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1 Warum ein Gehaltsverhandlungsratgeber für Frauen?

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Wir schreiben das Jahr 2022. Die Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau ist hierzulande immer noch ein viel diskutiertes Thema, vor allem beim Gehalt. Vor über hundert Jahren erkämpften Frauen ihr Wahlrecht, schnitten die alten Zöpfe ab und prägten in den »Goldenen Zwanzigern« des vergangenen Jahrhunderts den Mythos der »neuen Frau«. Es entstanden die »typischen Frauenberufe«, wie Verkäuferin, Schneiderin, Lehrerin, Sekretärin, Krankenschwester und Buchhalterin. Die neue Frau mit Bubikopf, die sich schminkte, rauchte, das Nachtleben eroberte, die liebte, wen sie wollte, und Schriftstellerin, Tänzerin oder Schauspielerin war, blieb jedoch für die meisten Frauen ein unerreichtes Idol. Frauen galten weiterhin als billige Arbeitskräfte, die für die gleiche Arbeit die Hälfte dessen, was Männer verdienten, erhielten. Die beginnende Emanzipation der Frau in Gesellschaft und Politik kam nach Gründung der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP) zum Erliegen, als die Partei 1921 beschloss, Führungspositionen Männern vorzubehalten, und Frauen durch weitere gesetzliche Regelungen zunehmend aus gehobenen Berufen verdrängte.1 Sobald eine Frau heiratete, konnte sie sofort aus ihrem Beruf entlassen werden. Die perfekte Mutter, die sich selbstlos um Kinder und Haushalt kümmerte, wurde in der Gesellschaft als Frauenbild installiert.

Wer weiß, ob wir heute noch über die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, echte Emanzipation und Frauen in Führungspositionen diskutieren würden, hätte nicht die Zäsur durch den Zweiten Weltkrieg mit ihren Folgen stattgefunden. Vielleicht hätten wir bereits flächendeckend Kitaplätze und Ganztagsschulen und es wäre nicht außergewöhnlich, wenn auch die Väter in Elternzeit gingen.

Gegen Ende der Achtzigerjahre lag die Erwerbsquote der Frauen in der DDR bei 91 Prozent, in der Bundesrepublik betrug sie zur gleichen Zeit etwa die Hälfte. Dass diese beiden Staatssysteme nicht miteinander vergleichbar sind, steht auf einem ganz anderen Blatt. Die Emanzipation der Frau in der DDR hatte auch ihre Schattenseiten und war quasi das Nebenprodukt der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED). Frauen waren »permanent am Limit«, wie der Deutschlandfunk unter Verweis auf zwei neue Studien titelt.2 Geblieben ist der Mythos »Ostfrau«, der uns von der selbstbewussten, pragmatischen und anpassungsfähigen Frau erzählt, die sich überproportional häufig unter denjenigen Ostdeutschen befindet, die es heute in Führungspositionen geschafft haben.3 Die erste Frau, die es 2005 ins Bundeskanzleramt schaffte, ist Dr. Angela Merkel. Sie ist in Brandenburg (DDR) aufgewachsen.

Erst acht Jahre nach Gründung der Bundesrepublik Deutschland, also 1957, durfte eine Frau erstmals ohne die Erlaubnis ihres Ehemannes einer Berufstätigkeit nachgehen. Diese musste mit den Pflichten als Haus- und Ehefrau vereinbar sein (§ 1356 Abs. 1 BGB a. F.). Also eine Arbeit mit niedrigem Status, die der modernen Frau ihre Doppel- und Dreifachbelastung aus Arbeit, Haushalt und Familie ermöglichen soll. Eindrucksvoll wird diese Geschichte der perfekten Ehe- und Hausfrau im 1954 ausgestrahlten Werbefilm des Nahrungsmittelkonzerns Dr. Oetker erzählt, aus dem das bekannte Zitat »Eine Frau hat zwei Lebensfragen: Was soll ich anziehen und was soll ich kochen?« stammt.4

Noch bis 1977 konnte der Ehemann das Arbeitsverhältnis seiner Frau kündigen. Die Verwaltung des Geldes und große Anschaffungen waren Männersache. Frauen durften Geld nur für Dinge des alltäglichen Bedarfs ausgeben. 1980 wurde gesetzlich verankert, dass Frauen und Männer das gleiche Geld für die gleiche Arbeit erhalten. Heute, über 40 Jahre später, herrscht in Deutschland ein »Lohndelta«, die →Gender Pay Gap, in Höhe von 19 Prozent zwischen Männern und Frauen.5

Viele Verbände und Initiativen werben heute für »Chancengleichheit am Arbeitsmarkt«, »Stärkung der Frau in Wirtschaft und Beruf« und »Lohngleichheit«. Der Gesetzgeber schreibt eine Frauenquote im Aufsichtsrat von Aktiengesellschaften vor und verabschiedete 2016 das →Entgelttransparenzgesetz.

