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ОглавлениеKapitel 3
Ein erster Schritt
Nach zwei Jahren voller Konzerte und unzähligen Proben betrat ich 1964 zusammen mit den Syndicats zum ersten Mal ein Aufnahmestudio.
Ich war noch nicht einmal 17 Jahre alt und spielte immer noch meine winzige Guyatone. Außerdem besaß ich eine Burns Jazz mit solidem Korpus, aber für diesen Anlass griff ich auf meine Antoria zurück. Wir nahmen in Joe Meeks Studio RGM Sound auf, das sich praktischerweise in der Holloway Road befand – nur zwei Straßen von meinem Elternhaus entfernt. Es war Kevin Driscolls Mutter, die uns bei diesem Vorspiel bei Meek, einem der angesagtesten britischen Produzenten, ablieferte. Wir schleppten unsere Ausrüstung das Treppenhaus hoch und bauten sie in einem Raum auf, von dem aus man die Busse und LKWs überblicken konnte, die die Holloway Road Richtung Highgate beziehungsweise Highbury entlangfuhren.
Die Studiowände waren mit Eierkartons beklebt, um so den Schall ein wenig in die Schranken zu weisen. Wir wurden in den Regieraum gebeten, dessen Boden mit Tonband-Schnipseln übersät war. Die mussten sich über Wochen oder gar Monate angesammelt haben. Meek erklärte uns, wie er seine zweispurigen Aufnahmegeräte und RCA-Mischpulte einzusetzen gedachte, die direkt an der Wand befestigt waren. Dann nahmen wir „Maybellene“ von Chuck Berry auf. Wir spielten die Musik in einem eher schnellen Tempo, was wir perfekt hinbekamen. Unser Drummer Johnny Melton bearbeitete seine Basstrommel samt seinem restlichen Schlagzeug, während Kevin auf seiner Bassgitarre ganz nah am Beat blieb. Tom Ladd sang seine Vocals in Meeks berüchtigtem Klo ein, das er angeblich für sämtliche Gesangsaufnahmen nutzte. Mein Solo steuerte ich später am Tag noch an derselben Stelle bei.
Die B-Seite sollte mit „True To You“ einen Song enthalten, den Tom und ich gemeinsam geschrieben hatten. Das Tempo war verhaltener und die Tonart etwas tiefer gewählt. Doch nachdem wir fertig waren, beschleunigte Joe die Aufnahme, bis alles ein bisschen nach Mickey Mouse klang. Wie aus einem Zeichentrickfilm eben. Ein anderer Trick bestand darin, die Tonhöhe des Tonbands um einen Halbton zu senken. Der Gesang konnte dann im Anschluss beschleunigt werden, um das Erreichen gewisser hoher Töne zu ermöglichen.
Unsere Single erschien schlussendlich im März 1964, kurz vor meinem 17. Geburtstag, was der örtlichen Islington Gazette eine eigene Meldung wert war. Wir arbeiteten auch weiterhin mit Joe zusammen, obwohl ich ihn oft genug daran erinnern musste, dass ich eine Freundin hatte, da er manchmal – nebst anderen offenkundigen Komplimenten – erwähnte, wie sehr ihm meine Hosen gefielen. Das konnte mitunter unangenehm sein.
Ende des Jahres kaufte ich die beste Allround-Gitarre, die man sich nur wünschen konnte. Mein Dad streckte mir 40 Pfund als Anzahlung vor, und im Verlauf von zwei oder drei Jahren zahlte ich das gute Stück in monatlichen Raten ab. So konnte ich mir jene herrliche Gitarre leisten, die mir bis heute große Freude bereitet, nämlich meine Gibson ES-175D. Damals kostete sie 210 Pfund – und heute über 4000 Pfund! Ich bestellte sie bei Selmer’s, einem großen Gitarrenhändler in der Charing Cross Road in London. Dann musste ich erst einmal zwei Monate warten, bis diese wunderschöne Gitarre endlich geliefert wurde. Ich eilte daraufhin nach Hause, um sie über meinen Fender-Tremolux-Verstärker spielen zu können. Sie klang fantastisch. Der vordere Tonabnehmer erinnerte mich an den Sound Kenny Burrells, der bis heute zu meinen liebsten Jazz-Gitarristen zählt. Der hintere Tonabnehmer verfügte über einen ungestümen Rocksound. Zusammen ergaben sie einen richtig großen, heftigen Sound – eine Kombination, auf die ich mich in meiner Karriere regelmäßig verlassen sollte.
