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4.

Bengaluru

1993–1995

Suwarna war an der Universität in Bengaluru, zu ihrer Zeit dort noch Bangalore genannt, im Studienfach Bauingenieurwesen eingeschrieben. In ihrer Klasse waren um die fünfzig Jungen und Mädchen.

Sie hatte niemanden gekannt, außer Pardhan, den sie kennengelernt hatte, als beide in der Zentralstelle für die Studienanmeldung in der Schlange standen und sich dann unterhielten. Daraufhin hatten sie festgestellt, dass sie beide an derselben Universität studieren würden.

Wie es für solche Situationen üblich war, sahen alles und alle am Anfang so fremd aus, es waren so verschiedene Typen dabei – manche waren wahrscheinlich schüchtern und wagten es kaum aufzublicken, manche fühlten sich sichtlich wohl und wollten zeigen, dass sie die Macher waren, manche unterhielten sich nur mit ihren Nachbarn; da kamen zwei Jungen in die Klasse, beide sahen sympathisch aus. Als sie an ihr vorbei zu den hinteren Reihen gingen, lächelten sie, es war keine Anmache, es war einfach nur freundliches Lächeln.

Nach drei langen Vorlesungen hatten sie Mittagspause, die vielen Mädchen und Jungen fingen alle bereits an, sich besser zu fühlen und nutzten die Zeit, um sich gegenseitig vorzustellen. Da kam einer der beiden Jungen zu ihr und stellte sich vor – er hieß Prabhakar.

Dann rief er dem anderen Jungen zu: „Harsh, das hier ist Suwarna, sie ist aus Mumbai! “

Sie lernte ebenfalls ein Mädchen namens Shehnaz kennen. Langsam fühlte sie sich besser, und die anderen Studenten sichtlich auch.

Prabhakar war aus Bengaluru. Er war immer sehr freundlich, hatte ein freundliches Gesicht, erkundigte sich immer nach dem Wohl der anderen Personen und war immer bereit zu helfen.

Pardhan kam aus einem anderen Teil Indiens und war für das Studium nach Bengaluru gezogen. Er sprach nicht viel, nahm aber alles sehr wohl auf, manchmal stellten ihm die anderen einfach so Fragen, um zu sehen, ob er wirklich zugehört hatte, ja, er hatte zugehört. Normalerweise hatte er einen ernsten Gesichtsausdruck. Nichtsdestotrotz war er immer freundlich, auch wenn er nicht immer ein Lächeln im Gesicht hatte. Wenn er nach etwas Konkretem gefragt wurde, bot er auf jeden Fall seine Hilfe an.

Harshwardhan, kurz Harsh, wie er von allen genannt wurde, war auf seine Art lustig, manchmal blickte er sogar in lustigen Situationen ernst, Suwarna war nie sicher, ob er den Witz in der Situation überhaupt verstanden hatte oder ob der Witz unter seinem angedachten Niveau war. Er kam, wie Pardhan, aus einem anderen Teil Indiens, und war ebenso für das Studium nach Bengaluru gekommen.

Dann war da noch Shehnaz – sie war aus Bengaluru und wohnte mit ihren Eltern, ihrem verheirateten Bruder, ihrer Schwägerin und ihrer anderthalbjährigen Nichte zusammen. Im Grunde war sie sehr redselig, aber nur mit Leuten, mit denen sie es wollte. Sie konnte viel und sehr herzlich lachen. Einige Jahre später, nach der Hochzeit von Shehnaz würde Suwarna den Kontakt zu Shehnaz verlieren. Sie wird sie später jahrelang in den sozialen Netzwerken und über Freunde suchen, aber leider nicht finden.

Suwarna war ebenfalls nicht aus Bengaluru und wohnte in einer Pension in der Nähe der Uni.

So kam es, dass Suwarna, Prabhakar, Pardhan, Harshwardhan und Shehnaz eine Clique wurden. Sie verbrachten die Mittagspausen zusammen, gingen in eines der zwei Bistros außerhalb des Campus zum Frühstücken, wenn die Vorlesungen später anfingen, oder spätestens für das Mittagessen. Wie es bei jungen Leuten normal wäre, fanden sie immer irgendein Thema zu besprechen, um sich darüber aufzuregen meistens über die Professoren, über etwas herzuziehen, und so weiter. Sie waren alle sehr redselig, außer Pardhan, er hörte immer zu und antwortete, zwar nicht mit vielen Worten, aber dennoch, war immer interessiert, nahm nur nicht viel aktiv teil, aber das störte niemanden, die Gespräche gingen wild gestikulierend weiter. Sie verbrachten viel Zeit unter der Woche zusammen – essen gehen, viel plaudern, manchmal ins Kino gehen, alle fünf hatten einfach eine tolle Zeit zusammen.

Suwarna kam aus der Großstadt Mumbai und war zu Selbstständigkeit und Unabhängigkeit erzogen; sie hatte die Gesellschaftsregeln, die in Indien so wichtig waren, nie richtig verstanden und noch weniger gemocht. Sie verstand nicht, warum sie sich mit Jungen nicht viel unterhalten sollte, warum sie mit Jungen nicht herumhängen sollte, warum sie mit ihnen nicht ausgehen sollte.

