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Bilder

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Die Kopisten der Archimedes-Handschrift haben neben den Texten auch die Diagramme des Mathematikers erstaunlich werkgetreu übertragen. Neben den Texten wurden auf diese Weise über Kopien auch viele Bilder aus der antiken Welt vor dem endgültigen Verschwinden bewahrt. Wissenschaftlich ausgerichtete rotuli waren häufig illustriert, auch wenn die Bilder meist nur als Anschauungshilfen für Fachleute gedacht waren. Archimedes’ Diagramme etwa richteten sich an Mathematiker, für Nichtspezialisten haben sie nur einen begrenzten Schauwert. Aber manchmal gab es auch in den wissenschaftlichen Büchern Abbildungen, die bis heute faszinieren. Das berühmteste Beispiel dieser Art sind vielleicht die Bilder im sogenannten Wiener Dioskurides. Mit der nach ihrem Aufbewahrungsort in der Wiener Nationalbibliothek benannten Handschrift besitzen wir das einzige, beinahe vollständig erhaltene, illustrierte naturwissenschaftliche Buch der Antike (siehe Farbabb. S. 50). Es wurde im Jahr 512 in Konstantinopel in griechischer Majuskel geschrieben und mit zahlreichen ungewöhnlich naturnahen Pflanzen- und Tierdarstellungen ausgemalt. Ein Porträt des Autors schmückt eine der ersten Seiten der Handschrift. Im Profil dargestellt, sitzt Dioskurides am rechten Bildrand auf einem Schemel und schreibt in einen Kodex. Dioskurides war Militärarzt in Kleinasien im 1. Jahrhundert nach Christus. Er arbeitete in griechischer Sprache über Arzneipflanzen, deren Bestandteile, Öle und Duftstoffe, über heilkräftige Tiere und Edelsteine und verzeichnete und klassifizierte über 600 Kräuter und Substanzen. In den ersten (heute verlorenen) Abschriften auf Papyrus war sein meist unter dem lateinischen Titel de materia medica bekanntes Buch wahrscheinlich noch nicht illustriert. Bilder wurden vermutlich erst in den späteren Versionen hinzugefügt. Denn wir wissen, dass derartige Herbarien, also Bücher über Heilpflanzen, tatsächlich illustriert waren.


Malerei auf Papyrus. Beinwell (Symphytum officinalis) aus dem Johnson-Papyrus, um 400 n. Chr., London, Wellcome Institute Library, MS 5753

Eines der wenigen erhaltenen rotulus-Fragmente eines Herbariums, allerdings nicht von Dioskurides, ist der sogenannte Johnson-Papyrus aus dem 4. nachchristlichen Jahrhundert. Er bildet oberhalb des Textspiegels ein farbig ausgemaltes Gewächs samt Wurzeln ab, das als Beinwell (Symphytum officinalis) identifiziert wurde, auch wenn die Ähnlichkeit mit der weitverbreiteten Heilpflanze nicht besonders groß ist. Die Malerei wirkt schlicht, nicht besonders naturgetreu und erscheint weitgehend ohne Bezug zum Text. Dennoch war es ein vielleicht ganz ähnlich gestalteter rotulus, der als Vorbild für die prächtig bemalte Wiener Handschrift diente. Jedoch sind die Illustrationen des Wiener Dioskurides keineswegs schlichte Kopien verlorener rotulus-Miniaturen. In den rotuli waren die Bilder meist über oder unter dem Schriftspiegel angebracht oder wurden in den Text eingefügt. Entsprechend der geringen Breite der Buchrolle waren sie wohl meist auch recht klein.

