Читать книгу Drunter und Drüber - Susan Andersen - Страница 10

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Sie trug einen verblichenen schwarzen Badeanzug mit rotem Besatz. Abgesehen von den hoch ausgeschnittenen Beinen und dem tief gezogenen Rücken bot er nichts besonderes. Das Material hatte eindeutig schon bessere Tage gesehen, doch als er auf ihre wohlgeformte Kehrseite blickte, waren es nicht die Laufmaschen in dem verschlissenen Stoff, die dazu führten, dass es ihn plötzlich in den Fingern juckte, als hätte er in eine Brennnessel gefasst. Verdammt, er konnte einfach nicht verstehen, was ihn an ihr derart faszinierte. Er rieb sich die Hände an den Oberschenkeln seiner Jeans ab und räusperte sich.

Sie zuckte zusammen und fuhr zu ihm herum. »Sie haben mich erschreckt!«

Seewasser rann in kleinen Bächen aus ihrem nassen Zopf, unter dem nassen Stoff, der sich über ihren vollen Brüsten spannte, zeichneten sich ihre Nippel – hart von der kühlen abendlichen Brise – wie zwei kleine Steine ab, und J.D. wünschte sich von Herzen, er hätte sich davongestohlen, solange es ihm noch möglich gewesen war.

Was ihn echt wütend machte. Dann war sie halt gut gebaut. Es war normal für ihn als Mann, so etwas zu bemerken. Seine Reaktion zeigte ihm lediglich, dass er, ehe er die Stadt verlassen hatte, besser noch mit einer Frau ins Bett gegangen wäre – denn garantiert würde er die Chance, die sich ihm durch das Erbe bot, nicht ein paar überschüssiger Hormone wegen vertun. Und ebenso garantiert ließe er keine Frau an sich heran, ohne zu wissen, was sie und ihre Sippe gegen ihn ausheckten.

Als ob sie auch nur das geringste Interesse daran hätte, dir nahe zu kommen. Um ein Haar hätte J.D. verächtlich geschnaubt. So wenig Beachtung hatte ihm bisher noch keine Frau geschenkt. Sie widmete sich pro Minute mindestens fünfundfünfzig Sekunden ihrem immer noch in Richtung des Stegs schwimmenden Sohn.

Dann traf ihn ein Gedanke wie ein Vorschlaghammer direkt zwischen die Augen. »Und wo ist Mr. Lawrence?«, platzte er heraus. Seltsam, dass er erst jetzt auf die Idee kam, dass sie verheiratet war. Schließlich hatte sie ein Kind, so dass beinahe sicher davon auszugehen war.

»Onkel Ben ?«

»Ihr Ehemann, Süße.«

»Ach der.« Dafür, dass sie, wie er dachte, ein Heimchen am Herd war, klang ihr Lachen überraschend zynisch. Sie sah ihm reglos in die Augen und erklärte: »Den gibt es nicht – Süßer.«

Gut.

Scheiße. Wurde er allmählich vollkommen verrückt? Es ging einfach nicht an, dass er wegen dieser Antwort eine tiefe Befriedigung empfand. Er vergrub die Hände in den Taschen seiner Jeans. »Vom Winde verweht, was?«

»Und zwar schon vor so langer Zeit, dass selbst die Erinnerung an ihn zu Staub zerfallen ist.« Sie legte den Kopf auf die Seite und klopfte sich Wasser aus dem Ohr. »So, jetzt kann ich wieder etwas hören.« Dann zuckte sie mit den Schultern. »Was angesichts des Charmes Ihrer bisherigen Gespräche nicht unbedingt von Vorteil ist. Sind Sie aus einem bestimmten Grund hier oder schleichen Sie uns nur hinterher?«

»Ich schleiche niemandem hinterher, Schätzchen. Ich mache mir ein Bild von der Umgebung. Ich nehme an, das hier ist der Steg, von dem aus die Gäste zu dem Floß schwimmen?«

