Читать книгу Drunter und Drüber - Susan Andersen - Страница 7
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ОглавлениеAls J.D. Carver einen Tag früher als geplant in Star Lake, Washington, ankam, war der Tank seines uralten Ford Mustang laut Anzeige leer. Aber das war er immer – die Nadel klemmte, seit der Wagen 1993 von ihm erstanden worden war. Der Kofferraum war mit ein paar seiner Lieblingselektrohandwerksgeräte, einer Werkzeugkiste und einem gut bestückten Zimmermannsgürtel beladen, auf dem Rücksitz lagen zwei Tischsägen, in seiner Hosentasche steckte eine antike goldene Uhr, und eine alte Leinentasche enthielt alles, was er sonst noch auf der Welt besaß. Außerdem war er befrachtet mit einem Sammelsurium unguter Gefühle, das ihm wie ein Felsbrocken im Magen lag.
Sein Leben in Seattle war vollkommen verpfuscht, und es half ihm nichts zu wissen, dass die Schuld daran allein er selber trug. An seinen Kumpel Butch, an Bob Lankovich, den Mann, in dessen Unternehmen er vom kleinen Auszubildenden zum Vorarbeiter aufgestiegen war, und der inzwischen im Knast saß, oder dessen schwachsinnigem Sohn Robbie wollte er momentan nicht einmal denken.
Er hatte von dem ganzen Durcheinander – von seinem Pariah-Dasein und den ständigen Drohungen, die gegen ihn ausgestoßen wurden – schlicht die Nase voll. Himmel, er war ein Ausgestoßener in Rat City. Wie konnte jemand etwas tun, das derart schlimm war, dass er selbst in einer Gegend mit einem solchen Namen ein Aussätziger war? Das unerwartete Erbe von Edwina Lawrence kam genau zur rechten Zeit. Der perfekte Zeitpunkt, um einer Stadt den Rücken zuzukehren, in der ihn nichts mehr hielt.
Er lachte verbittert auf. Natürlich war auch in seiner Beziehung zu Edwina mehr als ein Wurm drin gewesen. Verdammt, vielleicht sollte er anfangen zu angeln. Köder besaß er in Gestalt der Würmer, die in seinen Beziehungen zu eigentlich allen Menschen steckten, schließlich mehr als genug.
J.D. rieb sich den steifen Nacken. Dies war so ziemlich seine letzte Chance. Seine Einzimmerwohnung hatte er gekündigt, die Werkzeuge, die nicht in den Wagen gepasst hatten, hatte er verhökert und sein Bankkonto geleert. Es war ihm also nichts geblieben in der Stadt, in der er aufgewachsen war, und falls die Sache schief ging, wüsste er ganz einfach nicht wohin. Also würde er dafür sorgen, dass die Sache klappte, egal, was geschah.
Er parkte seinen Wagen vor dem Sandstein-Holz-Gebäude, dessen hälftiger Eigentümer er urplötzlich war, blieb ein paar Minuten sitzen und atmete den würzigen Duft des klaren Seewassers und der Nadelbäume ein. Dann griff er in die Tasche seiner Jeans und strich mit einem Finger über die goldene Uhr von Edwinas Vater, die ihm zusammen mit dem Anteil an dem Hotel von ihr hinterlassen worden war.
Obwohl sie ihn einmal des Diebstahls ebendieser Uhr bezichtigt hatte.
Dieser uralte Verrat machte ihm stärker zu schaffen als die Drohungen, die Robbie gegen ihn ausstieß, oder die Enttäuschung, weil er – wie nicht anders zu erwarten – von Butch zur Begleichung einer alten Schuld aufgefordert worden war.
Er schnaubte leise. Die Feststellung, dieser Verrat mache ihm zu schaffen, war eine höfliche Untertreibung.
Wie immer zogen sich auch jetzt seine Eingeweide bei der Erinnerung an die alte Geschichte elendig zusammen, doch das durfte nicht passieren, und so stieg er aus dem Wagen, schulterte seine Leinentasche und starrte auf die imposante mit Schindeln gedeckte Sandsteinveranda, die entlang der gesamten Vorderfront des Haupthauses verlief.
