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ОглавлениеKapitel 2
Lasst uns so tun, als ob …
Als ich etwa zehn Jahre alt war, träumte ich davon, Gitarre zu spielen und einer Künstlerexistenz zu frönen. Für mich gab es nur eines, nämlich auf diesem Instrument kontinuierlich besser und irgendwann einmal richtig gut zu werden.
Die ersten kleinen Schritte zur Erfüllung meines Traumes ereigneten sich in den Loraine Mansions, Widdenham Road, Hausnummer 34, im Nordlondoner Stadtteil Holloway, wo ich am 8. April 1947 das Licht der Welt erblickte. Ich war das jüngste von vier Kindern. Cyril, mein Vater, war Koch, der Ada, meine Mutter, kennenlernte, als beide im Ritz Hotel in Piccadilly arbeiteten. Ich glaube, sie war dort als Hausmädchen angestellt.
Während des Zweiten Weltkriegs kochte mein Vater in der Armee und dann in einem smarten Bankiersrestaurant namens The Palmerston in Bishopsgate in der City of London. Dort avancierte er schließlich zum Küchenchef, bestimmte jeden Tag das Menü und beaufsichtigte die Zubereitung jedes Gerichts. Gelegentlich brachte er auch sehr hochwertige Lebensmittel mit nach Hause, darunter Fleisch und Fisch, was wiederum die Ansprüche an anständige Lebensmittel über Jahre hinweg hochschraubte.
Dad war ein angesehenes Mitglied der International Academy of Chefs de Cuisine, deren britische Sektion sich jedes Jahr zu einem Symposium in Torquay in Devon traf. Er und meine Mum befanden sich oft unter den Gästen, und wir besitzen noch heute ein bemerkenswertes Album voller Erinnerungen an diese Zusammenkünfte, bei denen Dad Preise für blumige Tischdekorationen oder seine Tierfiguren und andere Motive, die er zumeist aus Zucker schuf, einheimste. Zwar bestand meine Mutter darauf, zumindest bei uns zu Hause zu kochen, doch ließ es sich Dad nicht nehmen, am Samstag selbst am Herd zu stehen. Dann gab es auch spezielle Gerichte wie etwa frittierte Äpfel und Bananen. Er zeigte mir auch, wie man Omeletts zubereitete. Doch wenn ich am samstagmorgens aufstand, bröckelte ich stattdessen lieber einen Käse in die Pfanne. Das ging viel schneller und einfacher als ein Omelett! Sobald der Käse dann geschmolzen war, konnte ich ihn mit einer Gabel essen. Außerdem brachte er mir bei, wie man Pfannkuchen machte beziehungsweise, wie man sie wendete. Es machte einen Heidenspaß, zuzusehen, wie hoch man die Pfannkuchen werfen und wieder auffangen konnte.
Die einzige Mahlzeit, mit der ich so gar nichts anfangen konnte, war der Sonntagsbraten – vermutlich ein erster Hinweis darauf, dass ich später Vegetarier werden würde. Seine Zubereitung dauerte immer ziemlich lange, und das unangenehme Aroma breitete sich währenddessen in unserer ganzen Wohnung aus. Leider bin ich einigermaßen empfindlich, was Gerüche betrifft. Bevor bei uns sonntags zu Mittag gegessen wurde, besuchten wir oft einen nahen Verkaufsstand, wo Muscheln und andere Meerestiere angeboten wurden. Deren Anblick und Gestank waren nicht weniger ekelhaft.
Dad verfügte über noch ein weiteres besonderes Talent, nämlich das Eisschnitzen. So formte er etwa für eine australische Bank ein Känguru, das dann im Rahmen einer abendlichen Veranstaltung der Filiale im Palmerston über das Büffet wachte. Vermutlich vermittelte seine Fähigkeit, diese Objekte zu schaffen, mir eine spezielle Wertschätzung für Eisschnitzerei und später auch feine Glasarbeiten. Auf meinen vielen Reisen habe ich stets Ausschau nach gläsernen Kunstobjekten gehalten und so im Verlauf der Zeit auch eine umfangreiche Sammlung zusammengetragen.
Ich war ein relativ ruhiger kleiner Junge, der sich damit begnügte, mit seinen Spielzeugautos und -zügen zu spielen. Auch besaß ich Armeefahrzeuge und Soldaten, mit denen ich Schlachten nachstellte. Dafür feuerte ich brennende Streichhölzer aus mit Sprungfedern versehenen Kanonen und Panzern im Maßstab 1:43. Nicht selten spielte ich mit meinem Bruder Philip, der zweieinhalb Jahre älter war als ich, bis wir uns schließlich in die Wolle gerieten. In der Regel zankten wir, weil der eine des anderen Armee auf dem Schlachtfeld ausgelöscht hatte. Da wir altersmäßig nicht weit auseinanderlagen, war sein Einfluss auf mich wahrscheinlich größer als der unseres ältesten Bruders John und unserer Schwester Stella. Philip arbeitete später beim Film und Fernsehen – als Cutter und Regisseur. Er lebt nun schon seit vielen Jahren mit seiner Frau Sarah im australischen Sydney und hat drei Söhne aus einer früheren Ehe namens Rufus, Paris und Blaise.