Die ES-175 wurde zum ersten Mal 1949 in der Gibson-Fabrik in Kalamazoo in Michigan gebaut. Zunächst mit einem einzigen P90-Tonabnehmer, dann ab 1953 in doppelter Ausführung – deshalb auch das „D“ hinter dem „ES-175“. 1957 wurden die bisherigen Tonabnehmer gegen revolutionäre Brummkompensationsspulen, sogenannte Humbucker, ausgetauscht, die selbst heute noch kopiert werden. Ursprünglich spulten weibliche Angestellte die Tonabnehmer in der Gibson-Fabrik auf und führten dabei angeregte Gespräche, ohne zu ahnen, welch legendäres Produkt sie gerade herstellten. Diese originalen Pickups, die mit einem Aufkleber („patent applied for“) versehen wurden, sind heute noch heiß begehrt. Selbst nachdem das Patent ausgestellt worden war, wurden die Tonabnehmer noch eine Zeit lang mit einem solchen Aufkleber beklebt. 1964, als ich meine Gitarre kaufte, wurden 349 ES-175s hergestellt. Bis 1990, als Gibson aufhörte, derlei Zahlen zu veröffentlichen, entstanden ungefähr 37.000 Exemplare. Dieses Modell wird bis heute in vielen Varianten produziert – darunter etwa auch mein eigenes SH-Modell, das zwischen 2003 und 2014 gebaut wurde und die Spezifikationen meines 1964er-Modells imitierte. Ich erhielt Prozente auf die Verkäufe sowie jedes Jahr ein paar Exemplare. Viele Jazz-Gitarristen haben sich für mein Modell entschieden, etwa Wes Montgomery, Jim Hall, Joe Pass, Kenny Burrell und Howard Roberts. Auch andere Musiker erhielten ihre eigenen Modelle, darunter Johnny Smith, Barney Kessel, Tal Farlow und Hank Garland. Für Billy Bird wurde etwa die Byrdland gebaut. Gibson wurde im Verlauf der Jahrzehnte von Hunderten Gitarristen beworben, doch das beliebteste Modell ist bis heute die Les Paul. Meine erste Gibson galt eigentlich nicht als Rockgitarre, doch fand ich Methoden, um die Rückkoppelungen mithilfe meines Lautstärke-Pedals und der Verstärker-Einstellung zu unterdrücken. Alles, was dafür getan werden musste, war, den Bassregler nur ein wenig aufzudrehen, um jegliches Feedback zu eliminieren. Aber nur ein bisschen mehr – und man hatte ein Problem …
Die Geschichte der elektrischen Gitarre kann ganz schön verwirrend sein. Schon 1924 schlug Gibsons meisterhafter Mandonlinen- und Gitarrenbauer, der hochverehrte Lloyd Loar, eine Gitarre vor, die mithilfe eines „elektrostatischen Systems“ verstärkt werden sollte. Doch Gibson lehnte dies ab. Daraufhin baute und verkaufte Loar sein eigenes Modell, die Vivi-Tone, in geringer Stückzahl und relativ erfolglos. Rickenbacker baute seine erste elektrische Lap-Steel-Gitarre mit dem Spitznamen „Bratpfanne“ im Jahr 1931, bevor man 1934 die Spanish Electric folgen ließ. DeArmond und Dobro stellten bald neue Tonabnehmer her. 1936 gelang es dann Walter Fuller, Gibson davon zu überzeugen, sich auf das elektrische Abenteuer einzulassen. Daraus resultierte die Gibson ES-150, die mit einem ursprünglich von Lyon & Healy gebauten Verstärker kombiniert wurde. Diese Gitarre verfügte über einen elektromagnetischen Tonabnehmer, den Charlie Christian brillant für seine Zwecke einzusetzen wusste. Bei ihm handelte es sich um den ersten elektrisch verstärkt spielenden, Single-Note-Jazzgitarristen überhaupt.
Gibsons Gründer und Namensgeber Orville Gibson kam 1856 in Chateaugay im Bundesstaat New York zu Welt. Ihm verdanken wir Innovationen in Bezug auf sämtliche mit Bünden versehenen Saiteninstrumente. Er adaptierte charakteristische Merkmale der Geige wie deren F-Löcher und geschnitzte oder gewölbte Oberflächen für Gitarren und Mandolinen, die er von Hand baute. Er überwachte den Übergang zur Massenproduktion in seiner Fabrik in Kalamazoo, damit man der Nachfrage nach Banjos, Mandolinen und Gitarren auch gerecht werden konnte. Sein Vermächtnis erstreckte sich weit über seinen Tod im Jahr 1918 hinaus. Ab den Achtzigerjahren stand Gibsons wichtigste Produktionsstätte in Nashville, während die Spezialanfertigungen in Memphis gebaut wurden. Einmal schickten sie mir eine schwarze 175 SH mitsamt goldener Hardware. Dafür war ich natürlich sehr dankbar. Bei Gibson behandelte man mich immer sehr gut!