»Nein, das tun sie von dem Steg aus, an dem auch die Boote liegen. Da oben wohnen Tante Sophie und Onkel Ben.« Sie zeigte auf ein kleines Blockhaus, das auf einem Hügel stand, und ihm bisher noch nicht aufgefallen war. »Das hier ist unser Privatsteg.« Sie zog eine Braue in die Höhe. »Offenbar haben Sie das Schild bei Ihren Erkundigungen übersehen.«

Ja, er hatte sich zu sehr auf ihren hübschen Hintern konzentriert. Nun jedoch zwang er seine Gedanken zurück zum eigentlichen Thema des Gesprächs und fragte empört: »Sie lassen die Kinder vom selben Steg aus schwimmen, an dem auch die Boote anlegen?«

Sie hatte ihm wieder den Rücken zugewandt, um zu beobachten, wie ihr Sohn die letzten Meter zum Steg schwamm, und unweigerlich wanderte sein Blick erneut an ihr herab. Als er ungefähr in Kniehöhe ihrer langen wohlgeformten Beine angekommen war, knurrte sie ihn an: »Wissen Sie, dafür, dass Sie erst heute hier angekommen sind, haben Sie bereits erstaunlich viele Probleme mit der Art, wie wir das Unternehmen führen. Es ist wirklich ein Wunder, dass wir so lange ohne Sie zurechtgekommen sind.«

Er machte einen Schritt in ihre Richtung. »Sie müssen schon entschuldigen. Man muss kein Genie sein, um zu wissen, dass Motorboote und Schwimmer auf ein und demselben Terrain geradezu dazu einladen, dass irgendwann etwas passiert.«

»Was der Grund ist, weshalb wir täglich von sieben Uhr morgens bis sieben Uhr abends den Bereich für die Schwimmer mit Seilen und Leuchtbojen markieren. Und zwar vom Steg bis zur nächstgelegenen Ecke des Floßes und vom anderen Floßende bis zu dem kleinen Baum, der da drüben aus dem Wasser ragt. Der Rettungsschwimmer morgens macht die Seile fest und derjenige abends holt sie wieder ein. Hätten Sie ein bisschen genauer hingesehen, hätten Sie entdeckt, dass die Seile und Bojen in dem Ruderboot am Ende des Schwimmstegs untergebracht sind.« Ohne weiter auf ihn zu achten, beugte sie sich vor und half ihrem Jungen aus dem Wasser. »He, Tate! Ich glaube, du hast deinen eigenen Rekord gebrochen.«

J.D. verfolgte, wie das Kind auf den Steg kletterte, sich schüttelte wie ein nasser Hund und seine Mutter mit einem stolzen Grinsen ansah. »Das glaube ich auch. Hallo, Mr. Carver.«

»J.D.«

Auch wenn es fast unmöglich war, wurde das Grinsen des Jungen tatsächlich noch breiter. »Hallo, J.D. Wollen Sie auch schwimmen? Wo ist Ihre Badehose – haben Sie sie unter Ihrer Jeans? Oder wollen Sie nackt ins Wasser gehen?«

»Wozu willst du das alles wissen?« Das Lächeln, mit dem Dru den Jungen ansah, hatte wohl die gleiche Wattzahl wie sein Grinsen. Sie legte Tate ein großes Handtuch um die Schultern, schmiegte sich an seinen Rücken und zog ihn eng an ihre Brust. »Suchst du vielleicht Stoff für dein erstes Buch?«

»Aber sicher, und selbst wenn du mich am Arsch leckst, mache ich eine Liebesgeschichte draus!« Tate blickte mit einem gleichermaßen kecken wie argwöhnischen Feixen über seine Schulter. Er war eindeutig stolz auf diese verwegene Antwort, zugleich jedoch nicht sicher, welches Echo er darauf bekam.

Dru gab ihm eine Kopfnuss. »Tate Lawrence! Und mit demselben Schandmaul küsst du deine Mutter?« Dann drehte sie ihn lachend zu sich herum und pflanzte ihm einen lautstarken Kuss auf die Lippen.