Meine Schwester Stella war die Nächstältere. Sie verdingte sich zunächst als Friseurin, bevor sie ihre Söhne Adrian und Jason großzog und dann eine Stelle im Management des Einkaufszentrums Brent Cross annahm. Heute lebt sie mit ihrem Mann Tony in Spanien. Stella hat mit Philip, John und mir in Holloway wohl einiges mitmachen müssen. John war ein richtiger Komiker. Erst neckte er Mum ob ihrer Kochkünste, dann verwickelte er uns in unserem bereits abgedunkelten Schlafzimmer noch in eine Kissenschlacht, bevor er zurück auf seinen Stützpunkt bei der Royal Air Force musste. Nachdem er ins Leben als Zivilist zurückgekehrt war, arbeitete er in der Möbel- und Textilindustrie. Mit seiner Frau Joyce hat er einen Sohn und eine Tochter, Christopher und Caroline, die wiederum eine Tochter namens Bethany hat.
Uns fehlte zwar der Vergleich mit anderen Haushalten, doch gab es keinen Grund, sich über viel zu beschweren. Ich genoss die Sommerabende, an denen ich stundenlang einen Ball gegen eine Wand kickte, die strahlenden Sonnenuntergänge und unsere Freitagabende, wenn wir quer durch London nach Putney fuhren, um dort an der Themse Fish and Chips zu essen und dann im Putney Common, einem schönen Park, herumzulaufen. Wenn dort die Dunkelheit hereinbrach, wurden wir von Fledermäusen gejagt. Am Wochenende fuhren wir oft nach Richmond oder Hampton Court. Nur ein einziges Mal besuchten wir einen Bauernhof auf dem Land. Das hinterließ einen bleibenden Eindruck – es war wie ein völlig anderer Planet für einen Jungen, für den London der Mittelpunkt des Universums markierte. Es sollten dann ganze zwölf Jahre vergehen, bevor ich erneut die Chance erhielt, die schöne englische Landschaft zu bestaunen und als solche zu schätzen.
Mit fünf Jahren kam ich in die Schule. Mum musste mich fast schon mit Gewalt dorthin zerren. Ich habe jedoch nicht nur an diesem ersten Tag geschrien, sondern noch an vielen der folgenden Tage danach. Die Schule beraubte mich meiner geliebten Freiheit. Von nun wurde ich danach beurteilt, wie gut ich sinnlose Informationen zu einer Vielzahl von Themen in meinem Kopf speichern konnte. Die Hungerford School hing über mir wie eine düster-bedrohliche Regenwolke. Es schien alles so unfair. Für diejenigen, denen in der Schule so gar nichts gefällt, sollte es irgendeine Art Alternative geben. Im Winter war die Dunkelheit, die am Ende des Schultages bereits hereingebrochen war, einigermaßen beängstigend. Ich wurde einmal Zeuge, wie ein Freund von mir in der Finsternis von einem Auto angefahren wurde und zuckend am Boden liegen blieb. Zum Glück war er nur leicht verletzt. Irgendwann einmal schlug mir dann ein aggressiver Junge einen Ziegelstein auf den Kopf. Ich musste ins Krankenhaus gebracht und genäht werden. Mit nur einem Stich zwar, aber immerhin. Und der Junge bekam es mit der Polizei zu tun.
An den Wochenenden hing ich mit meinen Freunden herum. Wenn uns eine Situation zu ungefährlich erschien, dann sahen wir eben selbst zu, dass sie gefährlicher wurde! So schossen wir etwa brennende Feuerpfeile auf strategische Ziele wie den Garten eines Freundes oder einen Kohlebunker. Chemie-Baukästen wurden verwendet, um Raketen zu befeuern, die von unseren selbst zusammengeschraubten Metallrampen aus gezündet wurden. Im Keller eines anderen Freundes aktivierten wir hingegen ein paar Rauchbomben. Oft genug schwelte mysteriöserweise Schwefel auf den Stufen hinauf zu den Wohnungen. Einmal drangen wir auch in ein verlassenes Kino ein und spielten inmitten von Staub und toten Tauben. Irgendwann wurde das aber ein wenig unheimlich, und ich entkam schließlich durch eine Tür, die nirgendwohin führte – außer man war in der Lage, eine drei Meter hohe Mauer, die mit Glasscherben bedeckt war, zu erklimmen. Da es nun einmal der einzige Ausweg war, versuchte ich genau das zu bewerkstelligen. Wie das Mitglied einer militärischen Spezialeinheit kraxelte ich die Wand hoch und sprang auf die andere Seite in die Freiheit. Ich erinnere mich noch, wie ich mit Staub und Schmutz bedeckt nach Hause kam und versuchte, mich zu verstecken, bevor ich mich waschen konnte. Doch vor Mum gab es kein Entkommen. Allerdings fragte sie bloß nach, ob auch alles in Ordnung sei …
Alles, was sowohl unser Nervenkostüm als auch unsere körperliche Ausdauer strapazierte, genoss höchste Priorität bei uns. Das wirkte wie ein Exorzismus gegen meine Ängste. Mithilfe meines törichten Wagemuts befreite ich mich somit schon sehr früh von der dunklen Seite. Doch rückten diese kindischen Herausforderungen schließlich Schritt für Schritt in den Hintergrund. Dadurch eröffnete sich die Möglichkeit, meine Fantasie für sinnvollere Unternehmungen einzusetzen.
