Читать книгу Drunter und Drüber - Susan Andersen - Страница 9

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Drus Onkel trat aus dem Souvenirgeschäft und traf in der Halle auf J.D. Beide Männer blieben stehen und J.D. straffte die Schultern, als er merkte, dass Ben den Stapel Bücher betrachtete, mit denen er aus Drus Büro gekommen war. Doch Ben sagte lediglich: »Und, haben Sie sich bereits ein wenig eingelebt?«

J.D. nickte.

Ben steckte die Hände in die Hosentaschen und bedachte den jüngeren Mann mit einem neugierigen Blick. »Der Anwalt, der Edwinas Testament eröffnet hat, hat erzählt, dass Sie im Baugewerbe sind.«

»Ja.«

»In diesem Bereich gibt es im Sommer immer alle Hände voll zu tun. Konnten Sie da so einfach weg?«

»Allerdings.« J.D.s Lachen klang total humorlos. »Das Unternehmen, bei dem ich tätig war, ist kaputt gegangen, als der Eigentümer in den Knast gewandert ist.«

»Aua. Was hatte er denn verbrochen?«

»Er hatte minderwertige Materialien verwendet, weil ihm das, was er verdient hat, offenbar nicht reichte.«

Ben grunzte. »Eine hässliche Geschichte. Und wie sind sie ihm auf die Schliche gekommen? Hat ihn jemand verpfiffen?«

»Ja-« J.D. sah ihm reglos in die Augen. »Ich.« Offenbar hatte Lankovich mehrere Bauvorhaben mit minderwertigen Materialien durchgeführt, doch J.D. hatte das erst bemerkt, als die Sicherheit eines Gebäudes, das die Männer unter seiner Leitung mit größter Sorgfalt errichtet hatten, durch schlechte Baustoffe gefährdet worden war. Das hatte ihn derart erbost, dass er zur Polizei gegangen war.

Als er sah, wie Ben die Kinnlade herunterklappte, fügte er abwehrend hinzu: »Ich wollte den Kerl gar nicht anzeigen – Lankovich ist immer anständig zu mir gewesen. Er hat mich ausgebildet und mich sogar zum Polier gemacht. Aber ich hatte nur die Wahl, ihn entweder zu verpfeifen oder damit leben zu müssen, dass vielleicht Menschen verletzt oder sogar ums Leben kommen würden, nur, weil ich die Klappe gehalten habe.«

»Oh, ich verurteile Sie überhaupt nicht. Sie haben das Richtige getan, auch wenn es sicherlich nicht leicht war. Aber ich schätze, Sie haben eine Menge Leute stolz auf sich gemacht.«

J.D. konnte ein geringschätziges Schnauben nicht verhindern. »Dort, wo ich herkomme, verpfeift man seinen Arbeitgeber nicht. Also habe ich jede Menge Leute gegen mich aufgebracht. Lankovichs Sohn zum Beispiel, der sich für einen ganz harten Kerl hält, hat es sich zum Ziel gesetzt, mich für das, was ich getan habe, bezahlen zu lassen. Und die meisten anderen reden einfach nicht mehr mit mir.«

»Das tut mir Leid«, meinte Ben mit mitfühlender Stimme. »So was ist nicht einfach.«

Das war leicht untertrieben. Robbie Lankovich hatte ihn auf Schritt und Tritt verfolgt und die Männer, die J.D. für Freunde gehalten hatte, hatten ihm, sobald er in ihre Nähe gekommen war, den Rücken gekehrt. Nie zuvor war er in einer solchen Lage gewesen und er hoffte, dass es auch nie wieder dazu käme. Ben gegenüber jedoch zuckte er gleichmütig mit den Schultern. »Tja, manchmal laufen die Dinge eben nicht so, wie man es sich wünscht.«

»Hat der Junge, der sich für so clever hält, denn eine Möglichkeit gefunden, Sie dafür bezahlen zu lassen, dass sein Vater von Ihnen verpfiffen worden ist?«

»Nein.« Sein Lächeln war kälter als der Wind am Nordpol. »Er hat sich wirklich Mühe gegeben, aber seine tatsächlichen Fähigkeiten liegen weit hinter seinem dummdreisten Gerede.«

