Читать книгу Steve Howe - Die Autobiografie - Steve Howe - Страница 12

Оглавление

Kapitel 6

Keine Schande

Eines Tages Anfang Januar 1970 stieg ich das Treppenhaus in unserem zum Großteil renovierten Haus in Fulham hoch, um einen Anruf am Münztelefon entgegenzunehmen, das am Treppenabsatz angebracht war. Am anderen Ende befand sich Chris Squire von Yes. Ich willigte ein, mich ein paar Tage später mit ihnen zu einem Vorspielen zu treffen.

Jon Anderson hatte mich mit Bodast im Speakeasy gesehen. Chris kannte mich noch von Konzerten, die ich mit Tomorrow gespielt hatte. Das Angebot hörte sich vielversprechend an. Immerhin hatten Yes einen Manager, einen Plattenvertrag, Gigs, einen Vorschuss für neue Ausrüstung und bekamen pro Woche 25 Pfund ausgezahlt. Außerdem hatten sie bereits zwei Alben aufgenommen: Yes und Time And A Word, das schon bald erscheinen sollte. Auf beiden spielten Jon Anderson, Chris Squire, Tony Kaye, Bill Bruford und Gitarrist Peter Banks.

Ich schnappte mir nun meine 175 und ein paar Pedale und begab mich in den engen Keller im Haus ihres Managers, das sich in Barnes im Südwesten Londons befand. Dort traf ich auf die Band, um ein paar Songs zu spielen. Etwa „Everydays“ und „Then“. Die Truppe bestand aus enorm begabten Musikern, doch war es vor allem Bill Brufords Schlagzeugspiel, das mich umhaute. Darüber hinaus schienen wir uns alle gut zu verstehen. Später begleitete ich Jon noch in seine Wohnung in South Kensington. Dort tauschten wir uns über Tonbandgeräte der Firma Revox und Katzen aus.

Yes hatten Gefallen an mir gefunden und boten mir einen Job an. Ich nahm an. Die Chemie schien zu passen. Ich erkannte das große Potenzial, und wir alle folgten einer ganzen Reihe von hohen Idealen.

Schon bald standen Gigs auf dem Programm. Mein erster Auftritt mit Yes fand am 17. Juli 1970 im Londoner Lyceum Ballroom statt. Ich hatte inzwischen einen großen Teil von Time And A Word eingeübt und konnte auch ein paar Sachen von Yes spielen. Ich bin mir nicht sicher, wie gut ich an diesem Abend war – aber auf Bootleg-Aufnahmen wirkt es so, als hätte ich mich prächtig amüsiert. Ich hielt mich nicht sklavisch an Peters Vorgaben, obwohl ich mich an seinen zentralen Melodielinien orientierte. Es war ein interessanter Gitarrist, dem ich da nachfolgte. Auch er machte sich unterschiedliche Gitarrenstile zu eigen und hinterließ mir Rahmenbedingungen, mit denen ich mich durchaus zurechtfand. Er war ein echt netter Kerl, der auch bei vielen meiner ersten Gigs mit Yes auftauchte. Mir fallen jetzt nicht viele ehemalige Bandmitglieder ein, die das tun würden – und ich rede hier davon, direkt nach ihrem Ausstieg zu den Konzerten der Ex-Band zu kommen. Hier entflammte auch meine Liebe dafür, live zu spielen, von neuem – und ich hängte mich voll rein. Tomorrow waren die letzte Gruppe gewesen, bei der ich ein solch gutes Gefühl verspürt hatte. Das Publikum glaubte zusehends an uns, und auch die Musikkritiker wurden langsam auf uns aufmerksam. Es war offensichtlich, dass wir heiß waren. Ein neues Album könnte untermauern, dass wir in dieser Besetzung sogar zu noch größeren Studioleistungen imstande wären.