So brachte ich nun meine neue Gitarre damals auch zur nächsten Aufnahmesession der Syndicats mit, die für Ende 1964 im RGM Sound anberaumt war. Unsere zweite Single hieß „Howlin’ For My Baby“ und erschien im Januar 1965. Kevin übernahm den Gesang, da Tom Ladd der Gruppe den Rücken gekehrt hatte. Es handelte sich um einen Blues-Song, ein wenig rockiger interpretiert, um uns mehr in Richtung R&B-Sound zu pushen. Die B-Seite, die wir als Gruppe geschrieben hatten, trug den Titel „What To Do“. Johnny Melton war ebenfalls ausgestiegen, und unser neuer Drummer hieß S. Truelove. Außerdem hatten wir nun auch einen Pianisten namens Jeff Williams. Trotz Joe Meeks Interesse an unserer Band machte der Erfolg aber einen weiten Bogen um uns. Vielleicht, weil Kevins Gesang in gewisser Hinsicht Punk vorwegzunehmen schien. Georgie Fame rezensierte „Howlin’ For My Baby“ im Melody Maker. Er meinte, dass Gitarren-Break sei „ziemlich gut“. Ich gestehe, dass ich kurzfristig richtig stolz war.
Zwischen diesen Studioterminen spielten wir einen Gig nach dem anderen im ganzen Land. Wir fuhren auf der M1 und legten am Watfort Gap Zwischenstopps ein. Dort unterhielten wir uns oft bis spät in der Nacht mit anderen Bands. Wir spielten zunächst 14 Chuck-Berry-Songs pro Abend – wir nannten uns selbst die Chuck Berry Appreciation Society. Dann einigten wir uns darauf, eine Blues-Band sein zu wollen. Zweimal wurden wir auch angegriffen. Das erste Mal, als wir mit unserem gelben Commer-Van die Tottenham High Road entlangfuhren. Wir wurden von einem anderen Wagen, der uns geschnitten hatte, dazu gezwungen, stehen zu bleiben. Dann wurden unsere Fenster mit Stangen eingeschlagen. Zum Glück hatten wir da unsere Ausrüstung nicht dabei! Das andere Mal befanden wir uns fernab unseres angestammten Reviers, als ein paar ortsansässige Rabauken ihre Missgunst uns gegenüber zum Ausdruck brachten. Sie gingen auf uns los, schubsten und schlugen uns. Was dachten wir uns bloß dabei, in ihr Territorium einzudringen? Tottenham konnte damals schon ein raues Pflaster sein.
Den Syndicats gelang es dann sogar, einen Fernsehauftritt zu ergattern. So spielten wir bei The Beat Room auf dem neuen Sender BBC Two. An diesem Abend traten außer uns noch Tom Jones mit „It’s Not Unusual“ und die Kinks mit „You Really Got Me“ auf. Ein bestimmtes Mitglied der Kinks beschloss, mich über seine gegenwärtige mentale Verfassung aufzuklären. Offenbar hatte er schon länger nicht mehr geschlafen, gegessen oder einen Satz frischer Kleidung übergeworfen. Außerdem, so meinte er, sei er high und betrunken. Ich fragte mich, ob das denn normal wäre. Eine junge Band auf der Überholspur war so abgefuckt? Diese aufbegehrende Art wirkte auf den ersten Blick verlockend, doch im Verlauf der Zeit sollte ich erfahren, dass zu viele Musiker dem Rock’n’Roll-Lifestyle zum Opfer fielen. Viele von ihnen lernte ich auf meinem Lebensweg persönlich kennen. Ein paar von ihnen waren charmant und gewitzt genug, sich nichts anmerken zu lassen, doch war es schon sehr tragisch, wenn ihre Live-Darbietungen unter ihren Ausschweifungen litten.
