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Prinzipiell stellt sich doch die Frage, ob es der menschlichen Natur nach überhaupt möglich ist, dass sich jemand grundlegend ändert. Die Fehler, die andere Leute machen, liegen meist klar auf der Hand. Unsere eigenen zu erkennen ist schon schwieriger. Normalerweise lässt sich bei Betrachtung unseres Lebenswegs ablesen, wer wir heute sind und wer wir von Geburt an waren. Wir sind Optimisten oder Pessimisten, fröhlich oder depressiv, leichtgläubig oder zynisch, abenteuerlustig oder risikoscheu. Eine Therapie könnte unsere Vorzüge besser zur Geltung bringen oder unsere Mängel ausgleichen, aber meistens machen wir das, was wir machen, weil wir es schon immer so gemacht haben, selbst wenn es böse endet ... ja, vielleicht gerade dann, wenn es böse endet.

Dies ist eine Geschichte über verschiedene Arten der Liebe – Liebe, die glückt, Liebe, die missglückt, und manches andere dazwischen.

An diesem Tag fuhr ich um Viertel nach eins in Santa Teresa los und machte mich auf den Weg in das nur zehn Meilen weiter südlich gelegene Montebello. Der Wetterbericht hatte Höchsttemperaturen bis vierundzwanzig Grad versprochen. Die morgendliche Bewölkung war von Sonnenschein abgelöst worden, eine willkommene Abwechslung zu dem ständig bedeckten Himmel, der uns meist den Juni und den Juli vergällt. Ich hatte an meinem Schreibtisch zu Mittag gegessen und mir ein in Viertel geschnittenes Sandwich mit Oliven-Paprika-Schmelzkäse auf Weizenbrot gegönnt, mein drittliebstes Sandwich auf der ganzen Welt. Wo lag das Problem? Ich hatte keines. Das Leben war schön.

Jetzt, da ich die Angelegenheit zu Papier bringe, erkenne ich, was mir von Anfang an hätte ins Auge stechen sollen, doch die Ereignisse schritten in so gleichförmigem Tempo voran, dass ich bildlich gesprochen am Steuer eingenickt bin. Ich bin Privatdetektivin, siebenunddreißig Jahre alt und übe meinen Beruf in der kleinen südkalifornischen Stadt Santa Teresa aus. Meine Aufträge sind unterschiedlich, nicht immer lukrativ, aber ausreichend, um Wohnung, Essen und sämtliche anfallenden Rechnungen zu bezahlen. Ich stelle Ermittlungen über Firmenmitarbeiter an. Ich suche nach Vermissten oder spüre Erben auf, denen im Zuge von Nachlassregelungen bestimmte Geldbeträge zugefallen sind. Gelegentlich untersuche ich Entschädigungsforderungen im Zusammenhang mit Brandstiftung, Betrug oder fahrlässiger Tötung.

Ich war zweimal verheiratet und bin zweimal geschieden, und sämtliche nachfolgenden Beziehungen sind gescheitert. Je älter ich werde, desto weniger verstehe ich die Männer, und deshalb halte ich mich eher von ihnen fern. Infolgedessen habe ich kein nennenswertes Sexualleben, aber so werde ich wenigstens nicht von unerwünschten Schwangerschaften oder sexuell übertragbaren Krankheiten geplagt. Ich habe auf die harte Tour gelernt, dass Liebe und Arbeit eine zweifelhafte Mixtur ergeben.

Ich fuhr auf einem Stück Landstraße dahin, das früher unter dem Namen Montebello Parkway bekannt war und 1927 infolge einer Kampagne zur Mittelbeschaffung entstanden ist, die es ermöglichte, parallel zu den Schnellstraßen weitere Straßen mit von Landschaftsarchitekten gestalteten Mittelstreifen zu bauen, die noch heute existieren. Da gleichzeitig Werbetafeln und Geschäftsbauten entlang der Straße verboten wurden, ist dieser Abschnitt des Highway 101 nach wie vor reizvoll, außer wenn er vom Stoßverkehr verstopft ist.

