Читать книгу Die letzte Nacht der Lilie - Stéphanie Queyrol - Страница 12

Die Veränderung

Оглавление

Die folgenden Tage schienen endlos für Lily. Sie konnte sich kaum konzentrieren, schaute die ganze Zeit aus dem Fenster und konnte sich nicht in der Gegenwart halten. Sie hatte versucht, noch mehr über Lilith, Asmodeus und Vampire herauszufinden. Doch das Internet enthielt nicht mehr an Informationen, als sie schon besaß. Das Wenige, das sie über Lilith und Asmodeus fand, stand immer in Verbindung zu Religionen oder der Bibel und deren verschiedenen Interpretationen von sogenannten Spezialisten und studierten Rabbis, Katholiken und Reformierten. Es gab natürlich auch sehr viele Bücher; die meisten aus der fantastischen Literatur – Geschichten, gewoben aus den Köpfen sehnsüchtiger Autoren. Sogar wenn es um Vampire ging, konnte Lily nichts finden, das Hand und Fuß gehabt hätte. Die diversen Legenden und Mythen des Ostens hatte sie schon beim letzten Mal recherchiert, und nun, da sie wusste, dass es Vampire gab, waren ihr diese Legenden noch fremder als zuvor. Auf diversen obskur gestalteten Webseiten fand sie Geschichten zu Vlad III. Draculea, auch bekannt unter dem Namen Vlad Ţepeş (der Pfähler) und Elizabeth Báthory, die – wie Lily es erschien – zusammenhangslos mit Vampirmärchen und -eigenschaften verbunden wurden. Auch die Bücher, die sie in der Universitätsbibliothek durchsah, waren entweder fantastisch oder über literarische Vampirgeschichten. Ein einziges Buch schien der ganzen „Asmodeus und Lilith Geschichte“ am nächsten zu kommen: es schien eine Sammlung von jüdischen Geschichten zu sein, die nicht unbedingt im Kanon vorkamen, und ihrer christlichen Kultur ganz fremd waren. Darunter befand sich natürlich auch jene Erzählung, in der Lilith Adams erste Frau war. Ein anderer Text stach Lily aber besonders ins Auge:

Es wird erzählt, dass Lilith die Jüngere, also die Tochter der Lilith, den Dämonen Ashmedai (einer der vielen Namen des Asmodeus) heiratet. Des Weiteren wird gesagt, dass Lilith, die Jüngere, gerne Kriege anfängt. Beide sind Dämonen der anderen Welt.

Obwohl Lily nicht wusste, ob Lilith tatsächlich eine Tochter hatte und ihr in derselben Legende nachgesagt wurde, sie habe Samael, Satan, zum Mann genommen, war diese Legende doch die, die der Überlieferung am nächsten kam. Wie sich in ihren vorherigen Recherchen herausgestellt hatte, erzählten die Menschen eher oft per Zufall eine wahre Begebenheit über diese mythologischen Wesen. Es konnte also gut möglich sein, dass es sich hier zweimal um dieselbe Geschichte handelte. Lilith, die Jüngere, und Lilith konnten ein und dieselbe Person sein, genauso wie Samael und Ashmedai. Wie dem auch sei, sie konnte nichts Neues finden. Auch wenn diese jüdischen Überlieferungen mehr oder weniger der Wahrheit entsprachen, halfen sie Lily nicht weiter. Sie wusste nicht, wo sie noch mehr Informationen bekommen sollte, und Elizabeth hatte ihr verboten, sie wieder aufzusuchen. Lily blieb nichts anderes übrig, als auf Armand zu warten, und zu hoffen, dass wenigstens er weiter gekommen war.

Sie ging immer noch in den Park, doch war er jetzt anders, oder vielleicht lag es an ihr. Er hatte nichts von seiner Ruhe und Schönheit verloren, aber er schien jetzt trivial, vergänglich. Lily konnte nicht mehr stundenlang auf ihrer Bank sitzen und den Menschen zusehen oder ihre Geschichten niederschreiben. Die einzige Geschichte, die sie jetzt noch beschäftigte, war die ihre. Sie wusste nicht mehr, was die Legende besagte, zumindest nicht wortgetreu, doch einen Satz konnte sie nicht vergessen: Bis der Tag kommt, an dem Ihr seid wie ich. Lily wusste auch nicht mehr, wer diesen Satz gesagt hatte. Er war ja sowieso schon nicht ganz klar in der Prophezeiung, aber so in der Leere hängend …