»Mom!« Er fuhr sich mit der Hand über den Mund. »Himmel, doch nicht vor J.D.!«

»Phh, J.D. ist sicher auch von seiner Mutter abgeknutscht worden. Komm schon, gib mir einen Schmatzer. Gib deinen dunklen Trieben nach, Luke.«

Giggelnd entwand sich der Junge ihrem Griff. »Nie im Leben! Außerdem bin ich nicht Luke Sky walker, Mom. Ich bin Anakin.«

»Oh, Verzeihung. Das hatte ich kurzfristig vergessen.«

J.D. konnte sich nicht daran erinnern, dass seine Mutter je derart mit ihm herumgealbert hätte, und für das Abzählen der Küsse, die sie ihm gegeben hatte, reichten problemlos die Finger einer Hand. Der Anblick von Dru und Tate rief Unbehagen in ihm wach und plötzlich hatte er das dringende Bedürfnis zu verschwinden.

Das Holz des Stegs knirschte, als er sich zum Gehen wandte, unvermittelt jedoch Ben den Pfad heruntereilen sah. Der ältere Mann bedachte ihn mit einem Lächeln. »Hey. Kommt alle mit ins Haus. Soph hat Crème Brûlée gemacht, und ihr wisst, was passiert, wenn sie sie ganz alleine essen muss.«

Dru war überglücklich, dass ihr Onkel genau in diesem Moment aufgetaucht war. Er war genau das, was der Arzt verordnet hätte – eine zusätzliche Barriere zwischen ihr und den wirren, prickelnden Gefühlen, die J.D. Carver in ihrem Inneren wachrief.

Sie hob das Handtuch auf, das Tate fallen gelassen hatte, und schlang es sich, um ihr allzu großes Hinterteil zu kaschieren, möglichst lässig um die Hüften. Es war nicht gerade angenehm, halb nackt vor einem vollständig bekleideten Mann herumzulaufen, vor allem, wenn man selbst eher plump war und der Mann, um den es ging, nicht ein einziges überflüssiges Gramm Fett auf den Rippen zu haben schien.

Zu ihrer Erleichterung sagte J.D.: »Dann werde ich Sie jetzt mal Ihrem Nachtisch überlassen«, und wandte sich abermals zum Gehen.

Onkel Ben jedoch hielt ihn am Arm zurück. »Nicht so schnell, mein Junge. Die Einladung gilt auch für Sie.«

Nur mit Mühe unterdrückte Dru ein Stöhnen. Leider fiel ihr keine rüde Bemerkung ein, durch die J.D. entmutigt worden wäre, ohne dass sie selbst wie die wenig gastfreundliche Oberhexe dagestanden hätte.

»Ja, J.D.«, meinte auch Tate. »Sie dürfen sich Oma Sophs Crème Brûlée nicht entgehen lassen. Sie ist einfach fantastisch!«

Immer noch wirkte J.D., als wolle er gehen. Dru betete zum Himmel, dass er es wirklich täte und versuchte es sogar mit Telepathie. Dann schaute er sie an und sie wusste, dass ihr ihre Gefühle ins Gesicht geschrieben standen, denn plötzlich grinste er, zuckte mit den Schultern und erklärte: »Sicher. Warum nicht?«

Verdammt. Verdammt, verdammt, verdammt! Sie bleckte die Zähne und bestand darauf, hinter ihm zu bleiben, als er einen Schritt zurücktrat, um sie vor sich vom Steg gehen zu lassen. Sie ertrug seine Gesellschaft, weil ihr keine andere Wahl blieb und weil sie – auch wenn ihr jüngstes Verhalten nicht gerade dafür sprach – eine erwachsene Frau war. Aber sie wollte verdammt sein, wenn sie ihm auch noch erlaubte, hinter ihr zu laufen und auf ihr voluminöses, wogendes Hinterteil zu glotzen, während sie den Weg zum Haus erklomm.

Es gab einfach Momente, in denen eine Frau einen Punkt machen musste, wenn sie nicht völlig blöd war.

Andererseits war sie dadurch, dass er vorging, während des ganzen Wegs gezwungen, auf sein Hinterteil zu sehen. Gott, manchmal war das Leben wirklich unfair. Musste sein Hintern unbedingt so klein und straff wie seine Geisteshaltung sein? Selbst in den Jeans war deutlich zu erkennen, dass es einer dieser betonharten Pos mit eingezogenen Backen war. Sie würde einen Mord begehen, bekäme sie dafür auch nur eine halb so schöne verlängerte Rückseite.