Das Cover von Time And A Word hatte für den amerikanischen Markt neu gestaltet werden müssen, da der ursprüngliche Entwurf als zu sexistisch galt. Stattdessen wurde nun ein brandneues Foto der aktuellen Besetzung dafür verwendet. Deshalb dachten viele Leute in den USA, dass ich der originale Gitarrist von Yes wäre. Ich brachte das Thema gegenüber Atlantic Records zur Sprache, und irgendwann wurde das UK-Cover auch für die amerikanische Version der LP zugelassen. Ehrlich gesagt wundert es mich nicht, dass stets große Verwirrung darüber herrschte, wer etwa bei welchem Album gerade in der Band spielte. Solche Dinge passierten angesichts des Kommens und Gehens diverser Bandmitglieder auch später noch. Oft kamen wir an einem Konzertort an und sahen Bandfotos, auf denen noch ehemalige Bandmitglieder zu sehen waren: etwa Tony nach Ricks Einstieg, Bill nach Alans Einstieg und Patrick nach Ricks Rückkehr. Das ging jahrelang so dahin.

Da wir planten, ein Album in ländlicher Umgebung aufzunehmen, um so der Großstadt zu entkommen, wandten wir uns telefonisch an einen jungen Veranstalter in Devon. Der fand für uns das Haus Church Hill im gleichnamigen kleinen Dorf Churchill in Barnstable, wo wir zwei Wochen verbringen sollten. Dort entstanden das Grundgerüst der Songs „Perpetual Change“ und „Yours Is No Disgrace“. Bald schon fühlten wir uns jedoch eingeengt. Es war uns einfach nicht gut genug, und unsere abendlichen Sessions mussten früher, als es uns gefiel, beendet werden. Der junge Promoter gab daraufhin eine Annonce in einer lokalen Zeitung auf: „Band sucht nach Probemöglichkeit und Unterbringung.“ So landeten wir in einem alten Bauernhaus, wo wir dann zwei Monate blieben, um den Schreibprozess abzuschließen und einen Großteil von The Yes Album einzustudieren.

Der neue Proberaum war schon etwas Besonderes. Man musste zunächst eineinhalb Kilometer eine einspurige Landstraße entlangfahren, dann erreichte man ein mit Stroh gedecktes Bauernhaus. Es lag buchstäblich mitten im Nirgendwo. Ganz ohne Nachbarn. Als wir eintraten, stieß ich mir den Kopf am niedrigen Türrahmen. So einen Ort hatte ich noch nie gesehen. Diese Räumlichkeiten besaßen Charakter – einen ganz eigenen Charme. Die Decken der verwinkelten Räume waren generell eher niedrig. Schon im Domesday Book – einer historischen Landbeschreibung Englands aus dem elften Jahrhundert – wurde eine Niederlassung auf diesem Flecken Erde erwähnt. Teile des Hofes, wie wir ihn vorfanden, waren auch bereits über 300 Jahre alt. Zehn Jahre später sollten Jan und ich das Haus schlussendlich kaufen, das in weiterer Folge zu meinem Arbeitsplatz, Studio, Lagerraum und gelegentlichem Rückzugsort für Familienausflüge avancierte. Auch Yes fügten der langen Historie des Gebäudes ein interessantes Kapitel hinzu, doch, so wie alle alten Bauernhöfe, brauchte es Menschen, die sich darum kümmerten. Offenbar waren Jan und ich dazu berufen, ebendiese zu sein. Unsere Renovierungsarbeiten machten das Haus schließlich fit fürs nächste Jahrtausend.

Wir durften dort spielen, wann immer wir wollten. Das Gebäude war ein für Devon typisches Langhaus, das zur damaligen Zeit der Familie Dartnall gehörte, die aber in einiger Entfernung wohnte und von unseren abendlichen und nächtlichen Aktivitäten unbehelligt blieb. Die Besitzer waren Frühaufsteher, die morgens die Tiere auf ihrer 100 Morgen großen Farm fütterten. Die Band konnte sich ganz auf die Arbeit konzentrieren, da niemand erst anreisen musste, um zu spielen. Wir waren allesamt sehr fleißig, und selbst nach dem Abendessen erledigten wir oft noch einiges an Arbeit: Wir knöpften uns Song-Fragmente vor, lernten die Riffs, probierten Textstellen aus und suchten nach Rhythmen, die zu den jeweiligen Melodielinien passten. Dies führte zu einigen unserer besten Arrangements.