Wie vor wenigen Wochen verging die Zeit wie im Flug und Lily hatte nicht gemerkt, wie es schon wieder dämmerte. Sie wurde von einem sanften „Hallo“ aus ihren Gedanken gerissen. Sie schaute auf und blickte in zwei wunderschöne, smaragdgrüne Augen. „Armand?“ Ein erleichtertes Lächeln machte sich auf ihrem Gesicht breit. „Du bist zurück! Ich habe dich so vermisst.“ Armand nickte nur leicht und half ihr hoch. Erst jetzt fiel Lily auf, dass sein Lächeln seine Augen nicht erreichte. „Stimmt etwas nicht?“, fragte Lily besorgt. „Was hast du in Erfahrung bringen können?“, hakte sie nach. „Nicht hier“, murmelte Armand nur, seine Stirn in Runzeln, er schien nicht ganz da zu sein. Er schaute sich um. Was ist nur los mit ihm?, fragte sich Lily, auch wenn er vorher besorgt war und nicht viel sagte, scheint er jetzt besonders kalt zu sein. Droht uns jetzt Gefahr? Lily wusste nicht, wie sie diese Veränderung deuten sollte, und beschloss zu warten, bis er ihr erzählen würde, was er gefunden hatte. Vielleicht würde er sich dann entspannen. In Stille gingen sie nebeneinander her.

Als sie in Lilys Wohnung angekommen waren, schaute sich Armand interessiert um, als wäre er zum ersten Mal bei ihr. Lily ging wie gewohnt direkt zur Küche. Sie machte Tee und setzte sich an den Küchentisch. Armand stand noch immer in der Tür und verfolgte sie mit seinen Augen. „Willst du dich nicht hinsetzen?“, fragte sie ihn. Er nickte wieder nur leicht mit dem Kopf und setzte sich zu ihr hin, ganz nah. Armand hatte bisher immer eine gewisse Distanz zwischen ihnen gehalten, außer natürlich, wenn sie sich küssten. Lily wurde sich seiner plötzlichen Nähe sehr bewusst und ihr Herz begann augenblicklich wild zu schlagen. Sie schaute zu ihm auf und fand seine grünen Augen. Schlagartig verlor sie etwas von ihrer Aufregung, es waren immer noch dieselben grünen Augen, doch Lily sah in ihnen etwas hartes Unnachgiebiges. Sie waren verändert, er war verändert. Was war in den wenigen Tagen nur geschehen, das ihn so hart und kalt gemacht hatte? „Und, sagst du mir jetzt, was du gefunden hast? Ich halte die Spannung nicht länger aus. Es ist ganz klar etwas Unerfreuliches, so wie du dich verhältst.“ „So wie ich mich verhalte?“, fragte er mit einem höhnischen Grinsen. Lily erschrak, noch nie hatte sie Armand in einem derartigen Ton sprechen hören; er strahlte Kälte aus. „Ja, du bist so anders“, brachte sie hervor, „so … kalt. Als ob du jemand anders wärst.“ Erstaunt hob Armand die Augenbrauen, so als hätte sie etwas gesagt, das er nicht erwartet hatte. Er holte tief Luft und schien sich zu entspannen. „Also, was willst du wissen?“, fragte er sie schließlich. „Na, das, was du in Erfahrung bringen konntest. Der Grund, weshalb du dich so anders verhältst. Weiß etwa Asmodeus über mich Bescheid? Hat er irgendwie herausgefunden, was wir wissen?“ Armands Augen waren weit vor Erstaunen: „Asmodeus?“, fragte er. „Was sollte er denn über dich wissen?“ Nun wurde es Lily doch etwas mulmig: „Na, das, was du letzte Woche gesagt hast … Dass ich Lilith sein soll … Oder ist es etwa doch nicht so?“ Lily schaute ihn hoffnungsvoll an. „Dazu habe ich leider nichts gefunden“, entgegnete Armand vorsichtig, als ob er Angst hätte, etwas Falsches zu sagen. „Ich denke, ich sollte langsam gehen, aber ich werde morgen wiederkommen. Mir ist etwas eingefallen, was ich noch nachprüfen sollte. Ich werde dir morgen alles erklären, wahrscheinlich müssen wir dann für kurze Zeit verreisen.“ Lily nickte, sie hatte sich schon gedacht, dass der Zeitpunkt dafür bald kommen würde. „Willst du wirklich schon gehen? Wir könnten uns doch einen gemütlichen Abend machen und einen Film schauen, oder noch ein bisschen reden?“ fragte Lily ihn hoffnungsvoll. „Aber nicht über Asmodeus oder Lilith“, fügte sie noch schnell hinzu. Armand lächelte frech, und diesmal erreichte sein Lächeln auch seine Augen: „Heute nicht, aber wir werden bald zusammen fortgehen, dann werden wir ganz viel Zeit für solche Sachen haben!“ Ihr Freund nahm sie in seine Arme und küsste sie mit einer Leidenschaft, die sie von ihm nicht kannte, er war sonst viel zärtlicher und vorsichtiger, aber jetzt … Vielleicht hatte die drohende Gefahr dies in ihm ausgelöst. Sie genoss den kurzen Augenblick, und plötzlich war er weg. Sie versuchte nicht, ihm nachzusehen. Sie setzte sich wieder an den Küchentisch und trank ihren Tee mit einem Lächeln aus. Der einzige Gedanke, den sie im Moment hatte, war, dass sie beide bald schon für unbestimmte Zeit ganz alleine sein würden!

Die letzte Nacht der Lilie

Подняться наверх