War es nicht schon schlimm genug, dass ein in der Kindheit erlittenes Unrecht sein ganzes bisheriges Leben hatte trüben können? Weshalb störte die Erinnerung daran ihn ausgerechnet jetzt in seiner Konzentration?
Denn – jede Wette – sicher finge in spätestens zwei Minuten der gnadenlose Kampf mit Edwinas Verwandten um den ihm von ihr vererbten Anteil an dem bisher familieneigenen Unternehmen an.
Dru dankte der Angestellten am Empfang und legte den Hörer des Telefons mit einem leisen Seufzer auf. O Gott, er war da. Mit leicht beschleunigtem Herzschlag straffte sie die Schultern. J.D. Carver stand draußen im Foyer. Dabei hätte er erst morgen kommen sollen.
Sie hatte sich eingebildet, sie hätte sich bereits völlig an die neue Situation gewöhnt. Hatte ehrlich gedacht, sie wäre bereit, Edwinas Erben mit offenen Armen sowohl in ihrem Betrieb als auch im Kreis der Familie zu empfangen. Doch dem plötzlichen Rasen ihres Pulses zufolge hatte sie sich darin offenbar getäuscht.
Sie stand auf, sah nach, ob ihr ärmelloses weißes Polohemd mit dem diskreten Logo des Hotels ordentlich in ihrer kurzen Hose steckte, strich mit beiden Händen über den frisch gestärkten dunkelgrünen Stoff, atmete tief ein und langsam wieder aus. Okay, sie war bereit. Sie wünschte sich nur, er wäre nicht früher als erwartet angekommen. Dadurch würde ihr Plan, ihn als Familie zu begrüßen, natürlich durchkreuzt.
Dru richtete sich zu ihrer ganzen Größe auf. Egal, jetzt müsste sie die Sache halt allein durchstehen. Seit ihrem sechzehnten Lebensjahr hatte sie beruflich täglich Dutzende von Fremden im Hotel empfangen, und außerdem waren Tante Soph und Onkel Ben nicht weit von ihr entfernt drüben in der für Carver reservierten Hütte, um sie möglichst einladend für ihn zu gestalten, und kämen bald zurück. Nicht dass sie sie bräuchte. Sie machte sich auf den Weg in Richtung des Foyers. Sieh ihn einfach als lang verreisten Vetter von dir an.
Was leichter gesagt als getan war, dachte Dru, als sie wenige Minuten später den vor dem mächtigen steinernen Kamin hockenden Hünen sah. Selbst von hinten betrachtet entsprach er keineswegs ihrer Vorstellung von einem Cousin.
Von der Stelle, an der seine dunklen Haare in seinen sonnengebräunten Nacken fielen, bis hin zu den mit Arbeitsstiefeln bekleideten Füßen, schien er ein einziges energiegeladenes Muskelpaket zu sein. Ein strahlend weißes T-Shirt spannte sich über seine breiten Schultern und seinen sich nach unten verjüngenden Rücken, bis es im Bund einer eng um seine muskulösen Schenkel und seinen straffen Hintern liegenden abgewetzten Jeanshose verschwand. Für den Bruchteil einer Sekunde setzte Drus Herzschlag aus für sie unerfindlichen Gründen aus.
Sie räusperte sich leise. »Mr. Carver?«
Er blickte über seine Schulter. Seine dunklen Brauen stießen über der Nase zusammen und er schien ebenfalls kurz den Atem anzuhalten. Doch das hatte sie sich vermutlich nur eingebildet, denn er sagte mit neutraler Stimme: »Nennen Sie mich nicht Mister. Mein Name ist J.D.«, und stand mit einer geschmeidigen, kraftvollen Bewegung auf.
Bei voller Größe sah er regelrecht furchteinflößend aus. Sein T-Shirt lag eng um seine Brust und seinen flachen Waschbrettbauch und schien über den Muskeln seiner Oberarme beinahe zu zerreißen. Er verströmte eine solche Energie, dass Dru aus einem Reflex heraus einen Schritt zurücktrat.