Tante Sophie empfing sie an der Tür. »Oh, Gott sei Dank hattet ihr Zeit. Hallo, Schätzchen«, sagte sie zu Tate und bekam von ihm einen eiligen Schmatzer auf die Lippen, bevor er an ihr vorbei in den rückwärtigen Teil des Hauses rannte, wo sich der Fernseher befand. »Kommt herein! J.D.! Ich bin wirklich froh, dass Sie hier sind, um uns beim Vertilgen meiner Crème Brûlée zu helfen. Ich habe Ben gesagt, wenn ich sie ganz alleine essen müsste, wäre er ein toter Mann.«

»Warum?«, fragte J.D. »Hat er Sie womöglich mit gezückter Waffe dazu gezwungen, sie zu machen?«

Ben rang erstickt nach Luft und Dru starrte J.D. sprachlos an. Sie alle behandelten Sophie in den letzten Wochen nur noch mit äußerster Behutsamkeit. Nicht, dass man hätte sicher sagen können, wann genau sie einen ihrer Anfälle bekam. Die Dinge, von denen hätte angenommen werden können, dass sie sie aufregten, waren ihr oft völlig egal, während sie bei einer absolut harmlosen Bemerkung manchmal bereits an die Decke ging.

Nun jedoch fing Sophie an zu lachen. »Ich habe nicht gesagt, dass das vernünftig war, mein Lieber. Meine unregelmäßigen Wutausbrüche sind das unangenehme Nebenprodukt der in mir wütenden Hormone. Oder vielleicht auch der immer weniger wütenden Hormone, das habe ich noch nicht ganz begriffen. Auf alle Fälle wollen wir es doch um jeden Preis vermeiden, dass ich Ben ermorde. Schließlich habe ich ihn ziemlich gern. Außerdem finde ich es wirklich wunderbar, dass Sie sich uns anschließen.«

Dann wandte sie sich an ihre Nichte. »Drucilla, du hast ja eine Gänsehaut. Zieh dich besser erst mal um.«

»Drucilla?«, fragte J.D. mit ungläubiger Stimme. »Jemand hat Sie allen Ernstes Drucilla genannt?«

Dru stemmte die Hände in die Hüften. »Als wäre J.D. der Name des Jahrtausends«, schnauzte sie zurück. »Wofür steht das Kürzel überhaupt – vielleicht für jugendlicher Delinquent?« Sie musterte ihn von Kopf bis Fuß. »Nach allem, was ich gehört habe, würde das auf alle Fälle passen.«

»Drucilla!« Sophie starrte sie an, als hätte sie plötzlich Reißzähne bekommen.

Das Entsetzen und die Überraschung in der Stimme ihrer Tante erinnerten Dru an ihre gute Erziehung und daran, dass sie beide – auch wenn sie es kurzfristig vergessen hatte – nicht allein im Zimmer waren. Sie blinzelte verwirrt. Weshalb zum Teufel standen sie so dicht beieinander? Plötzlich spürte sie die Hitze, die von seinem Körper ausging, und trat, wie um nicht zu verbrennen, einen großen Schritt zurück.

»Tut mir Leid«, erklärte sie mit einer Stimme, die etwas ganz anderes verriet. »Das war äußerst unhöflich. Bitte entschuldigen Sie. Ich gehe nur schnell und ziehe mir was an.«

Sie spürte seinen Blick wie eine Berührung, die an ihrem Leib herunterglitt. »Meinetwegen brauchen Sie das nicht«, sagte er und obgleich seine Stimme durchaus respektvoll klang, las sie alle möglichen Anspielungen und versteckten Andeutungen aus diesem Satz heraus.

Mit einem unverbindlichen Lächeln drehte sie sich auf dem Absatz um. Was war nur mit ihr los? Man hätte meinen können, sie käme gerade von der Schule. Sie schloss die Tür des Gästezimmers und lehnte sich einen Moment lang daran an. Sie musste endlich aufhören, derart auf diesen Kerl zu reagieren. Schließlich war er kein unangenehmer Gast, der in ein, zwei Tagen wieder verschwände.