Montebello selbst hat 1948 einen ähnlichen Wandel vollzogen, als der örtliche Schutz- und Verschönerungsverein erfolgreich darum stritt, Gehsteige, Betonschwellen, Reklameschilder und alles andere zu verbieten, was die ländliche Atmosphäre verschandeln könnte. Montebello ist bekannt für seine über zweihundert Luxusanwesen, von denen viele von Männern erbaut wurden, die ihr Vermögen mit dem Verkauf gewöhnlicher Haushaltsartikel gemacht hatten, unter anderem Salz und Mehl.

Ich war unterwegs zu Nord Lafferty, einem älteren Herrn, dessen Konterfei mit schöner Regelmäßigkeit in der Gesellschaftsspalte des Santa Teresa Dispatch abgebildet war. Anlass hierfür war meist, dass er wieder einmal eine beträchtliche Summe für irgendeinen wohltätigen Zweck gespendet hatte. Zwei Gebäude der UCST waren ebenso nach ihm benannt wie ein Flügel des Santa Teresa Hospital und eine Sammlung seltener Bücher, die er der Stadtbibliothek geschenkt hatte. Vor zwei Tagen hatte er mich angerufen und erklärt, er wolle »ein kleines Anliegen« mit mir besprechen. Ich war neugierig zu erfahren, wie er auf mich gekommen war, und noch neugieriger auf den Auftrag selbst. Ich arbeite schon seit zehn Jahren als Privatdetektivin in Santa Teresa, doch mein Büro ist klein, und so werde ich normalerweise von den Reichen übergangen, da sie ihre Angelegenheiten lieber über Anwälte in New York, Chicago und L.A. regeln.

Ich nahm die Ausfahrt St. Isadore und bog nach Norden ab, auf die Gebirgsausläufer zu, die sich zwischen Montebello und dem Los Padres National Forest erheben. Früher gab es in dieser Gegend einmal imposante Grandhotels, Zitrusfrüchte- und Avocadoplantagen, Olivenhaine, einen großen Gemischtwarenladen und den Bahnhof Montebello, der von der Southern Pacific Railroad bedient wurde. Ich lese immer wieder gern Bücher über Lokalgeschichte und versuche mir die Gegend so vorzustellen, wie sie vor 125 Jahren war. Damals wurde Land für 75 Cent pro Acre verkauft. Montebello ist immer noch ein ländliches Idyll, doch haben die Planierraupen eine Menge Charme weggeräumt. Was anschließend gebaut wurde – die Eigentumswohnungen, die neuen Wohngebiete und die großen, protzigen Pseudoschlösser der Neureichen –, ist ein jämmerlicher Ersatz für das, was verschwunden ist oder zerstört wurde.

Ich bog an der West Glen rechts ab und fuhr die kurvenreiche zweispurige Straße bis zum Bella Sera entlang. Der Bella Sera Place ist von Oliven- und Pfefferbäumen gesäumt, und von dort führt die schmale Straße langsam zu einem Plateau hinauf, von dem aus man einen herrlichen Blick auf die Küste hat. Der durchdringende Geruch des Ozeans wurde immer schwächer, je höher ich kam, bis ihn der Duft der Salbei- und Lorbeerbüsche schließlich ganz ablöste. Die Hügel waren dicht mit Schafgarbe, wildem Senf und kalifornischem Mohn bewachsen, und die Nachmittagssonne hatte die Felsen in goldenes Licht getaucht, während ein warmer, auffrischender Wind die trockenen Gräser rascheln ließ. Die Straße wand sich durch eine Allee aus immergrünen Eichen weiter bergauf und endete an der Einfahrt zum Anwesen der Laffertys. Das Grundstück war von einer zweieinhalb Meter hohen Steinmauer umgeben, an der Schilder mit der Aufschrift »Privat – kein Durchgang« hingen.