Sie tauschten noch ein paar nichts sagende Sätze aus und dann betrat J.D. das Adlernest, eine Mischung aus Café und Bar am Ende des Foyers. Die große Glasfront des zweigeschossigen Raums bot einen atemberaubenden Blick auf die steil abfallenden, umliegenden Berge. Von dem kleinen, dazugehörigen Balkon hätte man sicher eine noch phänomenalere Aussicht gehabt, doch der Zutritt war mit einem Band und einem Schild »Geschlossen wegen Bauarbeiten« gesperrt. Sofort war seine Neugierde geweckt. Er trat vor die Flügeltür und sah, dass das gesamte Balkongeländer abgerissen war. Er drehte den Türknauf, um sich den Schaden aus der Nähe anzusehen, doch eine Stimme in seinem Rücken sagte: »Der Balkon ist aus Sicherheitsgründen gesperrt, Sir.«

J.D. drehte sich um und entdeckte den Mann, der zuvor hinter der Bar gestanden hatte.

»Wir hatten letzten Winter außergewöhnlich heftige Schneefälle«, erklärte der Barkeeper, während er ein paar Teller und Gläser von einem in der Nähe stehenden Tisch nahm und ihn anschließend mit einem Lappen abrieb. »Unter dem Gewicht ist das Geländer weggebrochen.«

»Dazu hat es sicher keines allzu großen Gewichts bedurft. Sieht aus, als wäre das Holz ziemlich verrottet.«

Der Barkeeper nickte. »Bei all dem Schnee im Winter und dem Regen im Frühjahr und Herbst bleibt ihm nicht viel Zeit zum Trocknen, so dass der Großteil des Geländers und das Balkonbodens alle paar Jahre ausgewechselt werden. Kann ich Ihnen etwas bringen, Sir?«

»Ja, ich nehme ein Corona.«

Der Mann ging zurück an die Bar und J.D. setzte sich an einen Tisch direkt am Fenster. Das Mittagessen war vorbei, für die Happy Hour war es noch zu früh, und so hatte er den Raum ganz allein für sich. Als das bestellte Bier kam, nickte er zum Dank und schlug dann das älteste der Bücher auf.

Wider Erwarten fiel es ihm schwer, sich auf die Überprüfung der Finanzen des Hotels zu konzentrieren, denn ständig kehrten seine Gedanken zu seiner aufgezwungenen Partnerin zurück. Er war sich nicht ganz sicher, ob er als Sieger oder als Verlierer aus dem Scharmützel hervorgegangen war. Er wurde von Frauen nicht gerade umschwärmt, nie zuvor jedoch hatte eine ihn angesehen, als wäre er geradewegs aus der Steinzeit in die Gegenwart katapultiert worden. Allerdings musste er sich eingestehen, dass es ihn auf eine primitive Art befriedigt hatte, sie aus dem Gleichgewicht zu bringen.

Doch was zum Teufel hatte dieses Bedürfnis überhaupt in ihm geweckt?

Er war mit der Absicht, ein nüchternes, geschäftsmäßiges Gespräch zu führen, in ihr Büro marschiert. Sie jedoch hatte ihn mit diesem falschen Lächeln angesehen. Er hatte sich mit instinktiver Kampfbereitschaft ins Gefecht gestürzt. Als sie ihn dann noch der Geschmacklosigkeit bezichtigt und ihn gemustert hatte, als wäre er geradewegs aus einem Abwasserkanal gekrochen, war es um seine guten Vorsätze geschehen.

Doch leicht war sie nicht kleinzukriegen. Er hätte gedacht, die jahrelang in Rat City angewandte Praxis der körperlichen Einschüchterung würde bereits genügen, doch ihre großen, runden Augen und der weiche, runde Körper schienen eine Mogelpackung zu sein – denn sie hatte sich ihm erfolgreich widersetzt. Abgesehen von dem einen Schritt nach hinten, hatte sie ihre Bereitschaft demonstriert, sich ihm gegenüber zu behaupten.

