Читать книгу Die letzte Nacht der Lilie - Stéphanie Queyrol - Страница 8
Gleiches Blut
ОглавлениеLilys Gedanken rasten zwischen dem neu gefundenen Wissen über den Tod, genauer Untod ihrer Eltern, und der Gewissheit, dass Armand ein Vampir war.
Wie in einem Traum stand sie auf, ging zur Küche und brühte sich einen Tee auf.
Ihre Mutter lebte! Doch wieso war sie all die Jahre ferngeblieben? Und Armand war also ein Vampir! Nein, nicht nur irgendein Vampir, der Vampir. Er hatte geholfen, ihre Familie und somit auch ihre Kindheit zu zerstören. Wieso war er wieder hier? Um den Job zu beenden? Wie könnte sie wieder mit ihrer Mutter in Kontakt treten? Wusste Elizabeth überhaupt, dass Lily noch am Leben war? Vielleicht hatte sie geglaubt, ihre Tochter sei auch getötet worden. Armand würde sie am Abend wieder besuchen.
Was konnte sie nur tun? Er würde wissen, dass etwas nicht stimmte. Würde er sie töten?
Sie brauchte einen Plan, musste sich zusammenreißen. Und ihre Gedanken wieder auf die Reihe kriegen.
Als Erstes würde Lily intensiver über Vampire recherchieren. Vielleicht konnte sie etwas in Erfahrung bringen, das ihr weiterhelfen könnte.
Immer noch tief in Gedanken versunken, setzte sich Lily an ihr Pult und schaltete den Computer an. Sie tippte das Wort „Vampire“ in ihren Suchbrowser: 439 Millionen Treffer! Na klar, bei all den Filmen und Büchern, die es gab … In einem Artikel stand geschrieben, dass der Vampirmythos auf alte Volkssagen des Balkans zurückzugehen schien. Lily wusste aber, dass Armand aus Frankreich kam. Ob das wohl wichtig war? Hatten sich die Vampire so weit verbreitet oder gab es ganz einfach sehr viele von ihnen? Stimmten die Legenden überhaupt mit den echten Vampiren überein? Oder entstammten diese ganz und gar den Vorstellungen fantastischer Autoren?
Ein anderer Punkt schien zu sein, dass das Bluttrinken nicht von Anfang an einem Vampircharakteristikum entsprach, zumindest in gewissen Überlieferungen des Ostens Europas nicht. In jenen Fällen wurde der Vampir lediglich als Wiedergänger beschrieben, der zu Lebzeiten gesündigt hatte oder die Nähe seiner Mitmenschen suchte.
Doch die Blutfrage war jene, die Lily am meisten interessierte, obwohl Armand sie bestimmt auch problemlos töten könnte, ohne ihr Blut zu trinken. Wenn man sich jedoch an der Literatur orientierte, so war der Vampir meist ein nach Blut lechzender Killer. Wie würde sie dann reagieren, wenn Armand am Abend kommen würde? Sie wollte nicht von ihm fernbleiben, und sie wollte unbedingt ihre Mutter wiedersehen.
Auch wenn ihr die Blutfrage wichtig war: Allmählich merkte Lily, dass die Liebe zu Armand und das Verlangen nach ihrer Mutter stärker waren als ihr Wissensdurst. Zudem hatte sie nicht nur eine Vampirattacke in ihrer Kindheit, nein, sie hatte auch eine ganze Woche in Armands Nähe überlebt. Und wenn sie wissen wollte, warum ihre Mutter sich von ihr ferngehalten hatte oder weshalb Armand so tat, als habe er sie noch nie gesehen, dann durfte sie sich, Blutfrage hin oder her, ihnen nicht entziehen.
Mit diesen Gedanken konnte sich Lily immerhin beruhigen. Ihre Neugierde übernahm nun das Steuer, und sie begann, sich über manches zu wundern:
Vampire galten als nachtaktive Wesen, und doch hatte sie ihre Mutter am helllichten Tag gesehen. Auch Armand war schon oft vor Sonnenuntergang bei ihr gewesen. Die Nachtaktivität der Vampire war also nur eine Legende. Ob man sie wohl mit Knoblauch und Kruzifixen bekämpfen könnte?
Lily wandelte wie ein Geist in ihrem Haus umher. Vollkommen in Gedanken versunken, ließ sie sich ein Bad einlaufen. Als sie genüsslich ins heiße Wasser hinabsank, hatte sie einen Entschluss gefasst: Sie würde heute an den Andreasplatz zurückkehren und auf ihre Mutter warten.