Es waren lediglich zwei Mädchen aus Mumbai auf der Uni, und als eine davon wurde Suwarna schnell bekannt. Mit ihren langen schwarzen Haaren, ihrem Lächeln über beide Ohren, ihrer Bereitschaft zu plaudern, war sie ein gern gesehener Gesprächspartner bei den jungen Herren. Alle wollten sie kennenlernen und sich mit ihr unterhalten. Viele hielten Ausschau nach ihr, warteten auf dem Weg von ihrer Pension zur Uni, um sie unterwegs abzufangen. Außerdem bekam sie, wie es normal für ihr Alter war, nämlich achtzehn, fast täglich von unterschiedlichen Jungen Anfragen, um mit ihnen auszugehen. Sie genoss diese Aufmerksamkeit.

Bis zu ihrem fünfzehnten Lebensjahr hatte sie ziemlich wie ein Junge ausgesehen, mit den Jungen aus ihrer Nachbarschaft gespielt, war mit den Jungen in ihrer Schule befreundet und wurde aus ihrer Sicht wie ein Junge behandelt. Umso mehr genoss sie die Aufmerksamkeit, die sie als junge Frau bekam. Sie fand es toll. Wenn ihr die Jungs Komplimente über ihr Aussehen machten, war sie nicht wirklich verlegen, sondern lachte herzlich und flirtete gern mit ihnen. An der Uni war sie tagsüber sehr gern mit ihren Freunden unterwegs, am Abend ging sie öfter gern mit einigen Jungen aus. Ihre Freunde sagten ihr des Öfteren, sie solle bitte vor diesen anderen Jungen aufpassen, aber sie hatte keine Angst vor ihnen. Das Leben war toll!

An der Uni lernte sie Mahinder kennen. Sie verabredeten sich zum Kaffeetrinken und beschlossen anschließend, sich noch mal zu treffen. Sie stellten fest, dass sie gern Zeit miteinander verbrachten und fingen an, sich regelmäßig zu treffen, fast alle zwei Tage. Es waren die normalen Dinge, die Teenager gern machten, Teetrinken gehen, ein bisschen mit dem Motorrad herumfahren, manchmal sogar außerhalb der Stadt, Essen gehen, ins Kino gehen, und dergleichen.

Eines Abends brachte er sie zu ihrer Wohngemeinschaft zurück, in die sie vor einiger Zeit von der Pension umgezogen war. Sie hielten eine Straße vorher bereits an, standen dort und unterhielten sich noch eine Weile. Aus den Augenwinkeln sah Suwarna ein paar Männer in ihre Richtung laufen, sie dachte sich nichts dabei, denn es war nicht unüblich, dass Jungen miteinander herumscherzen und herumlaufen. Als sie etwas näher waren, fragte sie sich für einen Moment, ob irgendetwas los war, aber widmete sich dann wieder den Worten von Mahinder. Als die Männer noch näher waren, läuteten die Alarmglocken kurz in ihrem Gehirn, es war alles so schnell, einerseits schrie ein Teil ihres Gehirns, dass etwas nicht stimmte, mit einem Teil sah sie etwas Bedrohliches in ihren Händen, nahm es wahr und doch nicht richtig wahr, mit einem anderen Teil hörte sie Mahinder noch zu.

Plötzlich waren die Männer bei ihnen, es waren fünf, sie hielten Machete, Sichel und Messer in ihren Händen – zwei hielten Mahinder fest, zwei hielten sie fest, der fünfte leerte die Taschen von Mahinder und schlug ihm in den Bauch. Er solle keinen Mucks von sich geben, sonst wäre er fällig. Sie hatte bereits angefangen zu schreien, als die Männer sie festhielten. Daraufhin zeigte einer ihr das Messer und schnauzte sie an aufzuhören. Sie hörte auf. Als der fünfte Mann Mahinder noch einmal schlagen wollte, versuchte sie sogar in der Situation vernünftig mit dem Schläger zu reden. Sie sagte ihm, er könne das ganze Geld haben, das sie dabeihatte, sowie ihren Goldschmuck, aber er solle Mahinder nicht schlagen, wozu schlagen, wenn er kriegen würde, was er haben wollte! Der Schläger reagierte sogar mit Verständnis darauf. Einer von den zwei Schlägern, die sie festhielten, wollte sie dann schlagen. Wieder sah sie dem fünften Schläger direkt in die Augen und forderte ihn auf, mit dem ganzen Unsinn und Schlägen aufzuhören, da sie das Geld und das Gold bereits hatten. Ob es ihr Mut war, den sie in der Situation zeigte und somit für ihn einen Überraschungseffekt erzeugte, oder ob er es wirklich verstanden hatte, wusste sie nicht. Aber das war eigentlich egal. Er ging erneut darauf ein und sagte dem anderen Schläger, er solle aufhören. Zum Schluss gaben die Schläger Mahinder trotzdem noch einige Schläge, bedrohten ihn und Suwarna mit dem Messer und der Machete und verschwanden dann in die Nacht. Das Ganze dauerte fünf oder sechs Minuten, kam ihr aber wie eine Ewigkeit vor.

