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Ich wartete einen angemessenen Zeitraum ab, ehe ich zu den beiden spähte, die immer noch neben der Tür standen. Der Mann war groß und schlank und gab in Jeans und einer weichen schwarzen Lederjacke eine lässige Figur ab. Er hatte die Hände in den Jackentaschen und den Kragen aufgestellt. Seine Haare waren eine lohfarbene Mischung aus Blond und Braun, und sein angedeutetes Lächeln erzeugte auf beiden Seiten seines Mundes eine tiefe Falte. Neben ihm wirkte Reba winzig. Sie war einen ganzen Kopf kleiner als er, was ihn zwang, sich im Gespräch aufmerksam zu ihr herabzubeugen. Ich machte mich erneut daran, meine Schüssel auszuwischen – wieder einmal gewann Essen die Oberhand über müßige Spekulationen.

Kurz darauf kamen sie an den Tisch, und Reba zeigte auf ihn. »Alan Beckwith. Ich habe früher für ihn gearbeitet. Das ist Kinsey Millhone.«

Er streckte die Hand aus. Sein Handgelenk war schmal, die Finger lang und schlank. »Schön, Sie kennen zu lernen. Die meisten nennen mich Beck.«

Ich schätzte ihn auf Mitte dreißig. Er hatte feine Linien im Gesicht, aber ansonsten straffe Haut. »Ganz meinerseits«, sagte ich und schüttelte ihm die Hand. »Wollen Sie sich zu uns setzen?«

»Wenn es Ihnen nichts ausmacht. Ich möchte nicht stören.«

»Wir plaudern nur«, sagte ich. »Setzen Sie sich doch.«

Reba rutschte auf ihrer Seite der Nische als Erste hinein und beeilte sich, ihm Platz zu machen. Er setzte sich etwas schief hin und streckte die langen Beine aus. Obwohl er ordentlich rasiert war, war ihm bereits wieder ein Bartansatz gewachsen. Seine Augen hatten das satte, dunkle Braun von Hershey’s Kisses. Der Duft eines Eau de Cologne stieg mir in die Nase, etwas Würziges und Leichtes. Ich hatte ihn schon einmal gesehen ... nicht hier, sondern irgendwo in der Stadt, obwohl ich mir nicht vorstellen konnte, warum sich unsere Wege gekreuzt haben sollten.

Er tippte Reba auf den Handrücken. »Na? Wie geht’s denn so?.«

»Gut. Es ist herrlich, wieder zu Hause zu sein.«

Ich taxierte die beiden und beobachtete sie, wie sie Höflichkeitsfloskeln austauschten. Für Leute, die einmal zusammengearbeitet hatten, wirkten sie beide ziemlich verlegen, aber das konnte auch daran liegen, dass er sie an die Cops verpfiffen hatte, was wohl den meisten Beziehungen einen Dämpfer versetzen würde.

»Du siehst gut aus«, sagte er.

»Danke. Ich könnte einen vernünftigen Haarschnitt vertragen. Letztes Mal habe ich es selbst geschnitten. Und wie geht’s dir? Was hast du so getrieben?«

»Nicht viel. Massenhaft Geschäftsreisen. Erst letzte Woche bin ich aus Panama zurückgekommen, und vielleicht muss ich noch mal hin. Wir sind jetzt in einem neuen Gebäude, einem Teil des Einkaufszentrums, das letztes Frühjahr fertig geworden ist. Restaurants und Läden. Es ist richtig schick.«

»Daran ist noch gebaut worden, als ich weg bin, und ich weiß noch gut, wie nervig das war. Herzlichen Glückwunsch.«

»Hast du es schon gesehen?«

»Noch nicht. Muss praktisch für dich sein, mitten in der Stadt zu arbeiten.«

»Absolut«, bestätigte er.

