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Suwarna
2020
Suwarna war vierundvierzig Jahre alt, einen Meter vierundsechzig groß, hatte dunkelbraune Augen, schwarze, lange Haare, eine braune Hautfarbe – weder zu dunkel noch zu hell – und durchschnittliche Körpermaße. Sie sah aber eher aus wie fünfunddreißig, oder höchstens Ende dreißig. Na ja, das hatte Vor- und Nachteile, war ihr bewusst, da sie schon immer jünger aussah als ihr tatsächliches Alter. Manchmal dachte sie, vielleicht gebe es dadurch irgendwelche Nachteile in ihrer Arbeit, man würde oder könnte sie nicht ernst nehmen, aber diese Überlegung hatte sich im Laufe der Zeit zum Glück nicht bestätigt.
Ihr Vater hatte ihr seit ihrer Kindheit die wichtige Bedeutung von Disziplin in jedem Lebensbereich beigebracht. Nach einer Abweichung zwischendurch im Leben kehrte sie wieder zurück zum Ursprung, zu ihrem erlernten disziplinierten Leben. Ihre Mutter hatte sie nie davon abgehalten, das zu tun, wonach ihr war, ob Tischtennis oder Badminton spielen, joggen gehen, malen, einen Tanzkurs besuchen, zur Nachhilfe gehen – Suwarna war es freigestellt, sich zu überlegen, was ihr gefiel und es mit ihr zu besprechen, und anschließend durfte sie daran teilnehmen. Ihrer Mutter war es sehr wichtig, dass Suwarna ein abgeschlossenes Studium und einen Job haben und finanziell unabhängig sein sollte.
Gearbeitet hatte sie in der Privatwirtschaft bei internationalen Großkonzernen sowie als Dozentin an Fachhochschulen. Sie hatte zwischendurch einmal sogar die Gelegenheit bekommen, bei den Vereinten Nationen zu arbeiten. Bereits mehrere Jahre war sie freiberuflich für einen internationalen Großkonzern tätig, seit einigen wenigen Jahren von Jakarta aus. Sie arbeitete von zu Hause. Eigentlich konnte sie von überall arbeiten, ob Strand, Café, Bahnhof, Flughafen, Flieger, was sie manchmal auch tat.
Suwarna wusste alles, was sie tat, zu genießen, wenn sie im Urlaub war, genoss sie den Urlaub in vollsten Zügen, wenn sie bei der Arbeit war, genoss sie das Arbeitsleben, wenn sie mit Freunden war, genoss sie ihre Zeit mit ihnen voll und ganz, beim Faulenzen genoss sie das Faulenzen, denn das durfte auch nicht zu kurz kommen. So war sie, Suwarna.
Sie sprach immer ziemlich leise und erhob ihre Stimme kaum. Es kam in ihrem Leben natürlich zwei- oder dreimal vor, dass sie ihre Stimme erhob, aber da mussten sich die Leute sehr angestrengt haben, um diese Reaktion von ihr hervorzurufen. Sie war stets freundlich und höflich zu allen Menschen, unabhängig von ihrem sozialen oder wirtschaftlichen oder hierarchischen Status.
Sie war fleißig, sehr organisiert – es schien fast so, als ob sie mit dem Talent zu hervorragendem Zeitmanagement auf die Welt gekommen wäre, sehr strukturiert in ihrem Denken, manchmal diplomatisch und manchmal sehr direkt, hilfsbereit – jeder könnte auf seine Art und Weise helfen, ihre Hilfsbereitschaft bezog sich oft auf zuhören und Ratschläge geben, sie hörte allen und allem gern zu, gab gute Ratschläge, wenn sie gefragt wurde.
Sie war sehr wissbegierig, las Bücher aus verschiedenen Lebens- und Arbeitsbereichen, hatte jedoch kein bestimmtes Hobby, trieb nur manchmal Sport, reiste unheimlich gern in andere Länder – wer nicht –, traf sich gern mit Leuten, redete sehr gern am Telefon mit ihren Freunden von überall aus der Welt – das war früher mal –, sie war insgesamt ein fröhlicher Mensch.
Ihre Deutschkenntnisse waren ausgezeichnet, am Telefon hielten die meisten Suwarna für eine Muttersprachlerin und waren dann beim ersten Treffen überrascht sie zu sehen. Nach ihrem langjährigen Aufenthalt in Deutschland hatte sie einen teilweise etwas härteren Unterton entwickelt, der aber nicht immer und nicht allen negativ oder überhaupt auffiel.
Genau aufgrund dieser Charakterzüge und Fähigkeiten – hinzu kam noch die Erwartungshaltung der Leute ihr gegenüber – hatte sie manchmal ungewollt Schwierigkeiten mit Menschen, nicht mit allen, nicht mit dem Großteil, aber schon noch hier und dort.
Wenn man sie sah, hatte man automatisch und ohne groß darüber nachzudenken bestimmte Erwartungen – das Schubladendenken, dem man oft automatisch nachgeht – aber ihr Verhalten entsprach ganz und gar nicht diesem Bild, das man sah. Man sah eine kleine Inderin mit weichen Zügen, dunklen Augen, dunkler Haut und dunklen Haaren. Wenn sie aber anfing zu reden, hörte man fast eine Deutsche sprechen – ihr Deutsch hatte sich später an das österreichische Deutsch angepasst. Das Bild passte nicht, obendrauf dieser harte Unterton, diese Forderungen, die sie stellte, die Lösungsansätze, die sie teilweise sofort wusste und anbot, diese strukturierte Vorgehensweise, das passte alles nicht zu dem Bild. Manche Menschen hatten so ihre Schwierigkeiten damit. Manche konnten ihr Verhalten nicht zuordnen, waren verwirrt, in den seltenen Fällen sogar aggressiv ihr gegenüber, ohne genau deuten zu können, warum.
Suwarna wusste das, Max wusste das auch, aber sie konnten diese Erwartungshaltung der anderen ihr gegenüber nie ändern. Zum Glück kam das nicht oft vor. Leider hatten sie es nicht vorhergesehen, und nicht vorhersehen können, dass das Ausmaß sehr groß sein würde, als das kam, was dann kam. Diese Erwartungshaltung ihr gegenüber war mitunter ein großer Grund ihrer Schwierigkeiten mit der Frauengruppe aus dem Netzwerk.