Jon sagte etwa: „Lasst uns mit dem Ton nach unten gehen.“ Chris ergänzte dann: „Aber danach sollten wir wieder nach oben gehen.“ Bill fügte dann vielleicht noch hinzu: „Aber in doppeltem Tempo.“ Wir gaben all diesen Ideen eine Chance und wählten dann die besten aus. Das hört sich jedoch einfacher an, als es in der Praxis war. Oft versuchte ich, uns mithilfe eines Tonbandgerätes beim Spielen eines Arrangements aufzunehmen, damit wir einen Anhaltspunkt hätten. Nur zu oft kam es nämlich vor, dass wir schon am nächsten Tag nicht mehr wussten oder uns nicht darauf einigen konnten, was wir am Vortag ausprobiert hatten.

Schriftliche Aufstellungen von Akkordstrukturen stellten zwar ein nützliches Hilfsmittel dar, doch notierten wir nicht allzu regelmäßig, und wenn, dann nur die groben Umrisse eines Songs in Akkordsymbolen. Ich verstand, was ich mit meinen meinte, doch stand ich damit leider allein da. Während ein Song komponiert wurde – noch bevor er einen Titel hatte –, wurde der Prozess grafisch festgehalten. Später änderten wir dann aber noch die Tonart oder schrieben einen neuen Anfang. Die titellosen grafischen Darstellungen mit irgendeinem bestimmten Song in Zusammenhang zu setzen gestaltete sich daher oft sehr schwierig. Ich besitze noch etliche Notizhefte, deren einzelne Seiten mit einem bunten Durcheinander aus Akkordmustern und Notizen zu den jeweiligen Arrangements übersät sind. Manche kann ich mit konkreten Songs in Verbindung bringen, wohingegen andere mit irgendwelchen hingekritzelten Titeln nicht mehr zu identifizieren sind. Viele meiner betitelten Song-Skizzen erweisen sich aber als überaus praktisch, wenn man eine Nummer 30 Jahre lang oder so nicht mehr gespielt hat. Die meisten Arrangements sind aber ohnehin irgendwo in meinem Kopf abgespeichert.

Bevor wir an sonnigen Tagen mit den Proben begannen, spazierte ich durch die Felder, um auf meiner Martin zu spielen. Manchmal nahm ich meine Ideen auch auf. So komponierte ich etliche Passagen, die später Eingang in unsere Musik fanden. Als ich der Band „Clap“, mein erstes Instrumental samt Country-Picking, vorspielte, bestand sie darauf, dass es auf die neue Platte gehöre. Dies war ein bedeutsamer Moment für mich. Ich war begeistert, dass sie der Ansicht waren, dieser Song würde sich gut neben all den Stücken machen, die wir gemeinsam schrieben. Eine solche Solo-Einlage eröffnete mir nämlich die goldene Möglichkeit, mich vorzustellen. Bill und ich waren für den Titel verantwortlich, doch es war Jon, der den Song auf einer Live-Aufnahme als „The Clap“ [Anm: englischer Slang für Gonorrhö] ankündigte, was sich dann leider hartnäckig hielt.

