Читать книгу Die Kunst, mit sich allein zu sein - Stephen Batchelor - Страница 8
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Selbst an langen Sommertagen im ländlichen England, wenn es nicht vor 22 Uhr dunkel wurde, bestand meine Mutter darauf, ihre zwei Söhne früh ins Bett zu schicken, was ich sowohl für unfair als auch für sinnlos hielt. Da ich nicht schlafen konnte, pflegte ich meine Augen zu schließen und mir vorzustellen, wie mein liegender Körper sich im Schlafanzug die Wände des Schlafzimmers hinauf und hinab bewegte, gegen die Decke glitt und dann an einem Punkt meiner Wahl verharrte. Ich hatte keinen Zweifel daran, dass ich mich tatsächlich an diesen unmöglichen Orten befand und nicht in meinem Bett. Ich führte diese Manöver Abend für Abend durch. Ich habe sie sehr ernst genommen. Ich habe nie mit jemand darüber gesprochen, was ich tat. Es waren Übungen in reinem Mit-mir-Alleinsein.
Eine weitere Kontemplation während dieser schlaflosen Abende bestand darin, unbeirrbar bei einem Geschmack zu verweilen, der mir nicht von dieser Welt schien. Dieser Geschmack war weder angenehm noch unangenehm, nur völlig anders als alle Geschmäcker, die ich kannte. Er war mir zutiefst vertraut, obwohl ich keine Ahnung hatte, woher er kam. Jetzt kann ich gerade noch einen entfernten, mehr und mehr schwindenden Hauch davon wiederaufleben lassen.
Ich hatte immer wieder Träume vom Fliegen. Mit minimalem Aufwand schwebte ich dann durch die Luft, stieß hinab und stieg hinauf, wie ich wollte. Die Landschaften unter mir waren in Sonnenlicht getaucht, reich an Details und Farben. Als Träumender war mir bewusst, dass diese Träume realer waren als andere Träume. Sobald ein Flugtraum begann, frohlockte mein träumendes Selbst. Wieder wach erinnerte ich mich an diese Flüge mit der Sehnsucht eines Menschen, der in ein bleiernes Reich verbannt worden war.
Manchmal gab ich mir größte Mühe, mein Denken zum Stillstand zu bringen. Mein ständiges Scheitern dabei beunruhigte mich. Ich war machtlos gegenüber dem unerbittlichen Gedankenstrom, der sich fortwährend in mir ergoss. Oder ich verfolgte meinen Weg sorgfältig zurück durch die wachen Stunden des Tages auf der Suche nach Momenten, in denen ich frei von Sorgen gewesen war. Wenn ich mich für »glücklich« hielt, war ich mir stets eines blassen Schattens von Angst bewusst, der in der Nähe lauerte. Etwas konnte immer schiefgehen.
Dies waren meine ersten, naiven, nicht angeleiteten Versuche in dem, was ich heutzutage als Meditation bezeichnen würde. Durch die Erforschung der Texturen und Konturen meines Innenlebens gelang es mir, der Langeweile und Einsamkeit eines schlaflosen Kindes zu entkommen, und ich entdeckte die zufriedene Selbstgenügsamkeit des Mit-sich-Alleinseins. Thomas de Quincy sprach von »dieser inneren Welt, jener Welt geheimen Selbstbewusstseins, in der jeder von uns ein zweites Leben für sich und mit sich allein führt, parallel zu seinem anderen Leben, das er gemeinsam mit anderen führt«. In der Schule grübelte ich darüber, warum keiner der Lehrer die Existenz dieses inneren Lebens zur Kenntnis nahm, geschweige denn thematisierte. Erst als ich buddhistische Mönche traf, begegnete ich zum ersten Mal Menschen, die mit diesem Bereich vertraut waren und offen darüber sprachen, ohne Verlegenheit oder Zurückhaltung.