Sie lächelte. »Was macht die Büromeute? Ich hab gehört, Onni hat meine alte Stelle übernommen. Kommt sie zurecht?«

»Sie macht sich gut. Sie hat zwar eine Weile gebraucht, bis sie das System kapiert hat, aber jetzt beherrscht sie’s. Bei den anderen ist praktisch alles beim Alten.«

Was spürte ich? Ich sondierte die Luft mit meinen kleinen Fühlern und versuchte, das Wesen der Spannung zwischen ihnen zu ergründen.

Gelassen hörte ich zu, während Beck fortfuhr. »Ich habe ein neues Projekt. Ein Geschäftsgebäude in der Nähe von Merced. Kürzlich habe ich ein paar Leute getroffen, die Kapital zum Investieren haben, also ziehen wir vielleicht gemeinsam etwas auf. Ich wollte hier nur schnell auf gutes Gelingen einen trinken, bevor ich nach Hause fahre.« Er verlagerte seine Aufmerksamkeit, um mich ins Gespräch einzubeziehen. Ein geschickter Schachzug. Er schwenkte einen Finger zwischen Reba und mir hin und her wie einen Scheibenwischer. »Woher kennt ihr beiden euch eigentlich?«

Ich öffnete den Mund, um etwas zu sagen, doch Reba kam mir zuvor. »Eigentlich kennen wir uns gar nicht richtig. Wie haben uns heute Morgen zum ersten Mal gesehen, als sie mich abgeholt und nach Hause gebracht hat. Daheim festzusitzen hat mich wahnsinnig gemacht. Pop ist früh schlafen gegangen, und ich war zu aufgedreht zum Nichtstun. Die Stille ist mir total auf den Geist gegangen, und da habe ich sie angerufen.«

Er wandte mir seinen Blick zu. »Wohnen Sie hier in der Nähe?«

»Einen halben Block von hier. Ich habe eine kleine Wohnung gemietet. Zufälligerweise sitzt mein Vermieter gleich da drüben«, erklärte ich und wies auf Henry an seinem Tisch im vorderen Teil des Lokals. »Der Barkeeper ist sein älterer Bruder William, der wiederum mit Rosie verheiratet ist, der Besitzerin dieses Lokals.«

Beck lächelte. »Also bleibt alles in der Familie.« Er war einer der Männer, die genau wissen, wie einnehmend es wirkt, wenn man sich total auf die Person konzentriert, mit der man spricht. Keine schlecht kaschierten Blicke auf die Uhr, keine heimliche Blickverlagerung, um zu sehen, wer zur Tür hereinkam. Er wirkte so geduldig wie eine Katze, die auf einen Felsspalt starrt, in dem eine Eidechse verschwunden ist.

»Wohnen Sie auch hier in der Gegend?«, fragte ich.

Er schüttelte den Kopf. »Ich wohne in Montebello, dort, wo sich East Glen und Cypress Lane kreuzen.«

Ich stützte das Kinn in die Hand. »Irgendwo habe ich Sie aber schon mal gesehen.«

»Ich bin von hier, in Santa Teresa geboren und aufgewachsen. Meine Eltern hatten ein Haus in Horton Ravine, aber sie sind jetzt schon seit Jahren tot. Meinem Dad hat das Clements gehört«, erklärte er. Das Clements war ein dreistöckiges Luxushotel, das Ende der Siebzigerjahre eingegangen war. Sämtliche nachfolgenden Besitzer waren ebenfalls gescheitert, woraufhin das Gebäude in ein Seniorenheim umgewandelt worden war. Wenn ich mich recht erinnerte, war sein Vater an vielen Unternehmen in der Stadt beteiligt gewesen. Großes Geld.

