhalten. Zumeist handelt es sich um Überbleibsel ägyptischer Papyri, die im trockenen Wüstenklima überdauerten. Besonders glücklichen Umständen ist es jedoch zu verdanken, dass in der vom Vesuv verschütteten Stadt Herculaneum eine römische Privatbibliothek gefunden wurde, die einen Einblick in die Ordnung und Aufbewahrung einer antiken Büchersammlung gewährt. In der bis heute nur teilweise freigelegten Villa dei Papiri entdeckten Forscher im 18. Jahrhundert einen Raum, in dem griechische Buchrollen aufbewahrt wurden. Johann Joachim Winckelmann hatte das Glück, als einer der Ersten die Räume betreten zu dürfen. In seinen „Sendschreiben aus Herculaneum“ berichtet er von dem kleinen Zimmer mit rundherum an der Mauer und in der Mitte des Raums angebrachten Schränken. Das Holz der Schränke war zu Kohle verbrannt und fiel bei Berührung der Forscher zusammen. Die Buchrollen aber hatten die Katastrophe überstanden. Insgesamt zählte Winckelmann über 1000 Buchrollen. Einige rotuli fand man sogar noch zusammengebunden, vermutlich als Teile mehrbändiger Werke. Verstaut hatte ihr ehemaliger Besitzer die Rollen in den Regalfächern der Schränke liegend, etwa so, wie man heute Flaschen in einem Weinregal unterbringt. Andernorts steckte man Rollen in eimerartige Behältnisse mit oder ohne Deckel, in denen sie auch transportiert wurden. Die Buchrollen in der Bibliothek der Villa dei Papiri waren stark verkohlt und verklebt, konnten aber zu einem großen Teil geborgen werden. Sie werden heute im Archäologischen Nationalmuseum von Neapel gehütet. Es handelt sich überwiegend um Fragmente von Schriften griechischer Philosophen aus dem Umkreis Epikurs.

Wie die Buchrollen ausgesehen haben und wie sie benutzt wurden, verrät uns ein Bücherstillleben auf einem Wandbild aus Herculaneum. Dargestellt ist ein an beiden Enden eingerollter rotulus mit pseudogriechischer Phantasieschrift in der Mitte. Daneben ist ein calamus aus Schilfrohr zu erkennen, ein doppeltes Fass mit Deckel für die Tinte, ein mehrteiliges Wachstäfelchen für Notizen und ganz am linken Bildrand ein dreieckiges Blatt, der sillabus. Der sillabus wurde an den aufgerollten rotulus geheftet, um die Buchrolle im Regal oder Behälter wiederzufinden. Auf ihm waren der Name des Autors und Hinweise auf den Inhalt der Schrift verzeichnet. Um die Rolle zu lesen, nahm man den Anfang der Rolle in die linke Hand und den noch unausgerollten Teil in die andere. Während des Lesens wurde der bereits gelesene Teil um einen Stab zusammengerollt, sodass idealerweise immer nur die Kolumne mit dem zu lesenden Text sichtbar war. Doch Wandmalereien zeigen auch undisziplinierte Leser, die es versäumt haben, rechtzeitig den gelesenen Teil wieder zusammenzurollen, sodass sie mit einem langen Papyrusband dastehen. Das Lesen solcher Rollen erforderte offenbar ein gewisses Maß an Ordnungswillen und auf jeden Fall zwei Hände. Auch das Auffinden bestimmter Textstellen in einem langen Epos, in einer wissenschaftlichen Abhandlung oder in einem Katalog ist in einer Buchrolle nicht ganz einfach. Immerhin hatten die meisten Texte Überschriften zur Orientierung und häufig auch Zeilennummerierungen. Aber im schlimmsten Fall musste der rotulus dennoch bis ganz zum Ende aufgerollt werden, um die entsprechende Textstelle zu finden. Die Länge der Rollen war zudem begrenzt. Längere zusammenhängende Texte, wie etwa Vergils zwölf Bücher der Aeneis bestanden aus zwölf Einzelrollen, was das Auffinden der gesuchten Passagen gewiss nicht einfacher machte.


Rotulus, Kalamus, Tintenfass, Wachstäfelchen und Sillabus auf einer Wandmalerei aus Herculaneum, abgebildet in: Le antichità di Ercolano eposte, Bd 2, Neapel 1760, S. 55, Heidelberg Universitätsbibliothek

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