Читать книгу Ein Trip quer durch das Chaos - Summer Alesilia - Страница 10
ОглавлениеKapitel 3
Was hatte Mike sich nur gedacht? Was zum Teufel war in ihn gefahren, einen Anhalter mitzunehmen? Das hatte er noch nie getan! Warum jetzt?
Und warum konnte es nicht wenigstens ein schweigsamer Kerl sein, der unablässig in sein Handy starrte oder schlief? Nein, er erwischte gerade diese tollpatschige Frau. Erst jetzt wurde ihm richtig bewusst, was er sich mit seiner spontanen Aktion aufgehalst hatte. Er hatte exakt die Person neben sich sitzen, die durch ihre ungeschickte Art vorhin in seinen Fokus geraten war.
Als wenn das nicht schlimm genug war und nicht vollkommen ausreichen würde, hatte sie unglaublich faszinierende Augen, die ihn aus einem wunderschönen Gesicht anblickten. Diese strahlenden Iriden sahen ihn direkt an und ließen ihn seinen Entschluss bereuen. Auf so etwas oder besser gesagt, auf so jemanden war er schlichtweg nicht vorbereitet.
Er betrachtete sie trotz allem neugierig. Ihre Pupillen waren nicht bloß braun. Wenn man genauer hinsah, konnte man blau, grau und grün darin ausmachen. Es war eine Mischung aus all diesen Farben. Zusammen ergab es eine funkelnde Mischung aus Nachthimmel, Saphir und Dschungel. Zumindest kamen ihm diese Wörter in den Sinn.
Ihre langen Haare hatten die gleiche Farbe wie seine kastanienbraun, sie waren zusätzlich von einigen goldenen Strähnen durchzogen. Ihre Mähne war leicht gewellt, sah weich und geschmeidig aus, nicht so strubbelig wie sein Haarschopf. Durch die herabgezogene Mütze war es chaotisch und wirr. Dann fielen ihm auf ihrer Stupsnase und ihren Wangenknochen die feinen Sommersprossen auf.
All diese kleinen Dinge hatte er vorhin in dem Schnellrestaurant von Weitem nicht erkannt.
Manchmal hasste er seinen Blick für Details. Diesen besaß er schon immer, sein Hobby hatte ihn noch verschärft und ließ sich im Alltag kaum abstellen.
Erst als er all seine abstrusen Gedanken geordnet hatte, wurde ihm bewusst, dass sie ihn wartend anblickte. Als Nächstes begriff er, dass er endlich sprechen sollte. Er blickte auf ihren Arm, den sie ihm noch immer entgegenstreckte. Er wandte sich ihr zu und nahm seine Finger vom Lenkrad, das er fest umklammert hatte.
Mike ergriff Lauras Hand, bewegte sie auf und ab und versuchte sich an einem Lächeln.
Reden! Worte benutzen! Er sollte antworten, mit ihr sprechen. Er räusperte sich vorsorglich, denn er traute seiner Stimme nicht, zumal sein Hals sich trocken und rau anfühlte. Die Anwesenheit seiner Beifahrerin nervte und verwirrte ihn gleichermaßen. Auf jeden Fall war er mit der Situation, in die er sich hineinmanövriert hatte, überfordert. Dass Laura attraktiv war, verbesserte seine Grundstimmung nicht wirklich.
»Hallo Laura, ich bin Mike. Schön, dass du bei mir bist!«
Was? Kacke! Was redete er da?
»Ähm, ich meine, ich freue mich, dich kennenzulernen.«
Ja, das war besser. Einerseits wahr und andererseits … nun, im Grunde wollte er niemanden kennenlernen und nur mit Ruhe bis in den Norden Deutschlands fahren.
»Freut mich auch Mike«, erwiderte sein Fahrgast amüsiert. Man sah deutlich, dass sie sich ein Lachen verkneifen musste. Sie dachte sich ihren Teil, fand es aber amüsant, dass er so einen Unsinn redete.
Lauras Stimme war nicht hell, sie ging eher in Richtung Altstimmlage oder als hätte sie als Baby Wodka statt Milch bekommen. Trotzdem war sie sehr melodisch.
Sie lächelte ihn an.
»Ich habe ehrlich gesagt mit einem alten Knacker gerechnet, nicht mit einem Mann in deinem Alter. Du fährst eine historische Karre, voll altmodisch.« Sie deutete auf den Innenraum und das gesamte Auto.
Das war typisch Frau, altes Fahrzeug ist gleich greiser Fahrer. Kein Verständnis für die schönen, betagten Dinge. Mike folgte ihrer Geste und blickte zu ihr.