Ich wandte den Kopf und sah Rosie mit leerem Tablett auf uns zustapfen, den Blick auf Beck gerichtet und so direkt und unaufhaltsam in ihrem Anmarsch wie eine Rakete mit Zielsuchsteuerung. Am Tisch angelangt, richtete sie ostentativ alle ihre Bemerkungen an mich, ein kleiner Tick von ihr. Sie sieht Fremden nur selten in die Augen. Ob Mann oder Frau macht dabei für sie keinen Unterschied. Jede neue Bekanntschaft wird wie ein seltsames Anhängsel von mir behandelt. Die Wirkung war in diesem Fall kokett, was ich für eine Frau ihres Alters unpassend fand. »Möchte dein Freund etwas trinken?«

»Beck?«, sagte ich.

»Haben Sie Single-Malt Scotch?«

Sie wand sich geradezu vor Vergnügen und warf ihm aus den Augenwinkeln einen anerkennenden Blick zu. »Speziell für ihn ich habe MaCallum’s. Ist vierundzwanzig Jahre alt. Sie wollen pur oder auf Eis?«

»Eis. Einen doppelten und ein Glas Wasser zum Nachspülen. Danke.«

»Aber gern.« Sie räumte den Tisch ab und lud Geschirr und Besteck auf ihr Tablett. »Er möchte essen vielleicht?«

Er lächelte. »Nein danke. Es riecht herrlich, aber ich habe gerade gegessen. Vielleicht nächstes Mal. Sind Sie Rosie?«

»Ja.«

Er erhob sich und reichte ihr die Hand. »Eine Ehre, Sie kennen zu lernen. Alan Beckwith«, stellte er sich vor. »Ein tolles Lokal haben Sie hier.«

Statt eines richtigen Handschlags gewährte ihm Rosie die kurze Inbesitznahme ihrer Fingerspitzen. »Nächste Mal ich koche was Besonderes für Sie. Was Ungarisches, was Sie noch nie haben gegessen, bis Sie bekommen bei mir.«

»Abgemacht. Ich liebe die ungarische Küche.«

»Waren Sie schon in Ungarn?«

»Einmal in Budapest, vor ungefähr sechs Jahren ...«

Verstohlen verfolgte ich das Geplänkel zwischen den beiden. Rosie wurde immer mädchenhafter, je länger ihre Plauderei sich fortsetzte. Beck war für meinen Geschmack zu glatt, aber ich musste ihm zugute halten, dass er sich Mühe gab. Die meisten Menschen finden Rosie schwierig, was sie auch ist.

Sobald Rosie weg war, um seinen Drink zu holen, wandte sich Beck wieder Reba zu. »Wie geht’s deinem Dad? Ich habe ihn vor zwei Monaten gesehen, und da sah er nicht besonderes aus.«

»Es geht ihm auch nicht gut. Und ich wusste gar nichts davon. Ich war schockiert, als ich gesehen habe, wie viel er abgenommen hat. Du weißt ja, dass er an einem Schilddrüsentumor operiert worden ist. Dann hat sich herausgestellt, dass er Polypen an den Stimmbändern hat, also hat er sich die auch noch wegmachen lassen müssen. Er ist immer noch wacklig auf den Beinen.«

»Das tut mir Leid. Er hat immer so vital gewirkt.«

»Na ja, jetzt ist er eben siebenundachtzig. Irgendwann muss er ja einen Gang runterschalten.«

Rosie kehrte zurück und brachte Beck ein gut eingeschenktes Glas Scotch auf Eis und eine kleine Karaffe Wasser. Sie stellte den Whisky auf einen Bierfilz und reichte Beck eine winzige Cocktailserviette. Mir fiel auf, dass sie ihr Tablett sogar mit einem Spitzendeckchen geschmückt hatte. Wäre der Mann meine Begleitung gewesen, hätte sie schon mal für den Hochzeitsanzug Maß genommen.

Er hob sein Glas, nahm einen kleinen Schluck und warf ihr einen anerkennenden Blick zu. »Hervorragend. Vielen Dank.«

Widerwillig zog Rosie ab, aber ihr fiel wohl keine weitere Dienstleistung ein, die sie hätte erbringen können.