In der TV-Show spielten wir „Howlin’ For My Baby“ und „Hey Bo Diddley“. Ich besitze eine Aufzeichnung von der BBC, die ich hoffentlich einmal für eine Compilation auf DVD verwenden werde. Dies war mein erster Fernsehauftritt, und meine Gitarre sah richtig sauber und schnieke aus – so wie sie das heute immer noch tut. Der Live-Aspekt des Bandlebens stellte einen krassen Lernprozess für mich dar. Die Behauptung, dass die Musikbranche mit einigen zweifelhaften Charakteren aufwarten kann, würde wohl niemand in Frage stellen. So hieß es etwa, dass Joe Meek keinem seiner Acts jemals die ihnen zustehenden Tantiemen ausbezahle. Das entsprach wohl der Wahrheit, da mir die EMI aus genau diesem Grund liebenswerterweise die Tonbänder der Syndicats aushändigte. Das erlaubte mir, sie zunächst 1994 als einen Teil der Raritäten-Sammlung Moth Balls, die Aufnahmen aus den Sechzigerjahren enthielt, zu veröffentlichen. Zwei Tracks landeten später auch auf Anthology 2 – Groups And Compilations, die 2017 bei Rhino erschien. EMI veröffentlichte unsere Aufnahmen seinerzeit auf Parlophone Records, doch lehnten sie unsere nächste Single ab. „Leave My Kitten Alone“ (ursprünglich von Little Willie John 1959 aufgenommen) war ihnen möglicherweise zu traurig-bluesig. Die Beatles nahmen „Kitten“ in den Abbey Road Studios auf, aber die Aufnahme blieb bis zu ihrem Album Anthology in den Neunzigern unter Verschluss. Außerdem versuchte sich auch eine Band namens First Gear an der Nummer. Ein damals an der Aufnahme beteiligter Session-Gitarrist war niemand Geringerer als Jimmy Page.
Unser neuer Sänger hieß John Lamb. Auf der dritten und letzten Single der Syndicats, „On The Horizon“, die im September 1965 erschien, lieferte er eine echt großartige gesangliche Leistung ab. Hierbei handelte es sich um einen Song aus der Feder des berühmten Duos Leiber & Stoller, den ich erst unlängst solo aufgenommen habe. Auf der B-Seite spielte Ray Fenwick die Gitarre. „On The Horizon“ kletterte bis auf Platz 17 der Charts von Caroline Radio, einem Sender, der von einem Boot aus operierte, das in internationalen Gewässern durch die Nordsee schipperte. Bei diesem Song verwendete ich ein Pedal, mit dem ich Lautstärke und Klangfarbe regeln konnte. So wie schon Chet Atkins hatte auch ich dieses Pedal für meine Zwecke entdeckt, bevor ich mir etwas später ein viel besseres Modell von Fender zulegte. Beide Geräte waren Vorläufer des Wah-Wah-Pedals, das wir alle kennen und lieben.
Leider hatten wir aber keine Vielzahl an Gigs gebucht, weshalb langsam alles zu zerbröckeln begann. Ich verließ die Band um den Zeitpunkt der Aufnahmesessions herum, weshalb dann eben auch Ray Fenwick auf der B-Seite der Single Gitarre spielte. Er sollte später noch bei der Spencer Davis Group, Tee-Set und der Ian Gillan Band spielen. 2003 heuerte ich ihn als zweiten Gitarristen für meine Band im Rahmen der „Remedy“-Tour an.
Während einer meiner letzten Sessions mit der Band wurde Joe Meek aufgrund unserer musikalischen Darbietung sauer auf uns. Nach nur einen Durchlauf meinte er: „Hoffentlich bringt ihr den Song auf die Reihe, bis ich wieder zurückkommen – ansonsten könnt ihr euch verpissen!“ Er stürmte hinaus und kehrte eine Stunde später wieder zurück. Zum Glück schien er nun aber mit unserer Leistung zufrieden zu sein. Wir erlebten auch, wie er manchmal mit seiner Rezeptionistin schimpfte. Trotz allem verstand Joe sein Handwerk im Studio. Sein Sound nahm einige Anleihen bei Phil Spector, aber eben auf eine europäische, poppige Art und Weise. Damals galt „kommerziell“ noch als Schimpfwort. „Telstar“ von den Tornadoes war in den USA ein Nummer-eins-Hit, und seine Hits mit den Honeycombs und John Leyton klingen auch heute noch einmalig. In seinen Anfangstagen hatte er bei einem wunderbaren Album von Big Bill Broonzy namens London Sessions als Tontechniker fungiert. Das fiel mir erst viel später auf. Broonzy war und ist auch heute noch mein allerliebster Blues-Gitarrist und -Sänger. Sein Songwriting und seine Spieltechnik waren stets absolute Weltklasse. „The Glory Of Love“ aus der Feder von Peter Maurice sorgt bei mir heute noch für Gänsehaut. „St. Louis Blues“ und „Minding My Own Business“ sind nicht minder außergewöhnlich.