Dann jedoch riss sie sich zusammen und reichte ihm die Hand. »Also gut, J.D. Ich bin Dru Lawrence, die Hotelmanagerin.« Sie sah ihm in die Augen und merkte, dass das, was sie anfänglich für Braun gehalten hatte, ein von einem dunkelgrünen Ring umgebenes leuchtendes Grünbraun war. »Willkommen in der Star Lake Lodge.«
Ihre Finger begannen zu prickeln, als er sie kraftvoll mit seiner schwieligen Hand ergriff, und am liebsten hätte sie sie ihm ruckartig entrissen. Was war nur mit ihr los? Himmel, er war nicht der erste gut gebaute Mann, den sie in ihrem Leben traf – und es war völlig untypisch für sie, zu reagieren wie ein junges Mädchen, das sich plötzlich dem Sport-Ass ihrer Schule gegenübersah. Als er sie endlich losließ, widerstand sie dem Verlangen, sich die Hand an ihrer Hose abzureiben. Um die verbleibende Hitze loszuwerden, sagte sie sich erneut, denk an ihn als den lange verschollenen Cousin, und zwang sich zu einem Lächeln.
Ohne sich die Mühe zu machen, ihr Lächeln zu erwidern, nickte er mit dem Kopf in Richtung des Kamins. »Der Feuerbock ist gerissen. Er muss rausgezogen und wieder zusammengeschweißt werden.«
Himmel, der Kerl hatte wirklich Nerven – er war noch keine zehn Minuten da und fing schon an zu kritisieren. Dru bekam vor Zorn leuchtend rote Wangen und dachte, »Leck mich doch am Arsch«, sagte jedoch mit ruhiger Stimme: »Ich werde es notieren«, und fragte mit einem neuerlichen, noch gezwungeneren Lächeln: »Ist das hier Ihr Gepäck?«
Sie hatte sich bereits nach der Tasche gebückt, als seine Hand nach vorn schoss und sie ihr unter der Nase wegriss. Also stopfte sie die Hände in die Hosentaschen und richtete sich auf. Ihm eine Ohrfeige zu geben wäre sicher nicht der allerbeste Anfang für ihre Partnerschaft. »Sicher wollen Sie sich nach der langen Fahrt ein wenig frisch machen. Ich zeige Ihnen Ihre Hütte.«
»Dru!« Sally Jensen, das Mädchen vom Empfang, kam angeschossen, bedachte J.D. mit einem entschuldigenden Lächeln, starrte ein paar Sekunden reglos auf seine Brust und zwang sich, wieder ihre Vorgesetzte anzusehen.
Zum ersten Mal, seit sie ihrem neuen Partner gegenübergetreten war, verzog Dru den Mund zu einem echten Lächeln. Wow. Einen Augenblick lang hatte sie sich wirklich eingebildet, der Kerl würde ihr vielleicht gefährlich, aber J.D. Carver war anscheinend einer dieser Typen, auf die die Frauen flogen – wahrscheinlich hätte sie sich also eher Gedanken machen sollen, hätte sie seinen Adoniskörper nicht ebenfalls bemerkt. »J.D., das ist Sally Jensen, unsere Empfangschefin. Sally, J.D. Carver, der neue Miteigentümer unseres Hotels.«
J.D. runzelte die Stirn, aber Sally kam bereits auf ihr Anliegen zu sprechen. »Brian Kebler hat eben angerufen und gesagt, er wäre krank.«
»Hätte er nicht heute eine Gruppe Wasserskifahrer mit rausnehmen sollen?«
»Ja, die Jacobsens, um drei. Ich habe bereits versucht, einen Ersatz für ihn zu kriegen, aber ohne Erfolg. Wenn Ihnen nicht noch jemand einfällt, den ich anrufen könnte, sitzen hier nachher sieben enttäuschte Kinder.«
»Wie wäre es mit Monica White? Hat sie heute die Mittagsschicht? Sie fährt Boot, seit sie alt genug war, um über das Steuerrad zu sehen, und sie hat gesagt, sie würde gern mal eine Gruppe übernehmen.«
»Ich werde gucken, ob sie da ist. Wenn nicht, rufe ich bei ihr zu Hause an, um sie zu fragen, ob sie Zeit hat. Aber was soll ich machen, wenn ich sie nicht erwische?«
»Dann melden Sie die Kinder im Adlernest zu einer Eiscreme-Party an.«
»Okay, das könnte funktionieren. Danke.« Sally machte auf dem Absatz kehrt und lief eilig davon.