Beck wandte sich erneut an mich. »Sind Sie auch von hier?«

»Ja.«

»Auf welcher Highschool waren Sie denn?«

»S.T.«

»Ich auch. Vielleicht kennen wir uns daher. Wann haben Sie Ihren Abschluss gemacht?«

»1967. Und Sie?«

»Ein Jahr vor Ihnen – 1966. Komisch, dass ich mich nicht an Sie erinnern kann. Normalerweise habe ich für so was ein gutes Gedächtnis.«

Ich korrigierte sein Alter auf achtunddreißig. »Ich war ein Mauerhocker«, erklärte ich und spielte damit auf meine Zugehörigkeit zu den verrufenen Jugendlichen an, die immer auf der niedrigen Mauer im hinteren Teil des Schulgeländes saßen, dort, wo die Anhöhe zu der dahinter gelegenen Straße abfiel. Wir rauchten Zigaretten und Joints und kippten gelegentlich Wodka in unsere Limoflaschen. Nach späteren Maßstäben war das harmlos, aber zu unserer Zeit galt es als ausgeflippt.

»Na so was«, sagte er. Er warf mir einen kurzen, forschenden Blick zu und griff nach der Speisekarte. »Wie ist das Essen hier?«

»Nicht schlecht. Mögen Sie die ungarische Küche wirklich, oder haben Sie sich das ausgedacht?«

»Warum sollte ich in so einem Punkt lügen?« Er äußerte den Satz leichthin, doch er könnte alles Mögliche damit gemeint haben – zum Beispiel, dass er sich nie die Mühe machen würde, über Banalitäten oder Nebensächlichkeiten zu lügen. »Warum fragen Sie?«

»Es wundert mich, dass Sie früher noch nie hier waren.«

»Ich habe das Lokal beim Vorbeifahren gesehen, aber offen gestanden kam es mir immer wie eine derart finstere Spelunke vor, dass ich mich nie hineingewagt habe. Jetzt hatte ich gerade eine Besprechung mit ein paar Leuten und dachte mir, ich schaue mal rein, wo ich ohnehin in der Gegend bin. Jedenfalls ist es von innen schöner als von außen, das steht fest.«

Mit einem leisen Fiepen stellten sich meine Antennen auf. Das war nun schon das zweite Mal, dass er erklärt hatte, wie es dazu gekommen war, dass er hier gelandet war. Ich hob mein Glas und trank einen Schluck schlechten Wein. Er schmeckte im Grunde wie ein Mittel, mit dem man sich nach einem Tag am Strand den Teer von den Füßen entfernt. Reba spielte mit dem Strohhalm in ihrem Eistee.

Als ich zwischen den Gesichtern der beiden hin- und herschaute, begriff ich, wie dumm ich gewesen war. Reba hatte alles von langer Hand vorbereitet. Das Essen mit mir war lediglich ein Deckmantel für ihr Treffen mit ihm, aber wozu die Finte? Ich drehte mich so, dass ich mit. dem Rücken zur Seitenwand saß, die Füße auf der Sitzbank. Ich gab mich gelassen und sah zu, wie sich die Inszenierung weiterentwickelte. »Sie machen in Immobilien?«, erkundigte ich mich.

Er kippte die Hälfte des noch in seinem Glas befindlichen Whiskys und verdünnte den Rest mit Wasser. Dann schwenkte er das Glas und ließ die Eiswürfel klirren. »Genau. Ich habe eine Investmentfirma. Hauptsächlich Bauträgerschaften. Gelegentlich übernehme ich auch Vermögensverwaltungen, aber momentan eher weniger. Und Sie?«

»Ich bin Privatdetektivin.«

Er lächelte nachdenklich. »Nicht schlecht für eine Frau, die ihre Laufbahn mit Rumhängen hinter der Schule begonnen hat.«