Der elektrifizierte City-Blues wurde zusehends immer populärer, doch selbst fühlte ich mich in der akustischen Tradition des Country-Blues verwurzelt. Ich kreierte meinen Sound, indem ich mich in eine kleine Nische über einem (ungeheizten) Ofen in der Küche meiner Eltern in London setzte. Dort hatte ich eine herrliche Akustik, nicht unähnlich jener, die Broonzy in den Fünfzigerjahren hatte, als er „Southern Saga“ aufnahm, eine gesprochene Blues-Nummer, von der ich jedes Wort auswendig kannte. Sein Spiel und sein Gesang waren so prägnant. Das Buch I Feel So Good, das Bob Riesman über Bill schrieb, habe ich förmlich verschlungen.
* * *
Als „musikalische Aushilfe“ irgendwo mal schnell einzuspringen, hat mir immer schon Spaß gemacht. Das erste wirklich denkwürdige Engagement dieser Art haute mich fast aus den Socken! Immerhin galten Chris Farlowe & The Thunderbirds damals als eine der besten R&B/Jazz/Blues-Gruppen – und ihr Gitarrist war der großartige Albert Lee! Die Syndicats hatten für sie bereits als Anheizer fungiert. Als Albert einstieg, besuchte ich eines ihrer Konzerte in Watford. „Steve, du schaust uns heute besser genau auf die Finger, weil wir einen neuen Gitarristen am Start haben“, meinte Chris. Meine Bandkollegen mussten mich dann buchstäblich stützen, so gut war der! An diesem Abend spielte Albert eine schwarze Les Paul Custom mit drei Tonabnehmern durch einen Fender-Bassman-Amp. Der Sound war so umwerfend, dass ich ihn heute noch hören kann. Das klang extrem durchdringend und ohrenbetäubend. Doch viel mehr noch beeindruckte mich sein Spiel. Er hielt gleichzeitig ein Plektron und zupfte mit seinen Fingern, so wie ich das auch versucht hatte. Hier ging ganz offenkundig jemandes Stern auf. Die Band ließ ihm jede Menge Raum, damit er sich entfalten konnte. Seine Solos rockten heftig.
Etwas später, vor einem Gig in Wolverhampton, fühlte sich Albert unwohl, und ich erhielt auf den allerletzten Drücker einen Anruf von Chris Farlowe. Er erkundigte sich, ob ich einspringen könne. Natürlich wollte ich mir diese Gelegenheit nicht entgehen lassen. Es war hammermäßig, überhaupt gefragt zu werden. Außerdem war es unbeschreiblich, jemanden zu vertreten, vor dem ich so großen Respekt hatte. Darüber hinaus wurde ich via M1 von London nach Wolverhampton und zurück in einem Aston Martin DB6 Cabrio chauffiert. Meine Gitarre lag auf der Rückbank neben mir. Ich wurde am Nachmittag am Nag’s Head in der Holloway Road abgeholt und kam gerade rechtzeitig an, als die Band ihre Ausrüstung aufbaute. Jemand drückte mir eine Setlist mit Songtiteln sowie deren Tonarten in die Hand: „Stormy Monday Blues“ in F-Dur und so weiter …
Nach dem Soundcheck und einem Probelauf durch den ersten Song wurde das Publikum eingelassen. Für meinen Geschmack ein wenig überhastet begann unser Konzert schließlich um 20 Uhr. Mir wurde angewiesen, einfach über das Spiel der Band hinweg zu improvisieren. Um Himmels willen, wem verdanke ich bloß diese wunderbare Gelegenheit?, fragte ich mich. Es war der absolute Hammer! Die unterschiedlichen Tonarten, Tempos und Riffs verschmolzen miteinander, und ich bestand diesen Test mit wehenden Fahnen. Meine Liebe für zwölftaktige Musik hat niemals wieder eine solch optimale Bühne geboten bekommen wie an jenem Abend! Allerdings sollte ich noch oft großartige Möglichkeiten erhalten, spontan mit anderen Musikern zu spielen und jeweils noch mehr über die unerwarteten Freuden musikalischer One-Night-Stands erfahren zu dürfen.