»Oh, Sally, einen Moment!«, rief Dru ihr hinterher. »Bitten Sie, statt der Eiscreme-Party, Onkel Ben, auf Plan B zurückzugreifen. Falls Monica nicht kann, hat er ja vielleicht Zeit. Und wenn keiner der beiden frei ist, folgen Sie Plan C.«
Sally reckte zustimmend die Daumen in die Höhe.
Dru wandte sich wieder an J.D. und merkte, dass er sie reglos musterte. Er hatte eine kräftige Nase, die aussah, als ob sie mehr als einmal gebrochen gewesen wäre, und einen breiten, vollen Mund. »Können wir?«
Er schwang sich seine Tasche über die Schulter und nickte mit dem Kopf.
»Hat Ihnen schon mal jemand gesagt, dass es einen nicht umbringt, wenn man zu anderen ein bisschen nett ist?« Verdammt. Normalerweise war sie die personifizierte Diplomatie, aber etwas an diesem Typen reizte sie bis aufs Blut.
Er blickte kurz an ihr herab und dann in ihr Gesicht. »Bisher hatte ich einfach keinen Anlass, besonders nett zu sein.«
Dru zuckte mit den Schultern und wandte sich dem Seitenausgang zu. Ihr sollte es egal sein, wenn er weiter derart stur die Lippen aufeinander presste. Vielleicht hatte er ja schlechte Zähne oder so.
Was jedoch keine Erklärung für ihre plötzlichen Hitzewallungen war.
Sie nahm eine beinahe militärisch straffe Haltung an und erklärte ihm mit kühler Stimme: »Star Lake Lodge gibt es bereits seit neunzehnhundertelf.« Sie öffnete die Tür zum Treppenhaus. »Wir verfügen über einunddreißig Zimmer, einschließlich vier Suiten, sowie über acht Hütten, von denen in diesem Sommer sieben vermietet werden können. Die Hütte, die wir für Sie hergerichtet haben, hat im letzten Winter einen leichten Sturmschaden erlitten.« Wenn sie nicht eine Bleibe für ihn hätten finden müssen, wäre die Hütte wahrscheinlich leer geblieben. In den letzten Jahren waren Instandhaltung und Reparaturen ihre größten Sorgen, da es in der Gegend kaum noch gute Handwerksleute gab. »Ich fürchte, das Verandadach ist nach wie vor nicht repariert.«
J.D. zuckte mit den Schultern. »Damit kann ich leben.« Als sie vor ihm die Treppe hinabstieg, löste er seinen Blick von ihren wiegenden Hüften und konzentrierte sich stattdessen auf den dicken, seidigbraun schimmernden Zopf, der ihr im Rücken hing. »Ich hätte angenommen, dass Sie mich einfach in irgendeins der Zimmer stecken.« Am besten gleich im Keller.
Sie lugte über ihre Schulter. »Außer in der Skisaison haben wir im Sommer den meisten Betrieb. Wir sind zurzeit so gut wie ausgebucht, und deshalb müssten Sie, wenn Sie ein Zimmer wollten, alle paar Tage umziehen. Aber Sie sollen es hier ja schließlich bequem haben.«
Ja, sicher. Er traute keinem Menschen, der es gut mit ihm zu meinen schien. Dafür hatte Drus feine, aufrechte Großtante gesorgt.
Nicht, dass er unbedingt glücklich gewesen wäre, bevor sein Leben im Alter von vierzehn von Edwina Lawrence völlig auf den Kopf gestellt worden war. Zahlreiche Pflegefamilien abzuklappern war sicher für kein Kind das Ideale, aber zumindest hatte sein Leben ein bestimmtes Verlaufsmuster gehabt, und er hatte die Regeln genauestens gekannt. Regel Nummer eins hatte gelautet: Mach es dir niemals zu bequem. Da er früher oder später – für gewöhnlich eher früher – garantiert auf der Straße gelandet war.