Dennoch ist und bleibt die →Gender Pay Gap in unserer Gesellschaft, und auch weltweit, umstritten. Die Frage nach Lohngerechtigkeit wird gern mit der Ausrede weggewischt, dass Frauen sich oft in »typischen Frauenberufen« bewegen und familienbedingte Berufspausen einlegen. Dagegen spricht die bereinigte →Gender Pay Gap: Frauen verdienen in gleicher Position und bei gleicher Tätigkeit durchschnittlich 6 Prozent weniger als Männer,6 was, verglichen mit vielen mir bekannten Fällen, einem traumhaften Verhältnis gleichkommt. Statistik eben.

Zufälligerweise stolperte ich vor einiger Zeit über eine Onlinekampagne einer Bank, die meine Aufmerksamkeit erregte. Thema: Altersvorsorge, Zielgruppe: Frau. Die Botschaft: »Die Gender Pay Gap ist die kleine Schwester der Gender Pension Gap.« Nur wenige Tage später habe ich die Anzeige nicht mehr gefunden, ich hätte sie mir abspeichern sollen! Vielleicht war sie der Geschäftsführung des Hauses zu hart, zu direkt, zu krass formuliert. Ich finde sie treffend, denn der geringere Verdienst während ihres Erwerbslebens mündet für viele Frauen in die Altersarmut. Sie zahlen weniger in die gesetzliche Rentenversicherung ein, erwerben somit weniger Rentenansprüche und haben weniger finanziellen Spielraum für den Aufbau einer privaten Altersabsicherung.

Schon heute klafft zwischen den männlichen und den weiblichen Rentenbeziehern die riesige Lücke von 53 Prozent (Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Grünen-Fraktion 2017).7

Wenn das Gleichbehandlungsgesetz es nicht schafft, für Lohngerechtigkeit zwischen Mann und Frau zu sorgen, wenn die Politik sich in Endlosdiskussionen verrennt, statt zu handeln, und wenn der →Equal Pay Day nur ein Tag wie jeder andere im Nachrichtendschungel ist, wer soll es dann hinkriegen?

Wir Frauen!

Doch häufig fehlt uns eine realistische Einschätzung des »richtigen« Gehalts. Darüber hinaus machen uns unsere eigenen Ängste einen Strich durch die Rechnung. Geht es um andere Menschen, um Gerechtigkeit oder den nächsten Urlaub, sind wir die besten Verhandlungskünstlerinnen. Doch sobald es darum geht, für uns selbst einzustehen, unsere Leistungen anzuerkennen und für diese eine entsprechende Kompensation einzufordern, werden wir kleinlaut. Es mangelt am nötigen Selbstvertrauen.

Mit über 1.500 Frauen habe ich im offenen Austausch diskutiert, die verrücktesten Geschichten geteilt, Ängste thematisiert und im Coaching verborgene Glaubenssätze zum Thema Geld aufgedeckt und aufgelöst. Noch immer haben wir zu Geld- und Gehaltsfragen eine mentale Einstellung, die durch unsere Erziehung und Sozialisierung geprägt ist und von starken Berührungsängsten zeugt.

Erst seit 1962 dürfen Frauen ein eigenes Bankkonto eröffnen. Diese kurze Tradition im Umgang mit Geld sorgt heute noch dafür, dass Frauen sich in Finanzfragen unsicher fühlen, sich eher auf den Partner verlassen und Geld weniger chancenorientiert anlegen. Dies kann ich nach über zwanzig Jahren Erfahrung in der Finanzbranche bestätigen. Wie soll es vor diesem Hintergrund gelingen, souverän ein gutes Gehalt für sich selbst zu verhandeln?

Bei der Gehaltsverhandlung geht es nicht »nur« um mehr Geld, es geht um den Wert, den ich in mir selbst sehe, den ich im Job einbringe und für den ich einstehe. Es ist eine Frage der Wertschätzung. Nur wenn ich mich selbst wertschätze, werde ich auch von außen Wertschätzung erfahren.

In diesem Buch stecken meine Erfahrungen, Erlebnisse und die Essenz aus vielen Tausend Beratungsgesprächen in der Finanzdienstleistungsbranche und aus meiner Coachingpraxis. Ich freue mich, wenn ich einen Teil dazu beitragen kann, dass wir Frauen noch selbstbewusster in Gehalts- und Geldfragen werden und mit fundierter Vorbereitung und sicherer Haltung in die nächste Gehaltsverhandlung gehen. Wir sollten nicht länger auf Hilfe von außen warten oder uns auf den Gesetzgeber verlassen. Wir haben es selbst in der Hand, wenn wir wollen. Packen wir es an!

Kenne deinen Wert!

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