Als ich zehn Jahre alt war, begann ich mich, für Musik zu interessieren. Sie motivierte mich geistig und körperlich. So spielte ich denn lebhafte Musik auf der Musiktruhe in unserem Wohnzimmer, wovon auch die Unordnung zeugte, die ich dabei hinterließ. Ich hüpfte zwischen Sofa und Sesseln hin und her und vermied dabei, den Boden zu berühren. Diese Art zu tanzen löste mich auf eine seltsame Weise aus meiner Wirklichkeit heraus, was mir sehr zusagte. Ich legte Platten von Marschkapellen und Schnulzensängern aus der Sammlung meiner Eltern auf, darunter auch Filmmusiken wie etwa South Pacific. Diese verwunschenen Abende wurden für mich eine Flucht aus meinem gewohnten, straff organisierten Alltag. Die Musik bot mir eine zweite Heimat. Das ließ sich aber nur sehr schwer kontrollieren.
Meine nächste Schule war die Barnsbury Boys in Islington. Ich war nun elf Jahre alt, man schrieb das Jahr 1958, und der Lehrplan gestaltete sich durchaus anspruchsvoll. Die einzelnen Fächer waren schwierig, und unbeholfene Lehrer bestimmten mit kompromissloser Autorität über uns. Nur der Werkunterricht und Technisches Zeichnen gefielen mir, wohingegen mir der ganze Rest schwerfiel. Die meisten Lehrer sahen in mir einen braven Jungen, doch konnte ich mich auch eigensinnig verhalten. In der Regel schlich ich auf leisen Sohlen die Flure entlang, ohne dabei groß Aufsehen zu erregen oder irgendwo anzuecken. Auf diese Weise vermied ich es gekonnt, von meinen Mitschülern gehänselt und vom Lehrpersonal zurechtgewiesen zu werden. „HOWE, HÖR GEFÄLLIGST AUF, AUS DEM FENSTER ZU STARREN!“, bringt meinen damaligen Schulalltag ganz gut auf den Punkt.
An der Schule herrschte ein Gewaltniveau, das mitunter aus dem Ruder zu laufen drohte – dies betraf sowohl Schüler als auch Lehrer. Als ich mich einmal ganz beiläufig im Werkunterricht über irgendetwas beklagte, wurde mir schon mit einem Lineal auf die Knöchel meiner Hand gehauen. Ein anderes Mal bezog die ganze Klasse Dresche mit dem Stock, weil ein Missetäter nicht zu seiner Regelüberschreitung stehen wollte. Er hatte, als der Lehrer mit dem Rücken zu uns stand, ein Tintenfass quer durchs Klassenzimmer gepfeffert. Einmal knöpften sich ein paar ältere Schüler meine Wenigkeit vor. Sie boxten und traten mich, aber nicht allzu hart.
Man erwartete von uns, so viel Lernstoff wie möglich aufzusaugen, bis ich nicht mehr imstande war, mit den fleißigeren und begabteren Jungs mitzuhalten. Französisch wurde gestrichen. Da bekam ich gar keinen Fuß in die Tür. Dafür musste ich nun aber ausgerechnet Spanisch lernen. Das entwickelte sich zu einem weiteren Fehlschlag, ähnlich dem Religionsunterricht. Die Lehrer, die uns im Turnunterricht betreuten, waren grob und unflätig. Sie ließen jedenfalls keine Gelegenheit aus, uns zu bestrafen. Für meinen Teil lief ich nämlich nicht so gern oben an der Sprossenwand entlang. Die war ganz schön hoch. Kaltes Duschen gehörte ebenfalls zum Pflichtprogramm. Ein Schwimmlehrer im Bad in der Hornsey Road stieß mich zweimal ins Wasser, und beide Male sank ich bis zum Grund des Beckens. Nur mit Müh und Not und gerade noch rechtzeitig erreichte ich die Wasseroberfläche, um nach Luft zu schnappen. Ich sollte daraufhin Jahrzehnte nicht mehr in ein Schwimmbad steigen. Der Mathelehrer Mr. Bayliss hatte immer ein paar Lineale dabei, mit denen er uns zu schlagen pflegte. Mitten im Unterricht machte er sich immer mal wieder für zehn Minuten aus dem Staub, um vor der Türe eine Zigarette zu quarzen. Wir konnten es riechen, wenn er zurückkam.
Jahrelang schon hatte ich um eine Gitarre gebettelt. Wie gesegnet ich mich doch fühlte, als im Dezember 1959 meine Gebete endlich erhört wurden! Im Alter von zwölf Jahren nahm mich mein Dad mit, eine Gitarre für mich auszusuchen. Es handelte sich dabei um ein deutsches Fabrikat – eine mit sechs Stahlsaiten bespannte und mit F-Löchern versehene Archtop-Gitarre, die wir für 14 Pfund in einem Laden am King’s Cross erstanden. Am Weihnachtstag erhielt ich sie schließlich formell überreicht.