Das oberste Überlebensgebot war gewesen, sich niemals große Hoffnungen zu machen, doch Edwina war anders gewesen. Sie hatte ihn eingewickelt und schließlich hatte er einige der schmerzlich erlernten Lektionen tatsächlich vergessen. Sie hatte ihn sich ausgesucht – er war ihr von keinem überlasteten Sozialarbeiter aufgezwungen worden. Und die Tatsache, dass sie anders als alle ihm bekannten Menschen gewesen war, hatte ihn verführt.
Kennen gelernt hatten sie einander an dem Tag, an dem er versucht hatte, ihr den Geldbeutel zu klauen. Eine ziemlich blöde Idee, aber irgendwie hatte das Gerede seines Kumpels Butch vom leichten, schnellen Geld ihn am Schluss verführt.
Die zerbrechlich aussehende alte Dame jedoch hatte ihn gelehrt, dass sich Verbrechen nicht lohnte. Nicht nur, dass sie sich an ihrer Tasche festgeklammert hatte, hatte sie sich obendrein auch noch in seinem Bein verkrallt. Die einzige Möglichkeit, sich von ihr zu befreien, hätte darin bestanden, sie vielleicht ernsthaft zu verletzen. Als Butch davongelaufen war und ihn seinem Schicksal überlassen hatte, hatte J.D. im Geiste bereits das Knallen der Gittertüren in der Jugendstrafanstalt gehört.
Statt ihn jedoch bei den Bullen anzuzeigen wie jeder normal denkende Mensch, hatte sie ihn mitgenommen, hatte offiziell die Pflegschaft für ihn beantragt und ihm gezeigt, was es hieß, wenn man irgendwo daheim war.
Bereits am allerersten Tag hatte er sich unsterblich in sie verliebt.
Sie hatte ihn gelehrt, dass es eine völlig andere Welt gab als die der schmutzigen, dunklen Gassen in der City, in denen er bis dahin aufgewachsen war. Doch was sie mit der einen Hand geboten hatte, hatte sie ihm mit der anderen genommen, und zwar genau in dem Moment, als er seinen Argwohn endlich aufgegeben hatte, angefangen hatte zu glauben, dass er des sauberen neuen Lebens, das Edwina ihm bot, tatsächlich würdig war. Und während er sie anfangs beinahe angebetet hatte, hatte er sie am Ende regelrecht gehasst.
Scheiße. Beinahe wäre J.D. Dru in die Fersen getreten, als er die Vergangenheit dorthin zurückblinzelte, wohin sie auch gehörte – in die Vergangenheit. Himmel, das Ganze war zwanzig Jahre her. Besser, er käme endlich mal darüber hinweg.
Dru öffnete die Tür am Fuß der Treppe und sofort wurden sie beide in den Duft der Büsche und Bäume eingehüllt.
»Sie haben von einer Skisaison gesprochen«, sagte er zu Dru. »Ich sehe nirgends irgendwelche Lifts.« Obgleich der See in den Bergen lag, hätte er sich ein Skigebiet doch anders vorgestellt.
Dru spähte über ihre Schulter und ihre blauen Augen blitzten. »Das liegt daran, dass man bei uns nur Langlauf machen kann. Sehen Sie den Pfad da drüben?« Sie wies in Richtung eines Wegs, der an der Seite des Berges im Gehölz verschwand. »Wir nennen ihn Treetop, und von dort aus sind wir mit einem über hundert Kilometer langen Wegenetz verbunden, auf dem man im Sommer wandern oder biken und im Winter eben Skilanglauf machen kann.«
Sie berührte ihn beiläufig am Arm, was in ihm das Gefühl auslöste, als hätte sie ihm einen elektrischen Schlag verpasst. Mit ausdrucksloser Miene trat er einen Schritt zur Seite und sah sie fragend an.
»Kommen Sie.« Sie hatte eindeutig nichts gemerkt. »Zu Ihrer Hütte geht es hier entlang.« Sie folgte dem Weg hinab in Richtung See.