Wir bastelten weiterhin zudem an Songs wie etwa „Your Move“ und „I’ve Seen All Good People“. Auch trieben wir die Weiterentwicklung von „No Disgrace“ und „Perpetual Change“ voran. Ich erinnere mich, dass „Starship Trooper“ und „A Venture“ ausschließlich im Studio entstanden. „Starship“ sollte dann einer unserer populärsten Live-Songs werden. Eigentlich besteht die Nummer aus drei unterschiedlichen Segmenten, doch irgendwie wirkt das Ganze wie ein einziger Song. Wir konnten einfach nicht alles, was wir sagen wollten, in drei Minuten und 20 Sekunden unterbringen. Wir brauchten schon acht bis zehn Minuten, um unser Material zur Geltung zu bringen und unsere Ideen darzulegen. Das sprengte eben den Rahmen der handelsüblichen Song-Formel. Wir stellen uns vor, dass die Songtexte die Hörer in einen traumähnlichen Zustand versetzen könnten, in denen die surreal kombinierte Musik ihre Erwartungen auf den Kopf stellte.

Nach ein paar Wochen, in denen wir auf diese Weise arbeiteten, kreuzte unser Manager auf. Er teilte uns mit, dass er die Fliege machen wolle. Darüber hinaus werde er sich auch finanziell an uns schadlos halten, da wir ihm angeblich noch Geld schuldeten. Das war das Ende der 25 Pfund pro Woche, die uns gerade einmal so über Wasser gehalten hatten. Nun blieben uns zum Überleben nur mehr die Gagen von den Gigs. Somit brachen wieder einmal karge Zeiten für uns an. Doch zumindest landeten wir einen kleinen Triumph. Der Manager hatte geplant, seinen Anteil an den Verlagsrechten behalten zu dürfen, die er erworben hatte, da er auch als unser Musikverlag fungierte. Eine Provision am Anteil der Songautoren und einen Anteil der Verlagsrechte einzusacken, wurde indes als verfassungswidrig und illegal eingestuft. Immerhin heimste er so fünf Prozent fürs Nichtstun ein!

Eines Abends im Juni, gegen Ende unseres Aufenthalts und nachdem Jon, Bill und Chris bereits zu Bett gegangen waren, starrten Tony Kaye und ich in die Glut im Kamin und beschlossen, uns aus irgendeinem verrückten Grund einen LSD-Trip zu teilen. Das war das letzte Mal, dass ich diese Erfahrung machte. Vielleicht auch gerade deshalb, weil es mein bestes LSD-Erlebnis war. Als die Wirkung einsetzte, begaben wir uns in den Proberaum, den wir uns in einer Stube neben dem Wohnzimmer eingerichtet hatten. Da stand unsere Ausrüstung. Die Verstärker summten. Uns fiel auf, dass der Leslie-Lautsprecher, den wir an die Hammondorgel angeschlossen hatten, sogar richtig schnurrte. Tony schlug ein F-Dur an. Nach zehn Minuten waren wir ganz verblüfft, was wir da alles hören konnte: sich verändernde Beitöne, unvorstellbare Obertöne und die vollkommene musikalische Erfüllung!

Kurz bevor es Morgen wurde, verließen wir das Haus, um die uns umgebende Welt und Natur genauer zu erkunden. Wir drangen tief in die entlegene englische Landschaft ein. Tony und ich kletterten in unseren Rover und fuhren auf einspurigen Straßen ganz langsam und bedacht durch die ländliche Gegend. Wir passierten dabei pinke Cottages, die mit Mauerblümchen überwuchert waren. Auch an einem Spaziergänger fuhren wir vorüber, der ganz gespenstisch wirkte, als er uns zuwinkte. Als wir zum Bauernhof zurückkehrten, fiel uns auf, wie schön die Hühner aussahen. Wir legten uns auf den Boden neben die Vögel. Dort beobachteten wir, dass die Anordnung ihrer Federn dem Muster der Poren auf unserer Haut entsprach. Wir mussten lachen, so verblüfft waren wir darüber. Dann tauchte Mr. Dartnall auf und fragte, was wir da trieben. Als ob es irgendwie verquer gewesen wäre, um halb sechs Uhr morgens auf allen vieren über die harten Pflastersteine zu kriechen und Hühner zu bewundern. Das war eine lange, spaßige Nacht.