Es wäre damals praktisch unmöglich gewesen, den Aufstieg des Rock’n’Roll zu verschlafen. Ich hatte somit schon ein paar der besten Gitarristen überhaupt zu Gehör bekommen, noch bevor ich selbst eine Gitarre besaß. Ein paar von ihnen sollten mich später in meinem Spiel beeinflussen. Manche von ihnen tun das sogar bis heute. Auf jeden Fall war durch das Hören dieser alten Schellackplatten aus der Sammlung meiner Eltern eine Art Grundstein gelegt worden.
Anfangs tat ich einfach bloß so, als würde ich spielen, obwohl ich eigentlich nicht wusste, wie das ging. Nachdem ich Marschkapellen und Schnulzenheinis hinter mir gelassen hatte, entwickelte ich eine Vorliebe für Les Paul sowie seine mehrspurig aufgenommenen und mitunter beschleunigt abgespielten Gitarren, die vor Hall und Echo nur so strotzten, ohne dass mir das sonderlich bewusst gewesen wäre. Auch interessierte ich mich für die Spieltechnik von Jimmy Bryant & Speedy West. Dieses Duo versah abwechselnd Tennessee „Ernie“ Fords Country/Hillbilly-Aufnahmen wie „Shotgun Boogie“ mit aufregenden Gitarren- und Steel-Guitar-Solos. Sie waren beide zwei wirklich bahnbrechende Pioniere. Ich hörte diese Musik via Musiktruhe unserer Familie, einer Kombination aus Radio und Schallplattenspieler. Bald schon aber besaß ich meinen eigenen Plattenspieler. Wenn ich damit Musik hörte, versuchte ich, die Shadows und Duane Eddy auf der Gitarre zu begleiten.
Lehrbücher für angehende Gitarristen stellten keine große Hilfe für mich dar, obwohl mir Dance Band Chords For The Guitar von Eric Kershaw durchaus zusagte. Damit erlernte ich unterschiedliche Akkordumkehrungen sowie auch ein paar komplexere Griffe, wie sie nicht allzu häufig im Rock’n’Roll Anwendung finden. So saß ich in meinem Zimmer in unserer Wohnung in Loraine Mansions und übte Akkordwechsel und Tonleitern. Auch probierte ich, mir selbst Sachen einfallen zu lassen, die sich an den Gitarrensolos jener Tage orientierten. Schrittweise war ich bald in der Lage, mir das gesamte Griffbrett in meinem Kopf bildlich vorzustellen. Ich konnte nun gewisse Muster heraushören und mir vorstellen, wo ich mit meinen Fingern hinmüsste, um bestimmte Noten oder Akkorde zu spielen. Es fühlte sich an, als müsste ich fortan zwei parallel verlaufende Leben unter einen Hut bringen. Als ob ich Kopf voraus ins kalte Wasser gesprungen wäre! Zuerst dachte ich, dass es ein guter Einstieg sein müsste, Gitarre im Stil der Tanzbands zu spielen. Oft beobachtete ich Gitarristen im Fernsehen, die ihre Akkorde zu den Bigbands improvisierten. Sie trieben zusammen mit dem Bass und dem Schlagzeug den Rhythmus voran – auf gewöhnlichen Archtop-Gitarren, wie ich selbst eine hatte. Ich stellte mir vor, wie ich auf der Bühne stünde, neben einem Sänger, und auf den Einsatz für mein Solo wartete, etwa während eines zwölftaktigen Breaks oder eines einfachen Riffs. Am besten war es wohl, die gitarrenlastigen Instrumentalstücke jener Zeit zu lernen. Wer sich diese aneignete, löste quasi das Ticket zur Mitgliedschaft in einer Band.
Gleichzeitig recherchierte ich ständig neue Gitarristen. So wurde etwa Chet Atkins bald mein absoluter Lieblingsgitarrist. Teensville von 1960 war mein erstes Album von Atkins. Seine Country-Picking-Arrangements hatten einen großen Einfluss auf mich. Ich konnte gar nicht mehr aufhören, ihn auf meinem Plattenspieler anzuhören. Obwohl manchmal auch Gesangsharmonien zum Einsatz kommen – und sagt nicht, ich hätte euch nicht gewarnt –, vermag nichts von seinen außergewöhnlichen Darbietungen abzulenken. Wie er mit dem DeArmond Volume & Tone Pedal umging, war bahnbrechend. Er hatte sich diese Technik bei den Steel-Guitar-Spielern abgeschaut. Es ist vor allem seine Daumen-Technik in Kombination mit der Melodielinie, oft noch um einen Akkord ergänzt, die mich verblüfft. Er nahm sich oft selbst bei sich zu Hause auf. Sein Sound entsprang sowohl seiner gefühlvollen rechten Hand als auch seinem Talent als Produzent. Er schlug die Saiten überraschend soft an und bewegte seine linke Hand mit großer Eleganz und Logik über das Griffbrett.