Suwarna konnte sich nicht bewegen, sie konnte nicht fassen, was gerade passiert war, waren sie gerade überfallen worden? Sie hatte mehr Geld dabei als sonst, da sie am nächsten Tag eine Kursgebühr zu zahlen hatte. Aber das war nicht so wichtig, nicht jetzt, dachte sie. Ihr Goldschmuck war weg, wie soll sie das ihrer Mutter und ihren Verwandten erklären? Aber das war in dem Moment nicht wirklich das Wichtigste. Sie waren gerade überfallen worden. Es hätte viel schlimmer ausgehen können. Sie hatten Glück gehabt, Riesenglück! Mahinder war wie erstarrt, er stand nur so da, leicht im Schock, fast am Weinen, das konnte sie ebenso nicht fassen. Er ist doch der Mann, er sollte sie trösten, dachte sie.

Sie ging die drei Schritte hinüber und nahm seine Hand: „Komm, wir gehen in meine WG.“

Sie gingen die hundertfünfzig Meter bis zu ihrer Wohngemeinschaft.

Ihre zwei Mitbewohnerinnen, die Schwestern waren, waren zu Hause, Suwarna erzählte ihnen, was passiert war, sie waren ebenfalls sprachlos. Alle schüttelten nur den Kopf und konnten es nicht fassen, dass so etwas in ihrem Viertel passiert war. Eine von ihren beiden Mitbewohnerinnen ging hinunter, erzählte dem Besitzer des Hauses alles und rief anschließend die Mitbewohner von Mahinder an.

Zwanzig Minuten später trafen zwei seiner Mitbewohner ein, alle redeten miteinander, sie waren fassungslos über das Ganze, aber es war schon passiert, man konnte die Zeit nicht zurückdrehen. Mahinders Mitbewohner nahmen ihn mit und sagten etwas von Polizei, aber erst am nächsten Tag.

Suwarna und ihre Mitbewohnerinnen saßen noch eine Weile auf der großen Terrasse vor ihrer kleinen Wohnung und sahen in die dunkle Nacht hinaus. Der Himmel war sternenlos, so bezeichnend für das, was gerade passiert war. Einerseits wurde immer wieder überall erzählt, dass so etwas passierte, aber niemals hätten sie gedacht, dass es einer von ihnen passieren könnte. Aber was hätten sie jetzt machen können!

Nachdem Suwarna das ganze Geschehnis bestimmt zwanzig Mal erzählt hatte und ihre Mitbewohnerinnen trotzdem jedes Mal genauestens zugehört und teilweise dieselben Fragen gestellt und ihre Fassungslosigkeit zum Ausdruck gebracht hatten, entschieden sie alle, schlafen zu gehen und am nächsten Tag zu sehen, was zu tun war. Diese dunkle Nacht würde Veränderungen bringen, aber das wusste Suwarna zu dem Zeitpunkt nicht, auch nicht, dass diese Veränderungen für sie gar nicht mal so schlecht sein würden.

Irgendwann schlief Suwarna ein. Mehrmals in der Nacht träumte sie das Geschehene immer wieder, manchmal wurde sie im Schlaf unruhig, manchmal wurde sie wach. Irgendwann wurde es draußen hell.

Oh nein, so schnell? Ich will nicht, dass es Tag wird, ich will nicht aufstehen, ich will nicht hinausgehen und so tun, als ob alles normal ist, ich will nicht zur Polizei gehen, ich will nicht!

Noch recht früh am Vormittag stand sie auf; ihre zwei Mitbewohnerinnen waren bereits wach und beim Frühstück, als sie ins Wohnzimmer kam.

„Guten Morgen! Hast du irgendwie gut schlafen können? Wir machen uns noch fertig, am Nachmittag fahren wir für eine Woche zu unseren Eltern nach Hause, das war ja schon längst ausgemacht und wir wollen unsere Eltern nicht enttäuschen, aber das haben wir dir eh schon erzählt, oder?“ sagte mal die eine, mal die andere Mitbewohnerin.

Der nächste Schlag für sie. Was! Sie fuhren weg? Jetzt? Nach dem, was passiert war? Und ließen sie allein? Suwarna sagte nichts.

Sie war geistig nicht so richtig anwesend. In Gedanken versunken aß sie ihr Frühstück irgendwie fertig und zog sich um. Dann hörten sie Motorräder. Mahinder und drei seiner Freunde waren da. Nachdem sich alle begrüßt hatten und noch einmal das Geschehnis durchgegangen waren, entschieden sie, zum nächstgelegenen Polizeirevier zu gehen.

Auf dem Polizeirevier hörten sich die Polizisten das Ganze ziemlich lustlos an, warum hatten Suwarna und Mahinder dort überhaupt gestanden? In der Nacht waren wenig Menschen unterwegs, diese bestimmte Straße war sowieso ziemlich leer, die Hemmschwelle solcher Schläger, so etwas zu tun, sank, sie hätten überhaupt nicht dort stehen dürfen! Aha, also ihre Schuld!

Ob die Polizisten das Geschehnis als Anzeige aufnahmen, hat Suwarna nicht wirklich verstanden. Sie spürte so eine Wut in sich. Sie war sich sicher, die Polizei wusste wahrscheinlich sogar, wer die Schläger waren, wollte aber nichts tun, es war für sie nicht ernst genug, außerdem war außer Geld und Gold mitnehmen und ein bisschen „herumschubsen“ nichts passiert, warum dann irgendein Aufwand?