Zum Glück ließ uns Atlantic Records hinsichtlich eines Deals für das dritte Album nicht hängen. Es war die letzte Platte, zu deren Veröffentlichung sie vertraglich verpflichtet waren. Obwohl ich es damals nicht wusste, hieß es, dass sie die Band, wäre das Album hinter den Erwartungen zurückgeblieben, fallengelassen hätten. Sollte das neue Album nicht in den Charts landen und sich gut verkaufen, könnte also der Vorhang für Yes fallen. Dank des neuen Deals konnten wir uns endlich ein Studio buchen.

Wir baten Eddy Offord, uns als Toningenieur zu betreuen, wie er das schon bei Time And A Word getan hatte. (Tony Colten hatte da noch als Produzent fungiert.) Außerdem boten wir Eddy an, dieses Album mit uns gemeinsam zu produzieren. Er machte sich damals gerade einen Ruf als angesagter junger Engineer, und eine Kooperation stellte für beide Seiten eine gute Gelegenheit dar. Tatsächlich entstand so eine jahrelange und überaus fruchtbare Arbeitsbeziehung. Er wusste ganz instinktiv, wie er uns ausbalancierte, wenn wir sehr unterschiedliche Melodielinien übereinander hinweg spielten. Dieser Ansatz brachte es mit sich, dass die Levels und die Positionierung jedes einzelnen Parts zur überaus delikaten Aufgabe avancierten. Sein einzigartiger Audio-Stil rückte hier in den Vordergrund. Er war in Bezug auf all den Irrsinn und die Versuchungen des Musikbusiness relativ unschuldig, was ihn ein bisschen zu einem Außenseiter machte, der eben die technischen Aspekte des Aufnahmeprozesses liebte. Dies kompensierte den Umstand, dass wir selbst herzlich wenig davon verstanden. Er erarbeitete sich unser Vertrauen, indem er dabei half, die geeigneten Takes auszusuchen. Eddy wurde so zu unserem sechsten Bandmitglied – ein zusätzliches Paar Ohren, das auch bitter nötig war, wann immer wir im Studio ordentlich auf die Tube drückten.

Wir ließen uns zum Arbeiten in den Advision Studios nieder. Eddy war der hauseigene Toningenieur dieses gut ausgerüsteten Komplexes mitsamt seinem großen und kleinen Studio. Beide verfügten über jeweils einen eigenen Regieraum, wie man auch in Howard Masseys Buch The Great British Recording Studios nachlesen kann. So nahmen wir Mitte 1970 schließlich unser nächstes Studio-Abenteuer in Angriff.

Unsere Leidenschaft galt einer höheren Form von Musik. Ich hielt das für eine Fortführung des Psychedelic Rock, doch später sagte man Progressive Rock dazu. Oder auch Prog Rock. Andere wiederum sprachen von orchestraler oder sinfonischer Rockmusik. Ich selbst bevorzugte den Begriff Soft Rock. Doch das setzte sich nie durch.

Die grundlegenden Instrumentalspuren waren schon für sich genommen Meisterleistungen. Sie fungierten für uns wie Straßenkarten, mit deren Hilfe wir noch weitere fantastischen Parts aufnehmen wollten. Wir analysierten alles mit großer Akribie und strebten Verbesserungen an, wo immer dies noch möglich war. Auf The Yes Album setzten wir sämtliche technischen Spielereien ein, die uns damals zur Verfügung standen. Unsere Lernkurve war immens. Wir waren getrieben vom Verlangen nach Anerkennung und Erfolg. Advision gehörte zu den ersten Londoner Studios, die schon früh auf 16-spurige Multitrack-Aufnahmegeräte umsattelten und die Acht-Spur-Technologie hinter sich ließen. Oft nahmen wir Backing Tracks nur mit Gitarre, Bass und Schlagzeug auf – dazu noch vorläufigen Gesang zur Orientierung. Keyboard-Parts ergänzten wir erst später. Nur gelegentlich, wenn das Keyboard eine zentrale Rolle spielte, musste ich eine Auszeit nehmen und Tony beziehungsweise später Rick, Patrick, Igor oder Geoff den Vortritt lassen.