Dru trat vor die Kommode, in der sie für ähnliche Fälle eine Notreserve an Kleidung hatte. Vielleicht würde es ihm auf dem Land ja langweilig und er beschlösse, dass ihm sein bisheriges Leben doch besser gefiel. Mit dieser inbrünstigen Hoffnung zog sie Jeans und T-Shirt aus der Schublade hervor.

Sie schälte sich aus ihrem Badeanzug, stieg in die enge Hose und zerrte sie an ihren feuchten Beinen hoch. Eventuell hätte sie ja besonders großes Glück und J.D. würde der Beruf des Hoteliers bald nicht mehr gefallen und sich bereit erklären, sich jeden Monat einen Scheck schicken zu lassen. Dann könnte sie das ruhige Leben, das sie für sich und Tate geschaffen hatte, in Frieden fortführen.

Genau das erzählte sie später am Abend am Telefon auch ihrer besten Freundin, als Tate endlich im Bett lag. Sie hob vorher noch seine Spielsachen vom Boden auf und wischte die Krümel von der Frühstückstheke zwischen der Küche und dem Wohnbereich der großzügigen Dachwohnung über dem Hotel. Doch die schrägen Wände, zwischen denen sie sich für gewöhnlich so sicher und behaglich fühlte, schienen sie heute zu erdrücken. Nicht einmal die wunderbare Aussicht auf die bewaldeten, sanft zum Tal abfallenden Hügel übte den üblichen beruhigenden Zauber auf sie aus. Also suchte sie das Telefon, fand es auf dem Läufer unter dem antiken Couchtisch, und gab Chars Nummer ein.

Sie und Char hatten sich im Sommer, bevor sie fest bei Ben und Sophie eingezogen war, auf dem Floß kennen gelernt. Dru hatte Char einen Handstand auf dem Sprungbrett vollführen sehen und sie gebeten, ihr zu zeigen, wie man dieses Kunststück machte, ohne dass man dabei umfiel. Obgleich sie grundverschieden waren, hatten sie sich auf Anhieb gut verstanden. Char war ihre beste Freundin, ihre engste Vertraute und der Mensch, der sie davor bewahrte, total durchzuknallen, wenn das Leben aus den Fugen zu geraten schien. Was heute ganz sicher der Fall gewesen war.

Sobald ihre Freundin sich gemeldet hatte, schnatterte Dru empört los.

Chars Schnauben drang unmissverständlich an ihr Ohr. »Habe ich dich richtig verstanden? Euer neuer Partner stellt sich als Testosteronbombe in Sicherheitsstiefeln heraus – als Typ, der es in weniger als zwölf Stunden geschafft hat, dein Blut zum ersten Mal seit ewigen Zeiten in Wallung zu bringen –, aber du hast keinen dringenderen Wunsch, als ihn in die Wüste zu schicken? Hal-lo! Wach auf und riech den Duft der weiblichen Hormone, Drucilla Jean. Du hast sie bereits viel zu lange auf Eis gepackt.«

»He, es gefällt mir, wenn meine Hormone auf Eis liegen – das ist auf alle Fälle besser, als mich lächerlich zu machen.« Dru trat vor die schmale Sitzbank vor dem Fenster, wischte die bunten Kissen auf die Seite und nahm stöhnend Platz. »Ich sage dir, Char, sobald ich auch nur in die Nähe dieses Typen komme, erkenne ich mich nicht wieder. Erinnerst du dich an die kleine Streberin Sandy Heston, damals in der sechsten Klasse? Die, die sich immer mit quengeliger Stimme an die Lehrer rangeschmissen hat? Genauso kam ich mir heute Abend vor. Wir saßen alle zusammen um den Tisch und dieser Carver hat praktisch seine Schüssel ausgeleckt – ganz zu schweigen davon, wie er sich bei Tante Sophie mit Lobgesängen auf ihren Nachtisch eingeschmeichelt hat.«

Okay, das war nicht fair, aber der Gedanke an sein Gesicht, als er auch noch den letzten Rest aus seiner Schale geschabt hatte – als hätte er bisher noch nie etwas Süßes gegessen –, war ihr unerträglich. Wahrscheinlich hatte er es als Kind wirklich nicht leicht gehabt, aber als er dann »Es schmeckt echt einmalig« zu Tante Sophie gesagt hatte, hatte ihr das jähe Mitgefühl, das sie für ihn empfunden hatte, einen Heidenschrecken eingejagt.