Zuerst rief sie ihre Cousine an und erzählte ihr irgendeine Märchengeschichte, wie sie das Geld und das Gold verloren hatte. Ihre Cousine hörte zu, sie verstand die Geschichte nicht und fragte noch mal, was passiert war und warum das Geld und Gold weg waren. Suwarna erzählte ihr erneut die Märchengeschichte, fügte noch hinzu:

„Falls meine Mutter anruft, sag ihr noch nichts, sie wird sich unnötig Sorgen machen, du kennst sie doch“, und dann, dass sie noch etwas machen müsse und nicht mehr reden könne, die Cousine solle es ihren Eltern, sprich Suwarnas Onkel und Tante erzählen, und legte auf.

Danach rief sie ihre Freunde an, alle nacheinander, Pardhan, Harsh, Prabhakar und Shehnaz, und noch Anant. Alle waren fassungslos. Alle hörten zu, äußerten fast die gleichen Worte der Fassungslosigkeit, fragten, wie es ihr ging und sagten, sie solle sich doch bitte melden, wenn sie etwas brauche.

Anant und Suwarna hatten sich ein Jahr zuvor bei Bekannten kennengelernt. Seitdem hatten sie sich ab und zu getroffen, vielleicht war es so etwas wie eine Freundschaft. Er fragte sie noch, ob er vorbeikommen sollte, nein, nicht notwendig, alles noch in Ordnung. Er spürte die Wut in ihr und sagte, sie solle versuchen zu meditieren, das würde ihr helfen. Da kam die Wut hoch, die seit dem Überfall in irgendeiner undefinierten Form in ihr steckte, wie sollte Meditieren ihr helfen? Wenn die Polizei die Schläger fassen und sie ein paar Sachen zurückbekommen würde, würde ihr das helfen, nicht Meditieren. Na gut, dann halt nicht.

Für Mittagessen hatten ihre Mitbewohnerinnen etwas gekocht, für sie, meinten sie. Halbherzig aß sie ihr Mittagessen. Sie wusste, was ihr bevorstand. Die Schwestern hatten schon ihren Koffer gepackt und verabschiedeten sich am Nachmittag:

„Pass auf dich auf! Wenn was ist, ruf an! Deine Freunde sind eh in der Stadt, oder?“

Na toll! Und jetzt?

Sie saß eine Weile im Wohnzimmer, ins Nichts schauend, dann ging sie ins Schlafzimmer, legte sich hin und tat dasselbe, ins Nichts schauen, dann ging sie auf die Terrasse, es dämmerte bereits, sie hörte die Vögel zwitschern, was soll das alles bringen, diese angeblichen Glücksgeräusche, alles hat keine Bedeutung, alles ist gut für nichts!

Allmählich wurde es dunkel, sie fing an, Geräusche zu hören, es wurde ihr seltsam zumute, als ob die Dunkelheit sie immer mehr einengte, es war kein schönes Gefühl. Sie ging hinein ins Wohnzimmer, machte die Tür hinter sich zu und prüfte mehrmals, ob sie richtig geschlossen war. Jede Minute kam ihr wie eine Stunde vor, immer wieder sah sie auf die Uhr, als ob es gleich Morgen werden würde, aber es wurde nicht Morgen, ganz im Gegenteil, es wurde draußen immer dunkler, immer ruhiger. Sie wusste nicht, wie sie es bis zum nächsten Morgen schaffen sollte.

Sie dürfte doch irgendwann eingeschlafen sein, denn plötzlich wachte sie auf, hörte Geräusche aus der Küche, dann aus dem Badezimmer, dann aus dem Wohnzimmer, es war ihr alles zu viel. Sie ging ins Wohnzimmer und legte sich dort aufs Sofa. Die Geräusche waren noch da, sie schlief ein. Sie war wieder mittendrin, die zwei Schläger hielten sie fest, sie wachte wieder auf, hörte wieder die Geräusche, sie schwitzte, gleichzeitig war ihr auch kalt, sie hörte Geräusche draußen auf der Terrasse, dann wieder aus der Küche …

Am nächsten Tag nach dem Mittagessen ging sie zu Pardhan hinüber. Er wohnte in der Nähe. Mit ihm konnte sie immer reden. Er hörte ihr immer zu, manchmal lachte er darüber, was sie erzählte, selbst wenn es nicht lustig war, vielleicht weil er bestimmte Dinge nicht so ernst fand wie sie. Aber da lachte er nicht, er schaute sie ernst an, und fragte, wie es ihr ging, nicht gut.

„Bleib doch bei uns für das Abendessen“, sagte er, die ersten Sonnenstrahlen!

Als die Abendessenszeit näherkam, wurde sie wieder unruhiger. Das Abendessen würde bedeuten, dass sie danach wieder in ihre WG zurückkehren und das Ganze aus der letzten Nacht nochmal durchmachen musste, das konnte sie nicht.

„Pardhan, ich muss mit dir reden. Ich habe gestern die ganze Nacht nicht geschlafen, ich kann es nicht noch einmal durchmachen. Würde es dir was ausmachen mit mir mitzukommen, und in meiner WG zu schlafen?“

„Warte, Suwarna, ich bin gleich wieder da“.