Bei „Your Move“ spielte ich, zunächst begleitet vom Bass und einem bis zur zweiten Hälfte des Songs anhaltenden Schlagzeug-Loop, auf meiner zwölfsaitigen portugiesischen Gitarre. So legte ich die Marschroute fest und hielt mich dabei an das vereinbarte Arrangement – Intro, Strophe, Refrain und so weiter. Später fügten wir noch die Blockflöten-Parts hinzu, die ich mir ausgedacht hatte. Diese setzten kurz vor der zweiten Strophe ein. Gespielt wurden sie von Colin Goldring. (Für mein akustisches Soloalbum Natural Timbre von 2001 nahm ich „Your Move“ noch einmal als Instrumentalstück auf. Hier steuerte Andrew Jackman die Blockflöte bei.)

Darauf folgten dreistimmige Harmonien, Solos und verträumte Verzierungen, die in Kombination das typische „Yes-Feeling“ erzeugten. Der Großteil der Bandmitglieder hielt sich während der Overdub-Sessions im Regieraum auf, um genau hinzuhören und neue Ideen beizusteuern. Hier handelte es sich um eine Band, die wirklich auf Kooperation setzte, obwohl das auch nicht ganz ohne Reibereien ablief. Ich war damals noch nicht ganz startklar für die Belastung, die sich daraus ergab, mit zwei extrem ehrgeizigen Musikern zusammenzuarbeiten, die schon seit der Bandgründung hinsichtlich künstlerischer Ausrichtung und Kontrolle konkurriert hatten. Vielleicht war es ja meine Bestimmung, mich zwischen diesen beiden Streithähnen wiederzufinden. Sinnvolle Kompromissvorschläge meinerseits hatten nur dann Aussicht auf Erfolg, solange es mir völlig schnurz war, wer von beiden die Oberhand behalten würde. Keiner von beiden durfte unentwegt den Kürzeren ziehen. Ich war der Neuling, der noch keine Ahnung davon hatte, wohin uns diese Rivalität zu führen imstande war. Die Spannungen, die zwischen ihnen herrschte, sollten sich unendlich fortsetzen.

Konflikt hemmt die Dynamik einer Band, da sich die Kreativkräfte der Kollaboration so nicht frei entfalten können. Es fehlt an Balance. Wir alle hatten mitunter Ideen, die auf Widerstand stießen, aber es war auch wichtig zu erkennen, dass es einen unflexibel wirken ließ, wenn man zu heftig auf seinen Vorstellungen beharrte.

Je mehr wir uns um Perfektion im Studio bemühten, desto größer waren die Verbesserungen, die uns gelangen. Sämtliche Songs sollten individuell gestaltet, vital und emotional sein. Tony Kayes Hammondorgel und Keyboards waren klanglich perfekt positioniert, was mir Raum genug ließ, um aufregende Gitarrenparts abliefern zu können. Es gab keinen einzigen Augenblick, in dem ich mich auf meinem Instrument unwohl gefühlt hätte. Ich war der Auffassung, dass mein Soft-Rock-Ansatz ideal zu dieser Platte passte. Es bereitet mir auch heute noch Freude, der klaren Sanftheit meiner Triolen bei „Yours Is No Disgrace“ zu lauschen. Meine 175 ist ja so vielseitig. Ich spielte sie hier praktisch überall, außer bei den akustischen Passagen. Für den Schlusspart von „Perpetual Change“ griff ich zur Antoria LG50, Baujahr 1967. Ihr Sound ähnelte eher einer Fender. Obwohl ich keine große Auswahl bei meinen Gitarren hatte, versuchte ich dennoch, das Maximum herauszuholen.