Ich hätte zwar gern alle seine Platten gekauft, doch waren nur ein paar davon in Großbritannien erhältlich. Auf Chet Atkins’ Workshop und Finger-Style Guitar ist der Sound einfach unfassbar gut. Er brachte seine Gretsch förmlich zum Swingen und Singen. Ungefähr zur selben Zeit wie Chet trieb auch Les Paul seine Karriere voran, und ich besitze von beiden ihre ersten 10-Inch-Schallplatten. Ob ihr mir glauben wollt oder nicht, aber sie heißen beide Galloping Guitars.
Chets Lebensgeschichte enthält gleich mehrere historische Meilensteine. Obwohl er lange als verkannter Held galt, wurde er letzten Endes für seine beispiellosen Leistungen rund um die Countrymusik mit vielen Auszeichnungen überhäuft. Ich durfte ihn mehrmals treffen, etwa im Rahmen eines Konzerts in London, wo er in den Achtzigerjahren mit Doug Turner auftrat, der selbst wiederum ein unglaublicher Gitarrist im Stil von Chet ist – was eigentlich noch eine grobe Untertreibung darstellt. Nach der Show überreichte ich Chet die Noten zu „Clap“. Ich wäre ja komplett durchgedreht, wenn er es jemals gespielt oder sogar aufgenommen hätte! Das letzte Mal sahen wir einander in den Neunzigerjahren, als wir beide gemeinsam mit Larry Coryell und Herb Ellis in einer vom Gitarrenhersteller Gibson veranstalteten Konzertreihe auftraten. Diese Shows fanden im Rahmen einer Musikmesse in Frankfurt am Main statt. (Larry und ich ergriffen am letzten Tag die Gelegenheit, zusammen zu jammen. Auch er war ein fantastischer Gitarrist.) Chet und ich fuhren allabendlich gemeinsam zum Club, und ich löcherte ihn mit Fragen nach Details zu einzelnen Aufnahmen. Allerdings konnte er sich nur an ein paar seiner Gitarren-, Verstärker- und Mikrofon-Einstellungen erinnern. Er hatte einen entspannten Sinn für Humor und verstrahlte diese gewisse Herzlichkeit. Ich fragte ihn auch, ob er vorhabe, noch einmal etwas mit Les Paul aufzunehmen. „Ach, nur wenn er mich anruft!“, antwortete Chet lapidar.
Angesichts seines Spiels entdeckte ich, wo ich mich selbst am wohlsten fühlte. Nicht etwa, indem ich ihn imitierte, sondern vielmehr, indem ich eigene Stücke schrieb, in denen ich auf ein paar seiner Country-Picking-Techniken zurückgriff. Er hat diesen Stil zwar nicht selbst erfunden, aber doch weiterentwickelt – nicht zuletzt für die elektrische Gitarre. Auch Merle Travis darf nicht unerwähnt bleiben, da Chet dort weitermachte, wo dieser aufgehört hatte. Scotty Moore, der ursprüngliche Gitarrist von Elvis, führte diese Spieltechnik dann in den Rock’n’Roll ein. Nur Chet war nun einmal eben der Meister, was das Picking anging – sein Stil wurde Thumb-Picking, Travis-Picking, Fingerpicking, Cross-Picking oder sogar Claw-Picking genannt. Chets DVDs Rare Performances By Chet Atkins Volume 1 & 2 sind sehr gute Retrospektiven, und auch all seine Aufnahmen – vielleicht mit Ausnahme von Christmas With Chet Atkins und Sing Along With Chet Atkins – sind es wert, gehört zu werden, so etwa die bereits genannten Finger-Style Guitar, Teensville und Workshop oder auch Down Home und The Other Side Of Chet Atkins.
Mein beschaulicher Alltag wurde dann durchbrochen, als ich mit 13 im Jahr 1960 einen üblen Husten aufschnappte. Ich schwöre, das war eine ganz schlimme Sache, die sich über zwei Monate hinzog. Immer wieder litt ich unter heftigen Husten- und Erstickungsanfällen. Zur Behandlung wurde in meinem Zimmer in der Nacht Kohlenteeröl entzündet. Ich glaube, dass das Halluzinationen bei mir auslöste, da meine Träume plötzlich völlig irre waren. Ich hatte schon zuvor sehr lebhaft geträumt, wobei ich oft irgendwo zwischen Wach- und Schlafzustand zu schweben schien. Einmal saß ich etwa auf einem Elefanten, der irgendwo in Indien durch Wände stürmte. Das war extrem bizarr! Seltsamerweise beruhigte Teensville meine Nerven aber, wenn ich mich zum Schlafen niederlegte, und lenkte mich von abstrusen Gedanken ab.
Zurück zur Musik. Ich interessierte mich weiterhin für Gitarristen, die die Explosion der Rockmusik vorweggenommen hatten. Django Reinhardt, der bei einem Brand seines Wohnwagens einst schwer verletzt worden war, spielte seine Maccaferri-Gitarre nur mit den zwei voll funktionsfähigen Fingern seiner linken Hand. Dennoch war sein Spiel wild und aufregend – samt epischen Läufen quer über das ganze Griffbrett, etlichen Triller- und Vibrato-Einlagen, die seine oft radikalen Ideen noch betonten. Ich kaufte mir ein 10-Inch-Album von ihm, auf dessen Cover nur eine einzelne Saite zu sehen war. Es trug den schlichten Titel Django und enthielt Aufnahmen von 1934 und 1935, die zum ersten Mal 1957 veröffentlicht worden waren. Zusammen mit Stéphane Grappelli führte er das Quintette du Hot Club de France an, eine der damals angesagtesten Jazz-Combos Europas.