Vor dem breiten Eisentor angelangt, schaltete ich in den Leerlauf. Ich beugte mich hinaus und drückte den Rufknopf an der dort eingebauten Sprechanlage. Erst da bemerkte ich, dass auf einem der beiden Steinpfosten eine Kamera montiert war, deren hohles Auge mich fixierte. Offenbar hatte ich die Inspektion bestanden, da nun die Tore in gemessenem Tempo aufschwangen. Ich legte den ersten Gang ein, fuhr langsam hindurch und folgte der gepflasterten Zufahrt weitere vierhundert Meter.

Durch zaunartig aufgereihte Pinien hindurch konnte ich ein graues Steinhaus ausmachen. Als schließlich das gesamte Anwesen in Sicht kam, verschlug es mir den Atem. Es war also doch etwas aus der Vergangenheit übrig geblieben. Vier hoch aufragende Eukalyptusbäume breiteten eine durchbrochene Schattendecke über den Rasen, und eine leichte Brise schob mehrere Wolken über das rote Ziegeldach. Das zweistöckige Haus mit seinen im gleichen Stil erbauten einstöckigen Seitenflügeln, die an jedem Ende mit steinernen Balustraden abschlossen, beherrschte mein Blickfeld. Eine Reihe von vier Bögen schirmte den Eingang ab und bildete eine überdachte Veranda, auf der Korbmöbel standen. Ich zählte zwölf Fenster im ersten Stock, getrennt durch dekorative, paarweise angeordnete Pilaster, die das Dach zu halten schienen.

Ich bog auf den Parkplatz ein, der für zehn Fahrzeuge ausgereicht hätte, und stellte meinen hellblauen VW Käfer ab, der sich nun zwischen einem eleganten Lincoln Continental auf der einen und einem großen Mercedes auf der anderen Seite duckte und wie ein Comic-Auto aussah. Ich machte mir nicht die Mühe, ihn abzuschließen, da ich davon ausging, dass das elektronische Überwachungssystem sowohl mich als auch mein Fahrzeug im Auge behalten würde, und ging auf die Haustür zu.

Die Rasenflächen waren groß und gepflegt, und durch die Stille drang das Zwitschern von Finken. Ich drückte auf die Klingel und lauschte dem Glockenspiel, das zwei Töne erklingen ließ, die sich anhörten, als ob ein Hammer auf Metall träfe. Die alte Frau, die mir aufmachte, trug eine altmodische schwarze Uniform mit einer weißen Schürze darüber. Ihre blickdichten Strümpfe hatten die Farbe von Puppenkörpern, und die Kreppsohlen ihrer Schuhe quietschten leise, als ich ihr durch den mit Marmor gefliesten Flur folgte. Sie hatte mich nicht nach meinem Namen gefragt, aber vielleicht war ich ja die einzige Besucherin, die an diesem Tag erwartet wurde. Die Wände im Flur waren mit einer Eichentäfelung versehen, und die weiße Stuckdecke war mit Ornamenten in Rauten- und Lilienform geschmückt.

Sie führte mich in die Bibliothek, die ebenfalls mit Eichenholz getäfelt war. In Leder gebundene Bücher füllten die Regale, die vom Boden bis zur Decke reichten, wobei ein Messinggeländer mit einer Leiter auf Rollen den Zugang zu den oberen Bereichen ermöglichte. Der Raum roch nach trockenem Holz und modrigem Papier. Die Feuerstelle in dem gemauerten Kamin war so hoch, dass man darin hätte aufrecht stehen können, und das letzte Feuer hatte ein teilweise angekohltes Eichenscheit sowie den schwachen Geruch von Holzrauch zurückgelassen. Mr. Lafferty saß in einem von zwei identischen Ohrensesseln.

