Читать книгу Ein Trip quer durch das Chaos - Summer Alesilia - Страница 9

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Kapitel 2

Nachdem Mike sich beim Bäcker um die Ecke mit einem Energydrink und einem großen Kaffee eingedeckt hatte, stieg er in seinen Wagen. Beinahe schüttete er sich den heißen Inhalt beim Hinsetzen auf seine Hose. Ein kleiner Tropfen landete dennoch auf seiner Jeans und färbte den Jeansstoff noch dunkler. Ohne weitere Umwege oder Zwischenfälle steuerte er die Autobahn Richtung Norden an.

Selbst Samstagmorgen war hier einiges los. Kaum war er mit seinem alten Opel Kadett, der mehr Jahre auf dem Buckel hatte wie Mike, auf die Fernstraße gefahren, verließ ihn die Lust am Weiterfahren. Am liebsten würde er umdrehen und diese autofahrenden Idioten zum Teufel schicken.

Wann konnte man zuletzt gemütlich auf der Autobahn fahren? Vermutlich war das, noch bevor sein gelber Hardy das Fließband im Opelwerk verlassen hatte. Diese Zeit hatte er knapp verpasst.

In den Achtzigern und selbst in den Neunzigern war es noch besser. Er hasste dieses Gedränge auf den Straßen wie die Pest. Das Betätigen der Lichthupe aus einem halben Kilometer Entfernung nervte ihn am meisten. Wo sollte er hin, wenn er gerade dabei war, einen Lkw zu überholen? Sich ins All beamen, in Luft auflösen oder zwischen die Achsen des Aufliegers quetschen?

Nein danke, dafür hing er zu sehr an seinem Leben.

Und jeder, der einen Oldtimer fuhr, wusste, dass man mit seinem Baby sorgsam umgehen musste. Seiner war einer der Letzten, der damals im Jahre 1979 gebaut wurde. Vor einigen Jahren hatte er ihn günstig von einer alten Dame erworben. Ein Nachbar, der frisch seine Rente angetreten hatte und dem deshalb eine Beschäftigung fehlte, bot seine Hilfe bei der Instandsetzung und Restaurierung des alten Fahrzeugs an. Er hatte eine Laufbahn als Kfz-Meister hinter sich. Sein ganzes Leben hatte er mit Autos zu tun gehabt und das fehlte ihm, seit er im Ruhestand war. Mit seinem Fachwissen und jeder Menge von Mikes Schweiß und Muskelkraft wurde mit wenig finanziellem Aufwand aus einem schlichten alten Wagen sein Hardy. Damals hatte er diesen Namen noch nicht.

Er dachte an die Zeit seines begonnenen, aber nie abgeschlossenen Kunststudiums zurück. Während er die Schulbank drückte, hatte er etliche Nebenjobs. Aus diesem Fahrwasser kam er seither nicht mehr heraus. Seinen Geschwistern, alle mehr als erfolgreich und gut verdienend in den unterschiedlichsten Bereichen, konnte er nicht das Wasser reichen. Zumindest war das die Sichtweise seiner Eltern. Er fühlte sich seit seiner Jugend als schwarzes Schaf der Familie. Stets andersdenkend und -handelnd. Immerzu am Träumen und Zeichnen. Im Malen hatte er seine Muse gefunden. Es war seine Zuflucht und sein Seelenheil.

Knapp eine Stunde gemütlichen Fahrens war vergangen. Ständig musste er per Drehrädchen an seinem Autoradio nach einem neuen Sender suchen. Old School von Feinsten!

Gerade erst hatte er Ulm hinter sich gelassen, als es leicht zu schneien begann.

Der Innenraum des Opels war mittlerweile mollig warm, sodass er sich vor einigen Minuten seiner Jacke entledigt hatte. Auch der Kaffee war Geschichte. Ein Blick auf die Uhr verriet ihm, dass es zehn Uhr war. Bei der nächsten Raststation würde er anhalten und eine Kleinigkeit essen sowie Benzin tanken. Da die Anzeige zu Beginn der Fahrt noch halb voll signalisierte, hatte er beschlossen, dies unterwegs zu erledigen.

Keine halbe Stunde später zeigte ihm ein Schild an, dass er bald sein Frühstück zu sich nehmen konnte. Mit leise knurrendem Magen fuhr er von der Schnellstraße ab.

Als er den Parkplatz ansteuerte, erntete er einige Blicke von Männern in diversen Altersstufen, die seinen Oldtimer interessiert betrachteten. Der Opel war des Öfteren ein Blickmagnet. Zurecht, wie er fand. Ein baugleiches Auto hatte bisher noch nicht seinen Weg gekreuzt. Ein kleinwenig stolz war er auf seine vollbrachte Leistung.