„Perpetual Change“ besteht aus etlichen sich voneinander abhebenden Strukturen. Jede Verzweigung wurde mittels Dynamik betont. Die Route, die das Gegenriff-Segment (bei dem Yes in doppelter Ausführung gegeneinander anspielten) einschlug, um schließlich in den finalen Refrain zu münden, gestaltete sich überaus komplex. Dennoch ergab alles mathematisch Sinn. Wir unterhielten uns oft darüber, wie zwei unterschiedliche musikalische Ideen gleichzeitig starten könnten, wobei jede ihrem eigenen Takt folgte, bevor sie schließlich aufeinandertrafen und letztendlich im gleichen Rhythmus ihrer Vollendung entgegensteuerten. Manchmal hörten wir auch verschiedene Harmonien. Eine Note eines flüchtigen Akkords konnte etwa einen Halbton höher oder tiefer gespielt oder gesungen werden. Dann wurde die Frage in den Raum gestellt: „Wie hört sich das für euch an? Hat es besser mit einem Es oder einem D geklungen?“ Manchmal wurden solche Entscheidungen per Mehrheitsbeschluss gefällt. Mitunter reichte es aber schon, dass eines der Bandmitglieder auf einer Idee beharrte. Das Ohr ist schon ein außergewöhnliches Organ. So wie das auch auf all unsere anderen Sinne zutrifft, hat auch das Ohr seinen ganz eigenen Geschmack. Dieser ist überaus raffiniert und unterscheidet sich von Person zu Person.

Bei „Yours Is No Disgrace“ war das Gitarrensolo besonders experimentell. Die Band legte kurze Pausen ein, während ich tiefe Töne mit einem Wah-Wah-Pedal verfremdete. Daraus entwickelten sich noch mehrere weitere Segmente. Ein paar Akkordabläufe wechseln via Rutscheinlagen auf den Tasten zwischen Gitarre und Orgel hin und her. Ein langgezogener, verhaltener, aber sehr melodischer Gitarrenpart wird von verträumtem, auf und ab wogendem Echo und Delay untermalt, bis sich ein spröder Jazz-Part herauskristallisiert. Zum Ende hin gibt es noch auf- und absteigende Akkordfolgen. Was für eine Mischung aus divergierenden Ideen das doch war! Nachdem ich das Solo aufgenommen hatte, sagte Bill: „Ich wünschte, wir hätten vorab schon gewusst, was du über die Musik drüber spielst.“ In Wahrheit wusste ich das ja aber selbst nicht zu 100 Prozent.

Ich werde nie vergessen, wie wir „Clap“ im Lyceum aufnahmen. Wenn ich mir den Song heute anhöre, dann weiß ich wieder ganz genau, wie ich mich an jenem speziellen Abend auf der Bühne fühlte. Alles war sehr intensiv und stimulierend, belebt durch die Vitalität einer neu entdeckten Freiheit. Wir nahmen mithilfe eines zweispurigen Revox-Gerätes auf. Man konnte sich auf die Schweizer Qualität dieses Fabrikats verlassen. Die Dinger hielten einiges aus und ließen sich somit auch gut transportieren.

Die Verantwortung der abschließenden Abmisch-Sessions unseres Albums lastete in erster Linie auf den Schultern Eddy Offords, doch hielten Jon, Chris, Tony und ich ihm dabei den Rücken frei. Eddy saß in der Mitte und konzentrierte sich aufs Schlagzeug, während ich die Schieberegel für die Gitarre für ihn betätigte. Chris achtete auf den Bass, Jon auf den Gesang und Tony auf das Keyboard. Falls eines der Bandmitglieder einmal verhindert war, kümmerte sich Eddy eben auch um deren Level. Allerdings wünschten wir uns alle ein großartiges Ergebnis, weshalb kaum einer die Brücke verließ. Die geringste Veränderung auf einem der Schieberegler führte dazu, dass auch alle anderen ihre Regler bewegten. Eddy hatte aber das letzte Wort, was den Gesamt-Mix betraf, da er neutral zu sein schien. Er spielte selbst kein Instrument und hatte somit keine speziellen Vorlieben und Abneigungen. Er besaß ein gutes Ohr für die richtige Balance, was uns dabei half, den Sound so hinzubekommen, wie wir ihn in unseren Köpfen hörten.