Ich schätzte ihn auf über achtzig, ein Alter, das ich früher einmal für hoch gehalten hatte. Doch seit geraumer Zeit ist mir klar geworden, wie unterschiedlich sich der Alterungsprozess gestalten kann. Mein Vermieter ist siebenundachtzig und damit das Küken in seiner Familie, da das Alter seiner Geschwister bis sechsundneunzig reicht. Alle fünf sind lebhaft, intelligent, abenteuerlustig, ehrgeizig und neigen zu gutmütigen Kabbeleien untereinander. Mr. Lafferty dagegen machte den Eindruck, als sei er schon seit gut zwanzig Jahren alt. Er war unglaublich dünn, und seine Knie wirkten so knochig wie zwei Ellbogen am falschen Platz. Wenigstens waren seine einst scharf geschnittenen Gesichtszüge durch die Jahre etwas weicher geworden. Zwei dünne, durchsichtige Plastikschläuche steckten unauffällig in seinen Nasenlöchern und verbanden ihn mit einem wuchtigen grünen Sauerstoffbehälter auf einem Wagen zu seiner Linken. Sein Kiefer war auf einer Seite eingefallen, und ein flammend roter Streifen, der quer über seinen Hals verlief, wies auf einen chirurgischen Eingriff der brutalen Art hin.

Er musterte mich mit Augen, die so dunkel und glänzend waren wie zwei Tupfen brauner Siegellack. »Freut mich, dass Sie gekommen sind, Ms. Millhone. Ich bin Nord Lafferty«, sagte er und hielt mir eine von knotigen Venen gezeichnete Hand hin. Seine Stimme war heiser und kaum lauter als ein Flüstern.

»Schön, Sie kennen zu lernen«, murmelte ich und trat vor, um ihm die Hand zu schütteln. Seine Hände waren bleich, die Finger zitterten sichtlich und waren eiskalt.

Er gestikulierte. »Ziehen Sie sich doch den Stuhl da heran. Ich bin vor einem Monat an der Schilddrüse operiert worden, und kürzlich musste ich mir noch ein paar Polypen von den Stimmbändern entfernen lassen. Seitdem verfüge ich nur noch über dieses Krächzen, das sich eine Stimme schimpft. Weh tut es nicht, aber es ist lästig. Tut mir Leid, wenn ich schwer zu verstehen bin.«

»Bis jetzt habe ich kein Problem damit.«

»Gut. Möchten Sie eine Tasse Tee? Ich kann meine Haushälterin eine Kanne voll machen lassen, aber einschenken müssen Sie ihn sich leider selbst. Mittlerweile sind ihre Hände nicht mehr ruhiger als meine.«

»Danke, aber ich möchte nichts.« Ich zog den zweiten Ohrensessel näher heran und setzte mich. »Wann ist das Haus hier gebaut worden? Es ist wirklich schön.«

»1893. Ein Mann namens Mueller hat dem Landkreis Santa Teresa ein Zweihundertsechzig-Hektar-Grundstück abgekauft. Davon sind noch achtundzwanzig Hektar übrig. Die Bauarbeiten an dem Haus haben sechs Jahre gedauert, und Gerüchten zufolge ist Mueller an dem Tag gestorben, als die Arbeiter das Werkzeug weggelegt haben. Seit damals ist es den Bewohnern nicht besonders gut ergangen ... abgesehen von mir, toi, toi, toi. Ich habe das Anwesen 1929 gekauft, direkt nach dem Börsenkrach. Der Mann, dem es zuvor gehört hat, hatte alles verloren. Er ist in die Stadt gefahren, auf den Glockenturm gestiegen und hat sich runtergestürzt. Die Witwe brauchte das Geld, also habe ich zugegriffen. Natürlich hat man mich dafür kritisiert. Man hat behauptet, ich hätte meinen Vorteil daraus geschlagen, aber ich habe mich gleich auf den ersten Blick in das Haus verliebt. Irgendjemand hätte es auf jeden Fall gekauft. Dann schon lieber ich als ein anderer. Ich hatte das Geld für den Unterhalt, und das traf damals nicht auf viele Leute zu.«