»Hey, das war ein gutes Training. Wenn man mit einem Haufen angehender Krimineller rumhängt, lernt man, wie sie denken.« Ich schaute demonstrativ auf die Uhr. »Ah. Ich weiß nicht, was Sie vorhaben, Reba, aber ich muss mich auf die Socken machen. Mein Auto steht nur einen halben Block von hier. Ich hole es schnell, dann kann ich Sie nach Hause fahren.«

Beck sah Reba mit gespieltem Erstaunen an. »Hast du denn kein Auto?«

»Ein Auto schon, aber keinen Führerschein. Meiner ist abgelaufen.«

»Soll ich dich nicht mitnehmen? Dann kann sie sich den Weg sparen.«

»Es macht mir nichts aus«, sagte ich. »Ich habe meine Autoschlüssel dabei.«

»Nein, nein. Ich fahre sie gern. Sie brauchen sich keine Umstände zu machen.«

»Das stimmt«, ergänzte Reba. »Für ihn ist es weniger Aufwand als für Sie.«

»Sind Sie sicher?«

»Auf jeden Fall«, sagte Beck. »Es liegt auf meinem Weg.«

»Na gut, mir soll’s recht sein. Sie können ja noch bleiben. Ich gehe bezahlen. Sie sind eingeladen«, erklärte ich, während ich aus der Nische schlüpfte.

»Danke. Ich übernehme das Trinkgeld.«

»War nett, Sie kennen zu lernen.« Ich schüttelte Beck erneut die Hand und sah dann Reba an. »Dann bis morgen früh um neun. Soll ich vorher noch anrufen?«

»Nicht nötig. Kommen Sie einfach, wann es Ihnen passt«, erwiderte sie. »Ehrlich gesagt würde ich jetzt auch gern nach Hause fahren. Es war ein langer Tag, und ich bin echt erledigt. Ist dir das recht?«

»Was immer du willst.« Beck trank den verwässerten Whisky, der noch in seinem Glas war.

Ich ging zur Bar und bezahlte. Als ich einen Blick nach hinten warf, bekam ich mit, dass Beck bereits aufgestanden war und seinen Geldclip in der Hand hielt. Ich sah, wie er zwei Scheine fürs Trinkgeld herauszog – wahrscheinlich Fünfer, da er ja so scharf darauf war, Eindruck zu schinden. Sie warteten auf mich, damit wir gemeinsam hinausgehen konnten. Henry war mittlerweile verschwunden, doch nach und nach trudelten massenhaft abendliche Schluckspechte ein.

Draußen war es dunkel, da der Mond noch nicht aufgegangen war. Die Luft war klar und still, abgesehen vom Zirpen der Grillen. Selbst das Rauschen der Brandung wirkte gedämpft. Zu dritt schlenderten wir auf die Kreuzung zu und plauderten Belangloses.

»Ich stehe da unten«, sagte Beck und zeigte auf die im Dunkeln gelegene Seitenstraße zu unserer Rechten.

»Was für einen Wagen fahren Sie?«, fragte ich.

»Einen 87er Mercedes. Die Limousine. Und Sie?«

»Einen 74er Volkswagen. Den Käfer. Bis bald.«

Ich winkte und ging weiter, während die beiden abbogen. Fünfzehn Sekunden später hörte ich den zweifachen Knall ihrer zuschlagenden Autotüren. Ich blieb stehen und wartete auf das Geräusch eines anspringenden Motors. Nichts. Vielleicht hatten sie beschlossen, noch eine Weile zu plaudern. Ich ging bis zu meinem Gartentor, schob mich hindurch und lauschte dem vertrauten Quietschen der Scharniere, ehe ich den Weg nach hinten entlangging. Vor meiner Tür angelangt, zögerte ich und sann über Reba und Beck nach. Vielleicht hatte ich mich doch in ihnen getäuscht. Meine Neugier gewann die Oberhand. Ich ließ meine Tasche auf der Veranda stehen, tappte über den Rasen und überquerte Henrys geflieste Terrasse, bis ich schließlich vor dem Maschendrahtzaun stand, der entlang dem hinteren Ende des Grundstücks verläuft. Ich tastete mich von einem Pfosten zum nächsten voran, bis ich an Henrys Garage angekommen war. Dort blieb ich stehen, schob den Zaun zur Seite und schlüpfte durch die Lücke, die dort entstanden war, wo die Befestigung sich gelockert hatte.

