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Welches Mittelalter?
ОглавлениеDas Mittelalter ist für Historiker die Zeitspanne, die vom Ende der Antike im 6. Jahrhundert ungefähr bis zur Mitte des 15. Jahrhunderts andauerte, als Johannes Gutenberg in Mainz den Buchdruck mit beweglichen Lettern erfand. Zumeist wird „das Mittelalter“ im allgemeinen Sprachgebrauch und in der Forschung auf die christlich geprägte Kultur und Geschichte Europas bezogen, und so wird der Begriff Mittelalter auch in diesem Buch aufgefasst. Besprochen werden europäische Handschriften, die im weitesten Sinne dem christlichen Kontext zuzuordnen sind. Selbstverständlich entstanden auch im jüdischen und islamischen Kulturkreis in dieser Zeit wunderbare Bücher. Die Beschäftigung mit ihren Besonderheiten würde aber über den Rahmen dieses auf einen Überblick angelegten Buches weit hinausgehen.
Der Zeitraum, der in diesem Buch besprochen werden soll, umfasst über 1000 Jahre. Wir beginnen mit dem Wechsel vom Gebrauch der Buchrolle zu dem bis heute benutzten Blätterbuch, dem sogenannten Kodex gegen Ende der Antike. In den folgenden Jahrhunderten wurden Bücher in Konstantinopel, auf den fernen schottischen und irischen Inseln, in Sizilien, in Paris, Rom, Jerusalem, Köln oder in den klösterlichen Einöden von Spanien, Südfrankreich bis Osteuropa produziert und verwendet. Gelesen, gesammelt und bestellt wurden sie von Mönchen und Nonnen, von Studenten der Universität, belesenen Damen, Gelehrten, Kaisern und Königinnen, von Adeligen oder Kaufleuten, Priestern und Bischöfen, Äbtissinen und dem Papst. All diese Benutzer und Benutzerinnen mit ihren unterschiedlichen Ansprüchen an Aussehen und Inhalt der Bücher prägten die Gestalt und Form der mittelalterlichen Handschriften entscheidend mit. In diesem Buch werden daher nicht allein Herkunft, Vorbereitung und Verwendung der Materialien, Werkzeuge und Hilfsmittel, das Schreiben und Malen bis hin zur Bindung des fertigen Buches untersucht. Denn dieser Teil der Buchherstellung ist im gesamten Mittelalter erstaunlicherweise weitgehend gleich geblieben. Stetigem Wandel unterworfen waren hingegen Arbeitsbedingungen, Berufsbild und Rollenverständnis der Buchhersteller und deren Arbeitsorte. Ebenso wandelten sich die Funktion der Bücher, ihr Gebrauch und die Bedürfnisse der Leser im Verlauf der Jahrhunderte. Das hatte wiederum Auswirkung auf die Arbeit im Skriptorium und das Aussehen der Manuskripte. Diese Veränderungen sollen ebenso zur Sprache kommen.
Nach einem Überblick über die Vorgeschichte des Buches von der Buchrolle zum Kodex wird zunächst die Frage beantwortet, wo man Skriptorien eingerichtet hat, wie sie ausgestattet waren und wer neben den Schreibern dort noch gearbeitet hat. Danach geht es um die einzelnen Arbeitsschritte auf dem langen Weg zum fertigen Buch. Besprochen werden die nötigen Ausgangsmaterialien wie Pergament, Farben, Tinten, die Arbeitsaufteilung, die Planung und das Programm der Bücher. Es geht um Schreiben, Schrift, Schreibgeräte und Tinten, Farben, Pinsel, die Kunst der Miniaturenmalerei, die Bindung und die manchmal sehr kostbaren Buchdeckel. Das letzte Kapitel schließlich ist den Lesern, Auftraggebern und dem Verkauf der Bücher gewidmet, die nicht allein Angelegenheit der Klöster gewesen ist. Aber wer konnte im Mittelalter eigentlich lesen? Wer konnte sich die teuren Bücher leisten? Wie kamen die Klosterwerkstätten mit der weltlichen Konkurrenz zurecht? Und schließlich: Was ändert sich für Buchhersteller und Leser mit der Erfindung des Buchdrucks?
Doch bevor wir nach Antworten auf all die angesprochenen Fragen suchen, kehren wir noch einmal zurück zu dem Mönch Johannes Myronas, der im 13. Jahrhundert in Jerusalem ein kleines Gebetbuch geschrieben hat.