Ich lauschte auch dem lieblichen Klang von Wes Montgomerys Gibson L-5, den er oft mithilfe seines Oktavspiels noch erweiterte. Das hieß, dass er zwei Töne, die eine ganze Oktave auseinanderlagen, gleichzeitig spielte. Außerdem hörte ich Tal Farlow und ließ mich von seinem Spiel hypnotisieren und in andere Gefilde entführen. Er war ein Gitarrist, der vor allem bei seinen Kollegen hohe Wertschätzung genoss. Ich entdeckte zudem noch viele weitere großartige Gitarristen. Weniger bekannten, aber umso begabteren Musikern zuzuhören, empfand ich als ungemein bereichernd. Nicht alle Könner streben nach dem großen Erfolg. Manche schoben lieber eine ruhige Kugel, gaben sich mit einem passablen Auskommen zufrieden und mieden das gleißende Rampenlicht. Dahinter verbirgt sich eine Weisheit, für die ich große Bewunderung hege.
Wo man damals auch hinlief, überall erklangen Instrumentalnummern von Gitarrenbands wie den Ventures, Shadows, Spotnicks oder Gladiators. All diese Bands erlebten damals ihre absolute Blütezeit und lieferten etliche Hits ab. Meine stetig wachsende Sammlung von Gitarrenmusik nahm mehr und mehr Platz ein, doch gelang es mir, sie beisammenzuhalten und diesem Archiv bis heute immer neue Platten hinzuzufügen. Später gesellten sich auch etliche Wiederveröffentlichungen auf CD und Boxsets sowie diverse Raritäten wie 10-Inch-Alben, frühe Single-Veröffentlichung und sogar noch ältere Schellacks, vor allem von zeitgenössischer Banjo- und Gitarrenmusik, hinzu.
Während ich heranwuchs, lernte ich auch einige Gitarristen persönlich kennen, wie etwa Ray Russell. Er war ein sehr vielseitiger Gitarrist, der auch mit dem amerikanischen Jazz-Arrangeur Gil Evans zusammenarbeitete, was ich selbst auch sehr gern getan hätte. Dann war da noch Yosel, der eine Gibson Les Paul Special spielte, die ich zu den besten Gitarren für Rockmusik zähle. Ich besuchte seine Konzerte in einem Jugendclub in Islington und hing bei ihm zu Hause in Holloway ab, um so viel wie möglich von ihm zu lernen. Auf jeden Fall erhielt ich durch ihn wichtige Einblicke, was es hieß, ein Rockgitarrist zu sein.
1962 ging ich von der Schule ab. Das war der frühestmögliche Zeitpunkt, und ich war gerade einmal 15. Alles, was ich dachte, war: „Nichts wie weg hier!“ Ich hatte alle sieben Teilprüfungen meiner O-Level-Examen versemmelt, obwohl ich davon ausgegangen war, wenigstens im Werkunterricht reüssieren zu können. Mein Bruder Philip hatte vor mir bei seinen Prüfungen noch brilliert und legte schlussendlich auch noch seine A-Level-Examen an der Grammar School ab.
Ich startete daraufhin eine dreijährige Lehre als Klavierbauer bei Barrett Sound am York Way, das sich in Gehdistanz von zu Hause befand. Das war der einzig musikalisch orientierte Job, den ich mit meiner Schulausbildung machen konnte. Am ersten Tag musste ich eine Schwalbenschwanzverbindung aus zwei Stücken Holz basteln. Zum Mittagessen ging ich nach Hause und machte mir dabei ernsthaft Sorgen darüber, dass der Lärm vom Stimmen der Klaviere mein Gehör beeinträchtigen könnte! Noch vor dem Mittagessen am nächsten Tag hatte ich bereits hingeschmissen. Ich konnte es keine Minute länger ertragen, all das Gestimme, Gehämmere und Gekratze anhören zu müssen.
Als Nächstes putzte ich als Teilzeitkraft teure Buden im Norden Londons. Dann arbeitete ich sechs Monate lang bei Saville Records, einem Laden in der Holloway Road. Da stand ich nun – mit meiner Gitarre, meinen dicken Lippen (die Leute sagten, ich sähe wie ein Junge aus Indien aus) und tat mich schwer, meine Persönlichkeit und mein Aussehen zu akzeptieren. Da ich dachte, ich müsste so organisiert wie möglich vorgehen, wenn ich mit anderen gemeinsame Sache machen wollte, entwickelte ich schrittweise meine eigenen Moralvorstellungen und Zielsetzungen hinsichtlich des Musikmachens und nahm mir vor, meine Kommunikationsfähigkeit zu verbessern. Auch lernte ich, so viele Songs wie möglich zu spielen, feilte an meiner Technik, mit dem Ziel, das Spiel auf allen 6 Saiten über 17 Bünde hinweg zu beherrschen. Ich trainierte mein Gehör, die unterschiedlichen Eigenschaften der jeweiligen Gitarren auf meinen Platten zu erkennen. Dann kaufte ich mir von einem Freund, der in meiner Straße wohnte, eine E-Gitarre – eine Guyatone LG650 – und einen Verstärker, ebenfalls von Guyatone. Wenig später startete ich mit dem Bassisten Kevin Driscoll eine Gruppe namens The Syndicats, der sich schon bald Sänger Tom Ladd und Schlagzeuger Johnny Melton anschlossen.