»Da haben Sie wirklich Glück gehabt.«

»Allerdings. Ich habe mein Vermögen mit Papierwaren gemacht – nur für den Fall, dass Sie neugierig sind, aber zu höflich, um zu fragen.«

Ich lächelte. »Höflich, na ja, ich weiß nicht. Neugierig bin ich immer.«

»Ein Glück, würde ich sagen, angesichts der Branche, in der Sie arbeiten. Ich gehe davon aus, dass Sie viel zu tun haben, also komme ich gleich zur Sache. Ihr Name wurde mir von einem Freund von Ihnen genannt – einem Mann, den ich bei meinem jüngsten Krankenhausaufenthalt kennen gelernt habe.«

»Stacey Oliphant«, sagte ich, da mir sofort sein Name in den Sinn kam. Ich hatte mit Stacey, einem ehemaligen Detective der Mordkommission des Sheriff’s Department, und meinem alten Bekannten Lieutenant Dolan, der inzwischen auch vom Santa Teresa Police Department in den Ruhestand übergewechselt war, gemeinsam an einem Fall gearbeitet. Stacey rang mit einer Krebserkrankung, aber soweit ich zuletzt gehört hatte, war er fürs Erste aus dem Schneider.

Mr. Lafferty nickte. »Er hat mich übrigens gebeten, Ihnen zu sagen, dass es ihm gut geht. Er war zu einer Unmenge Tests in der Klinik, aber sie waren alle negativ. Wir sind regelmäßig nachmittags gemeinsam die Flure auf- und abspaziert, und dabei bin ich auf meine Tochter Reba zu sprechen gekommen.«

Ich überlegte bereits: Personensuche, verschwundene Erbin oder vielleicht Ermittlungen über einen Mann, falls Reba eine Liebesbeziehung hatte.

Lafferty fuhr fort. »Ich habe nur das eine Kind, und ich fürchte, ich habe sie gnadenlos verwöhnt, obwohl das nicht meine Absicht war. Ihre Mutter ist davongelaufen, als Reba noch ein kleiner Wurm war, ein richtiger Dreikäsehoch. Ich war geschäftlich voll eingespannt und habe ihre Erziehung einer Reihe von Kindermädchen überlassen. Wenn sie ein Junge gewesen wäre, hätte ich sie in ein Internat schicken können, genau wie es meine Eltern mit mir gemacht haben, doch ich wollte sie zu Hause behalten. Rückblickend betrachtet wird mir klar, dass das womöglich eine Fehlentscheidung meinerseits war, aber damals sah ich es eben anders.« Er hielt inne und gestikulierte ungeduldig in Richtung Fußboden, als wollte er einen Hund dafür ausschelten, dass er an ihm hochgesprungen war. »Egal. Für Reue ist es jetzt zu spät. Ist sowieso sinnlos. Was passiert ist, ist passiert.« Er musterte mich scharf unter seiner knochigen Stirn. »Sie fragen sich wahrscheinlich, worauf ich hinauswill.«

Ich zuckte leicht mit den Achseln und wartete darauf, was er als Nächstes sagen würde.

»Reba kommt am zwanzigsten Juli auf Bewährung frei. Das ist nächsten Montag. Ich brauche jemanden, der sie abholt und nach Hause bringt. Sie wohnt bei mir, bis sie wieder auf eigenen Beinen steht.«

»Welche Strafanstalt?«, erkundigte ich mich, während ich hoffte, dass er mir meine Verblüffung nicht anhörte.