»Das ist nicht nur ein Auto. Das ist ein Oldtimer! Er ist älter als ich«, erklärte er und konnte seinen genervten Ton nicht völlig abstellen.
Sie bemerkte es nicht, sah ihn lediglich abwartend an und lächelte.
»Ich mag alte Sachen, die haben wenigstens Charakter. Ganz besonders mein Hardy hier«, fügte Mike hinzu und sah, dass er sie neugierig gemacht hatte. Doch hatte er keine große Lust auf ein ausgedehntes Gespräch mit ihr.
Er war gedanklich längst in Kiel und wehrte sich gegen wiederkehrende Vorwürfe seiner Eltern. Ohne dass er es verhindern konnte, drückte das seine Laune in den Keller.
Lauras Stimme holte ihn zurück.
»Hardy? Sag jetzt nicht, dass du deinem Wagen einen Namen gegeben hast.«
»Doch natürlich. Er ist so einzigartig und speziell, dass er einen verdient hat.«
Laura lachte leise und erheitert.
Belächelte sie ihn oder machte sie sich über ihn lustig?
Mike konnte es nicht sagen.
»Also können wir los?«, fragte er und versuchte damit, das Thema zu wechseln. Sie nickte zur Bestätigung.
»Wohin musst du?«, fragte sie ihn interessiert.
»Ich fahre bis Kiel«, antwortete er und drückte auf das Gaspedal, um endlich von diesem Parkplatz zu kommen.
Laura schnallte sich eilig an, während Mike die Auffahrt befuhr. Nach kurzer Zeit begann es zu regnen und er schaltete die Scheibenwischer ein. Laura folgte der Bewegung der Wischer, die einem abgehakten Intervall folgten und völlig anders liefen als die eines modernen Autos. Sie ließ ihren Blick über den Innenraum des alten Opels gleiten. Alles war eckig und kantig. Das Radio mit manueller Senderwahl und Drehrädchen musste noch das Ursprüngliche sein.
Auch wenn sie mit altem Krempel nichts anfangen konnte, fand sie diesen in die Jahre gekommen Opel, originell und besonders. Obwohl sie ihn nicht kannte, fand sie, dass er gut zu ihm passte.
Sie blickte zu ihm hinüber und ihr Blick fiel auf seine lockigen und chaotischen Haare. Irgendwie sah es wie das Fell eines Lämmchens aus. Innerlich grinste sie über ihren Gedankengang. Sie erinnerte sich an das kürzlich geführte Gespräch.
»Du sagtest, das Auto ist älter als du? Was heißt das?« Sie sah ihn abwartend an.
»Neunundsiebzig gebaut«, war seine schlichte Antwort.
»Okay, dann bist du jünger als … einundvierzig«, stellte sie sachlich fest. »Siehst auch nicht so aus.«
»Hm«, gab er monoton von sich, ohne ein weiteres Wort hinzuzufügen.
Was war mit ihm los? Mike sah nett aus, war aber dem Anschein nach einer von der mürrischen Art und wirkte zusätzlich noch genervt.
Gut, er musste ihr keinen Roman erzählen, aber ein bisschen Small Talk konnte man doch halten. Sie beschloss, es erneut zu versuchen. Vielleicht wollte er nur nicht über sich reden.
»Hardy also? Wie kommt man auf diesen Namen?«
Er sah kurz zu ihr, bevor er den Blick wieder auf die Straße richtete.
»Interessiert dich das wirklich?«, fragte er brummend.
»Sonst hätte ich nicht gefragt. Außer du willst nicht mit mir reden.«
Mike blickte eine ganze Weile auf die Straße. Er schaltete den Wischer aus, da es aufgehört hatte zu regnen. Sie dachte schon, dass sie keine Antwort mehr bekäme.
»Hardy ist der Spitzname meines Nachbarn. Er hat mir bei der Restauration des Autos geholfen. Er ist nur wenige Monate, nachdem wir ihn fertig aufgebaut hatten, unerwartet verstorben. Das hat mich damals sehr getroffen. Mein Auto habe ich aus diesem Grund nach ihm benannt. Es ist ein Andenken an ihn und an die Arbeit, die wir zusammen gemacht haben«, begann er zu erklären.
Laura schwieg eine Weile. Es war eine faszinierende, wenn auch traurige Geschichte.
»Das tut mir leid. Woran ist er gestorben? Wenn er mit dir zusammengearbeitet hat, war er sicher körperlich fit.«
Mike schwieg eine Weile. Sollte er einer fremden Person solch ein persönliches Erlebnis erzählen. Genauso spontan, wie er sie mitgenommen hatte, beschloss er nun, ihr mehr zu erzählen. Was hatte er auch zu verlieren.