Und plötzlich hatte sein Bemühen, herauszufinden, was zum Teufel sie und ihre Sippe gegen ihn im Schilde führten – verdammt noch mal –, den Charakter eines Vorspiels für ihn gehabt.

Er richtete sich auf. Himmel, Mann, bist du vollkommen verrückt geworden? Die Behauptung, er wäre einzig darauf aus, etwas umsonst zu kriegen, hatte nicht gestimmt, doch genau das war passiert – und wie oft hatte ein Typ wie er im Leben wohl ein derartiges Glück? Er hatte die Absicht, diese Gelegenheit zu nutzen. Spielchen in der Art Ich weiß, dass ich dich dazu bringen kann, dass du es genauso willst wie ich waren sicher nicht der richtige Weg, doch er wollte verdammt sein, wenn er diese Chance vertat.

In Seattle gab es nichts mehr für ihn. Nicht einmal mehr Butch, der als Einziger so etwas wie Familie für ihn gewesen war.

Und trotzdem ...

J.D. stand auf, zog eine Telefonkarte aus seiner Tasche und ging zu dem neben den Toiletten befindlichen öffentlichen Apparat. Selbst wenn die Dinge zwischen ihnen nicht mehr so standen wie früher, sollte er Butch zumindest wissen lassen, wo er war, und ihm für den Fall, dass die Bullen ihn erreichen mussten, eine Nummer hinterlassen.

Er und Butch hatten als Kinder zusammen das Fürsorgesystem durchlaufen und waren ab und zu sogar zur selben Zeit im selben Kinderheim gewesen. Doch hatten sie einander draußen auf der Straße, wo sie sich viel zu häufig herumgetrieben hatten, erst richtig kennen gelernt. Und kurz vor seinem sechzehnten Geburtstag war ihm von Butch das Leben gerettet worden, als er beim gemeinsamen Spiel auf einem Fabrikdach beinahe kopfüber in die Tiefe gepurzelt war.

Es war egal, dass die Idee zu dem Spiel, das zu dem Beinahe-Unfall geführt hatte, von Butch gekommen war. Es hatte sich von selbst verstanden, dass J.D. dem Kumpel seither etwas schuldig gewesen war. In ihrem Viertel folgte man in diesen Dingen einem strengen Kodex und es war nicht ungewöhnlich, dass man für gegenseitig erwiesene Dienste noch Jahre später in der Kreide stand. Auch wenn es ein ungeschriebenes Gesetz war, war es unvorstellbar, dass sich jemand nicht eisern daran hielt.

Umso mehr hatte J.D. es zu schätzen gewusst, dass die Begleichung dieser alten Schuld niemals von Butch eingefordert worden war. So etwas war in ihrer Gegend selten und es hatte J.D. stets sehr viel bedeutet, dass sein Freund an den unsichtbaren Schuldschein nie auch nur zu denken schien.

Bis Butch letzte Woche plötzlich doch auf die Geschichte zurückgekommen war.

Beinahe hätte J.D. den Hörer wieder aufgelegt, dann jedoch gab er auch die letzten beiden Ziffern der Nummer seines Kumpels ein. Schließlich war es nicht so, als hätte er nicht irgendwo in seinem tiefsten Innern gewusst, dass er jederzeit zur Begleichung dieser Schuld aufgefordert werden könnte. Trotzdem war er enttäuscht gewesen, als es schließlich tatsächlich dazu gekommen war. Ihre Freundschaft hatte sich dadurch verändert.

Verdammt, er machte einen Fehler. J.D. wollte gerade auflegen, als jemand am anderen Ende der Leitung an den Apparat kam. »Hal-lo!«

Butchs Stimme rief einen Morast aus widersprüchlichen Gefühlen in ihm wach und einen Moment lang schwieg J.D. Butch war immer so vieles gewesen, was er selber nicht war. Zum Beispiel wirklich witzig.

Bereits als Kind hatte er dauernd irgendwelche Scherze auf den Lippen und Ideen für irgendwelche amüsanten Zeitvertreibe gehabt. Auch als Erwachsener konnte er die Menschen oft zum Lachen bringen, was J.D. eindeutig nicht gegeben war.