Nach seinem zweiten Cappuccino, einem belegten Brötchen und einem Tankstopp kehrte er auf die Autobahn zurück und setzte seinen Weg fort.

Der Vorstellung, mit seiner Familie die besinnlichen Feiertage zu verbringen, konnte er nach wie vor nichts Angenehmes abgewinnen. Jedoch besser, als alleine in seiner kleinen Wohnung Weihnachten zu feiern. Seine Eltern nötigten ihn schon eine Weile und ließen nicht locker, so hatte er letztendlich nachgegeben und zugestimmt.

Immerhin würde er mit seiner Nichte sowie seinem Neffentrio spielen und Spaß haben können, was das Beisammensein ein wenig vergnüglicher machen würde. Diese akzeptierten ihn immerhin so, wie er wirklich war. Ein chaotischer Junggeselle mit Träumen, die er zu verwirklichen versuchte und Gelegenheitsjobs, mit denen er seinen Lebensunterhalt finanzierte.

Bis Mitte Dezember hatte er bei einer freien Werkstatt ausgeholfen. Diese rief ihn an, wenn Not am Mann war und zur Räderwechselzeit im Frühjahr und im Herbst wurde er dort immer gebraucht. Ansonsten hatte er bereits Pakete ausgetragen, in diversen Lokalen gekellnert und selbst Gebäudereinigung konnte er auf seinem Lebenslauf vermerken.

Nicht gerade der Traummann aller Frauen, da machte er sich keine Illusionen.

Zumindest mit seinem Aussehen konnte er punkten. Von seinen Eltern hatte er nur die guten Gene des Aussehens geerbt, denn sein Charakter passte überhaupt nicht zum spießigen Rest. So wurde ihm mehrmals ein umwerfendes Lächeln bestätigt. Mit 1,85 m Körpergröße, kastanienbraunen, lockigen Haar und karamellbraunen Augen war er zwar kein Modell, aber es reichte, um gelegentlich in der Frauenwelt aufzufallen.

Da er meistens zu faul war, für sich Essen zuzubereiten, und auch keine Freundin hatte, die ihn regelmäßig bekochte, war er schlank. Ihm reichte es, sich eine Tiefkühlpizza im Ofen aufzubacken oder ein Fertiggericht in der Mikrowelle aufzuwärmen. Für mehr hatte er keinen Nerv. Viel lieber schwang er den Bleistift oder den Pinsel.

Mit jedem weiteren Kilometer, den er zurückließ, nahm der Schneefall zu. Bei Aalen befand er sich in einem ordentlichen Schneegestöber.

Den Agnesburgtunnel kannte er, dennoch staunte er nicht schlecht, als er ihn verließ und sich scheinbar in einer anderen Klimazone wiederfand. Ab hier schneite es nicht mehr und es war deutlich heller als anfangs. Die dichte Wolkendecke von zuvor wies bereits Lücken auf, durch die Sonnenstrahlen drangen.

Er war nicht böse, dass der Schneefall aufgehört hatte, denn so ließ es sich besser und entspannter Auto fahren.

Kilometer um Kilometer ließ Mike hinter sich. Die Sonne stand bald so ungünstig, dass sogar mit Sonnenbrille seine Sicht zu sehr beeinträchtigt war, um vernünftig weiterfahren zu können.

Auch wenn er nicht wollte, fuhr er die nächste Raststätte an. Es war Mittagszeit und entsprechend viel los. Er hatte nicht mal ein Drittel der Strecke geschafft, aber da er schon hier war, würde er gleich eine Kleinigkeit essen.

Ob er mit Absicht trödelte? Möglicherweise!

Er ließ seine Jacke im Wagen, stieg aus und lief zügig auf das kleine Restaurant neben der Tankstelle zu. Von außen sah es nicht sehr einladend aus, von innen hingegen war es gemütlich eingerichtet.

Er trat an die Theke und kaufte sich zwei große Stücke einer appetitlich aussehenden Pizza. Kurz fühlte er sich in seinen letzten Italienurlaub zurückversetzt, in dem er beinahe täglich davon gegessen hatte. Er liebte italienisches Essen und ebenso gehörten Espresso oder Cappuccino zu seinen Grundnahrungsmitteln.

Als ihm die Servicekraft seine beiden Stücke aufgebacken und überreicht hatte, suchte er sich einen Platz zum Essen. Während er auf dem Smartphone ein paar eingegangene Textnachrichten lass und darauf antwortete, aß er ohne Eile.