»Und?«, fragte Char, als sich ihr Schweigen hinzog.

»Und als Nächstes schnauze ich ihn an, weil er sich über den Schwimmsteg beschwert hat.« Sie warf sich auf den Rücken und trommelte sich mit den Fingern ihrer freien Hand auf den köstlich mit Crème Brûlée gefüllten Bauch. »Als hätte ich ihm die Sache nicht bereits ausführlich genug erklärt.«

»Das war ein Beweis für Mitdenken.«

»Das tut er. Allerdings auf seltsame Weise. Denn noch besser wurde es, als J.D. vollkommen ungerührt erklärte, trotzdem wäre er der Ansicht, wir sollten zusätzlich noch ein Schild aufstellen, auf dem die genauen Regeln festgehalten sind und auf dem gewarnt wird, dass man dort auf eigenes Risiko schwimmen geht.«

»Auch, äh, wenn es mir schwer fällt, das zu sagen, klingt das nicht völlig dumm.«

»Ich weiß«, gab Dru übellaunig zu. »Ben und Sophie fanden die Idee geradezu brillant, wenn auch nur, weil man auf diese Weise gegen mögliche Regressansprüche von vornherein geschützt ist. Also wirkte J.D. natürlich erwachsen und durch und durch vernünftig, und ich stand da wie eine Xanthippe.« Ihre Füße baumelten über den Rand des Bänkchens und sie streifte ihre Schlappen mit den Zehenspitzen ab. »Dabei war es auch nicht gerade förderlich, dass ich ohne Unterwäsche dasaß.«

»Warum? Hat er dir auf den Busen gestarrt oder so?« Char seufzte traurig. »Ich wünschte, mir würde mal jemand auf den Busen starren. Nicht alle sind so gut bestückt wie du.«

Dru schnaubte verächtlich. »Wenn wir beide sechzig sind, werden deine Brüste immer noch herrlich straff sein, während mir meine wahrscheinlich bis zum Knie reichen werden. Mein Mitgefühl für dich zerreißt mir schier das Herz.«

»Also, hat er sie angestarrt oder nicht?«

»Nein, das war es nicht. Ich bezweifle, dass er sie überhaupt nur registriert hat. Er war mehr – ich weiß nicht –, er war so fürchterlich gelassen, das hat mich aufgeregt. Dazu waren meine Haare nass, mein Busen hat jedes Mal, wenn ich auch nur geatmet habe, gewackelt, und mein Riesenhintern war auf der gesamten Sitzfläche meines Stuhls verteilt.«

»Hör auf. Ich würde mich glücklich schätzen, wenn ich genug Busen hätte, um damit wackeln zu können, und dein Hintern ist völlig normal.«

»Tja, ohne Unterhose hat er sich riesig angefühlt. Ich war einfach verletzlich, okay? Wie in einer Wachversion des Traums, in dem man nackt in der Öffentlichkeit herumläuft. Ich hätte meine Unterwäsche und einen Föhn einfach als Schutzschild gegen ihn gebraucht.«

»Das kann ich verstehen. Mir geht es so mit Lippenstift. Gib mir eine Tube Estée Lauder und ich komme mit jeder Situation zurecht. Aber was war mit ihm? Was für Unterwäsche, glaubst du, hatte er an? Boxershorts oder eher knappe weiße Tangas?«

»Wahrscheinlich gar keine.«

»Ooh.« Char atmete geräuschvoll aus. »Glaubst du wirklich?«

»Wenn sein Gebaren dafür ein Maßstab ist, bestimmt. Er benimmt sich derart machomäßig, dass man meinen könnte, dass er seinen Schwanz bei jedem Schritt zur Seite treten muss.«

