Читать книгу Die letzte Nacht der Lilie - Stéphanie Queyrol - Страница 11

Lilith

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„Was heißt das genau?“, stotterte Lily. „Ist denn diese Legende real? Ist Lilith die Königin, von welcher in der Überlieferung die Rede ist?“ „Dies ist zu vermuten“, antwortete Armand, „es ist eine Legende, die unter unseresgleichen sehr bekannt ist. Alle kennen Asmodeus. Sein Ziel ist, Lilith wiederzufinden. Um dies zu erreichen, scheut er vor nichts zurück. Dies ist der Grund, weshalb es zwei Fronten gibt unter uns Vampiren. Diejenigen, die ihn unterstützen und sich dadurch eine wichtige Rolle in seiner absehbaren Weltherrschaft erhoffen. Auf der anderen Seite gibt es die Vampire, wie ich einer bin, die mit dem Zustand der Dinge, wie sie sind, zufrieden sind. Früher gab es große Kriege zwischen den Lilienanhängern und uns, mittlerweile …“ „Lilienanhänger?“, unterbrach ihn Lily. „Ja, die Kämpfe gingen als Krieg der Lilie in die Geschichte ein. Zu Beginn sprach man natürlich über den Krieg der Lilith und über Lilithanhänger. Da aber Asmodeus den Namen seiner verlorenen Gattin nicht mehr hören wollte oder konnte, fingen die anderen an, von der Lilie zu sprechen, wenn sie Lilith erwähnen wollten. Auf jeden Fall führen wir heute keinen Krieg mehr gegeneinander, zumindest keinen öffentlichen. Selbst Asmodeus hat eingesehen, dass dies in eurem modernen Zeitalter nicht sehr schlau wäre.“

Lily saß erstaunt da. Sie hätte nicht gedacht, dass Vampire ihre eigenen Kriege führen und ihre eigene Geschichte haben, abgesehen davon, dass sie bis gestern nicht mal wusste, dass Vampire tatsächlich existierten. „Was heißt das jetzt genau? Ist meine Mutter tatsächlich die neue Lilith?“, wollte Lily wissen. „Nein, wenn sie Lilith wäre, sähe die Welt um uns völlig anders aus. Die Finsternis hätte alle Dämonen entfesselt und die Menschheit versklavt. Frauen, Kinder und Männer würden fortan nur mehr als Futter, Arbeitssklaven und Unterhaltung dienen. Du trägst Liliths Seele in dir.“

Lily saß wie versteinert da. Weitere Schocks und ihr Herz würde bald aufgeben.

„Das ist der Grund, weshalb Elizabeth wollte, dass du umziehst“, erklärte Armand, „und den Kontakt zu mir abbrichst. Asmodeus ist in der Stadt.“ „Aber warum hat er dann damals meine Mutter und nicht mich genommen?“ „Wahrscheinlich kannte er nur eine verkürzte oder unvollständige Version der Überlieferung. Ich kann mir gut vorstellen, dass er dachte, es sei wahrscheinlicher, seine Lilith in einer erwachsenen Frau wiederzufinden. Ein Kind hat er möglicherweise nicht mal in Betracht gezogen. Doch du bist der Schlüssel, nun müssen wir nur noch die Auflösung finden.“ „Die Auflösung? Gibt es denn eine Möglichkeit, dem ein Ende zu setzen?“ „Wir haben leider nicht die vollständige Überlieferung, und ich denke nicht, dass heutzutage noch eine existiert. Vielleicht könnten wir versuchen, Asmodeus zu töten …“

In diesem Moment regte sich etwas ganz tief in Lily. Ein Gefühl von dunkelstem Hass verbreitete sich in ihr. Alles, was sie jetzt machen wollte, war Armand zu töten, auf die brutalstmögliche Art und Weise. Bilder zogen an ihr vorbei. Bilder von gefolterten Menschen, von in Blut und Fleisch getränkten Geräten, wie sie solche noch nie gesehen hatte. Sie wurde zwischen ihrem Hass und ihrer Angst hin und her gezerrt. Doch plötzlich ergriff ein völlig neues Gefühl die Oberhand: Macht. Eine unglaubliche Macht floss durch ihren Körper. In ihrem Verlangen nach Hass und Tod entwickelte sie plötzlich eine Macht, von der sie nicht einmal geträumt hatte. Etwas schien aus ihr auszubrechen zu versuchen und war doch absolut fest verankert.

