Читать книгу Ein Trip quer durch das Chaos - Summer Alesilia - Страница 11
ОглавлениеKapitel 4
Sie kamen am Autobahnkreuz A7/A6 vorbei und das sagte Mike, dass er das erste Drittel der Strecke geschafft hatte.
»Wenn du Hunger oder Durst hast oder auf die Toilette musst, sagst du mir Bescheid«, durchbrach er die neuerlich aufgekommene Stille.
»Ja klar, werde ich. Aber bisher ist alles bestens«, antwortete Laura gut gelaunt.
Sie lächelten sich gegenseitig einen kurzen Moment an.
Es war inzwischen früher Nachmittag und Hannover noch rund vierhundertvierzig Kilometer entfernt. Er hasste lange Autofahrten, aber mit dem Zug oder dem Flugzeug zu reisen war für ihn keine wirkliche Alternative. Er wollte bei seinen Eltern mobil und unabhängig sein. Theoretisch kommen und gehen können, wie er wollte. Er tat dies nicht, jedoch zu wissen, er konnte, wenn er wollte, reichte ihm.
Laura zog sich ihre Jacke aus und warf sie nach hinten auf ihre Reisetasche. Er sah zu ihr hinüber und erkannte, dass sie noch den Pullover mit dem Kaffeefleck trug.
Sollte er sie darauf ansprechen?
Oh ja, er fand mittlerweile Gefallen daran, mit ihr zu plaudern, anders als zu Beginn, denn da hatte er am liebsten die Zeit zurückgedreht.
»Bist du immer so ungeschickt?«
»Hm, was? Wie kommst du darauf?« Ihr Blick war geprägt von absoluter Verwirrung und totaler Ahnungslosigkeit. Er deutete auf den braunen Fleck und sie sah an sich hinunter. Ihre Wangen wurden augenblicklich rosa und eilig legte sie ihre Hände über den Makel. Als wenn das noch etwas bringen würde. Ganz offensichtlich war es ihr peinlich.
»Woher weißt du davon … oh Moment, du warst in dem Restaurant, stimmt's? Ich glaube, mich zu erinnern, dich dort gesehen zu haben.«
Mikes Grinsen wurde aus zweierlei Gründen breiter. Zum einen entsann Laura sich an ihn, was wohl für ihn sprach. Und zum anderen erinnerte er sich an die lustige Situation, sah sie regelrecht vor seinem geistigen Auge.
»Ja, ich war dort.«
»Oh«, gab sie beschämt von sich und blickte unsicher auf ihren Makel. »Wenn ich nervös bin, passieren mir oft solche Missgeschicke. Sag jetzt bitte nicht, dass du genau gesehen hast?«
Ihre Mimik verriet deutlich, dass es ihr enorm unangenehm sein musste.
Mike überlegte, ob er schwindeln und ihr somit die Peinlichkeit ersparen oder ihr die Wahrheit sagen sollte. Er entschloss sich, ehrlich zu sein, auch wenn es schönere Themen gab.
»Leider muss ich dir gestehen, dass ich alles gesehen habe und beinahe herzhaft gelacht hätte.«
Er schmunzelte sie an.
»Mir war leider überhaupt nicht zum Lachen zumute. Ich hatte vorher mit dem Abschleppunternehmen telefoniert und schlechte Nachrichten erhalten. Es ist wichtig, dass ich heute noch in Hannover ankomme.«
Sie machte ein verkniffenes Gesicht, was sein Mitgefühl weckte. Abermals fragte er sich, was es Dringendes gab.
»Entschuldigung, ich wollte mich nicht über dich lustig machen. Weißt du, normalerweise bin ich es, der so ein Chaos magisch anzieht. Es hatte für mich etwas Beruhigendes, als ich gesehen habe, dass es anderen auch so geht«, gestand er ihr.
Mike machte ein schuldbewusstes Gesicht und hoffte, ihr mit seinem Geständnis ein wenig Trost zu spenden.
Warum Laura bei seinem Gesichtsausdruck an einen Welpen denken musste, der gerade ausgeschimpft worden war, wusste sie nicht. Mike sah exakt so aus, als hätte man ihn bei etwas Verbotenem auf frischer Tat ertappt. Sie hatte das Gefühl, sich erklären zu müssen.
»Schon okay, es sah sicher lustig aus.«
»Wollen wir einfach das Thema wechseln?«, schlug Mike salopp vor.
»Was schlägst du vor?«, stellte sie die Gegenfrage.
»Was dir als Erstes einfällt!«, sagte er und sah sie herausfordernd an.
Im Radio kam gerade eine Berichterstattung über die gestrigen Bundesligaspiele, die sie interessiert verfolgt hatte.
Ohne darüber nachzudenken, sagte sie: »Fußball.«
»Fußball?«, echote Mike. »Das ist nicht dein Ernst«, sagte er entgeistert.
»Hast du in einem Verein gespielt? Interessierst du dich für diesen Sport?«, zählte sie zwei von unzähligen Fragen auf, ohne auf seine Verblüffung einzugehen.
»Ich habe, wie die meisten Jungs angefangen, Fußball zu spielen, ein paar Jahre durchgehalten und irgendwann aufgehört, weil ich weder besonders talentiert war, noch große Lust daran hatte. Um ehrlich zu sein, interessiere ich mich nicht sonderlich dafür. Verrate mir lieber, wie du gerade auf dieses Thema kommst?«
»Ich habe großes Interesse daran. Und möglicherweise habe ich selbst Fußball gespielt.«
Sie machte eine kurze Pause und wartete auf Mikes Reaktion. Er blickte immer wieder kurz zu ihr herüber, während er mit Richtgeschwindigkeit auf der rechten Spur der Autobahn fuhr. Er wirkte baff, aber nicht völlig schockiert.