Er war einer dieser Typen, zu denen sich die Menschen hingezogen fühlten. Die Frauen lagen ihm zu Füßen und es schien egal zu sein, dass er mit einer Furie verheiratet war, die jede Frau skalpieren würde, die ihm zu nahe kam.

»Was?«, wurden seine Gedanken von Butchs ungeduldiger Stimme unterbrochen. »Wenn du was zu sagen hast, spuck’s aus. Ich habe keine Zeit für diesen Seh...«

»He«, sagte J.D. »Ich bin es.«

»J.D.?«

»Genau.«

Ein paar Sekunden herrschte Schweigen. Dann: »Wo zum Teufel steckst du, Mann? Ich habe schon hundertmal versucht, dich zu erreichen, aber dein Anschluss ist gesperrt und als ich zu deiner Wohnung kam, sah sie völlig verwaist aus, nur dass nicht zu sehen war, ob du die Fliege gemacht hast oder nur mal kurz einen trinken gegangen bist.«

Er klang ziemlich erregt und das leise Klimpern, das J.D. durch die Leitung vernahm, verriet, dass er wie üblich, wenn er nervös war, Kleingeld von einer Hand in die andere fließen ließ.

J.D.s Magen zog sich leicht zusammen. »Ich habe die Wohnung gekündigt – es war Zeit für eine Veränderung.«

»Ach ja? Und wo bist du jetzt?«

Butchs Stimme hatte für seinen Geschmack einen etwas zu aufgeregten Klang. »Was ist los?«

»He? Nichts ist los«, kam die allzu schnelle Antwort. »Du warst plötzlich verschwunden und ich will einfach wissen, wo zum Teufel du jetzt steckst, das ist alles.«

Das konnte er jemand anderem erzählen. Sie hatten einander auch vorher schon wochenlang nicht gesehen, was Butch immer total egal gewesen war. »Du führst doch was im Schilde, Dickson. Also, was ist los?«

»Nichts!«

»Hat es was mit der Sache mit den Bullen zu tun?« Mit der Sache, die ihre Freundschaft für alle Zeit verändert hatte? J.D.s Magen verknotete sich noch stärker.

»Verdammt, nein. Das ist längst erledigt.«

Dann ging es um eine Frau. »Du steckst mal wieder in der Scheiße – das höre ich dir an. Ich kriege eh raus, was es ist, also kannst du es mir ebenso gut gleich erzählen.«

»Es gibt nichts zu erzählen. Himmel, wo ist das Problem, Carver? Da ist ein Mann in Sorge, weil sein Kumpel einfach verschwindet und plötzlich heißt es, er führt etwas im Schilde? Was soll der Schwachsinn?«

»Du weißt, dass du auf Dauer nichts vor mir verheimlichen kannst, warum also ersparst du uns nicht die Zeit und Mühe und ...«

»Wo zum Teufel steckst du, Carver?«

»Ich werde herausbekommen, was du vor mir verbirgst!«, schnauzte J.D., knallte den Hörer auf die Gabel und stapfte zurück an seinen Tisch.

Scheiße. Er hätte sich auf seinen Instinkt verlassen sollen – Butch anzurufen war ein Riesenfehler. Er hatte gehofft, der schwelende Zorn, den er seit letzter Woche auf den alten Freund empfand, würde bei einem Gespräch mit ihm verrauchen, doch jetzt war er noch wütender als vorher.

Butch hatte seine Fehler. Die meisten waren nicht weiter schlimm, doch ein Fehler war tödlich: Er übernahm niemals die Verantwortung für sein eigenes Tun. Egal, was auch passierte, er konnte nie etwas dazu.