Er kam nach ein paar Minuten in sein Zimmer zurück, in dem sie saß, in der Wohnung, die er mit sieben anderen Jungen teilte, und sagte zu ihr:

„Was hältst du davon, wenn du ein bis zwei Tage hier bei uns bleibst? Wir sind insgesamt acht Jungs, hier kann dir nichts passieren, nicht mal ein Geist würde sich hier hineinverirren, denn diese anderen sieben sind erschreckender als alle Geister zusammen, die es geben könnte.“

Es wurde heller und heller!

„Ginge das?“, strahlte sie fast.

„Ja, natürlich, sonst würde ich es nicht vorschlagen. Ich habe vorhin mit den Jungs gesprochen, und es war ihr Vorschlag. Du kennst sie ja alle bereits, also sollte es nicht wirklich ein Problem sein.“

Es gab zwei Schlafzimmer, zum Schlafen teilen sich die acht Jungen normalerweise auf die zwei Schlafzimmer auf. Da Suwarna aber in einem schlafen sollte, verteilten sich alle anderen auf das andere Zimmer sowie auf das wirklich kleine Wohnzimmer. So gut hatte sie seit einer Ewigkeit nicht geschlafen. In der Nacht hätte sie kein Erdbeben wecken können. Am nächsten Morgen ging sie fast strahlend in ihre WG zurück. Der Tag verlief normal, nichts Außergewöhnliches. Am Abend ging sie wieder zu Pardhan in die WG. Vier Nächte schlief sie bei ihm und seinen hilfsbereiten WG-Kollegen. Sie redeten alle nett mit ihr, erzählten ihr Witze und Verliebtheitsgeschichten, wer in wen verknallt war, versuchten sie aufzuheitern und ihr zu helfen.

Zu dem Zeitpunkt dachte sie, ich werde ihnen allen ewig dankbar sein. Zu dem Zeitpunkt wusste sie nicht, dass es wirklich so sein würde, dass sie zumindest Pardhan für seine Hilfe ewig dankbar sein würde! Ob er das wusste? Wahrscheinlich schon! Denn zumindest auf Suwarna machte er immer den Eindruck, dass er alles ahnte, alles wusste, nur nicht immer etwas dazu sagte.

Wenn sie ihn etwas fragte, ganz egal was, hatte er immer eine vernünftige Antwort für sie parat. Manchmal sagte er aber auch:

„Suwarna, was fragst du mich da? Woher soll ich das wissen?“, wenn sie ihn aus heiterem Himmel etwas fragte, was er wirklich nicht hätte wissen können.

Pardhan war sehr ehrlich und direkt. Wenn er ahnte, dass seine direkte Antwort nicht gut ankommen würde, sagte er einfach nichts.

Er besuchte sie später im Leben einmal in Karlsruhe, als sie noch in Deutschland war und er für einige Zeit in Frankreich arbeitete. Max und Suwarna besuchten ihn und seine Familie Jahre später in Bengaluru. In der Zwischenzeit versuchten beide, Pardhan und Suwarna, irgendwie in Kontakt zu bleiben, selbst wenn es nur ein loser Kontakt war.

Jahre später belog er sie einmal, nur einmal im Leben, und das wegen des Netzwerks. Die Frauengruppe, mit „freundlicher“ Unterstützung aus Mexiko, Kanada und Russland, hatte es geschafft, sogar ihn umzustimmen, bei ihrem hinterhältigen Spiel gegen Suwarna mitzumachen, natürlich ohne dass er hätte vermuten können, dass es ein hinterhältiges Spiel war. Aber das kam vierundzwanzig Jahre später.

Dann kam das Wochenende, sie ging zu ihrer Cousine nach Hause. Aber vorher, als Suwarna sie anrief, sagte sie noch zu ihrer Cousine:

„Pass auf, wir brauchen nicht wirklich über das alles reden, lassen wir es im Moment, es würde Tante und Onkel nur stressen!“

Am Sonntag kamen ihre Mitbewohnerinnen zurück und alles ging seinen gewohnten Gang weiter wie immer.

In den Folgetagen und -wochen bekam Suwarna nur nebenbei mit, dass ihre Tante und ihr Onkel schon etwas vermutet hatten, als ihre Cousine ihnen eine Geschichte erzählte, die keinen Sinn ergab, wie Suwarna ihren Goldschmuck und ihr Geld verloren hatte. Daraufhin hatten sie ihre Mutter in Deutschland angerufen, obwohl so ein Auslandsanruf teuer war, aber es war eine dringende Sache, und sie wollten es mit ihr besprechen. Ihre Mutter hörte sich alles an, natürlich war sie besorgt, aber was konnte sie aus der Ferne auch tun! Sie erkundigte sich, wie es Suwarna gehe, eigentlich sei nichts weiter zu merken. Okay, sie würde sich Gedanken machen und danach mit Suwarna reden.

Madita machte sich Gedanken, sie redete mit anderen Bekannten in Karlsruhe, danach war die Entscheidung getroffen und sie rief Suwarna an. Sie erzählte ihr nicht, dass ihre Tante sie angerufen hatte. Nach den üblichen Fragen über dies und das sagte ihre Mutter, dass sie ihre Schwester angerufen hatte; bei dem Gespräch hätte ihre Schwester dann etwas über Geld und Gold erwähnt. Suwarna wich dem Thema aus, sie wollte noch nicht darüber reden und alles noch einmal aufwühlen und durcherleben.