Zunächst spielten wir einmal in der Woche im Prison Club, wo Häftlinge des Pentonville Prison nach den Auftritten die Aufräumarbeiten erledigten. Wir rockten in einem langegezogenen, Kantinen-artigen Raum, und ich erinnere mich noch genau an den Sound meines Bühnenverstärkers, einem Watkins Dominator, der richtig Stoff gab. Außerdem ergatterten wir ein dauerhaftes Gastspiel im Swan, einem Pub in der High Road in Tottenham. Ein paar gute Freunde und ich fuhren dann zusammen früh morgens beziehungsweise sehr spät am Abend mit dem Bus zurück nach Holloway, nachdem wir uns die Nacht um die Ohren geschlagen und jede Menge Spaß gehabt hatten. Ganze eineinhalb Jahre lang spielten wir allabendlich von Donnerstag bis Samstag und am Sonntag noch einmal zur Mittagsstunde sowie auch am Abend einen bunten Mix aus Chuck Berry, Pophits und ein paar obskuren Nummern. Ich sang etwa „Down The Road A Piece“, einen der wenigen Chuck-Berry-Songs, die er nicht selbst geschrieben hatte. Die Rolling Stones nahmen ihn 1965 für ihre zweite LP in einer eigenen Version auf.
Wir gaben uns große Mühe, Kneipenschlägereien mit Betrunkenen aus dem Weg zu gehen. Wenn wir am Samstagabend auf der Bühne standen, ging es hinter uns, auf der anderen Seite des Fensters, draußen auf der Straße nämlich zumeist rund. Lautstarke Streitereien führten oft zu körperlicher Gewalt. Dies wiederum zog die Polizei an, die diese Konflikte dann schlichten musste. Inzwischen versuchten wir, weiterzuspielen. Unsere Beschallungsanlage, eine PA von Meazzi, verstärkte den Gesang, und unsere Verstärker liefen so laut, wie wir eben durften. Man konnte uns jedenfalls noch am Ende der Straße hören.
Gitarre zu spielen bedeutete mir eine Menge. Dank ihr konnte ich mich über Wasser halten und verdiente sogar ein bisschen Kohle dabei. Auch beabsichtigte ich, meinen eigenen Stil zu entwickeln und eigene Songs zu komponieren, aber fürs Erste schlug ich vor, unser Repertoire mit wenig bekannten Songs wie „Blue Drag“ von Django Reinhardt, „Mama Turn Your Dampers Down“ von Blind Boy Fuller und dem Titeltrack von Chet Atkins’ Teensville aufzufüllen. In Kombination mit den aktuellen Hits, etwa von den Beatles, ergab das eine witzige Mischung.
Es fiel mir schwer, immer die exakt richtigen Noten in der exakt richtigen Reihenfolge zu spielen, wenn ich mir die Songs beibrachte. So verbrachte ich viele Stunden damit, die jeweiligen Platten verlangsamt abzuspielen, um die Songs irgendwann doch auf die Reihe zu bekommen. Die Musikindustrie war von den lärmigen, leicht zerbrechlichen, schweren und schnell verstaubten 78er-Schallplatten aus Bakelit zu kleinen 45er-Singles, EPs und LPs auf 33 Umdrehungen in der Minute gewechselt. Diese neuen Formate waren echt aufregend. Wenn man ein Album, das man eigentlich auf 33 Umdrehungen in der Minute abspielte, auf 16 Umdrehungen verlangsamte, bekam man immer noch die dieselben Noten zu hören – nur eben eine Oktave tiefer. Aber Les Paul hatte natürlich schon in den späten Vierzigerjahren auf 78er-Platten großartig geklungen.
Paul war am 9. Juni 1915 in Waukesha im US-Bundesstaat Wisconsin als Lester William Polsfuss zur Welt gekommen. Ihm verdanken wir so viele Innovationen, etwa in Bezug auf Mehrspuraufnahme- und Varispeed-Technik, die er nicht nur für Gitarren, sondern auch für den Gesang seiner Frau Mary Ford einzusetzen wusste. Songs wie „Whispering“ waren unglaublich beschwingt, „Lover“ klang eigentümlich und bizarr, und die unfassbar guten Arrangements mitsamt gewaltigen Harmonieblöcken waren enorm mitreißend. Diese Songs behielt ich für immer im Kopf. „How High The Moon“ und „The World Is Waiting For The Sunrise“ sind beides absolute Klassiker. Seine früheren Platten enthielten etwas konventioneller ausgerichteten Jazz. Sein erfinderischer Geist ermöglichte es ihm, die elektrische Gitarre als Instrument mit solidem Korpus quasi neu zu ersinnen, obwohl dieser Ansatz auch schon durch die Steel Guitar zu einem gewissen Grad etabliert worden war. Doch selbstverständlich waren es die Sounds, die er seinen Gitarren entlockte, denen er seine Berühmtheit ursprünglich zu verdanken hatte. Ich nehme mal an, dass es seinem Ruf auch nicht schadete, dass Gibson 1953 ein neues Gitarrenmodell Les Paul nannte. Bei „It’s Been A Long, Long Time“ spielt er ein paar seiner subtilsten und gefühlvollsten Melodielinien.