So war es immer schon gewesen, nur dass es sich bisher lediglich um diverse Kleinigkeiten gehandelt hatte: einen Tadel für eine schlecht ausgeführte Arbeit, eine Beule im Kotflügel von seinem Auto, einen Strafzettel wegen Falschparkens, einen Streit mit seiner Frau. Letzten Dienstag jedoch hatte Butchs Unvermögen, für sich selber einzustehen, dazu geführt, dass J.D. die alte Schuld bei ihm hatte begleichen müssen. Jede Erinnerung daran kratzte ein wenig mehr Lack von ihrer alten Freundschaft ab, doch J.D. konnte die Sache einfach nicht auf sich beruhen lassen und kehrte, auch wenn es schmerzte, in Gedanken zu dem Tag zurück.

Butch hatte ihm die Tür geöffnet und er war an ihm vorbei ins Wohnzimmer spaziert. »Gina hat heute doch wohl wirklich Spätschicht?«

Sein Freund hatte ihn mit einem breiten Grinsen angesehen. »Weshalb seid ihr alle so versessen darauf, Gina aus dem Weg zu gehen? Ab und zu ist sie ein bisschen reizbar, aber was ist schon dabei?«

J.D. hatte geschnaubt. »Ebenso gut könntest du sagen, dass ein Pitbull ein bisschen anstrengend ist. Die Frau besteht aus fünfundfünfzig Kilo reiner Bosheit und das weißt du ganz genau.«

»Zweiundfünfzig Kilo. Du willst doch sicher nicht, dass sie mitkriegt, dass du sie für so schwer hältst.« Er hatte in Richtung der Tüte genickt, die J.D. in der Hand gehalten hatte. »Ist das Bier?«

J.D. hatte eine der sechs Flaschen herausgezogen, Butch die Tüte gegeben und sich auf die Couch geworfen, während sein Kumpel in die Küche gegangen war. J.D. hatte die Flasche geöffnet, einen Schluck getrunken und gesagt: »Weißt du, ich habe nie ganz verstanden, weshalb du sie geheiratet hast. Ihr beiden seid doch vollkommen verschieden.«

Die Kühlschranktür war zugeschlagen worden. »He, was soll ich sagen. So was nennt man eben wahre Liebe.«

J.D. hatte geschnaubt. »Wenn du mich fragst, wirkt es eher wie ein Kampf auf Leben und Tod. Ich will nur hoffen, dass du gestern Abend im Tug mit Kittie Lockrell wirklich nur geflirtet hast, denn falls Gina je herauskriegt, dass du sie betrügst, bist du ein toter Mann.«

Butch hatte mit den Schultern gezuckt, den Fernseher eingeschaltet und sie hatten beide, die Füße auf dem Couchtisch, das Spiel der Mariners verfolgt.

J.D. jedoch hatte nur mit halbem Auge hingesehen und gleichzeitig überlegt, wie Butch am besten beizubringen wäre, dass er plötzlich Hotelbesitzer war. Normalerweise hätte er es ihm sofort erzählt, aber er hatte von dem Erbe während der Verhandlung gegen Lankovich erfahren, als er in der Gegend nicht gerade beliebt gewesen war. Und da Butch seinetwegen keine Arbeit hatte, wäre es sicher keine allzu gute Idee, mit seinem unverhofften Glück zu prahlen oder auch nur zu versuchen, zu erklären, weshalb er deshalb in einem echten Zweispalt war.

Noch während er darüber grübelte, wie er das Thema am besten zur Sprache brächte, und wie Robbie Lankovich, der zunehmend wildere Drohungen gegen ihn ausstieß, am besten abzuschütteln wäre, hatte es an der Wohnungstür geklopft. Ohne den Blick von der Mattscheibe zu wenden, war Butch rückwärts Richtung Tür gegangen und hatte achtlos aufgemacht. J.D. jedoch hatte beim Anblick der Besucher die Schultern gestrafft.

Er hatte sich zu viele Jahre auf der Straße herumgetrieben, um nicht sofort einen Bullen zu erkennen, wenn er einen sah. Und obwohl er, seit er ein Kind gewesen war, kein Gesetz mehr übertreten hatte, hatte sich sein instinktives Misstrauen gegenüber sämtlichen Gesetzeshütern nicht gelegt.

»Ja?«, fragte Butch ohne Interesse und stöhnte, weil A-Rods erster Schlag daneben gegangen war.