»California Institution for Women. Kennen Sie die Einrichtung?«

»Sie ist in Corona, etwa zweihundert Meilen weiter südlich. Ich bin nie dort gewesen, aber ich weiß, wo es ist.«

»Gut. Ich hoffe, Sie können sich die Zeit für die Fahrt dorthin nehmen.«

»Das hört sich nicht übermäßig schwierig an, aber warum ich? Ich verlange fünfhundert Dollar am Tag. Sie brauchen keine Privatdetektivin für eine solche Fahrt. Hat sie denn keine Freunde?«

»Keine, die ich darum bitten würde. Und machen Sie sich über Geld keine Gedanken. Das ist das geringste Problem. Meine Tochter ist schwierig. Eigensinnig und aufsässig. Sie sollen dafür sorgen, dass sie ihren Termin bei der Bewährungshelferin wahrnimmt und alle sonstigen Auflagen einhält, die ihr nach der Entlassung abverlangt werden. Ich bezahle Ihnen den vollen Satz, auch wenn Sie nur einen Teil des Tages arbeiten.«

»Und wenn ihr die Überwachung nicht recht ist?«

»Das hat nicht sie zu entscheiden. Ich habe ihr gesagt, dass ich jemanden engagiere, der ihr hilft, und sie hat eingewilligt. Wenn sie Sie mag, wird sie schon mitmachen, zumindest in gewissem Rahmen.«

»Darf ich fragen, was sie getan hat?«

»Da Sie einige Zeit mit ihr verbringen werden, ist das Ihr gutes Recht. Sie wurde verurteilt, weil sie bei der Firma, für die sie gearbeitet hat, Geld unterschlagen haben soll. Alan Beckwith und Co. Er macht in Vermögensverwaltung, Immobilieninvestitionen und Grundstückserschließungen und dergleichen. Kennen Sie ihn?«

»Ich habe seinen Namen in der Zeitung gelesen.«

Nord Lafferty schüttelte den Kopf. »Ich mag ihn nicht. Ich kenne die Familie seiner Frau seit Jahren. Tracy ist ein nettes Mädchen. Mir ist unbegreiflich, wie sie an ihm hängen bleiben konnte. Alan Beckwith ist ein Emporkömmling. Er nennt sich selbst Unternehmer, aber ich habe nie so ganz durchschaut, was er eigentlich genau macht. Unsere Wege haben sich des Öfteren in der Öffentlichkeit gekreuzt, und ich kann nicht gerade behaupten, dass ich beeindruckt gewesen wäre. Reba scheint allerdings restlos begeistert von ihm zu sein. Eines muss ich ihm lassen: Er hat zu ihren Gunsten ausgesagt, bevor sie verurteilt worden ist. Das war eine großzügige Geste von ihm, zu der er nicht unbedingt verpflichtet gewesen wäre.«

»Wie lange war sie im Gefängnis?«

»Sie hat zweiundzwanzig Monate einer vierjährigen Haftstrafe abgesessen. Es kam nie zur Verhandlung. Als sie zur Anklage vernommen wurde – wobei ich bedauerlicherweise nicht anwesend war –, hat sie sich für mittellos erklärt, also hat das Gericht einen Pflichtverteidiger ernannt, der mit ihrem Fall betraut wurde. Nachdem sie sich mit ihm beratschlagt hatte, hat sie auf ihr Recht auf eine Voruntersuchung verzichtet und sich für schuldig erklärt.«

»Einfach so?«

»Leider ja.«

»Und ihr Anwalt ist darauf eingegangen?«

»Er hat massive Einwände dagegen vorgebracht, aber Reba wollte nichts davon wissen.«

»Um wie viel Geld ging es denn?«

»Dreihundertfünfzigtausend Dollar in einem Zeitraum von zwei Jahren.«

»Wie wurde der Diebstahl bemerkt?«

»Durch eine routinemäßige Buchprüfung. Reba war eine von einer Hand voll Angestellten mit Zugang zu den Konten. Natürlich fiel der Verdacht auf sie. Sie hat schon vorher Ärger gehabt, aber noch nie etwas in dieser Größenordnung.«

In mir regte sich Protest, doch ich verkniff mir eine Entgegnung.