Als er fertig war, sondierte er die Lage in dem Lokal. Die unterschiedlichsten Gäste tummelten sich hier. Eltern mit ihren Kindern, Geschäftsleute, Pärchen und einzelne Reisende, so wie er einer war.

Sein Blick fiel auf eine Frau mit langen, dunklen Haaren, die in einiger Entfernung saß und einen Kaffee trank. Sie war sehr hübsch, wie er fand, hatte ebenmäßige Gesichtszüge und eine weibliche Figur, wirkte jedoch unruhig. Kurz trafen sich ihre Blicke, aber sie wirkte abgelenkt, schien ihn, wenn überhaupt, nur flüchtig zu bemerken.

Dann klingelte ihr Handy und sie begann aufgeregt mit jemandem zu telefonieren. Ihr Gesicht nahm einen enttäuschten, nahezu verzweifelten Ausdruck an und kurz darauf beendete sie das Telefonat.

Mike fragte sich unwillkürlich, was es war, dass sie so dreinblicken ließ. Mit entschlossener Mine stand sie auf und kippte sich den letzten Schluck ihres Kaffees in den Mund. Offenbar verschätzte sie sich mit der restlichen Menge. Während eine Hälfte in ihrem Mund landete, schwappte die andere über ihr Dekolleté und färbte ihren hellen Pullover mit braunen Flecken.

Mike wusste nicht, ob er ihr zu Hilfe eilen oder heimlich lachen sollte.

Sie sprang eilig auf, lief zur Toilette und nahm ihm somit die Entscheidung ab. Sie tat ihm leid, denn das war dem Anschein nach nicht ihr Tag.

Er wartete darauf, dass sie herauskam, warum wusste er nicht genau, schob es der Einfachheit halber auf menschliche Neugierde. Als sie auch Minuten später nicht kam, musste er einsehen, dass er sie entweder verpasst hatte oder es einen anderen Ausgang gab.

Nach etwa einer Viertelstunde war er mit essen fertig und machte sich auf den Weg zurück zu seinem Auto.

In Gedanken setzte er mit dem Wagen zurück und fuhr langsam vom Parkplatz. Als er an den letzten Parkbuchten vorbeifuhr, viel ihm eine Gestalt auf, die etwas Quadratisches in der Hand hielt. Als er langsam näherkam, wurde ihm klar, dass dort ein Anhalter stand.

Er hatte noch nie jemanden mitgenommen, aber als er auf dem Schild Hannover lesen konnte, folgte er einer inneren Eingebung und wurde langsamer.

Morgen war der vierte Advent und ihm tat die Person leid. Es handelte sich der Erscheinung nach um einen jungen Kerl, der wie er über die Feiertage zu jemandem wollte. Zudem würde er an Hannover vorbeifahren, also beschloss er, eine gute Tat zu vollbringen.

Er fuhr an die Seite. Die Person wartete noch einen Moment, ob er wirklich stoppen würde, und kam dann zügig auf sein Fahrzeug zu. Die Tür wurde geöffnet und ein mit Mütze und Schal vermummtes Gesicht beugte sich herunter.

»Nach Hannover?«, fragte Mike sofort.

Der Anhalter nickte eifrig.

»Stell deine Tasche auf die Rücksitzbank! Der Hebel befindet sich an der Seite des Sitzes, den musst du hochdrücken und dann die Lehne nach vorne ziehen«, gab Mike Anweisung.

Die Reisetasche wurde hinter dem Beifahrersitz platziert und wenige Sekunden später saß ein fremder Mensch neben ihm. Als er hinüberblickte, um sich sein Gegenüber genauer anzusehen, blieb ihm kurz die Luft weg.

Diese Augen waren definitiv nicht die eines jungen Kerls, wie er angenommen hatte. Er war mehr als überrascht. Sein Gegenüber lockerte den Schal und geschwungene Lippen kamen zum Vorschein.

Der neue Beifahrer streckte ihm die Hand zur Begrüßung entgegen und schob zeitgleich mit der anderen die Mütze vom Kopf. Ein Berg von langen braunen Haaren kam zum Vorschein.

»Hallo! Ich heiße Laura. Toll, dass du mich mitnimmst.«

Ihm strahlte ein dankbares Lächeln entgegen, bei dem er kurz vergaß, zu reagieren.

Die zu einem Schmunzeln verzogenen Lippen gehörten zu der ungeschickten Frau aus der Raststätte.

Ein Trip quer durch das Chaos

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