»Butch Dickson?«

»Ja, wer will das wissen?« Er hatte sich umgedreht und zum ersten Mal seine Besucher angesehen. »Scheiße, Bullen. Was wollt ihr?«

Sie waren unaufgefordert eingetreten. »Wir müssen wissen, wo du dich heute Nachmittag herumgetrieben hast, Butchie«, hatte der Altere der beiden gesäuselt. »Um vier Uhr, denn da hat jemand, auf den deine Beschreibung passt, das One Stop drüben in der Neunten überfallen.«

»He, zischt ab und geht jemand anderem auf die Nerven. Sehe ich so dumm aus? Wenn ich einen Laden überfallen wollte, würde ich doch wohl keinen nehmen, der gleich hier um die Ecke liegt.« Die Hände in den Hosentaschen, hatte Butch schulterzuckend vollendet: »Außerdem bin ich total sauber. Ich habe seit Jahren schon nichts mehr mit euch zu tun gehabt.«

Der jüngere Beamte hatte sich in der Wohnung umgesehen und J.D. war seinem Blick gefolgt. Eins musste man Gina lassen, sie hielt das Apartment wirklich hervorragend in Schuss.

Worin er anscheinend einer Meinung mit dem Bullen gewesen war. »Ziemlich nette Bleibe für jemanden, der über keine sichtbaren Einkünfte verfügt«, hatte er erklärt.

»Hol dich doch der Teufel«, hatte Butch ihn angefahren. »Meine Frau hat einen Full-Time-Job und ich hatte ebenfalls eine ziemlich gute Arbeit, bis die Firma vorletzten Monat Pleite gegangen ist. Und während ich mir eine neue Stelle suche, kriege ich Arbeitslosengeld.«

»Hast du das auch um vier Uhr heute Nachmittag gemacht?«, hatte der Ältere der beiden ihn gefragt. »Stempelgeld kassiert?«

Butch hatte ihn böse angesehen. »Mit der Frage willst du mich doch nur in die Pfanne hauen, oder etwa nicht?«

»Wo warst du heute Nachmittag um vier, Dickson?«

»Hier in meiner Wohnung«, hatte Butch gefaucht und mit dem Daumen auf J.D. gezeigt. »Und zwar mit ihm zusammen.«

J.D. hatte nicht mal geblinzelt, doch innerlich war er vollkommen erstarrt. Was zum Teufel hatte diese Antwort zu bedeuten? Er war erst um fünf gekommen. Himmel, in welchen Schlamassel hatte Butch sich reingeritten?

Dann aber hatte er sich gefragt, seit wann er aufgrund der Behauptungen irgendwelcher Bullen derart voreilige Schlüsse zog. Vielleicht war Butch nicht gerade der Inbegriff der Zuverlässigkeit, aber seit J.D. ihm vor sechs Jahren den Job bei Lankovich besorgt hatte, hatte er keine Scherereien mehr gemacht. Und wie er selbst den Cops erläutert hatte, wäre er sicher nicht so blöde und raubte einen Laden aus, in dem er selbst seit Jahren als Kunde aus und ein ging. Wahrscheinlich wollte er sich einfach den Ärger und die Mühe sparen, seine Unschuld vor Gericht beweisen zu müssen, solange es keinen anderen Verdächtigen gab.

Auf alle Fälle hatte Butch ihn mit seinem Blick daran erinnert, dass er ihm etwas schuldete, so dass er auf die Frage der Bullen, ob es stimme, dass er und Butch zur fraglichen Zeit zusammen gewesen waren, mit den Schultern gezuckt und »ja« gesagt hatte. Gleichzeitig jedoch hatten Zorn und ein Gefühl des Verrats mit schmutzigen kleinen Rattenzähnen an seinem Inneren genagt.