Maler und Schreiber des Wiener Dioskurides haben hingegen Bild und Text in eine völlig neue Ordnung gebracht und neue Bilderfindungen eingefügt. So befindet sich zu Beginn des Buches ein seitenfüllendes Porträt der Empfängerin der Handschrift, der byzantinischen Prinzessin Anicia Juliana. Die Prinzessin hatte eine Kirche in der Vorstadt Honorata bei Konstantinopel gestiftet. Als Dank dafür schenkten die Bürger der Stadt ihr den prächtigen Kodex. In den älteren Dioskurides-Abschriften kann das Bild der Empfängerin daher noch nicht enthalten gewesen sein. Ihr Porträt ist keine Übernahme aus einem älteren Kodex oder rotulus, sondern eine eigenständige Erfindung der Buchmaler. Blättert man durch den Wiener Dioskurides, wird deutlich, dass auch die allermeisten Pflanzendarstellungen jeweils eine ganze Seite für sich haben, wie etwa die Miniatur einer Judenkirsche (Physalis), während der dazugehörige Text auf der gegenüberliegenden Seite geschrieben steht. Die Darstellung wirkt sehr naturnah, scheint nach einem lebendigen Vorbild gemalt worden zu sein und wurde mit vielen genau beobachteten Details wiedergegeben. Die Blätter sind von verschiedenen Seiten dargestellt, auch die typischen Früchte hat der Maler nicht vergessen oder die Unterschiede zwischen grünen und verholzten Pflanzenteilen. (siehe Farbabb. S. 51).

Die Bilder im Wiener Dioskurides unterscheiden sich in der Gestaltung, Anordnung und Naturtreue deutlich von dem schematischen Beinwell auf dem Johnson-Papyrus. Die Bilder zeigen zudem, dass Buchmaler und Schreiber vor ganz neuen Herausforderungen gestanden haben müssen, als sie den Text und die kleinen Vorbilder aus dem rotulus in die großzügiger bemessene Fläche des Kodex übertrugen und dafür neue Darstellungsformen entwickelten. Das Pergament bot zudem vielfältigere künstlerische Möglichkeiten für die Maler. Denn das glatte, gleichmäßig hellfarbige Pergament ist eine wesentlich bessere Maloberfläche als das raue, spröde, aus vielen Stücken zusammengeklebte Papyrusblatt. Auf dem rotulus hielt sich in mehreren Schichten aufgetragene Farbe nicht besonders gut, weil sie durch das ständige Auf- und Abrollen strapaziert wurde. Malerei auf Papyrus ist daher zumeist nur sehr dünn und flächig aufgetragen. Auch darin unterscheiden sich der Beinwell aus dem Johnson-Papyrus und die in Farbschichten angelegte Rose aus dem Wiener Dioskurides, die über die Jahrhunderte nur wenig gelitten hat.

Die Möglichkeit durch ein Buch zu blättern, führte zu neuen Strategien für die Gestaltung der Seiten. Erst im Kodex konnte es gelingen, reine Bildseiten ohne Text zu entwerfen. Und erst damit wurde es möglich, den Bildern einen herausragenden Platz im Zusammenspiel mit dem Text zu geben. Doch gelten diese Beobachtungen nur für wissenschaftliche Bücher. Denn von den erzählenden Texten der Antike, den Epen, Theaterstücken oder Romanen kennen wir nur ganz wenige illustrierte Buchrollen. Für religiöse Handschriften lassen sich überhaupt keine bebilderten rotuli nachweisen. Die Bilder in den Bibeln, Evangeliaren, Psaltern und anderen religiösen und kirchlichen Büchern, die uns heute so begeistern, sind echte Erfindungen der Kodex-Maler, genauso wie auch die kunstvoll gestalteten Initialen, die in antiken und spätantiken Buchrollen und in den frühen Kodizes noch unbekannt waren.

Seitdem das Pergament den Papyrus gegen Ende der Antike nach und nach verdrängte, dominiert bis heute die Form des Blätterbuchs oder Kodexes die Welt der Bücher. Für lange Zeit wurden Bücher fast ausschließlich auf Pergament geschrieben und verziert. Das für uns heute so selbstverständliche Papier kam erst im späteren Mittelalter auf. Doch was änderte sich, abgesehen vom Beschreibstoff, in der Herstellungsweise der Bücher sonst noch im Verlauf des Mittelalters? Und wo wurden spätantike Handschriften wie der Wiener Dioskurides oder die Texte von Archimedes und Hyperides eigentlich abgeschrieben, und wer war daran beteiligt? Davon handelt das nächste Kapitel.

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