Er beugte sich vor. »Wenn Sie etwas zu sagen haben, nur immer heraus mit der Sprache. Stacey hat mir erzählt, dass Sie kein Blatt vor den Mund nehmen, also bitte zögern Sie nicht aus Rücksicht auf mich. Womöglich erspart uns das Missverständnisse.«

»Ich habe mich nur gerade gefragt, warum Sie nicht eingegriffen haben. Ein erstklassiger Anwalt hätte vielleicht ein ganz anderes Ergebnis erzielt.«

Er ließ den Blick auf seine Hände sinken. »Ich hätte ihr helfen sollen ... das weiß ich ... aber ich bin ihr viele, viele Jahre immer wieder zu Hilfe gekommen ... eigentlich ihr ganzes Leben lang, wenn Sie’s genau wissen wollen. Zumindest haben Freunde von mir das gesagt. Sie meinten, Reba müsse sich den Konsequenzen ihres Tuns stellen, sonst würde sie nie etwas lernen. Sie meinten, ich würde ihr Verhalten unterstützen, und ihr erneut aus der Patsche zu helfen wäre angesichts der Umstände das Dümmste, was ich tun könnte.«

»Wer sind diese ›Freunde‹, von denen Sie sprechen?«

Zum ersten Mal war er um eine Antwort verlegen. »Ich hatte eine Freundin namens Lucinda. Wir kannten uns schon seit Jahren. Sie hat immer wieder miterlebt, wie ich zugunsten von Reba eingegriffen habe. Sie hat mich dazu überredet, hart zu bleiben, und das habe ich auch getan.«

»Und jetzt?«

»Offen gestanden war ich schockiert, als Reba zu vier Jahren im Staatsgefängnis verurteilt wurde. Ich hätte nie damit gerechnet, dass die Strafe so hart ausfallen könnte. Ich dachte, der Richter würde eine Bewährungsstrafe verhängen, so wie es der Pflichtverteidiger vorgeschlagen hatte. Jedenfalls haben Lucinda und ich uns gestritten, sogar ziemlich erbittert. Ich habe die Beziehung beendet und jeden Kontakt zu ihr abgebrochen. Sie war wesentlich jünger als ich. Rückblickend betrachtet, wird mir klar, dass sie für sich selbst etwas herausholen wollte und wohl auf eine Heirat gehofft hat. Reba konnte sie auf den Tod nicht ausstehen. Das wusste Lucinda natürlich.«

»Was ist mit dem Geld passiert?«

»Reba hat es verspielt. Sie hatte schon immer einen Hang zum Kartenspielen. Auch zu Roulette und Spielautomaten. Außerdem liebt sie Pferdewetten, aber sie versteht nichts davon.«

»Sie hat ein Problem mit Glücksspielen?«

»Ihr Problem ist nicht das Spielen, sondern das Verlieren«, erwiderte er mit einem kaum angedeuteten Lächeln.

»Wie steht’s mit Drogen und Alkohol?«

»Da muss ich in beiden Punkten ja sagen. Sie hat einen Hang zum Leichtsinn, eine wilde Seite, genau wie ihre Mutter. Ich hoffe, das Leben im Gefängnis hat sie Selbstdisziplin gelehrt. Was Ihren Auftrag angeht, da improvisieren wir einfach. Es geht nur um zwei, drei Tage, höchstens eine Woche, bis sich Reba wieder eingelebt hat. Da Ihre Aufgaben klar begrenzt sind, verlange ich keinen schriftlichen Bericht. Schicken Sie mir eine Rechnung, dann bezahle ich Ihnen Ihre Tagessätze und sämtliche angefallenen Spesen.«

»Klingt recht einfach.«

»Eines noch. Falls irgendetwas darauf hindeutet, dass sie erneut abrutscht, möchte ich darüber informiert werden. Vielleicht kann ich diesmal mit genügend Vorwarnzeit eine Katastrophe verhindern.«

»Eine schwere Aufgabe.«

»Das ist mir bewusst.«

Ich dachte kurz über den Auftrag nach. Normalerweise spiele ich nicht gern Babysitter und potenzielle Klatschbase, doch in diesem Fall schien mir sein Anliegen berechtigt. »Um wie viel Uhr wird sie entlassen?«

Ausgespielt

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