Mit Brian Lane fanden wir auch einen neuen Manager. Bill, Chris und ich waren für eine Session im Advision gebucht worden, bei der wir eine junge Sängerin begleiten sollten, die von Lane gemanagt wurde. So wurde er auf uns aufmerksam. Er sollte etliche Phasen der Band überstehen. Brian hatte zunächst bei der Filmproduktionsfirma Hemdale gearbeitet, als es plötzlich für das Unternehmen steil bergauf ging. Seinem Stil entsprach es, seine Geschäfte so zu betreiben, dass andere nicht zu viel davon mitbekamen. Er betrat genau zum richtigen Zeitpunkt die Bildfläche. Wir brauchten jemanden, der unsere Zirkusnummer der ganzen Welt verkaufen konnte. Wir nannten ihn „A-deal-a-day Lane“: Wir sahen gern bei ihm nach dem Rechten, um zu erfahren, ob er seinen täglichen Deal bereits in trockenen Tüchern hatte. Brian schaffte es etwa, dass ich so viele Gitarrensaiten, wie ich bräuchte, von Martin Guitars spendiert bekäme. Kostenlos und zeitlich unbegrenzt. (Allerdings ließ ich da irgendwann Gnade vor Recht walten!) Was unsere Touren betraf, so wünschte er sich, dass wir mehr Geld damit verdienten. Obwohl nicht immer alles ganz astrein ablief, hielt er den Laden am Laufen, was zu den von uns gewünschten Ergebnissen führte – ein Nummer-1-Album in Großbritannien, das es auch in Amerika immerhin auf Platz 30 schaffte. Wir spielten reichlich Gigs zu Hause und in ganz Europa. Wir lieferten die Musik – und er steuerte seine Schnauze bei.

Yes bereisten Großbritannien weiterhin in einem grünen Rover. Dieses treue Gefährt kutschierte uns durch so manches Abenteuer. Einmal befanden wir uns spätnachts auf der Heimfahrt von einem Gig in Plymouth. Chris saß hinterm Steuer und unterhielt sich mit Tony, der neben ihm saß. Da ich im Gegensatz zu Chris sah, dass wir auf die falsche Spur geraten waren und auf ein entgegenkommendes Auto zurasten, schrie ich: „Pass auf, Chris!“ Beide Wagen wichen aus, um einen Frontalzusammenstoß zu vermeiden, aber wir kollidierten dennoch seitlich miteinander. Welch Höllenlärm! Wir wurden daraufhin ins Krankenhaus gebracht. Tony hatte es am schlimmsten erwischt. Er hatte sich nämlich den Knöchel gebrochen. Wir wurden aber noch in derselben Nacht wieder entlassen. Als wir für das Plattencover fotografiert wurden, steckte Tonys Fuß in einem Gipsverband.

Ein anderes Mal stieg Chris oben auf einem Hügel aus dem Auto, während sich unsere Familien im Wagen befanden. Die Gangschaltung befand sich im Leerlauf, doch hatte er die Handbremse vergessen. Irgendwie gelang es ihm gerade noch, wieder hineinzuklettern, um die Karre vor einer Kreuzung zum Stillstand zu bringen. Bis heute fahre ich am liebsten selbst oder achte darauf, dass ich von einem aufmerksamen Fahrer chauffiert werde. Ich beobachte genau, was sich um mich herum abspielt. Denn nach diesen Erfahrungen wusste ich ganz genau, welch gefährlicher Ort die Straßen sein konnten.

Steve Howe - Die Autobiografie

Подняться наверх