„Möchtest du nach Deutschland kommen?“

Die Frage riss sie aus ihren Gedanken heraus.

„Wie, in den Ferien meinst du? Wie letztes Mal?“ fragte Suwarna; die letzten Ferien in Deutschland waren hervorragend gewesen, und sie hätte nichts dagegen gehabt, noch einmal hinzufliegen.

„Zum Studieren“, sagte ihre Mutter.

„Hä? Was meinst du, zum Studieren? Ich studiere doch bereits. Soll ich danach noch mal in Deutschland studieren?“ Suwarna war verwirrt.

„Jetzt. Ich meine, nachdem wir für dich ein Visum haben. Das dauert ein paar Monate. Du bist jetzt neunzehn, erst mal kannst du hier die Sprache lernen, anschließend studieren. Natürlich zählen die Prüfungen nicht, die du an der Uni bereits abgeschlossen hast. Überleg’s dir. Du hast noch dein ganzes Leben vor dir. Du kannst mich in den nächsten Tagen anrufen und mir sagen, was du möchtest.“

Sie verabschiedeten sich und legten auf.

Boom! Suwarna war verwirrt. Was war denn das bitte! Deutschland? Sie hatte schon gewusst, sprich gedacht, dass sie nach ihrem Studium nicht wie alle anderen in die USA, sondern nach Deutschland gehen würde, denn ihre Mutter war dort, aber halt erst nach dem Studium. Aber jetzt schon? In ein paar Monaten wäre das zweite Jahr ihres vierjährigen Studiums fertig gewesen. Ihr Studium jetzt abbrechen? Ihre Freunde, ihr Freund, die Stadt Bengaluru, das Essen – als Vegetarierin hatte sie es das letzte Mal vor drei Jahren in Deutschland nicht leicht gehabt, als sie in ihren Sommerferien für zwei Monate dort gewesen war, teilweise hatte sie nur Pommes frites gegessen, sogar der Salat wurde mit Schinkenstreifen serviert! Ihr ganzes Leben würde sich ändern!

Auf der anderen Seite … Warum nicht? Wer wusste, was in zwei bis drei Jahren sein würde? Diese Zeit, das eine Jahr, beziehungsweise die eineinhalb Jahre würde ich schon irgendwie wieder einholen können, dachte sie. Sie war doch intelligent, sie war enthusiastisch, sie wollte etwas machen, sie wollte arbeiten, in der Gesellschaft ihren Beitrag leisten, das musste doch möglich sein, selbst wenn sie anderthalb Jahre später als geplant fertig würde, wenn sie nach Deutschland ginge. Ein Neuanfang! Hm, kein schlechter Gedanke! Warum also nicht?

Am nächsten Tag rief Suwarna ihre Mutter an.

„Ja Mama, ich komme. Du kannst bitte alles einleiten. Ich möchte nur eines wissen, mit wie viel Wartezeit muss ich rechnen, und was soll ich alles vorher noch vorbereiten? Ich komme.“

Sie strahlte und lachte und lachte und lachte am Telefon. Ihre Mutter freute sich. Das hatte sie sich erhofft. Manchmal traf sie bewusst oder unbewusst die richtigen Entscheidungen und wusste Suwarna richtig anzuleiten. Manchmal auch nicht. Diesmal lag sie richtig!

An der Uni erzählte Suwarna ihren Freunden von dem Gespräch mit ihrer Mutter. Erst mal Stille! Dann fingen plötzlich alle an, dieselben Sachen zu sagen und fragen, die Suwarna bereits durchgegangen war: Was war mit dem Studium, nur noch ein bisschen und dann wäre sie fertig und würde dann einen Abschluss haben, was war mit ihnen allen, sie würde sie verlassen und gehen, was war mit ihrem eigenen Leben, welche Sprache sprach man in Deutschland, wie wollte sie dort mit den Leuten reden, kannte sie dort jemanden, was würde sie dort studieren, wann käme sie sie besuchen, das nächste Jahr oder später, konnte sie sie früher und regelmäßig besuchen kommen, wenn sie dort Freunde hätte, würde sie sie vergessen, und so ging die Mittagspause und die ganze Zeit nach der Uni vorbei, Suwarna und ihre Freunde, wie würde sie ohne sie leben können?

Suwarna empfand, dass die nächsten vier Monate wie im Flug vergingen. Sie wusste, Zeit lief nie schneller oder langsamer, Zeit verlief immer mit derselben Geschwindigkeit, dennoch hatte sie das Gefühl, dass die Zeit schneller gelaufen war. Ihre Freunde erkundigten sich jeden Tag bei ihr, ob es etwas Neues gab. Ihre Mutter hatte zwischendurch einige Male angerufen, das eine Mal hat sie berichtet, dass sie alle notwendigen Unterlagen sammelte, sie hatte bereits ein Vorgespräch bei der Ausländerbehörde, um noch einmal den angeforderten Papierkram durchzugehen, damit sie alles und alles Richtige zusammenstellte, sie hatte ihren Arbeitgeber um entsprechende Arbeitsbestätigungen gebeten und diese erhalten, anschließend reichte sie alle Unterlagen bei der Ausländerbehörde ein. Sie berichtete, dass die Ausländerbehörde vier bis acht Wochen für die Bearbeitung brauchen würde.