»Danke, Kumpel.« Butch war, nachdem er die Tür hinter den Cops ins Schloss geworfen hatte, übermütig zurück ins Wohnzimmer getänzelt. Er hatte gegrinst, als hätten er und J.D. gemeinsam den Coup des Jahrhunderts gelandet, dann jedoch das Gesicht verzogen, als ihm aufgefallen war, dass J.D. nicht in seinen Jubel einstimmte. Schulterzuckend war er zum Kühlschrank gegangen und hatte sich eine neue Bierflasche geholt. »Willst du auch noch eine?«

»Nein.«

Butch hatte sich auf die Couch geworfen und seine Flasche wie zu einem Toast in die Luft gehalten. »Darauf, dass wir die Schweine ausgetrickst haben.«

J.D. hatte ihn wortlos angesehen.

»Was ist?«, hatte Butch ihn in genervtem Ton gefragt. »Also bitte. Bist du etwa sauer, nur weil ich dich gebeten habe, mir zu helfen? Schließlich warst du mir seit Jahren etwas schuldig.«

J.D. hätte nicht in Worte fassen können, wie sehr es ihn störte, dass ihm von seinem Freund nach all den Jahren doch noch die Rechnung für den als Kind erwiesenen Gefallen präsentiert worden war. Er war sich vorgekommen wie ein kompletter Idiot, weil er tatsächlich geglaubt hatte, so etwas würde Butch ganz sicher niemals tun. »Ja«, hatte er knapp erwidert, erst nachdenklich auf seine fast leere Bierflasche gestarrt und Butch dann reglos ins Gesicht gesehen. »Aber damit sind wir quitt.«

Während eine lärmende Besuchergruppe das Adlernest betrat und ihrer Bewunderung für die spektakuläre Aussicht lautstark Ausdruck verlieh, dachte J.D. weiter an jenen schicksalhaften Nachmittag. Er erinnerte sich an das Unbehagen darüber, dass Butch offensichtlich etwas vor ihm verbarg. Er hatte nicht gefragt, ob Butch den Laden überfallen hätte; wenn ja, wäre es besser, er wüsste nichts davon.

Andernfalls hätte er nämlich etwas unternehmen müssen – und hätte nicht gewusst, wie in aller Welt er es hätte anstellen sollen, die alte Schuld bei seinem Kumpel zu begleichen und gleichzeitig das Richtige zu tun.

Diese Frage jedoch hatte sich erledigt, als er später am selben Abend in den Nachrichten gehört hatte, dass bei dem Überfall auf einen Angestellten des Geschäfts geschossen worden war, der bewusstlos auf der Intensivstation des Highline-Krankenhauses lag.

Gleich am nächsten Tag war er zu Butch gegangen, hatte ihn gefragt, was zum Teufel er tatsächlich um vier Uhr am letzten Nachmittag getrieben hatte, und zur Antwort bekommen, dass Butch mit Kittie Lockrell zusammen gewesen war. »Aber, J.D.«, hatte sein Freund gejammert. »Wie in aller Welt hätte ich das den Bullen sagen sollen? Du weißt genauso gut wie ich, dass dann auch Gina davon Wind bekommen hätte – und wenn sie mir jemals auf die Schliche käme, könnte ich mich von meinem Schwanz verabschieden. Im Vergleich zu ihr ist selbst der Erzengel Gabriel die Personifizierung der christlichen Vergebung.«

J.D. hatte erleichtert aufgeatmet. In den zwölf Stunden, seit er erfahren hatte, dass bei dem Überfall jemand verletzt worden war, hatte er sich ständig gefragt, ob vielleicht sein Freund der Täter gewesen war. Er hatte es sich nicht wirklich vorstellen können, weil Butch nie gewalttätig gewesen war, aber er war impulsiv – und handelte deshalb manchmal zu überstürzt. Es war gut zu wissen, dass Butch nur seine Frau mit einer heißen Tussi hintergangen hatte, auch wenn das bereits mehr als blöd gewesen war.

Da er jedoch mit der Fähigkeit seines Freundes zu lügen allzu vertraut war, hatte er die Geschichte in einem Gespräch mit Kittie überprüft. Als diese Butchs Version bestätigt hatte, hatte J.D. seine Sachen gepackt und sich mit einem reinen Gewissen auf den Weg gemacht.