»Verdammt. Aber, Drusie, wenn du glaubst, dass er auch keine Unterwäsche anhatte, hättest du dich dann nicht etwas besser fühlen müssen?«

»Nein. Ich habe mich wie ein Nilpferd gefühlt, während er sich wahrscheinlich ständig im Geiste dazu gratuliert hat, was für einen tollen Schniedelwutz er hat.«

»Ich muss diesen Typen unbedingt kennen lernen. Meinst du, er braucht vielleicht eine Massage?«

»Sein Ego ganz bestimmt nicht. Aber ich nehme an, dass du von einer richtigen Massage sprichst?« Diesen Dienst bot Char an vier Tagen der Woche den Hotelgästen an.

Chars Stimme bekam einen wehmütigen Klang. »Auf alle Fälle wäre es recht hübsch, zur Abwechslung mal mit richtigen Muskeln zu tun zu haben. Alles, was ich in letzter Zeit unter den Händen hatte, waren die weichen, schwabbeligen Leiber irgendwelcher Touristen.«

»Tja, wer weiß? Wahrscheinlich wäre er von einer Massage ebenso begeistert wie von der Crème Brûlée, wenn du also dein Glück bei ihm versuchen möchtest, bitte.«

»Du weißt genau, dass ich das ganz bestimmt nicht machen werde, Dru.«

Dru starrte überrascht auf den Hörer. Sie und Char hatten bereits auf der Schule ein Abkommen getroffen, sich niemals in die Beziehung der jeweils anderen zu einem Typen einzumischen – und der Gedanke, dass ihre beste Freundin dachte, J.D. hätte das Potenzial, sie wirklich schwach zu machen, rief nackte Panik in ihr wach. »So ist es nicht!«

»Ha-Haha.«

»Wirklich, Char. Ich finde ihn noch nicht mal nett.«

»Ja, das ist sicherlich der Grund, weshalb dir das Herz bis zum Hals schlägt, sobald er auch nur in deine Nähe kommt. Unüberwindliche Abneigung.«

»Verdammt, Char«, begann Dru, als plötzlich eine verschlafene Stimme ihre Rede unterbrach.

»Mom?«

Sie setzte sich auf und blickte auf ihren an der Tür stehenden Sohn. »He, Baby, wieso bist du denn noch wach?«

»Tja, dann reden wir am besten morgen weiter«, drang Chars Stimme durch den Hörer. Sie verabschiedeten sich. Dru legte auf und stellte das Gerät zurück in seine Ladestation auf dem Tisch. »Kannst du nicht schlafen?«

»Ich musste aufs Klo«, erklärte Tate mit einem Gähnen. »Und dann habe ich dich reden gehört. Ich dachte, es wäre jemand da.«

»Ich habe nur mit Char gesprochen.«

Der Junge nickte und riss den Mund erneut zu einem Gähnen auf.

»Und, können wir jetzt wieder ins Bett gehen?«

»Hmpff.« Er schlurfte vor ihr durch den kurzen Flur in Richtung seines Zimmers, warf sich auf seine Matratze und rollte sich sofort auf die Seite.

Dru zog ihm die Decke bis über die Schultern, beugte sich zu ihm hinunter und gab ihm einen Kuss. »Nacht, mein Schätzchen. Ich liebe dich.«

»Ich dich auch, Mom«, murmelte Tate und versank, noch ehe seine Mutter sich auch nur aufgerichtet hatte, wieder in tiefen Schlaf.

Dru ließ seine Zimmertür einen Spalt breit offen, kehrte ins Wohnzimmer zurück und suchte im Fernsehen einen von Seattles Nachrichtenkanälen, doch nachdem sie von einem Öltankerunglück vor der Küste, von der Verstümmelung eines Pferdes bei einem Rennen in Arlington und dem Tod eines Kassierers gehört hatte, der am letzten Dienstag bei einem Überfall auf einen Supermarkt erschossen worden war, schaltete sie mit einem leisen Seufzer aus.

Sie hatte genügend eigene Probleme. Und diese aufmunternden Berichte aus dem Fernsehen hellten ihre Stimmung wahrlich nicht auf.

Drunter und Drüber

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