»Er war fit. Er war vierundsechzig und noch nicht lange in Pension. Hardy war Kfz-Meister und verfügte über umfangreiches Wissen. Wie ich später erfuhr, litt er an Magenkrebs, nahm seine Beschwerden aber nicht ernst genug, um zum Arzt zu gehen. Erst als es zu spät für eine sinnvolle Therapie war und die Symptome stärker wurden, ist er in ärztliche Behandlung.«
Ein flüchtiger Blick zu Laura verriet ihm, dass sie gespannt lauschte. Ihr Gesicht drückte Mitgefühl und Bedauern aus.
»Das hört sich schrecklich an«, murmelte sie.
»Als wir am Wagen gearbeitet haben, ließ er sich nichts anmerken. Vielleicht waren die Schmerzen nicht so stark, ich kann es nicht sagen. Bemerkt habe ich jedenfalls nichts. Es war auch keine Arbeit im wahren Sinn. Wir hatten Spaß. Er gab Anweisungen, was ich zu tun hatte, und er half mir, wenn es nötig war. Ich glaube, das Gefühl gebraucht zu werden und nicht vollkommen nutzlos zu sein, hat ihn alle Sorgen vergessen lassen. Oft saßen wir nach der Arbeit noch lange zusammen und haben geredet. Er erzählte Anekdoten von seinem Beruf und ich habe über mein Hobby gesprochen.«
»Dann hast du nicht nur einen Nachbarn, sondern vor allem einen Freund verloren. Das tut mir leid«, sprach Laura und wirkte betroffen.
Mike brummte. Beide schwiegen eine Weile.
»Du hast also diesen Opel zusammen mit deinem Nachbarn Hardy hergerichtet und ihn später so getauft?«
Mike nickte und sie erkannte ein verhaltenes Lächeln auf seinen Lippen.
»Eigentlich heißt er Harald. Aber er mochte diesen Namen nicht und wollte lieber Hardy genannt werden«, fügte er hinzu.
Laura wusste nicht, was sie darauf antworten sollte, also schwieg sie. Sie war froh, dass die gedrückte Stimme nicht länger vorherrschte.
Mike mochte die Stille aber nicht, wenn jemand bei ihm war. So bedrückte ihn das Schweigen und er überlegte fieberhaft, was er mit ihr reden konnte. Es kam ihm merkwürdig vor, dass eine Frau per Anhalter fuhr.
»Warum standst du am Parkplatz und hast eine Mitfahrgelegenheit gesucht? Das ist doch gefährlich. Ich könnte ein Verrückter sein.«
Mike lachte leise auf.
Laura fand seine Aussage witzig, was sie ihre Meinung über ihn revidieren ließ.
Als sie an die Situation von vorhin dachte, bekam sie direkt schlechte Laune.
»Ich weiß nicht, wo ich anfangen soll. Erst hat eine Warnlampe in meinem Auto aufgeleuchtet, also bin ich direkt bei der nächsten Raststätte abgefahren. Ich war unsicher und wusste nicht, was ich machen soll. Da ist mir eingefallen, was ein Freund mal zu mir gesagt hat. Ich solle zuerst in der Bedienungsanleitung nachsehen, wenn eine Warnleuchte angeht und nicht in Panik geraten.
Also habe ich meinen Ford abgestellt und wollte in der Anleitung nachlesen, was das Symbol bedeutet. Da stand dann, dass eine Motorstörung vorliegt und ich umgehend eine Fachwerkstatt aufsuchen soll. Ich wollte zurückfahren, da ich nur eine halbe Stunde von Zuhause entfernt war. Aber mein Wagen ließ sich nicht mehr starten.
Ich wollte mir über die Pannennotrufnummer helfen lassen. Sie meinten nur, dass sie mein Fahrzeug erst am späten Nachmittag abschleppen könnten, weil gerade so viel los wäre. Einen Anspruch auf einen Leihwagen hätte ich nicht, da ich nicht weit genug von meinem Wohnort entfernt wäre.«
Laura beendete ihren Redeschwall. Sie wirkte aufgebracht. Mike fragte sich nach wie vor, warum sie per Anhalter fuhr. Sie hatte viel erklärt, aber er verstand den Grund nicht. Schließlich hätte sie auf den Pannendienst warten können oder sich von jemandem abholen lassen können.
Was war so dringend? Sollte er sie fragen?
Eigentlich war es ihm egal. Er war nicht für ihre Probleme zuständig. Ihre Wege würden sich bei Hannover trennen. Als er darüber nachdachte, spürte er ihren Blick auf sich und sah kurz hinüber. Eilig sah sie zurück auf die Straße vor sich.