»Leider durfte ich nicht weitermachen und dass, obwohl mir der Trainer ein besonderes Talent bescheinigt hatte. Ich musste aufhören. Mein Vater wollte, dass ich etwas anderes tue, etwas, das besser zu einem Mädchen passt.«
Leichtes Bedauern schwang in ihrer Stimme mit.
Der Blick von Mike zeigte weitere Regungen. Weder hatte er damit gerechnet, dass eine Frau wie Laura Interesse an Fußball hatte, noch dass ihr Vater trotzt Talent, das selbige verbot.
»Laura und Fußball! Wie passt das zusammen?«, erkundigte sich Mike.
Sollte sie über seine Bemerkung verärgert sein oder sich geschmeichelt fühlen?
Sie fragte sich ernsthaft, wie er es gemeint haben könnte. Immerhin lief es inzwischen besser mit ihnen, seine genervte und mürrische Art, die er zu Beginn hatte, war einer netten und aufmerksamen gewichen. Sie beschloss, ihn zu fragen.
»Soll ich das als Kompliment auffassen oder wolltest du mich beleidigen?«
Sie sah neugierig auf sein Profil und erkannte, dass er mit dieser Frage nicht gerechnet hatte. Nervös massierte er mit beiden Händen das Lenkrad.
»Ähm, als Beleidigung auf keinen Fall. Gütiger Gott, wie käme ich dazu? Ich wollte damit lediglich sagen, dass du nicht so wirkst, als hättest du Fußball gespielt. Das ist doch vielmehr so ein Männerdingens, oder?«
Er grinste schief.
Bei seinem Lächeln konnte sie nicht böse sein. Aber das war sie ohnehin nicht. Stattdessen entschied sie sich, mit ihm einen Spaß zu machen.
»Du bist schon ein Mann, oder?«, erkundigte sie sich, ohne richtig auf seine Frage eingegangen zu sein.
Mike sah kurz verwirrt zu ihr hinüber.
»Ja doch, ich glaube schon, zumindest steht das in meinem Pass. Und ich habe ein eindeutiges Merkmal, das mich von dir unterscheidet.« Er lachte herzhaft. »Wieso fragst du das jetzt?«
»Na ja, wenn du ein Mann bist, warum hast du mit diesem Sport nichts am Hut? Da widersprichst du deiner eigenen Theorie, dass Fußball ein Männerding sei.«
Sie sah ihn abwartend an und war sehr gespannt, was er erwidern würde.
»So ein Mist, jetzt hast du mich erwischt! Okay, ich merke selbst, dass ich Unsinn geredet habe. Aber eines ist trotzdem klar, und zwar, dass du viel zu hübsch bist, um Fußball zu spielen.«
Shit! Hatte er das jetzt laut gesagt?
Warum war seine Mund-Hirn-Verbindung so lahm. Seine Sprache war meist schneller als sein Denken. Und so konnte er es oft nicht verhindern, Dinge zu sagen, die man besser nicht sagte. Zumindest wäre es zuweilen sinnvoll, seine Worte zu überdenken, bevor sie unkontrolliert heraussprudelten.
Er versuchte sie anzusehen, ohne seinen Kopf zu ihr zu drehen, und schaffte es, aus dem Augenwinkel zu erkennen, dass sie schon wieder rosa Wangen hatte. Das musste ihr doch nicht peinlich sein.
»Danke«, flüsterte Laura.
Dann herrschte Stille und keiner wusste, was er sagen sollte.
Plötzlich wurde ihm bewusst, dass das Autoradio keinen Empfang hatte und es fürchterlich rauschte. Er wollte gerade an das Rädchen fassen, als auch sie ihre Finger darauf zu bewegte und sie sich für den Bruchteil einer Sekunde berührten. Dann sahen beide kurz auf.
»Entschuldigung, das ist schließlich deiner«, stammelte sie.
»Nein, nein, schon gut, du kannst es gerne bedienen. Such du uns einen neuen Kanal«, forderte Mike sie mit einem Lächeln auf.
Sie strich sich ihre Haarsträhne, die nach vorne gefallen war, aus dem Gesicht und beugte sich zu dem Gerät vor. Vorsichtig drehte sie an dem Rädchen, bis sie einen rauschfreien Sender gefunden hatte.
Gerade wurde ein altes Lied gespielt und sie erkannte sofort, dass es Ain't no mountain high enough von Marvin Gaye & Temmi Terrell war.
Sie kannte es gut, konnte mitsingen und tat es auch leise, als sie sich auf ihren Sitz zurücklehnte.
Mike blieb ihr Singen nicht verborgen. Er drehte an dem anderen Rädchen die Musik lauter und stieg bei dem Refrain mit ein.
'Cause baby there
Ain't no mountain high enough
Ain't no valley low enough
Ain't no river wide enough
To keep me from getting to you babe
Gab es das? Er konnte den Text ebenfalls. Gut, es war ein altes Lied, das außerdem mehrfach Filmmusik gewesen war, aber sie war dennoch baff.
Und wieder hatte Mike, ohne dass es ihr oder ihm bewusst gewesen wäre, einen Pluspunkt auf seinem Konto.
Als das Lied endete, war die Stimmung gelöst und so fuhren sie stetig nach Norden, immer ihrem Ziel entgegen.