Parallel dazu ging Suwarna in das indische Goethe-Institut, das Max-Mueller-Bhavan, um sich nach Deutschkursen zu erkundigen. Es gab einen zehnwöchigen Intensivkurs für die Grundstufe, Montag bis Freitag, jeden Vormittag für drei Stunden. Der Grundkurs war wiederum aufgeteilt in drei Stufen; sie konnte nicht ein einziges Wort Deutsch, so kam sie in die erste Stufe des Grundkurses, G-I. Damals waren die Deutschkurse in die Grundstufe, mit drei Stufen innerhalb der Grundstufe, die Mittelstufe, mit drei Stufen innerhalb der Mittelstufe, und die Oberstufe, mit zwei Kursen innerhalb der Oberstufe, aufgeteilt, bis das System in das einheitliche europäische System mit insgesamt drei Stufen, A (I und II), B (I und II) und C (I und II), geändert wurde.

Mitte Mai begann der Kurs. Mit ihrem neuen Moped fuhr Suwarna strahlend zum Deutschkurs. Es waren elf weitere junge Menschen im Kurs, ein paar Jahre älter oder jünger als ihre neunzehneinhalb Jahre.

„Guten Morgen, ich heiße Aparna, wie heißen Sie?“, fing die Lehrerin an.

Nachdem sie es dreimal wiederholt hatte, verstanden die Leute, inklusive Suwarna, dass sie das wiederholen sollten. Also wiederholten alle, so gut wie es ging, den Satz. Die Lehrerin deutete an, dass die erste Reihe anfangen sollte und jeder ihn zu dem Nachbarn oder der Nachbarin sagen sollte. In der englischen Sprache gibt es den Unterschied zwischen Sie und Du nicht, aber in Hindi, der Landessprache Indiens, schon. Die Lehrerin erklärte den Unterschied und alle übten dann,

„Ich heiße Suwarna, wie heißt du?“, natürlich mit dem eigenen Namen.

Dann war es schon Zeit für die Frühstückspause. Die ganze Gruppe ging gemeinsam in das nahegelegene südindische Restaurant. Suwarnas Tante hatte ihr ein Frühstück mitgegeben, aber sie wollte die Zeit mit der Gruppe und der Lehrerin nicht verpassen, also ging sie ebenfalls mit. Alle bestellten ihr Frühstück, Idli1, Wada2 und Co. Nach der Bestellung sah sich Suwarna um, sie saßen alle draußen, im Schatten der Bäume, eine leichte Brise streichelte sanft ihr Gesicht, als ob sie ihr Mut machen und sagen wollte, es würde dir nur noch besser gehen, elf neue Leute, die alle miteinander plauderten, die sympathische junge Lehrerin, eine neue Sprache, neue Aussichten fürs Leben, und Suwarna mittendrin, mein neues Leben beginnt!

Fleißig machte sie am Nachmittag ihre Hausaufgaben, las ihrer Cousine laut Sachen vor, die sie am Vormittag im Unterricht gelernt hatte. Ihre Kusine verstand nichts, dennoch hörte sie aufmerksam zu und fragte:

„Verstehst du überhaupt, was du da sagst, oder sagst du einfach irgendwas, da ich eh nichts verstehe?“

Suwarna lachte laut: „Ich verstehe das natürlich, du Dummkopf, ich habe das heute früh im Kurs gelernt.“

Ihre Cousine war nicht überzeugt: „Jaja, mach dich nur lustig über mich, wenn du jetzt nicht ordentlich lernst, wirst du in Deutschland nichts verstehen, die Leute werden sich dann über dich lustig machen, wenn du nur dumm dastehst. Kannst du dich überhaupt mit Leuten unterhalten?“

Ach, sie hatte keine Ahnung, so schnell ging es doch nicht, Suwarna sagte nur:

„Lass mich in Ruhe, es wird schon alles gehen.“

So zogen sie übereinander her, bis ihre Tante ihre Cousine in die Küche rief. Suwarna hatte ihre Cousine sehr gern. Später würde ihre Zuneigung aber nicht vermeiden können, dass sich die Frauengruppe, über die Lehrerin, mit ihr in Verbindung setzte, und sie schnell hat überreden können, im Netzwerk mitzumachen, in der speziell für die Lehrer gegründeten Gruppe – an sich wahrscheinlich keine schlechte Idee, aber die Hinterhältigkeit und die Motivation der Frauengruppe, alle von Suwarna zu entfernen, machte alles aus. Den Grund hinter ihrer vertretenen Meinung, Suwarna sei selbst schuld, würde man natürlich nicht erfahren können, ob es der Gedanke war, selbst im Beruf weiterkommen zu können, oder ob sie auch der Meinung war, dass es Zeit war, dass es Suwarna endlich mal erwischte.

Sie übte Deutsch sehr fleißig jeden Tag, mündlich und schriftlich, aber alles in der Gegenwartsform, denn das war das, was man am Anfang in einem Sprachkurs lernte. Sie dachte sich nichts dabei, es kam ihr nicht komisch vor, das war das, was sie gelernt hatte, und das war das, was sie übte.

Am Ende der zweiten Woche träumte sie sogar in der Nacht auf Deutsch; sie träumte, dass ihre Tante und sie eine Meinungsverschiedenheit ausdiskutierten, auf Deutsch. Sie verstand selbst nichts, in ihrem Traum natürlich, was sie da sagten, da es zu schnell ging und ihre Deutschkenntnisse nicht so gut waren, aber es war auf jeden Fall Deutsch, da war sie sich sicher.