„Lily. Lily … Lily? Lily?“, schrie Armand ununterbrochen. Wie aus einer Albtagträumerei herausgerissen, schaute Lily zu ihm auf. „Ja? Schrei doch nicht so.“ „Schrei nicht so?“, erwiderte er entsetzt. „Du bist seit einer viertel Stunde weg! Ich habe weiterhin erklärt und du hast nicht reagiert. Ich hatte sogar den Eindruck, dass deine Haut dunkler geworden war, und deine Augen bekamen plötzlich eine andere Farbe. Sie waren fahl … fahlgrün. Du hättest deinen Gesichtsausdruck sehen sollen! Nicht einmal Asmodeus sieht so böse aus, nicht mal wenn er wütend ist …“ Lily war zwar erstaunt, dass sich ihr Äußeres verändert hatte, aber der Hass … Es wunderte sie überhaupt nicht, dass dieser Hass sichtbar gewesen war. „Ich … ich glaube, du hast Lilith geweckt.“ Lily war mittlerweile noch blasser geworden. „Du hast Lilith in dir bemerkt? Kannst du mit ihr kommunizieren?“ Armand war nun eher interessiert als wirklich erstaunt. „Ich kann nicht mit ihr sprechen, aber ich habe sie gefühlt, ich habe mich gefühlt; es gab keine Trennung mehr zwischen uns …“ Lily war verwirrt. Ihr ich und Lilith verschwammen, sie wusste gar nicht mehr, was von ihr und was von Lilith gekommen war, außer dem Hass auf Armand. „Hm, was hat sie denn gefühlt – oder du?“, hakte er nach. Lily antwortete nur zögernd: „Ich … sie wollte dich töten. Sie wollte ihn rächen und dich zerstören.“ Armand schaute verdutzt drein: „Mich zerstören? Ich kenne sie doch gar nicht. Woher kommt das?“ Lily versuchte, ohne Regung zu antworten: „Du wolltest ihn töten.“ „Wen? Asmodeus?“ Lilith regte sich wieder, ihre Gefühle wechselten stets zwischen dem Hass auf Armand und der Liebe zu Asmodeus. Sie waren in totalem Konflikt mit Lilys Gefühlen, mit ihrer Angst vor diesem neuen Unbekannten und ihrer Liebe zu Armand. Lily realisierte, dass sie und Lilith, da diese nun erwacht war, nicht lange sich einen Körper teilen konnten. Lilith war zu stark, Lily würde ihre Seele verlieren und Lilith konnte diesen Körper nicht übernehmen, sie würden beide sterben. „Bitte sag seinen Namen nicht. Ich ertrag es nicht“, flüsterte Lily. „Okay“, willigte Armand ein, „aber wir müssen uns überlegen, wie wir As …“, er räusperte sich verlegen, „wie wir ihn töten wollen.“ „Nein!“, schrie Lily. Armand schaute sie mit weit geöffneten Augen an. „Nein“, fuhr Lily fort, „wir würden das nicht überleben.“ „Wir?“, fragte Armand nach, doch Lily antwortete nicht. Sie hatte ihren Kopf umklammert und verzog das Gesicht vor Schmerzen. „Also gut“, nahm er den Dialog wieder auf. Ich werde zuerst ein paar Nachforschungen machen, bis wir uns über das weitere Vorgehen entscheiden. Vielleicht gibt es doch noch mehr Informationen über die Legende.“ Lily nickte zustimmend. „Aber, ich werde einige Tage weg sein. Ich kann nicht alles hier finden“, fügte er noch hinzu. „Musst du wirklich weggehen? Ausgerechnet jetzt?“ „Ja, leider, hier werde ich nichts finden. Ich werde bald zurück sein … Hoffentlich mit neuen Erkenntnissen.“ Lily begleitete ihn traurig zur Türe. Er küsste sie und ging. Lily war todmüde, sie legte sich sofort schlafen und verbrachte eine traumlose Nacht.

Die letzte Nacht der Lilie

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