Les Paul, dieser liebenswerte Typ, der mit Vorliebe auch einmal die Regeln abänderte, erwischte mich gleich zweimal auf dem falschen Fuß. Ich lernte ihn nämlich in den späten Siebzigerjahren persönlich kennen. Das erste Treffen ereignete sich im Rahmen einer Gibson-Veranstaltung in einem Hotel am Heathrow Airport. Er signierte die Spannstab-Abdeckung meiner einmaligen, mit vier Tonabnehmern bestückten Les Paul Custom. Etwas später war ich eingeladen, mit Les und seiner Rhythmussektion gemeinsam auf der Bühne zu stehen. Wir spielten zunächst einen zwölftaktigen Blues, bevor er mich fragte, ob ich eine ganz bestimmte Nummer kennen würde, was ich hastig verneinte. Er drehte sich dennoch zu seiner Band um und zählte ein. Dann spielte er einfach eine Runde vor sich hin, bis er sich mir zuwandte und signalisierte, dass ich nun übernehmen solle. Zum Glück fand ich ein paar Noten, mit denen ich einen Fuß in die Tür bekam. Darauf konnte ich aufbauen und entschied mich dann für einen einfachen Oktaven-Ansatz, der es mir ermöglichte, den richtigen Ton zu treffen, wie es die Situation erforderte. Ganz spontan und nach Gehör!
In den Neunzigerjahren besuchte ich eine seiner immer am Montag stattfindenden Shows im New Yorker Club Fat Tuesdays. Noch vor dem Konzert kam er zu mir rüber und verwickelte mich rasch in ein Gespräch. Er schenkte mir eine „Les Paul“-Baseballkappe, signierte sie pflichtbewusst und fragte mich, ob ich Lust hätte, mit ihm zu spielen. Ich versuchte, ihm diese Idee auszureden. „Es ist mein freier Abend. Ich bin nur zum Zuschauen gekommen“, erklärte ich ihm. Er nahm das zwar zur Kenntnis, doch dann verkündete er während seines Auftritts, dass ich mich im Publikum befände und direkt vor der Bühne säße. Ich erhob mich und verbeugte mich. Da rief er mir zu: „Komm doch hoch und spiel etwas, Steve.“ Daraufhin stieg auch das Publikum ein. Widerwillig erklomm ich die Bühne und suchte mir aus einem aufgereihten Arsenal von drei oder vier Les Pauls eine Gitarre aus.
„Ich setze mich inzwischen mal an die Bar, Steve, während du ein paar Nummern spielst!“, erklärte er. Da fühlte ich mich ziemlich angeschmiert. Ich bin geliefert, dachte ich mir.
Doch dann gelang es mir, ihn aus der Reserve zu locken. Ich erinnerte mich an zwei seiner Nummern. So spielte ich zuerst „Whispering“ und dann noch „Bye Bye Blues!“, beide eher in der Art von Chet Atkins gehalten. Ich rutschte wie Les über die Saiten, um ihn so zurück auf die Bühne zu locken. So bestand ich etwa darauf, einen zwölftaktigen Blues zu spielen, und begann eine Version von „D-Natural Blues“ von Wes Montgomery. Das machte Spaß und sorgte für Chancengleichheit.
Als Innovator war Les seiner Zeit stets voraus. Seine Idee eines Aufnahmegeräts, dessen acht Spuren präzise aufeinander abgestimmt liefen, führte zu Nebeneffekten wie etwa jenem Rückwandecho, das viele frühe Gesangsstimmen im Rock begleitete, sowie lange nachhallenden Verzögerungseffekten und Bandsynchronisierung oder ermöglichte auch, den Sound schrittweise aufzubauen. Er schwor auf schallweiche Tonabnehmer, obwohl sich diese nie durchsetzen konnten. (Nur ein einziges Modell der Les-Paul-Gitarre ist mit solchen Tonabnehmern versehen worden. Ich spielte so eine bei „Cactus Boogie“ auf The Steve Howe Album.)
Les nahm auch zwei Alben mit Chet Atkins auf. Sie ergänzten einander gut, und darüber hinaus gab es auf diesen Scheiben auch noch Wortwechsel und Gesang zu hören. Les Paul begriff als Erster das enorme Klangpotenzial einer Gitarre sowie ihre Eignung für Effekte und diverse Verfahren. Doch waren es letzten Endes die von ihm gespielten Noten, die am meisten Spaß machten.