Von seinem Erbe und davon, dass er, um es anzutreten, Seattle verlassen würde, hatte er niemandem erzählt. Wahrscheinlich war es kleinlich, dass er Butch die Einlösung der alten Schuld verübelte, doch hatte sich dadurch ein unüberwindlicher Graben zwischen ihnen aufgetan. Offenbar hatte J.D. den Freund nicht halb so gut gekannt, wie er sich eingebildet hatte.

Weshalb ihn in Seattle nichts mehr hielt.

J.D. packte die Bücher zusammen, stand auf und ging zu seinem Wagen. Er brauchte etwas Abwechslung. Während er den Berg hinab ins Dorf fuhr, tat er sein Möglichstes, um die Vergangenheit aus seinen Gedanken zu verdrängen. In einem Supermarkt mit Namen Pack’n’Save kaufte er ein paar Lebensmittel. Danach steuerte er einen Baumarkt an und kaufte die Materialien für die Reparatur seines Verandadaches ein.

Anschließend kurvte er den Berg wieder hinauf, fand eine kleine Straße, über die man direkt bis an die Hütten kam, parkte seinen Mustang neben seinem neuen Heim und trug die Einkäufe ins Haus.

Kurz nach sieben trieb die ungewohnte Stille ihn noch einmal hinaus. Bisher war er ständig vom Lärm diverser Nachbarn, von Autos, Flugzeugen und Sirenen umgeben gewesen. Die Ruhe und der Frieden, die hier herrschten, machten ihn nervös.

Allerdings verströmte die Umgebung einen herrlichen Duft. Von den anderen Hütten wehte das Aroma gegrillten Fleischs zu ihm hinüber, und auf dem Weg den Pfad hinunter in Richtung der Bootsanlegestelle, von der Dru gesprochen hatte, sog er den frischen, grünen Duft des Waldes in sich ein. Das Fehlen der Abgase, die um diese Zeit des Jahres bleischwer in der Stadtluft lagen, war ein wirklicher Genuss.

Auch außerhalb der Hütte war es in den Wäldern um den See vollkommen still. Die einzelnen Gebäude lagen weit voneinander entfernt, und falls jemand in der Hütte wohnte, an der er gerade vorbeikam, war es zumindest nicht zu merken. J.D. hörte keine Stimmen und sah auch keine Kinder auf den Pfaden zwischen den Bäumen am Ufer des Gewässers herumspringen. Es war, als hätte er die Gegend für sich allein.

Schließlich gelangte er an einen langen, schmalen Schwimmsteg, auf dessen einer Seite eine Reihe von Ruderbooten und an der anderen Seite zwei Motorboote vertäut lagen. Die Hände in den Hosentaschen marschierte er über das knirschende Holz. Der Anleger schwankte leicht unter seinen Schritten und die Boote dümpelten friedlich auf dem Wasser.

Draußen auf dem See war ein großes Floß vertäut. Außer mit dem erhöhten, für den Rettungsschwimmer reservierten Sitzplatz war es mit zwei Sprungbrettern ausgestattet. Das Floß schwankte etwas auf der spiegelglatten Wasseroberfläche und J.D. bemerkte zwei Gestalten, die eindeutig eben von dort losgeschwommen waren. Er folgte ihnen mit den Augen und entdeckte hinter einer kleinen Landzunge einen zweiten Steg. Wahrscheinlich den Steg, den die Kinder benutzten, um ins Wasser zu gehen, denn an dem anderen waren schließlich die Boote festgemacht.

Obgleich er kein Verlangen spürte, mit irgendwelchen Urlaubern zu sprechen, wandte J.D. sich um und lief zum zweiten Steg, um ihn sich genauer anzusehen. Als neuer Mitinhaber des Hotels machte er sich am besten möglichst schnell mit möglichst vielem vertraut.

Eine Minute später betrat er den zweiten Steg und blieb wie angewurzelt stehen.

Denn am Ende des Steges stand, den Rücken in seine Richtung, nach vorne gebeugt, um sich die Beine mit einem dicken Handtuch abzutrocknen, den Kopf jedoch erhoben, um ihren Sohn die letzten Meter bis ans Ufer schwimmen zu sehen, seine Zwangspartnerin Dru Lawrence.

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