Laura war klar, dass per Anhalter fahren eine gefährliche Sache war. Aber was sollte sie sonst machen? Sie musste heute unbedingt nach Hannover. Sonst würde es nur Diskussionen geben. Und enttäuschen wollte sie auch keinen.
Es war eine halbe Stunde Fahrt vergangen, in der keiner von beiden gesprochen hatte. Beide lauschten der Musik im Radio oder den Nachrichten.
Mike hatte sich damit abgefunden, keine weitere Erklärung von ihr zu bekommen, und erneut fragen wollte er auch nicht.
Plötzlich ertönte aus dem Fußraum der Beifahrerseite Musik. Eilig kramte Laura ihr Handy aus der Tasche hervor und nahm das Gespräch eilig an.
»Hallo … ja ich bin schon unterwegs … normal sollte ich bis heute Abend da sein … natürlich … bis dann.«
Mike blickte kurz zur Laura hinüber und bemerkte ihren strengen Gesichtsausdruck.
Das war einer der unerfreulichen Anrufe. Irgendwie wollte er sie aufmuntern, warum wusste er selbst nicht, schob es aber erneut seinem Bauchgefühl in die Schuhe.
»Möchtest du einen Energydrink?«
Sie antwortete nicht.
»Laura?«, fragte er vorsichtig nach. Sie reagierte weiterhin nicht. Mike sah zu ihr hinüber und entdeckte ihre angespannte Mimik. Er nahm seine Hand vom Schaltknauf und berührte vorsichtig ihre Schulter. Sie zuckte erschrocken zusammen.
»Entschuldige, ich wollte dich nicht erschrecken, aber du hast nicht reagiert.«
»Schon gut. Was hast du gesagt?«, fragte Laura.
»Ich wollte wissen, ob du einen Energydrink willst.«
»Echt? Habe ich nicht gehört«, gab sie kleinlaut zur Antwort.
»Und möchtest du?«, wiederholte er die Frage.
»Ja gerne! Aber ich könnte durchaus etwas Stärkeres vertragen.«
Ihr glockenhelles Lachen forderte seine Aufmerksamkeit. Ihre Augen trafen sich und sie lächelten sich an.
Merkwürdigerweise empfand er es nicht mehr als unangenehm, dass er einen Anhalter, besser gesagt, dass er sie mitgenommen hatte.
»Leider habe ich gerade heute meinen Whiskey nicht dabei«, sagte er und lachte lauter, als er beabsichtigt hatte.
»Sollen wir uns die Dose teilen?«, fragte Laura, nachdem sie das Getränk gemäß Mikes Anweisung aus seiner Tasche geholt hatte.
»Ich habe keinen Becher oder Ähnliches.«
Sie blickte kurz auf die Dose in ihrer Hand und dann zu Mike hinüber.
Becher? Für was?
»Wegen mir brauchen wir keinen, ich sabbere bestimmt nicht in die Dose. Oder trink du als Erster?« Sie schmunzelte vor sich hin und war gespannt, was er erwidern würde.
»Ähm, entscheide du«, stotterte er. Warum hatte sie das geahnt? Okay, jetzt hatte sie den schwarzen Peter in der Hand! Kurzentschlossen öffnete sie die Dose und reichte sie ihm.
»Danke«, erwiderte Mike, griff nach der Dose und führte sie an seine Lippen.
»Bist du sicher, dass du nicht als Erstes trinken willst?«, erkundigte er sich abermals bei ihr. Als sie den Kopf schüttelte, zuckte er mit den Schultern und trank einige kleine Schlucke. Danach gab er die Dose an seine Beifahrerin zurück.
»Du kannst ruhig austrinken.«
Laura strich mit dem Daumen über das aufgedruckte Logo. Sie betrachtete die Dose eingehend, bevor sie trank.
Nun würde sie gleich die Stelle mit ihren Lippen berühren, an der vor einigen Sekunden sein Mund war. Sie kannte ihn erst seit gut einer Stunde und die Hälfte der Zeit hatten sie sich angeschwiegen. Aber irgendetwas sagte ihr, dass sie Mike vertrauen konnte.
Er wirkte nicht wie ein Bad Boy, dessen Körper mit sämtlichen ansteckenden Krankheiten in Kontakt gekommen war. Zudem würde sie mit ihm quer durch Deutschland fahren. Also vertraute sie auf ihr Bauchgefühl. Unter normalen Umständen würde sie das zwar nicht machen, aber heute war ohnehin nichts normal, wirklich rein gar nichts.
Entschlossen führte sie die Dose an ihren Mund und trank ebenfalls mehrere Schlucke.