J.D. rieb sich die prickelnde Stelle seines Arms. Was zum Teufel ging hier vor sich? Am liebsten hätte er es auf die Tatsache geschoben, dass er es nicht gewohnt war, wenn man ihn berührte, doch das erklärte nicht das Aussetzen seines Herzschlags, als sie zu ihm ins Foyer gekommen war. Sein erster Gedanke war gewesen: Haben. Sie hatte so weich und wohl gerundet ausgesehen. Runde Augen, runde Wangen, runde Brüste, runder Hintern. Er hatte es vorhin nicht verstanden und verstand es jetzt auch nicht. Sie war durchaus hübsch, auf eine robuste Art, der Typ des netten Mädchens von nebenan. Ganz sicher nicht sein Typ, so dass sein plötzliches Verlangen völlig deplatziert gewesen war.
In Rat City entwickelte man einfach keine Vorliebe für robuste nette Mädchen von nebenan. Er hatte ein Faible für freche Weiber mit möglichst wilden Mähnen, großen Titten und so engen Kleidern, dass man jede noch so kleine Rundung möglichst sofort mitbekam.
Während er jetzt sah, wie sie in Shorts und Turnschuhen vor ihm den Weg hinunterlief, versuchte er herauszufinden, was der Grund für seine Gefühlsverwirrung war. Sicher, ihr Körper wäre in enger Garderobe sicher das reinste Dynamit. Aber er musste kein Genie sein, um zu sehen, dass sie sicher niemals wirklich enge Kleider trug. Dazu war sie mit ihrem seidig weichen, sanft wippenden Zopf, der sommersprossigen Nase und den großen, arglosen, überraschend blauen Augen ganz einfach zu ... frisch. Sicher hing sie, anders als die Frauen, die er kannte, nie in der Hoffnung, irgendein Kerl lüde sie auf einen Drink ein, in irgendwelchen Bars rum. Sie wirkte eher wie die Art, die großäugig darauf hoffte, dass der Mann, der sie ansprach, sofort mit ihr Trauringe kaufen ging.
Sie bogen um eine Kurve und unvermittelt erstreckte sich vor ihnen der in der Sonne glänzende See. Geformt wie einer der Strümpfe, die man an Weihnachten für das Christkind über den Kaminsims hängte, lag er blau und friedlich da. Fröhliches Geplansche und Gelächter, das Surren eines Sprungbretts und das gelegentliche schrille Trällern der Pfeife eines Rettungsschwimmers drangen durch die Stille zu ihnen herüber.
»Hinter der nächsten Biegung gibt es einen mit Seilen abgeteilten Schwimmbereich und ein großes Floß«, erklärte Dru über ihre Schulter, bog auf einen zweiten kurzen Pfad ab und wenig später standen sie auf einer sonnenhellen kleinen Lichtung, an deren anderem Ende eine Hütte mit nur einem halben Vordach stand. Ein Mann von vielleicht Mitte fünfzig saß auf dem Geländer und rauchte eine Zigarette, während ein kleiner Junge in einem Star-Wars-Phantom-Menace-T-Shirt ein Laserschwert gegen eine Reihe imaginärer Feinde schwang.
Der Kleine sah sie zuerst und seine Miene hellte sich erkennbar auf. »Mom!«, rief er, schleuderte seine Waffe achtlos auf den Boden, warf sich von der Treppe der Veranda an Drus Brust, klammerte sich wie ein Affe mit Armen und Beinen an ihr fest, schlang ihr die verdreckten Hände um den Nacken, lehnte sich zurück und sah sie grinsend an.
»Wow, allmählich bist du für eine derart schwungvolle Begrüßung ein bisschen zu groß.« Obgleich sie sich nur mühsam auf den Beinen halten konnte, küsste sie ihn ebenfalls breit grinsend auf die Nase.
Es war eine Szene, wie sie J.D. bereits hundertmal als Außenseiter mit angesehen hatte. Er kreuzte die Arme vor der Brust, beobachtete Sohn und Mutter und gratulierte sich zu seinem Scharfsinn. Da hast du’s, Kumpel. Alles was hier im Augenblick noch fehlt, ist der Anruf über Handy, dass die Mama des besten Freundes leider etwas später zum Kaffeetrinken kommt.
Weiter entfernt von deinem Frauentyp könnte sie nicht sein.