Mein Herz klopfte heftig, und vor lauter Erwartung begann es, in meinem Bauch zu rumoren. Ich liebe diese nächtlichen Abenteuer, bei denen ich lautlos durch finstere Gärten schleiche. Zum Glück nahm keiner der nachbarlichen Köter Witterung auf, und so konnte ich meinen Streifzug ohne einen Chor schrillen Warngekläffs fortsetzen. Am Ende der Gasse angelangt, wandte ich mich nach rechts in die Seitenstraße und musterte beim Weitergehen Formen und Formate der rechts und links geparkten Autos. Die einzelne Straßenlampe gab nur wenig Licht, doch nachdem sich meine Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten, konnte ich ohne weiteres Becks Mercedes ausmachen. Sämtliche anderen Fahrzeuge waren Kleinwagen, Minivans oder Pick-ups.

Ich sah ihn im Profil, da er halb zur Seite gedreht im Fahrersitz lümmelte, Reba zugewandt. Ich blieb zehn Minuten stehen, und als sich nichts tat, verzog ich mich leise und schlich denselben Weg zurück.

Ich betrat meine Wohnung und stellte meine Tasche auf einen Küchenhocker. Es war fünf nach acht. Ich machte den Fernseher an und sah mir den ersten Teil eines Films an, der trotz der nervtötenden Werbeunterbrechungen sogar richtig lustig war. Dabei nahm ich mir fest vor, nicht versehentlich irgendeines der angepriesenen Produkte zu kaufen. Um neun schaltete ich den Ton aus und ging in die Küche, wo ich eine Flasche Chardonnay aufmachte und mir ein Glas davon einschenkte. Ganz spontan zog ich einen Topf mit Deckel und eine Flasche Maiskeimöl heraus. Ich schaltete die vordere Kochplatte an, stellte den Topf darauf und gab etwas Öl hinein. Dann durchsuchte ich meinen Küchenschrank nach der Tüte Popcorn, die ich vor Monaten gekauft hatte. Ich wusste, dass es nicht mehr frisch schmecken würde, aber dafür konnte man länger daran kauen. Ich maß einen Becher Maiskörner ab und warf sie in den Topf. Während die Geräusche des Popcorns sich beschleunigten wie das Finale eines Feuerwerks, behielt ich den Fernsehbildschirm im Auge. Zum Glück ist meine Wohnung so kompakt, dass ich kochen, fernsehen, eine Ladung Wäsche in die Maschine geben oder die Toilette benutzen kann, ohne mich mehr als drei oder vier Meter zu bewegen.

Mit Wein und Popcorn kehrte ich zum Sofa zurück, legte die Füße auf den Couchtisch und sah mir den Film zu Ende an. Als um elf Uhr die Nachrichten anfingen, verließ ich die Wohnung und folgte demselben Schleichweg durch die Gasse, bis ich in der kaum beleuchteten Straße ankam, in der ich zuvor schon gewesen war. Becks Mercedes stand immer noch da, auf seinem Parkplatz am Straßenrand. Die Heckscheibe war mit Kondenswasser überzogen, das so blass wirkte wie ein Gazeschleier. Anstelle von Becks Profil sah ich Rebas Beine. Den Kopf hatte sie vermutlich unten in der Nähe des Lenkrads, während sie einen Fuß aufs Armaturenbrett und den anderen gegen die Beifahrertür stemmte, damit sie nicht umfiel, während Beck im beengten Raum des lederbezogenen Fahrersitzes sein Bestes gab. Ich schlich nach Hause zurück, und als ich um Mitternacht noch einmal nachsah, war der Wagen weg.

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