An manchen Tagen ging sie nach dem Deutschkurs in die Uni, um ihre Freunde zu treffen. Sie sagten, ohne sie sei alles nicht das Gleiche. Ja, für sie genauso!

Zwischendurch rief sie Anant an und traf sich mit ihm. Manchmal gingen sie Tee trinken, manchmal fuhren sie nach außerhalb der Stadt, nur um dort einen Tee zu trinken und sich zu unterhalten. Er fand ihre Art immer erfrischend und hörte ihr gern zu. Er sagte oft zu ihr, sie solle bitte meditieren, da sie sich manchmal über verschiedene Dinge aufregte.

„Was soll bitte Meditieren bringen? Das löst doch keine Probleme. Das ist ähnlich wie den Kopf in den Sand zu stecken“, antwortete sie immer daraufhin.

Mit Anant blieb sie danach jahrelang in Kontakt, woran sie zu dem Zeitpunkt nicht gedacht oder es geplant hatte. Wenn sie in Bengaluru war, versuchte sie ihn und seine Familie zu treffen. Selbst Jahre später, wenn sie mit Max in Bengaluru war, gingen beide Anant und seine Familie besuchen. Jedoch telefonierten sie nicht mehr so regelmäßig miteinander. Aber so geschah es im Leben; manchmal blieben Leute im Herzen, ohne dass man ein Wort sagte, eigentlich, ohne dass man auch nur ein Wort sagen musste.

Vierundzwanzig Jahre später wurde Anant auch von der Frauengruppe kontaktiert. Suwarna war sich sicher, im Herzen würde er sie nie fallen lassen. Sie würde es nur schade finden, dass die Frauengruppe es erreicht hatte, eine Verzerrung in jede ihre Verbindung hineinzubringen.

Sie konnte nicht mehr so oft überall hingehen, da sie mit dem Moped unterwegs war, der Verkehr nicht ungefährlich war und sowohl ihre Mutter als auch ihre Tante und ihr Onkel ihr gesagt hatten, sie solle vorsichtig sein, nicht viel herumfahren, denn sobald die Einreisegenehmigung da wäre, müsste sie gehen, und ein Unfall würde alles verschieben, außerdem müsste dann ihre Mutter eine neue Genehmigung beantragen, und alle Unterlagen erneut zusammenstellen. Uff! Okay! Nicht mehr so viel herumfahren, einverstanden, dachte sie. Mit so einer Erklärung konnte sie leben, das klang für Suwarna sinnvoll, aber niemals mit der Erklärung, dass sie jenes oder jenes nicht machen sollte, weil sie ein Mädchen war, die Erklärung hätte sie nie akzeptiert, sie war fast allergisch auf solche Erklärungen.

Noch in ihrer Kindheit gab es immer wieder Diskussionen mit den Großeltern und einer Tante väterlicherseits darüber, dass Suwarna viel zu vielen Aktivitäten nachgehe und dass das alles für ein Mädchen nicht gut sei. Ihr Vater war etwas konservativer, außerdem wollte er innerhalb der Familie keine Konflikte und versuchte manchmal auf die Wünsche seiner Eltern und Schwester einzugehen, indem er versuchte, Suwarna einige außerakademische Aktivitäten zu verbieten. Zum Glück sah es ihre Mutter anders; sie sah, dass Suwarna Talent hatte und etwas machen wollte und hatte immer versucht, trotz vieler Diskussionen mit ihrem Vater, dass Suwarna an Aktivitäten teilnehmen konnte.

Am Ende der dritten Woche rief ihre Mutter an und sagte, sie wäre von der Ausländerbehörde verständigt worden, dass die Einreisegenehmigung bald fertig sein würde. Sie sagte, Suwarna sollte sich bereithalten, es könnte jeden Tag losgehen. Eine Woche später hieß es, es wäre so weit, Suwarna sollte den Flug buchen und nach Deutschland fliegen.

Suwarna verbrachte die letzten Tage wie in Trance, machte alles, aber ohne sich richtig daran erinnern zu können, sie tat es einfach, ein paar Sachen für sich einkaufen – Schuhe, eine neue Tasche, ein paar Sachen für ihre Mutter, die sie haben wollte, die Deutschkursbücher durfte sie nicht vergessen. Genau fünf von den insgesamt zehn Wochen Deutschintensivkurs hatte sie absolvieren können, als es Zeit war, sich zu verabschieden, von ihren Freunden – Pardhan, Harsh, Prabhakar, Shehnaz und Anant, von ihren Verwandten – Tante, Onkel, Cousine, von der ganzen Familie ihres Onkels, die sie mittlerweile ebenso gut kannte, von fast allen ihren Sachen, ihren Büchern, ihrer Kleidung, von der Stadt Bengaluru, von ihrem Leben dort, einfach von allem, und dann flog Suwarna nach Deutschland!

1 Flacher runder Reiskuchen aus der südindischen Küche.

2 Runde frittierte Teigware aus Kichererbsen- und Linsenmehl, salzig, mit einem Loch in der Mitte, wie ein Donut.

FREUNDE, DIE KEINE SIND

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